Analyse
Erscheinungsdatum: 11. Mai 2023

Habeck und Graichen: Was die Umfragen für die Grünen bedeuten

Robert Habeck Buendnis 90/Die Gruenen, Bundesminister fuer Wirtschaft und Klimaschutz und Vizekanzler, und Staatsekretaer Patrick Graichen, in der gemeinsamen Sitzung der Ausschuesse fuer Wirtschaft, und Klimaschutz und Energie. Berlin Deutschland *** Robert Habeck Buendnis 90 Die Gruenen , Federal Minister for Economic Affairs and Climate Protection and Vice Chancellor, and Secretary of State Patrick Graichen, at the joint meeting of the Committees for Economic Affairs, and Climate Protection and Energy Berlin Germany Copyright: xNicoxLepartz/photothek.netx
Die ohnehin große Aufregung um die Heizungspläne des Wirtschaftsministeriums ist durch den Fall Graichen zum Skandal angewachsen. Drei Größen aus der Wissenschaft analysieren für Table.Media, wie groß der Schaden für die Grünen ist.

Graichen-Skandal: Wie gefährlich steht es um die Grünen? Ein Heizungs-Plan, der den Menschen finanziell viel abverlangt, Uneinigkeit in der Regierung und dazu eine harte Kampagne von Deutschlands größter Tageszeitung: Robert Habeck ist seit Wochen mit einer Situation konfrontiert, die anspruchsvoller kaum sein könnte. Die umstrittene Rolle seines Staatssekretärs Patrick Graichen bei der Besetzung von wichtigen Ämtern kommt für Habeck und die Grünen zur Unzeit. In vielen Medien ist von Sinkflug, Krise und Niedergang der grünen Erfolgsgeschichte die Rede. Parteispitzen touren durch Sendungen, um die Situation zu erklären. Wie heikel ist das Ganze wirklich? Table.Media hat mit drei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen.

„Graichen ist durchaus ein Skandal“, sagt Ursula Münch, Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München und Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Sie selbst müsse seitenweise Befangenheitserklärungen unterzeichnen, wann immer sie extern als Gutachterin arbeite. An Universitäten sei bereits meldepflichtig, wenn Forscherinnen gemeinsame Aufsätze veröffentlicht haben. „Vetternwirtschaft, Filz – es fallen einem viele passende Ausdrücke ein. Dass Söder beim CDU-Parteitag von Korruption gesprochen hat, fand ich aber irritierend.“

Münch geht davon aus, dass die Grünen durch Graichen einen längerfristigen Imageschaden verkraften müssen. „Man hat hohe moralische Ansprüche und kommt jetzt in Erklärungsnot. In Bayern sind die Grünen mit berechtigten Vorwürfen gegen die frühere CSU immer sehr schnell dabei gewesen, haben vom bayerischen Filz und der bayerischen Vetternwirtschaft gesprochen. Vetternwirtschaft ist Vetternwirtschaft, ob Grün oder Schwarz.“ Schlagworte, die Habeck sich nun aufgeladen hat: Sie lassen sich leichter gegen ihn verwenden als Kritik am Heizungsvorhaben. „Man muss keine komplexen Sachverhalte darstellen. Das versteht jeder.“

Ursula Münch warnt: Jeder Skandal, ob Masken, Verkehr oder Trauzeuge, falle auf die gesamte Politik zurück. „Die Leute sagen: Die wirtschaften sich in die eigene Tasche. Uns lastet man nur die Inflation, die höheren Kosten an und die machen’s sich nett. So denkt ein nennenswerter Teil der Gesellschaft, nicht nur die Politikverdrossenen.“

Neueste Umfragen sehen die Grünen bei 13 bis 16 Prozent. „Ich verstehe die Aufregung nicht ganz um die Grünen-Umfragewerte“, sagt Münch. „Im Vergleich zum Bundestagswahlergebnis erkenne ich keine großen Veränderungen.“ Da war die Partei bei 14,8 Prozent gelandet. Die Werte von Union, SPD und FDP haben sich seither stärker gewandelt. Zu dritt kommen die Ampel-Parteien derzeit auf 40 Prozent, zwölf Punkte weniger als bei der Bundestagswahl 2021. Die FDP ist nach Münchs Analyse teilweise daran beteiligt, Habecks Heizungspläne öffentlich zu verkürzen. „Ein Teil der Bevölkerung empfindet Habecks Heiz-Vorhaben als anmaßend, teils sogar Enteignung.“ Verkürzungen würden da nicht helfen. Schon vor der Graichen-Affäre galt für die Grünen: „Bezaubern kann man in der Opposition leichter.“

Ursula Münch bezeichnet es als „die Habecksche Marotte, sich für alles zu entschuldigen“. Sie sei nicht sicher, ob Kommunikationsstrategie oder ehrliche Reue hinter Entschuldigungen des Ministers stecken. „Eine Zeit kam das ganz gut an. Aber wenn wir nur Entschuldigungen hören und nicht das Begreifen, dann ist das pure Kosmetik.“

Gerade noch richtete Kritik sich auf die Aussagen von Annalena Baerbock zu Taiwan und China, die einige deutsche Unternehmen als wirtschaftsschädigend empfunden haben. Baerbock nutze der Fokus der Kritik auf Habeck nun, sagt Münch. „Aber so funktioniert die Rechnung nicht. Die Grünen bräuchten gar nicht über eine Kanzler-Kandidatur sprechen, wenn man einen Bock nach dem nächsten abschießt und der Opposition so immer wieder Freude bereitet.“

