Eines haben die Grünen durch ihr angedrohtes Nein erreicht: Union und SPD nehmen die künftige Oppositionspartei ernst. Am Montagabend wollten Friedrich Merz, Alexander Dobrindt, Saskia Esken und Lars Klingbeil mit Britta Haßelmann und Katharina Dröge über das angedachte Sondervermögen und die Schuldenbremse verhandeln.Die Grünen sind ernsthaft verärgert, aber die Tür haben sie nicht ganz zugeschlagen. Dröge sagte am Montagmittag, die Grünen seien zu Gesprächen bereit, wenn man damit zu „einer wirklich zukunftsorientierten Lösung“ komme. Von einem „Ruf nach Verhandlungen statt Diktat“ sprach ein Grüner, der mit den Abläufen vertraut ist.
Über die Bedingungen für eine Meinungsänderung wollen die Grünen nicht öffentlich sprechen, aber Dröge nannte drei Punkte: ein weites Verständnis des Begriffs Verteidigung, mehr Klimaschutz und eine Stärkung von Investitionen.
Von einer „Schatzkiste“ sprach Dröge. Um das zu verhindern, schlagen die drei grünen Landesminister Mona Neubaur (NRW), Danyal Bayaz (Baden-Württemberg) und Björn Fecker (Bremen) vor, dass das Sondervermögen nur für zusätzliche Investitionen gelten solle. Das Papier nennt weitere konkrete Forderungen als Voraussetzung für die Zustimmung der grün-regierten Länder, etwa dass Ausgaben für Verteidigung erst ab 1,5 des BIP nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. Das dürfte in den Gesprächen eine Rolle spielen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst nannte die „Hinweise und Argumente“ aus Ländern, in denen die Grünen mitregieren, „sachlich und nachvollziehbar“.
Vor allem die Union schien vom Nein der Grünen überrascht. Dabei hatte die künftige Oppositionspartei, die durch die Attacken im Wahlkampf und Demütigungen am Aschermittwoch ohnehin verärgert war, wiederholt gewarnt: Ihre Stimmen könne man „nicht auf Zuruf“ haben, man erwarte ernsthafte Verhandlungen. Doch Merz hinterließ Haßelmann am Samstag lediglich eine Nachricht. Er ging davon aus, dass „die Zustimmung der Grünen eigentlich gerade jetzt sicher sein müsste“. Die Grünen-Parteivorsitzenden hingegen sagten danach, sie seien von einer Zustimmung „weiter entfernt als in den letzten Tagen“. Auch am Montagmorgen noch berichteten Spitzen-Grüne, dass es bis dahin keine Verhandlungen gegeben habe.
Schwarz und Rot waren mit sich selbst beschäftigt – und hatten lange unterschätzt, wie sehr es bei den Grünen brodelt. Möglicherweise lag es daran, dass die Union sich seit Merz’ finanzpolitischer Kehrtwende den Vorwurf anhören musste, grüne Pläne übernommen zu haben. Die Grünen hatten in den vergangenen Jahren so lautstark ihre staatspolitische Verantwortung beteuert, dass Union und SPD sich schlicht nicht vorstellen konnten, dass die Grünen bei den wichtigen Themen Verteidigung und Infrastruktur ihre Zustimmung verweigern könnten. Tatsächlich besteht ein Risiko für die Grünen, wenn es wirklich dazu kommen sollte. Sie müssten sich des Vorwurfs erwehren, Fundamentalopposition zu betreiben und sich machtpolitisch ins Aus zu katapultieren. Die Grünen beugen diesem Vorwurf nun mit einem eigenen Gesetzentwurf vor, der am Montag von der Fraktion beschlossen wurde und eine Reform der Schuldenbremse vorsieht. Darin wird der Verteidigungsbegriff weiter gefasst: Auch die Unterstützung völkerrechtswidrig angegriffener Staaten, Maßnahmen der Auslandshilfe im Krisenfall, die Stärkung internationaler Organisationen zur Friedenssicherung, der Schutz der Zivilbevölkerung sowie der Schutz von IT und Infrastruktur gehörten zu einem umfassenden Sicherheitsbegriff.
Verständnis für die Verärgerung der Grünen gab SPD-Chef Lars Klingbeil zu erkennen. „Wir nehmen sehr ernst, welche Bedenken die Grünen haben“, gab er vor der Sitzung seiner Fraktion zu Protokoll. In der Sitzung selbst erinnerte er daran, dass CDU und CSU Rot-Grün in der Schlussphase der Ampelregierung mit dem Wunsch nach einer Korrektur von Sondervermögen und Schuldenbremse hätten „verhungern lassen“: „Und jetzt sollen die Grünen das in kurzer Zeit rückgängig machen?“ Damit umzugehen sei nun auch eine Frage des politischen Stils und des Respekts durch die möglichen Koalitionspartner. Und man werde wohl auch das Thema Klimaschutz in den Katalog des Sondervermögens noch aufnehmen müssen. Klingbeil erwartet „eine hitzige Phase“ bis zur möglichen Grundgesetzänderung. Man dürfe die Grünen nun „nicht beschimpfen, wir müssen Ihnen die Hand reichen“.