Analyse
Erscheinungsdatum: 24. Oktober 2023

Erst "koalitionsähnliches Verhalten" von CDU und AfD wäre Tabubruch

TV-Talk Am Anger <p>19/10/2021-Erfurt: TV-Talk Am Anger veranstaltet von Thueringer Allgemeine, Salve TV und Thueringen24 im Studio von SalveTV mit: Moderator Jan Hollitzer (Chefredakteur Thueringer Allgemeine), Ministerpraesident Bodo Ramelow (Die Linke), links im Foto, Prof. Dr. Torsten Oppelland (Uni Jena), rechts im Foto, und Moderator Klaus-Dieter Boehm zum Thema: Thema: Bundestagswahl danach ( Deutschland Thueringen Erfurt Copyright: SaschaxFromm NUR FUeR REDAKTIONELLE ZWECKE *** TV Talk at Anger P 19 10 2021 Erfurt TV Talk at Anger organized from Thueringer general, Salve TV and Thuringia24 in Studio from SalveTV with presenter Jan Hollitzer Editor-in-chief Thueringer General , Prime Minister Bodo Ramelow The Left , left in Photo, Prof Dr Torsten Oppelland Univ Jena , right in Photo, and presenter Klaus Dieter Boehm to Theme Theme Federal Elections Thereafter Germany Thuringia Erfurt Copyright SaschaxFromm only for editorial Purposes Copyright: SaschaxFromm doc7i1ayrz8xc0dhainkve ,EDITORIAL USE ONLY
Im Interview spricht Torsten Oppelland, der Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Jena, über Perspektiven der CDU und ihr Dilemma, über Tabus und den Umgang mit der AfD.

Welche Partei beschäftigt Sie gerade am meisten?

In Thüringen: die CDU.

Die Partei also, die Rot-Rot-Grün in der Oppostion toleriert – und nicht die AfD oder die Linke? Interessant. Warum?

Sie sitzt in einem strategischen Dilemma fest. Wenn sie nicht nur Fundamentalopposition machen und blockieren will, wird sie zwangsläufig als Teil des rot-rot-grünen Regierungslagers wahrgenommen – und die AfD als einzig echte Opposition. Wenn die CDU wie neulich versucht, sich gegen die Regierung durchzusetzen, fallen alle über sie her und werfen ihr vor, die Brandmauer zur AfD einzureißen. Dass sie die rot-rot-grüne Regierung drei Jahre lang mit Mehrheiten ausgestattet hat, übersieht man dann gern. Die doppelte Anforderung an die CDU, maximale Distanz zur der AfD zu behalten und die Geschlossenheit des demokratischen Lagers zu wahren, lässt ihr kaum Raum, sich als Alternative zur Regierung zu profilieren.

Minderheitsregierungen sind eine völlig legitime Option, die unser parlamentarisches System anbietet. Warum ist diese trotzdem so schwierig?

Wegen der AfD. Da ein Verbotsantrag gegen die Partei wahrscheinlich scheitern und sie nur noch mehr mit dieser Opferrolle ausstatten würde, bleibt sie ein Problem. In Ländern wie Sachsen oder Sachsen-Anhalt werden schon jetzt sehr große Koalitionen gebildet, wenn auch ohne Beteiligung der Linken, um die AfD zu verhindern. Das geht in Thüringen aufgrund der starken Wahlergebnisse von beiden, Linke (31 Prozent) und AfD (23,4 Prozent), nicht. Hinzu kommt, dass offizielle Parteitagsbeschlüsse der CDU mit diesen beiden Partei ausschließen. Die Linke in Thüringen ist zwar sehr pragmatisch, aber das ändert nichts daran, dass die CDU bundesweit Koalitionen mit einer sozialistischen Partei ausschließt.

War es ein Fehler der CDU, sich zu beiden Seiten gleichermaßen abzugrenzen?

