Analyse
Erscheinungsdatum: 17. Oktober 2023

Gesundheitsminister Lucha: „Karl Lauterbach ist halt auch ein Scheibchenverhandler“

Pressekonferenz Bund-Länder-Arbeitsgruppe für die Krankenhausreform - Diskussion Vorschläge der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung - Manfred Manne Lucha, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg und Vorsitzender der LändergruppePressekonferenz Bund-Länder-Arbeitsgruppe für die Krankenhausreform - Diskussion Vorschläge der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung - Manfred Manne Lucha, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration B, *** Press Conference Federal States Working Group for Hospital Reform Discussion Proposals of the Government Commission for a Modern and Needs-Based Hospital Care Manfred Manne Luch

Baden-Württembergs grüner Gesundheitsminister Manne Lucha ist Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz und als Pfleger vom Fach. Die Krankenhausreform dürfe nicht von Bürgerentscheiden gestoppt werden, findet er. Was die Pflege braucht und warum Deutschlands Datenschutz für die Digitalisierung neu organisiert werden muss, erklärt er im Gespräch.

Herr Minister, im Moment protestieren viele Gesundheitsakteure: Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker und Pflegekräfte. Was läuft da schief?

Einerseits gibt es Defizite im Gesundheitssystem, die sich schon lange anstauen. Sie werden vergrößert durch eine echte Krisenlage – Krieg und Migration, Inflation, hohe Energiekosten – und ein rechtspopulistisches Narrativ, dem zufolge alles den Bach heruntergeht. All das verzerrt die subjektive Wahrnehmung, besonders in Berufsgruppen, die ja echt harte Jahre hinter sich haben. Ich habe großes Verständnis für Belastungsanzeigen. Bei meiner Sommertour habe ich vor Ort aber auch viel Tatendrang erlebt.

Streiten sich die Akteure, weil der Kuchen kleiner wird?

Richtig ist, dass es langfristig keine großen Zuwächse auf der Einnahmenseite mehr geben wird. Fakt ist aber auch, dass wir mit einem Gesamtvolumen von mehr als 400 Milliarden Euro für die Gesundheitsversorgung in Deutschland nach wie vor extrem gut dastehen. Was wir uns nicht mehr leisten können – und darin sehe ich sogar eine Chance: den Zank darüber, wer was bekommt, etwa zwischen ambulanter und stationärer Medizin. Das führt zu Doppelstrukturen.

Nochmal zu den Protesten. Gibt es eine Gruppe, bei der Sie sagen: Ja, da müssen wir wirklich was tun?

Wir müssen alle ernst nehmen. Den Apothekern ist mit Sozialneid-Reflexen nicht geholfen: Die Herausforderung, die pharmazeutische Versorgung sicher zu stellen, ist tatsächlich enorm. Die Pflege wiederum führt nach wie vor ein Dasein im Schatten der Ärzteschaft. Sie muss wie in anderen Staaten auf Augenhöhe agieren. Als Minister vom Fach – ich bin ausgebildeter Pfleger – verstehe ich mich als Mittler zwischen den Gruppen.

Deutschland ist mit 7,8 Krankenhausbetten pro 1000 Einwohner Spitzenreiter, Dänemark kommt mit nur 2,5 aus. Sie prangern schon lange eine Überversorgung mit Kliniken an. Wie kommt Ihre Botschaft in Baden-Württemberg an?

Natürlich arbeiten auch in den kleinen Krankenhäusern top ausgebildete, engagierte Leute. Aber wenn sie zu wenig ausgelastet sind – Kliniken mit gerade einmal 50 Prozent Belegung und 20 Notfällen am Tag – fehlen die Mittel. Deshalb müssen wir bündeln, und dabei begleiten wir die Landkreise. Im flächengrößten Kreis Baden-Württembergs, in der Ortenau, werden gerade aus neun Krankenhäusern vier. Wir beteiligen die Bürgerinnen und Bürger und haben nach ihrer Meinung gefragt. Die Wohnortnähe stand für die Befragten bei der medizinischen Versorgung erst an vierter Stelle! An erster Stelle stand: Qualität.

