Analyse
Erscheinungsdatum: 28. Mai 2023

Ex-Bundestagsabgeordneter Heribert Hirte über Lobbyismus: „Überall sind Einflüsse drin“

Prof. Dr. Heribert Hirte, Finanzwende DEU, Deutschland, Germany, Berlin, 16.12.2021 Prof. Dr. Heribert Hirte, ehemaliger Bundestagsabgeordneter, CDU, waehrend der Bundespressekonferenz zum Thema Buergerbewegung Finanzwende und Zusammenarbeit im Kampf gegen Finanzkriminalitaet, in Berlin. en: Prof Dr Heribert Hirte, former Member of the Bundestag CDU, during a press call at the Federal Press Conference in Berlin Cooperation, Bundespressekonferenz, concerning in the fight against financial crime in Berlin, Germany *** Prof Dr Heribert Hirte, Finanzwende DEU, Deutschland, Germany, Berlin, 16 12 2021 Prof Dr Heribert Hirte, former Member of the Bundestag, CDU, during a press call at the Federal Press Conference in Berlin Cooperation, Bundespr
Der CDU-Politiker ist Rechtsprofessor an der Universität Hamburg und seit 2021 Fellow bei der Bürgerbewegung Finanzwende. Er beschäftigt sich mit Finanzkriminalität sowie Lobbyismus in der Justiz und sagt: Es braucht mehr Transparenz.

Sie sind als ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU bei der Finanzwende aktiv – ebenso wie der frühere SPD-Chef Norbert Walter-Borjans und die Ex-Abgeordneten Gerhard Schick (Grüne) und Fabio de Masi (Linke). So viel parteiübergreifende Zusammenarbeit ist selten, oder?

Heribert Hirte: Das wirkt für Außenstehende überraschend, aber es gibt bei dem Thema sehr oft Überschneidungen, die weit über Parteigrenzen hinweggehen. Umgekehrt sind wir uns bewusst, dass wir uns bei aller Einigkeit in Finanzfragen in anderen Punkten uneins sind.

Ein großes Thema ist Wirecard. Wird das jemals ganz aufgeklärt?

Ich weiß es nicht. Es ist so komplex, dass es einem manchmal den Atem verschlägt. Der Fall zeigt, wie viel Macht mit Finanzdaten verbunden ist und wie wichtig Governance und Regulierung sind. Das ist auch einer der Gründe, warum bei der Frage nach digitalen Währungen und digitalem Bezahlen erheblich Sensibilität geschaffen werden muss. Wenn Sie nicht mit Bargeld zahlen, können Finanzströme kontrolliert werden – die Frage ist, von wem. Da geht es dann um das Vertrauen in Zahlungsanbieter und die staatlichen Institutionen, die das überwachen.

Und?

Wer seine Pizza mit der Debit- oder Kreditkarte bezahlt, denkt selten darüber nach, dass die Daten über mehrere Zahlungsdienstleister gehen. Der Name ist dann oft verknüpft mit der Karten- oder Kontonummer und dem sonstigen Verhalten. Wenn man mit Blick auf Zahlungssysteme wie Paypal sagt, „Ich kann da einfach so zahlen“, dann heißt das auch: zahlen mit Daten und Informationen. Das ist das, was auch bei Wirecard dahinterstand. Das Unternehmen hatte dadurch unglaublich viele Daten in der Hand hat, und wer alles die legal, aber vor allem wohl auch illegal bekommen hat – es wäre schon spannend, das zu wissen.

Viel Aufsehen erregt auch der Cum-Ex-Skandal: Es laufen Ermittlungen gegen 14 Ex-Vorstände der WestLB, im Bundestag soll es einen Untersuchungsausschuss geben. Wie geht es weiter mit der Aufarbeitung?

Es ist eine Riesenaufgabe, diese komplexen Sachverhalte zu durchschauen und das herauszufinden, was für die politische Aufarbeitung wichtig ist. Wer hat es gewusst und wer ist persönlich verantwortlich? Das ist eine ganz andere Frage als die steuerliche Rückforderungsproblematik, die auch relevant ist. Ich glaube, wir werden langsam, aber sicher immer mehr herausfinden.Aber ich glaube auch – und das ist bei Großbaustellen dieser Art auch beabsichtigter Teil des Geschäfts –, dass der öffentliche Druck langsam nachlässt.

Was kann man dagegen tun?

