Es war ein zähes Ringen. 23 Sitzungen und aufsummiert 80 Stunden sollen die Verhandlungen gedauert haben. Es gibt eine Reihe von Geschichten, die in Berlin kursieren, von Drohungen und Schreiereien oder die, dass einer der drei Vorturner inmitten des Feilschens das Kanzleramt verlassen habe, um sich in die Oper zu begeben. Oder das aufflackernde Gerücht ganz zum Schluss, dass der Kanzler am Freitagvormittag einen Termin beim Bundespräsidenten habe.
Den Termin gab es nicht, konnte es auch nicht geben. „ Ein Kunstwerk“ nannte der Kanzler stattdessen am Freitagmittag die Zahlenkolonnen, aufgeben sei zudem nie eine Option gewesen. Auch Robert Habeck nannte den Haushaltsentwurf „im Rahmen der geltenden Regeln solide“. Für diese Legislaturperiode, so schrieb er seinen Parteifreunden, müsse er die Schuldenregel „bedauernd akzeptieren, doch im Wahlkampf im nächsten Jahr werden wir darüber streiten.“ Denn: „Deutschland braucht Reformen.“ Für die Liberalen war vor allem eines wichtig: die eigene Glaubwürdigkeit zu retten; deshalb durfte die Schuldenbremse aus ihrer Sicht nicht angetastet werden.
Doch noch ist überhaupt nicht klar, ob und wenn ja, wie viele Punkte des sogenannten Kunstwerks eher auf Sand als auf einem soliden Fundament gebaut sind. Insbesondere bei den kühn prognostizierten Einnahmen muss sich das erst noch zeigen. Die Zauberlehrlinge im Finanzministerium haben sich jedenfalls eine Menge an Kunstgriffen einfallen lassen. Weil die Wirtschaft schwächelt, ändert sich die Konjunkturkomponente, was unabhängig von der Schuldenbremse wiederum höhere Kredite erlaubt. Und weil wegen der beschlossenen 49 Einzelmaßnahmen für Unternehmen und zur wirtschaftlichen Belebung die Konjunktur im kommenden Jahr wieder anziehen könnte, nehmen im Haushaltsentwurf auch die Steuereinnahmen zu. Zumindest in der Planung.
Der Finanzminister darf die Zinszahlungen für Bundesanleihen zudem anders verbuchen, weil die Zinsen sinken. Also entsteht auch hier plötzlich ein Plus. Und weil die EU Jahr für Jahr viel Geld erhält, das gar nicht abgerufen wird, werden auch die Überweisungen aus Berlin nach Brüssel gekürzt. Ob diese Korrektur trotz Ukraine-Krieg und einem möglichen US-Präsidenten Donald Trump belastbar bleibt, muss sich erst noch erweisen. Und auch Bahn und Autobahn GmbH bekommen keine frischen Mittel, sondern müssen zu verzinsende Kredite aufnehmen. Weshalb sich Mitte 2024 schon abzeichnet: Das Ringen um den Haushalt 2026, aufzustellen von der neuen Bundesregierung, wird, wenn das Parlament die Schuldenbremse nicht korrigiert, keinen Deut leichter werden. Eher im Gegenteil.
Gleichwohl gibt es ein paar Gewinner. Die Bauministerin gehört dazu. Gekürzt wird ihr nichts, den klimafreundlichen Neubau im Niedrigpreis-Segment darf sie im kommenden Jahr mit einer Milliarde Euro zusätzlich fördern, und auch das Wohngeld steigt dezent. Auch der Arbeitsminister wird mit den Ergebnissen leben können, selbst wenn Arbeitslose, die sich Jobangeboten verweigern, künftig schneller sanktioniert werden sollen.
Ein sichtbares Investitionsprogramm ist nicht Teil des Pakets. Deshalb melden insbesondere in der SPD nicht wenige Zweifel an der Reichweite der Operation an. Zumal viele nicht nachvollziehen konnten, wie die monatelang vorgerechnete Lücke wirklich geschlossen wurde. „40 Milliarden haben gefehlt, 30 Milliarden habt ihr zusammen gebracht“, fragte etwa der PL-Sprecher Tim Klüssendorf, „ aber wie habt ihr denn die Lücke jetzt geschlossen?“ Mit einer Reihe von Kunstgriffen – das wäre wohl die angemessene, weil ehrlichste Antwort. „Die Schuldenbremse wird nur noch symbolisch eingehalten“, zitiert das Handelsblatt denn auch ein ranghohes Regierungsmitglied.
Insbesondere die Sozialdemokraten verabschiedeten sich angesichts all dessen eher skeptisch in die Sommerpause. Froh, dass sich vorläufig doch ein Konsens gefunden hat; aber misstrauisch, ob er denn auch Bestand haben wird. „Wir sind schon entspannter und frohgemuter in eine parlamentarische Sommerpause gegangen“, schrieb Fraktionschef Rolf Mützenich später grimmig seinen Kolleginnen und Kollegen und sprach obendrein von „ärgerlichen Querschüssen einiger Selbstdarsteller in der Koalition“. „Für Wachstum und Dynamisierung haben wir nicht viel im Angebot“, sagt ein führender SPD-Mann, und er sei sich auch nicht sicher, „ob im Herbst aus der Bazooka nicht plötzlich eine Mischung aus Konfettikanone und Handfeuerwaffe wird“. Und für die Haushaltsexperten seiner Fraktion kündigte ein selbstbewusster Fraktionsvize Achim Post an: „Wir werden das, was uns vorgelegt wird, noch einmal verbessern.“
Ein bisschen untergegangen ist in dem Wust an Details, dass der Kanzler der FDP während der vielen Stunden im Kanzleramt noch ein paar weitere Punkte abgetrotzt hat. Etwa, dass der Justizminister die im Koalitionsvertrag beschlossene Mietpreisbremse und deren Verlängerung bis 2029 nicht länger aufhält. Oder auch, dass das Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen doch weiter gelten soll. Bisher hatte sich die FDP dagegen gestemmt. Oder dass Geflüchtete sofort einen Job annehmen dürfen – sofern die Ausländerbehörden nicht innerhalb von 14 Tagen widersprechen. Für Migranten und Arbeitgeber ist das ein enormer Zugewinn.