„Bürgerentscheide über Krankenhäuser halte ich nicht für legitim“

Klingt nach Wasser auf die Mühlen von Karl Lauterbach. In Bayern wurden wegen ablehnenden Bürgerentscheiden einige Krankenhäuser nicht geschlossen. Was würde im Ländle passieren, wenn Bürger gegen eine Klinikschließung stimmten?

In Baden-Württemberg kann über Krankenhäuser nicht per Bürgerentscheid abgestimmt werden, und ich halte das auch demokratiepolitisch nicht für legitim. Im Übrigen: Wenn wir uns auf die Krankenhausreform verständigen sollten und die medizinischen Leistungsgruppen dann so bündeln, dass auch Bayern größere Krankenhäuser bilden muss, wird meiner Meinung nach auch dort die Bürgerentscheidsfähigkeit nicht mehr gegeben sein. Weil Bundesrecht Landesrecht schlägt.

Karl Lauterbach betont stets, er wolle gar keine Kliniken schließen. Nun gibt es viele kleine Krankenhäuser in Deutschland, die laut Reform künftig als „Level 1i“-Krankenhäuser ambulant behandeln sollen. Dann wären sie ja keine echten Krankenhäuser mehr. Sollte Lauterbach den Bürgerinnen und Bürgern nicht reinen Wein einschenken?

Herr Lauterbach schenkt den Wein ein, den er will. Wir als Vertreter der Länder haben die Planungshoheit über die Krankenhäuser; meine Aufgabe ist es, den Menschen zu sagen, welches Angebot tatsächlich Sinn macht: medizinisch, personell, finanztechnisch. Was Herr Lauterbach Level 1i-Kliniken nennt, nennen wir sektorenübergreifende Versorger. Die Reform trägt an der Stelle die Handschrift Baden-Württembergs. Wir haben seit 2017 unterschiedliche 30 Modellprojekte für sektorenübergreifende Versorger aufgelegt.

„Ohne Bundesmittel wird die Transformation nicht klappen“

Vor der Ministerpräsidentenkonferenz letzte Woche haben die Länder fünf Milliarden Euro vom Bund für die Krankenhausfinanzierung gefordert. Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin sagt, dass ohne eine Finanzspritze die Sicherstellung der stationären Versorgung nicht mehr überall gegeben sei. Was sagen Sie dazu?

Eine gewisse Vorschaltfinanzierung ist notwendig, allein schon, um bedrohte systemrelevante Kliniken bis zum Inkrafttreten der Reform zu retten. Der Bundesminister will dagegen jetzt nicht mit der Gießkanne Milliarden austeilen, mit denen womöglich Standorte gefördert werden, die wir nach der Reform nicht mehr brauchen. Ich glaube, es gibt da eine Brücke, und die heißt: Strukturfonds. Ohne Bundesmittel wird die Transformation nicht klappen.

Müssten die Länder nicht auch in Vorleistung gehen?

Als ich 2011 in den Landtag kam, hatte Baden-Württemberg noch 280 Kliniken. Aktuell sind es noch 200 plangenehmigte Kliniken. Die nötigen Investitionen für die Zusammenlegung von Standorten haben wir allesamt kofinanziert. Unser Kabinett hat im Übrigen gerade 126 Millionen an Hilfen für die Kliniken beschlossen.

Karl Lauterbach will noch vor der Reform die Qualität jeder Klinik für alle Bürger sichtbar machen per Transparenzgesetz. Viele Länder lehnen das ab. Wer gewinnt?

