Analyse
Erscheinungsdatum: 18. August 2024

Höckes Auftreten: Warum viele AfDler sehr zurückhaltend reagieren

Mit seinem Auftreten in der MDR-Wahlarena zeigte Björn Höcke, dass er die AfD bei einem zentralen Ansinnen behindert: der Professionalisierung. Seine Radikalität ist nicht das einzige Problem, sondern auch sein Querulantentum.

Der Jubel war groß, als Robert Sesselmann das erste Landratsamt Deutschlands für die AfD eroberte. Doch ein Jahr später will Björn Höcke zu dessen Landkreis Sonneberg überhaupt nichts mehr sagen. Der Thüringer AfD-Chef sollte in der MDR-Wahlarena beantworten, warum im CDU-regierten Saale-Orla-Kreis zuletzt 100 Asylbewerberinnen und -bewerber zu gemeinnütziger Arbeit verpflichtet wurden, während es im AfD-geführten Sonneberg nur neun waren. „Also ich muss viel grundsätzlicher werden“, lauten die ersten Worte von Björn Höcke in der Runde. „Aber ich hätte gerne meine Frage beantwortet“, entgegnet die Moderatorin, ehe Höcke ihr mit einem „Nein nein“ ins Wort fällt und die Sendung grundsätzlich kritisiert, der Angang der Themen „ist mit mir nicht zu machen.“ Die Moderatorin versucht es noch einmal, ehe Höcke die Stimmung weiter eskaliert. „Stop stop stop stop stop“, ruft er und fordert ein „Eingangsstatement“ ein, das seine Kollegen angeblich auch bekommen hätten – dabei haben sie schlicht die Fragen der Moderation beantwortet.

Auf Twitter bejubelten ein paar Accounts das Auftreten des Thüringer Parteichefs als rebellisch. Die Mehrheit der AfD schwieg. Table.Briefings hat Funktionäre auf verschiedenen Ebenen befragt, wie sie das Auftreten des Spitzenkandidaten für die Landtagswahl empfunden haben. Ein Befragter sagt, Höcke habe der AfD und sich selbst mit seinem destruktiven Auftreten geschadet; anders als bei einem Interview mit NTV habe er keinerlei Ruhe oder Gelassenheit ausgestrahlt; im Gegenteil. Höcke fehle seit dem Weggang seines Beraters Günther Lachmann, Ex-Weltredakteur, Medienexpertise im Team. Höcke umgebe sich nur noch mit einem kleinen Kreis ideologisch ähnlich Radikaler, die aber wenig fachliche Eignung besäßen. Dabei seien AfDler vor Auftritten in solchen Runden wesentlich aufgeregter als sich vermuten ließe, bräuchten Berater, die bis Sendungsbeginn bei ihnen stünden, sie an ihre Punkte erinnerten und ihnen gut zusprächen.

Dass Höckes Auftreten ein bloßer Unfall war, ist allerdings fraglich. Viel zu gut passt er ins Muster Höckes, der gerade erst für das Verwenden eines SA-Slogans auf Partei-Events vor Gericht verurteilt wurde. Höcke gehört zu den Radikalsten seiner Partei, aber daran stören sich weite Teile der AfD nicht unbedingt; vielmehr eckt Höcke mit Querschlägerei und kulthafter Selbstverherrlichung an.

Jahrelang steigerte Höcke die Popularität der AfD in relevanten Wählergruppen durch rhetorische Provokation, ähnlich wie andere aus dem neurechten Spektrum. Auch der weit nach rechts abgedriftete Autor Uwe Tellkamp etwa verunmöglichte Diskussionsrunden mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer schon, weil er der Moderatorin ausschließlich mit mitgebrachten Reimen antwortete. Andere AfDler ignorierten Presseanfragen gänzlich oder vereinbarten Interview-Termine, die sie zufällig maximal kurz vorher wieder platzen ließen.

Für den Moment mögen einige aus einschlägigen Kreisen diesen Stil als Rebellentum gegen den vermeintlichen Mainstream feiern. Aber die Neurechten befinden sich auf dem Weg in eine neue Ära, dem Etabliert-Sein mit Aussicht. Deutschland hat längst einen erheblichen Rechtsrutsch mitgemacht, die Stimmung gegen Geflüchtete ist ungleich ablehnender geworden, der Frust gegen die „etablierten“ Parteien groß. Das will die AfD für sich nutzen, hofft auf Bundesebene ab 2029 auf Koalitionsbeteiligung. Auf allen Ebenen ist von der notwendigen Professionalisierung der AfD zu hören. Rechtsaußen hat sie ihr Potenzial weitgehend ausgereizt. Jetzt will sie weiter in die Mitte ausgreifen.

Angesichts der Gesinnung einer Reihe von Funktionären mag das illusorisch erscheinen; ideologisch sortiert die AfD auch kaum aus. Aber ihr Auftreten soll sich verbessern. Berater haben der Partei eingeimpft, dass die Kooperation mit der Presse existenziell ist. Außerdem ist die AfD-Spitze längst leid, sich ständig für neue Unfälle und Skandale rechtfertigen zu müssen. Höckes Inszenierungen bergen stetiges Unfall-Potenzial.

Mit Provokationen arbeiten auch andere in der AfD, wenn sie Talkshows besuchen. Was Höcke beim MDR erst am Donnerstag wieder betrieben hat, war gleichwohl nicht weniger als Arbeitsverweigerung. Selbst wenn seine Problem-Analysen – an Schulen etwa sieht der frühere Gymnasiallehrer zu viel Bürokratie, Ideologie und Migration – sich teilweise direkt in Konzepte (wenn auch teils sehr fragwürdige) umwandeln ließen, musste die Moderation mehrfach ansetzen, bis Höcke ihre Fragen nach politischen Zukunftsideen beantwortete. So tritt ein koalitionswilliger Parteiführer nicht auf, wohl aber einer, der zerstören will. Ein Destrukteur. In einschlägigen Kreisen und vor allem in den ostdeutschen Parteiverbänden hält sich der Stern Höckes noch am Himmel. Aber auch in Thüringen liegt sein Beliebtheitswert in mancher Umfrage deutlich unter demder AfD.

Auf Bundesebene büßt Höcke schon seit einer Weile Einfluss ein. Galt er früher als heimlicher Chef der Partei, gelang es ihm dieses Jahr nicht einmal, beim Parteitag in Essen eine Kandidatin fürs Schiedsgericht zu installieren. Und während sein Kollege Jörg Urban, sächsischer Landeschef und Spitzenkandidat, beim Wahlkampfauftakt gleich beide Bundeschefs um sich versammeln konnte, blieben bei Höcke beide fern.

Dass mit Höckes Einfluss auch seine Relevanz abnimmt, zeigt vielleicht die Antwort der meisten AfDler, die Table.Briefings nach ihrer Meinung zu Höckes Auftreten in der Wahlarena befragt hat. Sie sagten, dass sie die Sendung nicht geguckt hätten – manche mit dem Zusatz, sie hätten sich den Tag nicht verderben wollen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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