Es ist eine große journalistische Aufgabe, das zu verhindern, auch wenn man dann mit Unterlassungsaufforderungen und solchen Dingen konfrontiert ist. Es gibt Leute, die versuchen, das zu verschleppen. Und wir werden auch mit Finanzwende weiterhin öffentlichen Druck machen. Aber auch wenn am Ende einige große Verantwortliche belangt werden, könnte es sein, dass es keinen öffentlichen Aufschrei mehr gibt und damit auch die angemessene politische Reaktion abseits der Personalfragen ausbleibt. Das würde ich für schlimm halten – und wäre letztlich ein Erfolg für die Täter.

Glauben Sie Herrn Scholz seine mutmaßlichen Erinnerungslücken?

Nein. Unter normalen Umständen würde man in einem Strafprozess sagen: Wenn sich jemand an einen solchen Sachverhalt nicht erinnert, dann glauben wir ihm nicht. Und deshalb ist die angebliche Lücke gar nicht das Entscheidende. Sondern, dass daraus nicht die richtigen Schlussfolgerungen gezogen werden.

Die da wären?

Eigentlich müsste jemand in so einer Situation entweder endlich für Transparenz sorgen oder die Konsequenz ziehen und sagen: Ich kann dieses Amt nicht weiter ausüben und trete zurück.

Ein anderes Thema: Sie forschen aktuell zu Lobbyismus in der Justiz und fordern die Übertragung von Offenlegungsvorschriften wie beim Lobbyregister auf Wissenschaft und Justiz. Warum?

In meinen acht Jahren im Bundestag habe ich die Diskussionen über eine Reform des Abgeordnetengesetzes und über Einflüsse auf Abgeordnete mitbekommen. Zur Wahrheit gehört: Wahlkämpfe kosten viel Geld und dafür muss man Spenden generieren. Es ist richtig, diese oberhalb bestimmter Grenzwerte offenzulegen. Wir haben damals immer wieder diskutiert über die Grenzziehung zu „falschen“, also letztlich korruptiven Einflüssen. Das Problem hat man ja bei den Maskendeals gesehen, danach wurden die Vorschriften intensiv reformiert.

Reicht das aus?

Nein. Als jemand, der das System aus anderer Perspektive kennt – als Wissenschaftler mit gewissen richterlichen Erfahrungen – stand ich dann vor der Frage: Ist das alles? In der Diskussion steht zum Beispiel ein legislativer Fußabdruck.

Also eine Auflistung der Lobbykontakte, die zuständige Stellen während des Gesetzgebungsprozesses hatten.

Ja, aber der Abdruck ist nicht so klar, wie von denen, die ihn fordern, suggeriert wird: dass sich nur, weil ich mit irgendeiner Person gesprochen habe, ein Gesetz ändert. Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere ist: Viele Dinge, die im Parlament verarbeitet werden, haben eine lange Vorgeschichte. Sie werden erst wissenschaftlich aufbereitet, anschließend in allen möglichen Zirkeln diskutiert und dann als Referentenentwurf vorbereitet. Überall sind Einflüsse drin, der parlamentarische ist nur der letzte. Manche Punkte werden in Gesetzen sogar bewusst offengelassen zugunsten einer Klärung durch die Rechtsprechung.

Das heißt?

In der öffentlichen Debatte fokussieren wir uns oft auf das Parlament und blenden andere Stellschrauben zur Gestaltung von Recht und Gesellschaft aus. Weil wir so tun, als seien diese frei von Einflussnahme. Lobbying kann es aber auch an allen Stellen geben und deshalb sollte das auch überall offengelegt werden. Als Abgeordneter fühlt man sich manchmal ungerecht in die Ecke getrieben, wenn es heißt: Nur ihr seid der Lobby ausgesetzt und andere sind über jeden Zweifel erhaben. So klingt das manchmal – und so ist es nicht.

Ihr Vorschlag dazu wurde beim Deutschen Juristentag 2022 abgelehnt, werden Sie einen neuen Anlauf versuchen?

Der nächste Juristentag ist erst Ende 2024. Aber ich bin mir sicher, dass Teile des Vorhabens auch in unserer weiteren Arbeit aufgegriffen werden. Wie und wo, das muss man sehen. Es gibt noch eine andere Erfahrung, die ich gemacht habe und zentral finde.

Und zwar?

