Berlin.Table: Der Koalitionsausschuss hat entschieden. Das Tempo bei Schiene und Straße nimmt zu, dafür aber müssen Klima- und der Naturschutz zurückstecken. Was sagen sie jenen, denen das viel zu langsam ist?
Johannes Vogel: Ich kenne die Kritik. Bei vielen ist das mit großen Emotionen verbunden. Aber stimmt diese Gegenüberstellung denn überhaupt, nur weil man sie häufig liest in den letzten Tagen? Ich finde erstmal sehr gut, dass wir ins Gestalten kommen, dass es losgeht und konkret wird. Das Jahr 2022 war Krisenbewältigung. Wir haben gut regiert, wir sind gut durch den Winter gekommen, ohne kalte Häuser, ohne industriellen Meltdown. Aber das reine Management von Krisen kann es nicht mehr sein, das wäre nur die Fortsetzung des Politik-Stils von Angela Merkel. Ohne mutige und langfristige Politikentwürfe. Das hat uns in Krisen immer anfälliger gemacht. Deswegen geht es jetzt Schritt für Schritt voran.
Mutig und langfristig – das klingt gut. Aber passt das zu den Ergebnissen des Koa-Ausschusses?
Ja. Es wurde über zentrale Themen debattiert und dann entschieden. Wir bekommen mehr Tempo bei der Schiene, mehr Tempo bei der Straße, mehr Tempo beim Ausbau von erneuerbaren Energien, mehr Tempo bei der Nutzung von Techniken wie CCS, von der der IPCC sagt, dass wir sie für den Klimaschutz zwingend brauchen. Und dann auch noch mehr Tempo bei der Ladeinfrastruktur für Elektroautos und mehr Tempo bei eFuels, die wir für die Bestandsflotte und manche Weltregionen auch so oder so brauchen werden, für den Flugverkehr zumal. Und noch dazu haben wir in dieser Woche ein jahrzehntelanges Streitthema aus dem Weg geräumt: Deutschland bekommt endlich ein modernes Einwanderungsgesetz und wir können besser werden im globalen Wettbewerb um Talente. Das Punktesystem à la Kanada ist durchs Kabinett gegangen und jetzt auf dem Weg zum parlamentarischen Prozess, das finde ich großartig. Dafür haben wir Freie Demokraten – auch ich persönlich – uns lange eingesetzt und es ist nachhaltig entscheidend für die Demographie wie die Innovationskraft unseres Landes.
Ist das gut oder schlecht, dass es immer die Parteispitzen braucht, um Dinge zu beschließen?
Es ist völlig in Ordnung. Parteien schließen Koalitionsverträge; deswegen machen Parteien auch Koalitionsausschüsse. Ich habe kein Problem mit der Konstruktion, weil mit derselben Legitimation, mit der die Parteien Koalitionsverträge schließen, sie natürlich auch Streitfragen auf dieser Ebene abräumen können müssen. Außerdem hat sich eines ja nicht geändert in solchen Fällen: Die Exekutive legt was vor; dann kommt das Parlament. Am Ende hat sowieso der Souverän das letzte Wort über die gewählte Volksvertretung. Ich sehe das tiefenentspannt.
Naja, es hat Wochen gedauert, bis die Chefs wieder zusammenfanden. Ist das nicht eine verlorene Zeit?
Die öffentliche Debatte, die den Entscheidungen so gut wie immer vorangeht, ist Teil der Demokratie. Politischer Streit der Ideen ist kein Problem und auch keine Krise, wir sollten uns daran gewöhnen – sofern am Ende die Ergebnisse stimmen. Insofern bin ich im Gegenteil froh, wenn wir die Mehrheiten im Parlament, die diese Koalition bilden, vorbereiten. Dass sie mit dieser Mehrheit jetzt ins Gestalten kommt. Aus den eingangs beschriebenen Gründen halte ich das für entscheidend.
Klingt gut, aber nicht in den Ohren derer, die auf die Uhr schauen, weil der Klimawandel keine Pause macht.
Wir müssen jetzt Tempo machen bei der Modernisierung unseres Landes und beim Kampf gegen den Klimawandel. Und da ist diese Woche einfach eine, die viele Durchbrüche gebracht hat. Das finde ich wirklich gut. Wir sind endlich auf dem Weg.
Trotzdem: Quasi alle Klimaexperten sind unzufrieden.
Wir beschleunigen Infrastruktur und Klimaschutz in Deutschland gerade spürbar. Denn wie soll dieser etwa ohne erheblich mehr Erneuerbare, ohne die Dekarbonisierung des Verkehrs, ohne Dekarbonisierung des Heizens gelingen? Dass wir hier jeweils über die genauen Instrumente und Hebel streiten, ist Wesen der Demokratie. Das ist erstens nötig auf dem Weg zur besten Lösung und zweitens Voraussetzung für deren Akzeptanz. Klimaschutz ist eine Menschheitsaufgabe – genau deshalb müssen wir die Menschen mitnehmen. Wenn man etwas auf der Welt herumkommt, fällt einem übrigens immer wieder auf, wie groß die grundsätzliche Übereinstimmung im Ziel Klimaschutz hierzulande im Vergleich zu manch anderer Weltregion ist und bleibt. Vielleicht sollten wir das nutzen, statt immer wieder anderes zu unterstellen. Was einem auch auffällt: Die besondere deutsche Neigung, Klimaschutz mit Kapitalismuskritik zu verwechseln und der absolute Sonderweg, lieber erst Kernkraftwerke als Kohlekraftwerke abzuschalten. Wir werden das dennoch zusammen hinbekommen – aber das wären die lohnenderen Debatten, wenn man grundsätzlich beim Thema besorgt ist.