Beim Transparenzgesetz sind wir im intensiven Pingpong. So wie das Gesetz war, wäre es ziemlich sicher mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat durchgefallen. Karl Lauterbach kommt uns sukzessive entgegen, er ist halt auch ein Scheibchenverhandler. Wir Länder sind ja gar nicht gegen Transparenz, das ist ja Quatsch. Nur können wir heute nicht Leistungsgruppen vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus hochrechnen lassen, die es noch gar nicht gibt. Also: Das Transparenzgesetz kommt später, das Hauptgesetz auch, frühestens zum 1. April 2024. Für unser Land ist diese Verzögerung nicht günstig, wir wollen ja 2024 die planerischen Grundlagen schaffen und 2026 in den Realbetrieb gehen.

„Josef Hecken scheint es egal zu sein, wer unter ihm Minister ist“

Bundesweite Qualitätsvorgaben, wie die Reform sie vorsieht, gibt es ja schon heute. Beispiel: Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat die Anzahl der Frühchen unter 1250 Gramm heraufgesetzt, die perinatale Stationen zur Welt bringen müssen, damit sie überhaupt noch diese Leistung anbieten dürfen. Viele Ihrer Stationen schaffen die vorgegebenen 25 Fälle pro Jahr nicht. Was nun?

Dazu werden uns Studien vorgehalten, die von einer höheren Sterblichkeit ausgehen, wenn diese Menge nicht eingehalten wird: Nur basieren die auf puren Annahmen! Es sind schon einige Krankenhausträger vor Sozialgerichten, und wir als Bundesland erwägen, vor das Verfassungsgericht zu gehen. Das ist keine Qualitätsvorgabe mehr, sondern ein Eingriff in die krankenhausplanerische Autonomie der Länder. Der G-BA missversteht da seine Rolle. Er zieht jetzt übrigens Vorgaben für das Personal in den Psychiatrien zurück, weil er gemerkt hat, dass dann Kliniken kaum mehr betrieben werden könnten. Diese Personalgrößen sind in der wirklichen Welt nicht mehr vorhanden.

Sie klingen nicht wie ein Fan des G-BA, des Selbstverwaltungsorgans im Gesundheitswesen.

Die Krankenhausreform muss eine Blaupause dafür sein, dass wir das Dinosauriergremium Gemeinsamer Bundesausschuss überwinden und ein Primat der Politik herstellen, mit Bundesvorgaben einerseits und dezentralen Umsetzungen andererseits. Dazwischen brauchen wir niemanden. Weil sich im G-BA oft die Kassen auf der einen und die Krankenhäuser und Ärzte auf der anderen Seite gegenseitig blockieren, entscheidet dann der Vorsitzende des G-BA. Josef Hecken vereint damit eine große Machtfülle auf sich. Ihm scheint es egal zu sein, wer unter ihm Bundesgesundheitsminister oder Landesminister ist.

Und das nervt Sie.

Im Ernst: Gegen ein Gros gesundheitspolitischer Entscheidungen ist der Klageadressat ausschließlich das Land. Wenn wir die Hauptakteure in der Verantwortung sind, wollen wir auch die Hauptakteure in der Gestaltung sein.

„Wir wollen keine weitere Kannibalisierung“

Zu Ende gedacht, könnte dann jedes Bundesland selbst entscheiden, wieviel Frühstgeborene eine Station pro Jahr zu behandeln hat.

Moment! Wir Länder sind einverstanden, für die Reform die Strukturqualitäten der 65 Leistungsgruppen bundeseinheitlich zu definieren. Das war und ist ein dickes Brett. Da tut sich der bayerische Löwe noch schwer zu akzeptieren, weil er glaubt, dass er im Bayerischen Wald doch ein bisschen anderes Holz schnitzt, aber: Das haben wir hinbekommen. Allerdings: Wie und wo wir am Ende die Leistungsgruppen platzieren, das können nur wir Länder entscheiden. Wir wollen ja keine weitere Kannibalisierung. Warum hat Nordrhein-Westfallen begonnen mit den Leistungsgruppen? Weil sie die meisten sich gegenseitig kannibalisierenden Krankenhäuser hatten. Das hat Karl-Josef Laumann nicht etwa gemacht, weil er so erleuchtet war. Sondern weil es hohe Konkurrenz gab, hohe Vorhaltekosten, hohen Investitionsbedarf – bei niedriger Auslastung.

