Analyse
Erscheinungsdatum: 06. November 2024

Ende der Ampel: Olaf Scholz entlässt Christian Lindner – und beide rechnen hart miteinander ab

Die Ampel-Koalition ist Geschichte, der Finanzminister entlassen und der Kanzler entschlossen wie selten zuvor. Protokoll eines dramatischen Abends.

Knapp zwei Stunden nach Beginn des abendlichen Koalitionsausschusses hat der Kanzler seinen Finanzminister vor die Tür gesetzt. Vorausgegangen war der Vorschlag des FDP-Chefs, die Ampel möge gemeinsam baldmöglichst Neuwahlen anstreben, um die Ampel „in Würde“ zu beenden. Das aber lehnte Olaf Scholz ab – und erklärte, dass er Christian Lindner entlassen werde. Wie zu hören ist, kam es zum endgültigen Eklat, als Lindners Vorschlag während der Sitzung bei der Bild gelandet war. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird sich am Donnerstag gegen 11 Uhr zu Beginn einer Veranstaltung zum weiteren Ablauf äußern.

Scholz erhob am Abend schwere Vorwürfe gegen Lindner. Wer sich in einer Lage wie der aktuellen allen Kompromissvorschlägen verweigere, der handele verantwortungslos. „Immer wieder habe ich Vorschläge gemacht, wie es geht.“ Das sei schwer gewesen und habe auch ihn manchmal an die eigenen Grenzen geführt. Trotzdem habe Lindner immer wieder sachfremd Gesetze blockiert, zu oft habe Lindner sein Vertrauen gebrochen. „Ihm geht es um das kurzfristige Überleben der eigenen Partei“, so der Kanzler. Doch gerade an einem Tag wie diesem mit dem Wahlergebnis aus den USA sei „ein solcher Egoismus vollständig unverständlich“.

Selten ist der Kanzler derart drastisch aufgetreten. Erkennbar wird, dass sich Scholz in den letzten Tagen auf diesen Auftritt vorbereitet hat. Kein Einknicken unter dem Druck von Lindner mehr, sondern jetzt eine harte Konfrontation. Allerdings hatte er nach Informationen von Table.Briefings zwei Manuskripte vorbereitet: eines für den Bruch, ein zweites aber für den Fall, dass sich die Koalition noch einmal einigen würde.

Lindner antwortete mit vergleichbar harten Angriffen. Die Liberalen hätten pragmatische Vorschläge zur Energiepolitik und zur Ankurbelung von Leistungsbereitschaft und Innovationsfreude vorgelegt. Doch diese Vorschläge seien nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert worden. Stattdessen habe der Kanzler lange die Notwendigkeit für eine Unterstützung der Wirtschaft verkannt und die Nöte verharmlost. Seine Gegenvorschläge seien „matt und unambitioniert“ und würden keinen Beitrag leisten, um die Wachstumsschwäche zu überwinden. „Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.“ Stattdessen habe der Kanzler „ultimativ“ eine Aussetzung der Schuldenbremse verlangt. Dem habe er nicht zustimmen können, weil er sonst gegen seinen Amtseid verstoßen hätte. Lindner betonte, die FDP sei weiter bereit, Verantwortung zu tragen – und werde dafür kämpfen, dass das „in einer anderen Konstellation“ möglich werde.

Für Vizekanzler Robert Habeck fühlt sich der Verlauf des Abends „falsch und nicht richtig an“. An einem Tag wie diesem müssten Deutschland und Europa Geschlossenheit demonstrieren. Außerdem hätten mehrere Lösungsvorschläge auf dem Tisch gelegen. Insbesondere bei der Finanzierung weiterer Hilfen für die Ukraine. Dazu aber sei die FDP nicht bereit gewesen. Trotzdem seien die Grünen bereit, bis ins Frühjahr weiterzuarbeiten. „Die Probleme gehen ja nicht weg, nur weil wir keine eigene Mehrheit mehr haben.“ Deutschland könne es anders machen, und Deutschland werde es anders machen.

Geht es nach Kanzler und Vizekanzler, dann wird die rot-grüne Minderheitsregierung bis Weihnachten noch alle Gesetze im Parlament zur Abstimmung stellen, die laut Scholz „keinen Aufschub erlauben“. Dabei geht es unter anderem um die Sicherheits- und Migrationsgesetze, um die Krankenhausreform und weitere Gesetze. Gleichzeitig kündigte der Kanzler an, das Gespräch mit CDU-Chef Friedrich Merz zu suchen. Insbesondere in zwei Bereichen wolle er den Oppositionsführer für eine Zusammenarbeit gewinnen: bei schnellen Beschlüssen zur Stärkung der Wirtschaft und bei Entscheidungen zur Verteidigung und zur Unterstützung der Ukraine. In der ersten Sitzungswoche 2025, am 15. Januar, will er dann die Vertrauensfrage stellen. Sollte der Bundespräsident danach das Parlament auflösen, könnten Neuwahlen bis Ende März stattfinden.

In den Fokus rückt nun das Treffen des Oppositionsführers mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Eigentlich sollte es ein Routinetreffen sein. Mit der neuen Entwicklung bekommt es aber neues Gewicht. Und das hat nicht nur mit dem Procedere Richtung Neuwahlen zu tun. Sowohl in der Regierung als auch in der Union wächst die Sorge, dass bei Neuwahlen AfD und BSW zusammen eine Sperrminorität für Verfassungsänderungen erreichen könnten. Nicht nur im Umfeld des Kanzlers gibt es deshalb Gedankenspiele, noch vor Neuwahlen gemeinsam über mögliche Änderungen zu sprechen, die zur Abwehr extremistischer Kräfte notwendig werden könnten oder die sich gegen eine populistische Sperrminorität nicht mehr durchsetzen ließen.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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