Haben Sie eine Erklärung, warum die Grünen sich dann so allein gelassen fühlen in der Koalition?
Als stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP ist es nicht meine Aufgabe, Strategieberatung für die Grünen zu machen. Ich kann aber an die vorige Antwort nahtlos anknüpfen. Klar ist: Eine Menschheitsaufgabe muss in der Verantwortung aller staatstragenden Parteien liegen, sonst wird sie scheitern. Das heißt aber auch, dass bei Methodendebatten keiner Partei Grundsatzzweifel unterstellt werden sollten.
Werden durch die Aufweichung der Sektorziele nicht schlicht Entscheidungen in die Zukunft verschoben?
Vielleicht sollten wir die zwei Teile des Koalitionsbeschlusses noch mal etwas auseinandersortieren: Das eine ist das größere Tempo bei der Infrastruktur. Das ist absolut notwendig für die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes. Und das gilt für alle Infrastruktur, denn wir brauchen neue Schnellbahntrassen ebenso wie gute Straßen für klimaneutrale Autos. Zuletzt ist unser Land an seiner Langsamkeit gerade auch bei großen zentralen Projekten doch quasi erstickt. Und Autokraten haben zuletzt versucht, das als Beleg für die Schwäche der Demokratie zu verwenden. Demokratien sind Rechtsstaaten, Gott sei Dank. Aber sie können höhere Geschwindigkeiten aufnehmen, die LNG-Terminals haben es gezeigt.
Umso mehr stellt sich die Frage, ob wir beim Klimaschutz zu wenig Tempo machen.
Ja. Es geht beim zweiten Teil, Klimaschutz, genau deshalb nicht um das Ob. Es ist eine Debatte über das Wie. Das Ziel ist klar definiert. Wir müssen nach dem Pariser Vertrag bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein, und das heißt, dass wir vorankommen müssen und dass die nächsten Jahre entscheidend sind. Und darum müssen wir uns doch die Frage stellen: Ist kleinteiliges Mikromanagement durch die Politik der richtige Weg oder ist es nicht das überlegene Konzept, die Frage sektorübergreifend zu betrachten? Ist es nicht klüger, nicht mehr jedes einzelne Instrument durch den Staat vorzugeben, sondern lieber Ziele und Rahmenbedingungen hart zu begrenzen, um damit die Fantasie der Ingenieure und die Kraft der Unternehmen zu entfesseln? Ich bin von Letzterem überzeugt. Der Klimaschutz muss marktwirtschaftlicher gemacht werden.
Klingt schön. Aber warum glauben das viele nicht?
Vielleicht, weil sie noch nicht ganz genau hingesehen haben. Und wir dürfen nicht müde werden, das gut zu erklären. Zum Beispiel, dass die Sektoren, die heute schon mit dem dichten Deckel des Zertifikate-Handels arbeiten, ihre Klimaziele erreichen – das ist doch kein Zufall. Nur so wird der CO2-Ausstoss auch lückenlos begrenzt und die Klimaziele sicher erreicht. Deshalb tritt die FDP schon lange genau hierfür ein. Mir ist klar, dass die Debatte mit dem Koalitionsausschuss nicht aufhört, weil er selbst neue Fragen in Auftrag gegeben hat. Ich mache ein konkretes Beispiel: Die Koalition hat sich darauf verpflichtet, dass die Regierung einen Vorschlag machen wird, wie das nationale System der CO2 Besteuerung überführt wird in das europäische System des Zertifikate-Handels, insbesondere mit Blick auf den neuen ETS II für Verkehr und Wohnen, der ab 2027 gilt. Ich finde: der beste Weg der Überführung ist, dass wir hier auch national jetzt schon einen Zertifikatehandel, also einen dichten Deckel für den CO2-Ausstoß einführen. Das können wir national sofort machen, wenn wir wollen nächstes Jahr. Und es wäre dann die Vollendung eines marktwirtschaftlichen und ordnungspolitischen Ansatzes.
Haben Sie da auch die Koalitionspartner hinter sich?
Noch offenbar nicht. Es ist ja bekannt, dass SPD und Grüne noch nicht zu hundert Prozent von dem Konzept überzeugt sind. Aber die Frage ist durch die Verpflichtung, einen Vorschlag vorzulegen, jetzt auf dem Tisch. Wir machen hier einen konstruktiven Vorschlag – und genauso, wie andere Dinge präzisiert werden müssen, muss es auch darüber einen Vorschlag und eine Entscheidung geben.
Nach der Einigung haben FDP und Grüne je eigene Interpretationen der Einigung vorgelegt. Bahnt sich im Gesetzgebungsprozess nächster Konflikt an?
Dass hinterher die Beschlüsse eingeordnet und interpretiert werden, ist völlig normal. Ich glaube, wichtig ist, dass die Koalition jeder aus seiner Sicht erklärt, warum das ein guter Beschluss ist. Und ich finde, dieses Papier lässt es sehr gut zu, dass es eben ein gemeinsamer Beschluss ist, hinter dem jeder stehen kann.
Klingt arg optimistisch.
Warum? Erstens braucht das Land Optimismus. Und zweitens gibt es das Papier her. Zerreden kann man alles, aber ich möchte die Dinge lieber mit einem Optimismus der Tat angehen. Zu viele suchen immer wieder nach dem Dissens und betrachten Politik wie ein Pferderennen, verbunden mit der Frage: wer hat gewonnen? Wer hat verloren? Das kann man machen, aber es springt zu kurz, weil ich glaube, dass Politik den Anspruch haben muss, mehr als das zu tun. Und ich finde, dass die Koalition mit diesem Beschluss ins Gemeinsame zurückgekehrt ist.