Nicht nur Bayern, sondern auch Brandenburg und Berlin bremsen inzwischen bei der Reform. Woher wollen die Länder künftig das medizinische Personal nehmen für ihre vielen Krankenhäuser?

Die Ressource Personal ist der Grund, warum wir immer wieder Reformen machen müssen. Wir werden in den Krankenhäusern in fünf bis zehn Jahren mit 20 bis 30 Prozent weniger Personal mindestens genauso viele Menschen behandeln müssen wie jetzt. Das schaffen wir nur, wenn wir alle technischen Möglichkeiten nutzbar machen. Wenn wir entbürokratisieren, die Mitarbeiter von unsinnigen Dingen entlasten. Wenn heute ein Pfleger oder eine Ärztin sagt: „Ich hab‘ die Schnauze voll!“, dann nimmt der Arbeitsmarkt sie in verwandten Branchen sofort mit Kusshand.

„Er neigt dazu, uns alle erziehen zu wollen und zu dozieren“

Der Vorsitzende des Virchowbundes Dirk Heinrich behauptet, Karl Lauterbach wolle Fachärzte aushungern und das gesamte Gesundheitssystem verstaatlichen. Teilen Sie die Angst?

Karl Lauterbach will überhaupt nichts verstaatlichen. Manchmal neigt er aber dazu, uns alle erziehen zu wollen und zu dozieren.

Und Sie? Was halten Sie von einem staatlichen Gesundheitssystem?

Ich bin dafür, dass jemand, der viel und Gutes leistet, dies entsprechend honoriert bekommt. Wenn du zu sehr dirigistisch eingreifst, läufst du immer Gefahr Engagement abzuwürgen.

Christine Vogler, die Präsidentin des Pflegerats, hat sich jüngst unzufrieden über die Länder geäußert, weil es bundesweit nur zwei Landespflegekammern gibt. In Baden-Württemberg sei immerhin eine geplant. Nun sind ja mancherorts Kammern wieder abgeschafft worden, weil die Pflegekräfte sie nicht wollten. Was ist da los?

Die Kammern sind in Schleswig-Holstein und Niedersachsen abgeschafft worden, weil dort die Gegner so gut agiert haben, dass die Florence-Nightingale-ähnlichen Kolleginnen und Kollegen diesen Apparatschiks nicht gewachsen waren. Ich bin, seit ich denken kann, glühender Kammer-Verfechter. Dass die größte Berufsgruppe nicht in eigener Angelegenheit entscheiden kann: Das geht einfach nicht. Im März wird bei uns abgestimmt, danach sollte es bei uns eine selbstbewusste Pflegekammer geben.

„Pflegerinnen sollten sollte Pflegediagnosen machen können“

Was muss sich in der Pflege ändern, damit Sie und ich als Greise noch gut gepflegt werden können?

Der Beruf muss noch attraktiver werden, vor allem durch mehr Selbstbeauftragung, mehr prokuristisches Handeln. Pflegerinnen und Pfleger sollten selbst Pflegediagnosen machen können. Und wir müssen natürlich bessere Arbeitsbedingungen schaffen: Gute Pflege braucht Zeit.

Karl Lauterbach will durch die massenhafte Einführung der elektronischen Patientenakte die Digitalisierung vorantreiben. Dafür will er die Eingriffsrechte der Datenschutzbeauftragten beschneiden. Wird ihm das gelingen?

Er will sie nicht beschneiden, sondern bündeln. Dass nicht 16-mal, sondern einmal entschieden wird. Das will ich auch, denn: Wir brauchen umfassende Datennutzung, vor allem in der Forschung. Alle anderen ziehen an uns vorbei; Chinesen, Amerikaner nehmen überhaupt keine Rücksicht auf Datenschutzvorgaben. Ja, Gesundheitsdaten sind sensibel, aber Deutschland hat gute Schutzrechte.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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