Analyse
Erscheinungsdatum: 02. März 2025

Europa nach dem Trump-Selenskyj-Eklat: Wie Königreich und Kontinent Kräfte bündeln 

Nach der Kehrtwende in der US-Außenpolitik hin zu Russland kommt eine neue Dynamik in die Beratungen auf europäischer Seite. Das Bewusstsein wächst: Es ist eine Zeitenwende, die viel Kosten wird.

Manchmal reicht ein Tweet, um die Dramatik eines Ereignisses zusammenzufassen. Nach dem Treffen von Wolodymyr Selenskyj mit US-Präsident Donald Trump und seinem Vize J.D. Vance schrieb die Trump-Kritikerin Liz Cheney auf X, Generationen von US-Patrioten hätten seit dem Bürgerkrieg für jene Grundwerte gekämpft, für deren Verteidigung Selenskyj sein Leben riskiere. Nun aber würden Trump und Vance ihn unter Druck setzen, die Freiheit seines Volkes einem Kriegsverbrecher zu unterwerfen. „History will remember this day – when an American President and Vice President abandoned all we stand for.“

Diese Auflösung jeder Solidarität ist für die Ukraine lebensgefährlich, aber hat in Europa womöglich frühere Zögerlichkeiten beendet. Dass sich Großbritannien und die wichtigsten EU-Staaten nebst Kommissionspräsidentin schon zwei Tage später in London versammeln, kann als nächstes Kapitel einer umfassenden Zeitenwende gewertet werden. Das Königreich und der Kontinent bündeln ihre Kräfte neu – das wäre vor wenigen Jahren kaum vorstellbar gewesen. Die Not und das Entsetzen über die Umkehrung aller Werte in Washington schweißen zusammen. So sehr, dass auch der kanadische Premier und der türkische Präsident nach London eilten.

Das erste Ergebnis: Allen voran Paris und London werden im Verbund mit anderen und der Ukraine einen Plan für eine Waffenruhe ausarbeiten. Das machte Großbritanniens Premier Keir Starmer am Sonntag klar. Und er sprach an, was immer mehr EU- und Nato-Mitglieder denken: Man wolle nicht mehr auf die Langsamsten warten, sondern werde jetzt eine Koalition der Willigen schmieden.

Dazu wird natürlich auch Deutschland gehören.Selbst wenn sich der Noch-Kanzler zurückhaltend äußerte. Auf den Bildern in London stand er im Hintergrund; auf eine Summe, mit der Berlin die Ukraine zusätzlich unterstützt, wollte er sich nicht festlegen lassen. Während Gastgeber Starmer den Ukrainern Raketen im Wert von 1,6 Milliarden Pfund in Aussicht stellte, erinnerte Olaf Scholz vor allem daran, dass Deutschland neben den USA in den vergangenen drei Jahren der mit Abstand größte Geber gewesen sei.

Ein weiterer Punkt war ihm wichtig.Der Hinweis nämlich, dass es auch künftig trotz des Freitag-Eklats im Weißen Haus ohne US-Unterstützung nicht gehen werde. Unstrittig war unter den Regierungschefs offenbar, ob es nach einem Waffenstillstand zwingend Sicherheitsgarantien für die Ukraine bedarf. Und dass sich an diesen Garantien auch die Amerikaner beteiligen. Nicht mit Truppen, wie es die Briten und Franzosen in Aussicht stellten, aber mit Geld und technischer Unterstützung, zum Beispiel Weltraumüberwachung.

Der Weg zu einem Friedensvertrag soll aus Sicht der Europäer schrittweise erfolgen. Am Anfang könnte stehen, dass sich beide Seiten darauf verständigen, Angriffe von See und aus der Luft – auch die mit Drohnen und Marschflugkörpern –einzustellen. Sollten sich beide Seiten daran halten, könnten weitere Schritte folgen. Aber das Misstrauen gegenüber Moskau bleibt groß. Denn klar bleibt, dass die Ukraine selbst nach einem Friedensvertrag viele Männer und Frauen unter Waffen halten wird und die Europäer sich an der Finanzierung beteiligen müssen. „Die finanziellen Herausforderungen werden groß sein“, sagte Scholz und meinte damit nicht nur die für die Ukraine.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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