Die Kommunikationsstrategie der Parteispitze könnte helfen. „Eingestehen, warum was falsch gelaufen ist, den anderen vorwerfen, dass sie auch nicht besser sind und dann ganz schnell zurück zur Sachpolitik.“

Auch Julia Reuschenbach sieht keinen Abwärtstrend, hätten die Grünen im Frühjahr 2022 mit zwölf Prozent doch schon schlechter dagestanden. „Man schwächelt gerade ein bisschen, aber ich würde davor warnen, das zu groß zu machen“, sagt die Politikwissenschaftlerin vom Berliner Otto-Suhr-Institut. „Der Blick ist zu kurzfristig, zu knapp. Er geht nur auf die unmittelbaren Bewegungen der letzten ein, zwei Wochen ein. Da sieht man natürlich, dass die Menschen sich ärgern. Ich halte wenig davon, daraus nur eine Niedergangs-Erzählung zu machen.“

Reuschenbach identifiziert ein anderes Problem: Erhebungen zeigen, dass Parteianhängerinnen und -anhänger die Grünen nicht als sonderlich durchsetzungsstark wahrnehmen. Sie beklagten das Gefühl, dass die FDP sich am stärksten in der Koalition durchsetze. Das könne auf Dauer zum Problem werden. FDP-Anhängern gehe es umgekehrt genau andersherum.

Auch die niedrigen Zufriedenheitswerte mit der Ampel will Reuschenbach in einem größeren Kontext betrachten; 28 Prozent haben sich zuletzt zufrieden geäußert, 69 Prozent unzufrieden. „Scholz, Habeck und Co. können nicht sagen, es sei nicht so dramatisch.“ Gleichzeitig erinnert Reuschenbach daran, dass Schwarz-Gelb 2010 Zufriedenheitswerte Richtung 10 Prozent verkraften musste; ähnlich schlechte Werte generierte Rot-Grün zwischen 2002 und 2005. „Aus Sicht der Politikwissenschaft würde ich davor warnen, die Ampel tot zu erzählen.“

Wirkliches Regierungshandeln brauche mehr Zeit, um sich in Umfragen abzubilden. „Im letzten Herbst ging es rund, mit Wut-Winter, Gas-Krise, die Unzufriedenheit mit der Regierung war extrem hoch. In den Februar hinein hat sich gezeigt, dass die von der Regierung getroffenen Maßnahmen Wirkung zeigen.“

Reuschenbach kritisiert, dass die Ampel gemeinsame Absprachen nicht frühzeitig und nachhaltig genug getroffen habe, um auf Dauer mit gemeinsamer Stimme zu sprechen. „Man konnte die Uhr danach stellen, dass zwei, drei Tage nachdem etwas entschieden wurde, es wieder jemand öffentlich infrage gestellt hat. Das war meistens die FDP.“ Folglich seien die Menschen verunsichert darüber, wofür die Regierung gerade eigentlich stehe. Die SPD als größter Koalitionspartner signalisiere zu wenig Zuständigkeit dafür, dass getroffene Einkünfte Bestand haben.

Als Profiteur sieht Reuschenbach vor allem die AfD, die in Umfragen gerade so gut steht wie seit fünf Jahren nicht. Uneinigkeiten bei der Ampel und „populistische Sprachfiguren“, wie Reuschenbach sie bei der Bildzeitung sieht, „sind geeignet, dieser Partei Auftrieb zu geben. Die AfD muss dafür fast nichts tun.“

Kritischer als die Politikwissenschaftlerinnen blickt Michael Hartmann auf die Partei und ihren Graichen-Skandal. „Bei den Grünen ist es mit den NGOs dasselbe Spiel wie bei der SPD mit den Gewerkschaften oder bei der CDU mit Wirtschaftsverbänden“, sagt der Elitenforscher von der Universität Darmstadt. „Der Fall Graichen bestätigt für viele, die den Grünen nicht gewogen sind, dass sie auch nicht besser sind: Die haben hohe moralische Ansprüche, aber werden ihnen nicht gerecht.“ Hartmann sieht, dass die Grünen damit nicht unbedingt Stamm-, sondern vor allem Wechselwählerinnen vergraulen könnten. „Ihr Ausflug in die Mitte der Gesellschaft, als sie bei 25 Prozent lagen, ist vorbei.“

Damit meint Hartmann etwa die Zugewinne bei der letzten Bundestagswahl im Hochtaunus, dem Hamburger Stadtteil Blankenese oder am Starnberger See. „Ehefrauen reicher, einflussreicher Männer. Es ist für das persönliche Empfinden schöner, wenn man die Sauberen wählt, die für Ideale einstehen – das Image hatten sie lange. Deswegen ist es jetzt so ein Desaster für die Grünen. Sie sind entzaubert.“

Michael Hartmann diagnostiziert, dass die Grünen „inzwischen die bürgerlichste aller Parteien “ seien. Das zeige sich auf Bundes- wie Landesebene am Spitzenpersonal. Habecks Eltern Apotheker, Baerbocks Vater Top-Manager, Tarek Al-Wazir aus einer sehr einflussreichen Familie im Jemen. „Die Grünen sind nicht nur eine normale, etablierte Partei geworden, sondern verankert in einem deutlich überdurchschnittlich verdienenden und gebildeten Teil der Bevölkerung. Und das ist ihr Problem, wenn sie mit dem Anspruch einer Volkspartei antreten.“

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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