Wenn es um das Nebentätigkeitsrecht für Beamte und Richter geht, liegt der Fokus immer auf der Frage: Wie viel darf er nebenher machen? Das ist für die hiesige Frage nicht die richtige Baustelle. Relevant ist vielmehr, ob das, was man inhaltlich macht, Auswirkungen auf die Haupttätigkeit hat. Wenn jemand etwa eine Million Euro Honorareinnahmen von einem juristischen Verlag hat, weil sich sein Buch gut verkauft, ist das im Allgemeinen egal, auch wenn es um große Summen geht. Bekommt etwa ein Professor oder Richter gar kein Honorar für einen Vortrag, dafür aber die Reisekosten zu einer Tagung nach Bali in Höhe von 5000 Euro erstattet, sollte man schon fragen, woher das Geld kommt. Manche andere Wissenschaften sind hier schon weiter.

Apropos Nebentätigkeiten: Der heutige Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth verdiente neben seinem Abgeordnetenmandat viel Geld als Anwalt. Kritisiert wurde auch, dass er direkt aus dem Bundestag an das Gericht kam. Sollten Bundesrichter anders gewählt werden?

Ich glaube, dass es kaum Alternativen gibt dazu, Richter vom Parlament oder von Parlamentsausschüssen wählen zu lassen. Es ist schon richtig, dass da versucht wird, überparteiliche Kompromisse zu finden, damit Menschen aus – auch politisch – unterschiedlicher Perspektive zusammenkommen. Das Parlament sollte aber auch bei Beförderungen von Richtern stärker mitreden und nicht nur bei der erstmaligen Wahl ans Gericht. Was ich auch für richtig halten würde, ist mehr Transparenz. Denn Richter gestalten Recht durchaus in ähnlicher Weise wie Parlamentarier.

Inwiefern?

Beim Fall Harbarth liegen die Vorwürfe ja nicht im Gericht, sondern in der Zeit davor, insbesondere auch bei seinem „wissenschaftlichen“ Werdegang. Und das ist das eigentliche Problem. Bei Bundesrichtern gibt es Einflussketten, die verschiedenen Senate sind für jeweils einen Bereich zuständig und da fühlt man sich intuitiv in einem Kreis von Gleichgesinnten. Diese Fachwissenskreise sind wichtig, weil man sich mit dem Thema, über das man entscheidet, auskennen muss. Aber sie bergen die Gefahr in sich, betroffene Drittinteressen auszublenden. Die Fachleute nennen das „regulatory capture“.

Wie meinen Sie das?

Eine meiner wichtigsten Erfahrungen im Bundestag war, dass wir einerseits in Fachaus­schüssen gearbeitet haben – ich vor allem im Rechts- und Europaausschuss –, andererseits aber immer – meist mehrere – andere Ausschüsse mitberatend eingebunden waren. Nicht selten kam es vor, dass innerhalb eines Fachausschusses fraktionsübergreifend alle einer Meinung waren – und dass der Gegenwind aus ganz anderen Ausschüssen kam, unter Umständen sogar ebenfalls fraktionsübergreifend. Das war ein wichtiges Signal dafür, dass die vermeintliche Einigkeit nicht so weit reichte wie wahrgenommen. Dieses Konzept könnte man in der Justiz als Korrektiv unter Umständen aufgreifen.

Um zum Anfang zurückzukommen: Wenn Sie und Ihre Finanzwende-Kollegen noch im Bundestag wären und Ihre Parteien hinter sich hätten, wäre das eine breite Mehrheit. Gibt es ein großes Projekt, das Sie gerne durchsetzen würden?

Mir fällt persönlich spontan kein neues ein. Als Finanzwende haben wir aber in der letzten Zeit die ungerechte Verteilung der Lasten bei der Erbschaftsteuer kritisiert, und da freut es mich natürlich, dass meine eigene frühere Fraktion sich jetzt in diese Richtung bewegt. Aber umgekehrt kann ich Ihnen sagen: Als ich 2013 gewählt wurde, hat ein Fraktionsmitarbeiter zu mir gesagt: „Ich hoffe, Sie werden hier nicht enttäuscht, weil hier mehr Klein-Klein als Groß-Groß passiert.“ Wenn man glaubt, mit einem großen Projekt schnell durchzukommen, dann ist das Scheitern programmiert. Deshalb ist es gut, dass wir bei Finanzwende so zusammenarbeiten, wie wir es tun. Wir schieben die Dinge, auch einige größere, langsam, aber sicher nach vorne – und erreichen damit mehr. Dabei sollte man auch die Erkenntnisse aus den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen besser nutzen, um Folgeschäden zu reduzieren. Bei Cum-Ex geht es zum Beispiel um Rückforderungen und die Vermeidung von Folgeprojekten.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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