Nein. Wenn die CDU mit der Linken eine Koalition einginge, würde sich der Effekt verstärken, den wir jetzt schon beobachten: Dass die Wähler die CDU fallen lassen und zur AfD gehen. Schon jetzt leidet die CDU unter ihrer Rolle als Mehrheitsbeschafferin, obwohl es nicht mal ein formales Tolerierungsabkommen gibt. Sie lässt Gesetze passieren und gehört damit in den Augen von unzufriedenen Wählern zum Regierungslager. Als einzig wirkliche Opposition erscheint solchen Wählern die AfD.

Kürzlich hat die CDU mit der Senkung der Grunderwerbssteuer etwas getan, um diesem Anschein entgegenzuwirken. Mit Erfolg?

Die Zahl der Wähler, denen das Gesetz etwas bringt, ist ziemlich klein. Wie viele Menschen wollen etwas Neues bauen oder Eigentum erwerben? Man kann darüber streiten, ob es taktisch geschickt war, dafür ein Thema auszuwählen, das keine Massen elektrisiert, sondern nur für eine relativ überschaubare Gruppe von Bedeutung ist. Der gewünschte Effekt der CDU, klar zu machen, dass die AfD nicht die einzige Opposition ist, ist nicht deutlich geworden.

Sehen Sie denn die Grenzüberschreitung, die viele der CDU vorgeworfen haben?

Ich würde Friedrich Merz zustimmen. Die Grenzüberschreitung beginnt, wenn die CDU mit der AfD Absprachen trifft, also gemeinsam agiert, einen Gesetzentwurf gemeinsam entwickelt. Die CDU in Thüringen behauptet, dass es das nicht gegeben hat. Die CDU hat einen eigenen Antrag eingebracht, dem die Regierungsparteien hätten zustimmen können. Haben sie aber nicht. So ist das Gesetz mit den Stimmen der AfD angenommen worden, was die politischen Gegner als Tabubruch inszeniert haben.

Wie würden Sie denn einen Tabubruch definieren?

In koalitionsähnlichem Verhalten.

Wie kann ich eingeklemmt zwischen zwei Parteien, mit denen ich nichts zu tun haben will, denn ordentliche Oppositionsarbeit leisten?

Die sauberere Lösung nach Kemmerichs Abgang wäre die ursprünglich vereinbarte zwischen CDU und Bodo Ramelow gewesen: Dass der Landtag sich nach gut einem Jahr selbst auflöst. Das hat nicht geklappt, mittlerweile gibt es die Minderheitsregierung schon seit über drei Jahren und die CDU steckt in einer schwierigen Situation fest. Auf der einen Seite die staatspolitische Verantwortung, auf der anderen Seite die Profilierung als Oppositionspartei.

Sehen Sie ein Narrativ, mit dem die CDU sich wieder freischwimmen könnte?

Im Grunde sehe ich keine große Alternative zu dem, was die CDU tut: Einerseits ökologisch ein bisschen aufzuholen und gleichzeitig deutlich zu machen, dass sie es auf andere Art und Weise realisieren möchte als die Grünen. Aber es ist schwierig, das den Wählern zu vermitteln. In der Politikwissenschaft sprechen wir vom „Issue Ownership“, wenn Themen in der Wahrnehmung der Bevölkerung an eine bestimmte Partei geknüpft sind. Ökologie und Klimaschutz traditionell bei den Grünen, innere Sicherheit bei der Union. Sich gegen die fest verankerte Wahrnehmung bei den Leuten durchzusetzen, ist nur ganz allmählich und gegen Widerstände möglich.

Ich nehme an, die AfD verfügt über das „Issue Ownership“ beim Asyl?

Ja, das hat die Union 2015 während der Flüchtlingskrise eingebüßt.

Weil Angela Merkel sagte: „Wir schaffen das“?

Und überhaupt die Politik der offenen Grenzen. Da hat die CDU massiv an Vertrauen verloren. Jetzt, wo das Thema wieder so relevant ist, kann die AfD extrem profitieren.

Dabei haben so viele Menschen die Kanzlerin für diesen Satz gefeiert.

Angela Merkel hat das Popularität vornehmlich bei Leuten gebracht, die im Traum nicht daran denken, CDU zu wählen. Viele Leute, die tatsächlich CDU wählen, waren entsetzt.

Also war es aus CDU-Sicht ein Fehler?

Merkel hat das nicht aus reiner Willkür gemacht. Es gab Gründe für die Entscheidung. Aber für die CDU hat sich das zweifellos negativ ausgewirkt.

Kann Asyl der CDU als Thema helfen?

Die CDU hat lange genug regiert, um zu wissen, wie schwierig dieses Thema zu lösen ist, weil es lauter europäische Implikationen hat. Sie kann keine so einfachen Lösungen vermitteln wie eine populistische AfD. Diese hat es sehr viel leichter, stellt Maximalforderungen – wohlwissend, dass sie die in nächster Zeit wahrscheinlich nicht wird umsetzen müssen. Italien zeigt, dass auch eine rechtradikal geführte Regierung das Problem nicht so einfach in den Griff kriegt.

Das heißt, die AfD würde Ihrer Annahme nach gar keinen so harten Asyl-Kurs fahren wie angekündigt?

Wir sind noch lange in keiner Situation, in der die AfD realpolitische Fragen beantworten muss – wenn es überhaupt je dazu kommt. Wenn die AfD in Regierungsverantwortung käme, würde sie jedoch zweifellos einen Realitätsschock erleben.

Im Wahlkampf wird die AfD das Thema Ihrer Erklärung nach für sich beanspruchen können – und die Grünen Ökologie und Klimaschutz. Ist es sinnvoll für die CDU, die Grünen zum politischen Hauptgegner zu erklären?

Angesichts der Unbeliebtheit der Ampel halte ich das für sehr sinnvoll. Allerdings sind die Grünen in Thüringen eine sehr kleine Partei. Acht Prozent wären schon ein großer Erfolg – in Hessen würden sie sich dafür die Kugel geben. Die CDU zielt in Thüringen auf eine Deutschlandkoalition mit SPD und FDP. Aber es gibt noch viele Unsicherheiten, zum Beispiel ob die FDP überhaupt wieder in den Landtag kommen wird. Ein Faktor, der sich jetzt noch kaum kalkulieren lässt, ist die Wagenknecht-Partei – die in Migrationsfragen zwar einige Übereinstimmungen mit der CDU haben könnte, wirtschaftspolitisch dafür aber meilenweit entfernt läge.

Auf Kreisebene gibt es schon einige CDUler, die lieber eine Brandmauer zu den Grünen als zur AfD bauen würden. Halten Sie es für möglich, dass die CDU irgendwann doch mit ihr koaliert?

Auf lange Sicht kann man es nie genau wissen, aber kurz- oder mittelfristig glaube ich das nicht. In der CDU Thüringen gibt es einige Stimmen, die von der kommunalen Erfahrung geprägt sind, wo sie die AfD teilweise als normale Leute erleben, mit denen man ja reden kann. Im Landtag hat die CDU zehn Jahre Erfahrung. Ich beobachte keine kollegiale, sondern eine feindselige Stimmung zwischen den beiden Parteien.

Die AfD steht in Thüringen stabil bei über 30 Prozent. Was können die anderen Parteien ihr entgegensetzen?

Die Wahrnehmung, dass die AfD die einzig echte Opposition ist, wird man nicht mehr rauskriegen bis zur nächsten Landtagswahl. Relevant ist, ob es in der Migrationsfrage deutliche Fortschritte gibt und man die Zahlen etwas eindämmen kann. Wenn dieses Thema seine Virulenz behält, kommt das der AfD sehr zugute. Die Migrationsfrage ist das Lebenselixier der AfD. Bei Debatten in Land- oder Bundestag versucht sie, alle möglichen Themen wieder dort hinzulenken.

Also wird die AfD auch den Hamas-Krieg für sich zu nutzen wissen, obwohl sie Antisemiten in den eigenen Reihen hat?

Die AfD ist vor allem gegen die Immigration von Muslimen nach Deutschland und damit versucht sie, die Existenz von Antisemitismus in den eigenen Reihen zu überspielen.

Womit erklären sie sich, dass der Thüringer Landesverband besonders radikal ist?

Das ist die Person Höcke. Schon als Lucke noch Vorsitzender war, gründete Björn Höcke in Erfurt den „Flügel“ als innerparteiliche Oppositionsbewegung, um zu verhindern, dass die AfD sich allzu schnell der CDU anpasst und sich ihr als Koalitionspartner andient. Die Linie Höcke hat sich im Landesverband und letztlich auch der Gesamtpartei durchgesetzt.

Thüringen hat gleichzeitig den einzigen linken MP und die wohl radikalste AfD Deutschlands. Inwiefern schafft die Gesellschaft im Land einen Nährboden, der beides ermöglicht?

Mit dem Thüringen-Monitor wird seit dem Anschlag auf das Erfurter Gutenberg-Gymnasium 2002 erforscht, wie verbreitet rechtsextreme Einstellungen im Freistaat sind. Die Ergebnisse sind relativ konstant: Es gibt einen gewissen Prozentsatz, der rechtem Gedankengut sehr, sehr aufgeschlossen ist, aber der hat sich weder dramatisch erhöht noch liegt er wesentlich höher als in anderen Ländern. Die These, dass es in Thüringen eine besondere Geneigtheit zu Rechtsextremismus gibt, die halte ich für überzogen.

Was haben Sie aus den Landtagswahlen in Hessen und Bayern für Thüringen gezogen?

Ein gewisses Gefühl der Genugtuung. Jetzt ist endgültig deutlich geworden, dass die AfD kein reines Ost-Problem ist, sondern auch Westdeutschland von Bedeutung ist – wenn auch nicht im gleichen Umfang. Ansonsten kann man wenig für Thüringen daraus ziehen. Thüringen ist sehr speziell.

War man zu arrogant gegenüber dem Osten?

Vielleicht auch, aber vor allem ignorant. So ein bisschen auch Selbstbetrug: zu hoffen, man habe selbst nicht damit zu tun. Jetzt kann man nicht mehr nur mit dem Finger auf Ostdeutschland zeigen und sagen: Da stecken die Nazis drin und im Westen nicht. Das hat sich erledigt. Ich komme aus Schleswig-Holstein, dem Land, wo die AfD aus dem Landtag geflogen ist. Da hat man das Gefühl wahrscheinlich noch immer. In Hessen und Bayern ist das vorbei.

Womit erklären Sie sich, dass die AfD in der früheren DDR so viel früher so stark war als im Westen?

In der Wahlforschung geht man von drei entscheidenden Faktoren aus: Personen, Themen und langfristige Parteibindung. Letztere hat es im Osten nicht in dem Maße gegeben, weil es lange gar keine demokratische Wahl gab. Das hat dazu geführt, gerade hier in Thüringen, dass die Menschen die verschiedenen Parteien quasi ausprobiert haben. Nach der Wende haben sie mehrheitlich für Kohl und die CDU gestimmt. Dann haben viele Schröder gewählt, der nicht inhaltlich, aber in seinem Politikstil auch durchaus etwas Populistisches hatte. Doch man hat gemerkt, dass auch er die Probleme nicht aus der Welt schaffen konnte und Merkel, die selbst aus dem Osten ist, eine Chance gegeben. Dann der Linken. Jetzt wird eben von vielen die AfD als Alternative gesehen. So lange die nicht in Verantwortung kommt und auch scheitert, kann man mit ihr Hoffnung verbinden und Protest zum Ausdruck bringen.

Also würden andere Parteien der AfD am meisten schaden, wenn sie sie regieren ließen?

Theoretisch ja, praktisch natürlich nicht.

Kann man sagen, dass Thüringen unregierbar geworden ist?

Weit sind wir davon nicht entfernt. Je nachdem, was sich bei der nächsten Landtagswahl ergibt. Wenn tatsächlich Wagenknecht mit ihrer neuen Partei antritt, wird es immer schwieriger, zu einer regierungsfähigen Mehrheit zu kommen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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