Analyse
Erscheinungsdatum: 05. November 2023

Eine Partei unter besonderem Feuer

Christian Lindner FDP, Bundesminister der Finanzen, aufgenommen im Rahmen einer Pressekonferenz zur Vorstellung der Steuerschaetzung in Berlin, 26.10.2023. Berlin Deutschland *** Christian Lindner FDP , Federal Minister of Finance, recorded at a press conference to present the tax estimate in Berlin, 26 10 2023 Berlin Germany. Copyright: xFlorianxGaertnerx

Die Umfragen sind miserabel, die Zweifel bei den Partnern riesig und die Stimmungslage an der Basis komplex – das ist die Ausgangslage für die FDP zum Start in die zweite Hälfte der Legislatur. Doch trotz aller Krisenzeichen: Die Partei ist nicht zerstritten.

Es kommt schon Schlag auf Schlag für die FDP. Immer dann, wenn sie glaubt, sich gerade ein bisschen von der schwierigen Stimmung erholt zu haben, kommt die nächste Umfrage, die weh tut. So am vergangenen Freitag, als die Partei bei Infratest Dimap bundesweit auf vier Prozent gefallen ist. Auch das ist nur ein Zwischenstand und kann sich ändern. Aber wer einen genaueren Blick auf die Lage wirft, ahnt: Es ist aktuell schwer und es wird schwer bleiben.

Spricht man mit jenen, die als Liberale in der Koalition wie in der Partei eine wichtige Stimme haben, bekommt man immer wieder zu hören, dass die Lage an der Basis einfach sehr vertrackt sei. „85 Prozent unserer Anhänger finden die FDP immer noch gut, aber ebenfalls 85 Prozent unserer Anhänger finden die Ampel eine Katastrophe“, sagt einer, der für Parteichef Christian Lindner wichtig ist. Damit ist das Dilemma schon weitgehend beschrieben. Denn beim Blick auf die jüngsten Wahlergebnisse und Umfragen wird klar, welche 85 Prozent aktuell wichtiger sind, nämlich jene, die die Ampel nicht mehr ausstehen können.

Für Lindner und seine Getreuen ist dieses Dilemma fast unauflöslich. Was zuallererst damit zu tun hat, dass es in der ersten Hälfte der Legislatur für die Liberalen zwei Phasen gab: Im ersten Jahr des Ukraine-Krieges galt nur eins: Pragmatismus, verbunden mit der Entscheidung, gegen die eigenen Vorstellungen erstmal mehr Geld auszugeben, unter anderem für das Sondervermögen Bundeswehr. Dazu kamen die Krisenrettungsaktionen mit Energie- und Strompreisbremse. Allein: Gedankt hat es der FDP und ihrem Finanzminister niemand. Ende 2022 und Anfang 2023 gab es in Niedersachsen und Berlin Wahlen – und beide Male scheiterte die Partei an der Fünf-Prozent-Hürde.

Also schwenkte sie im Frühjahr um. Beginnend mit dem Streit um E-Fuels in Brüssel und massiv fortgesetzt mit dem Konflikt um das Heizungsgesetz wurde sie laut und gefühlt so etwas wie die Opposition in der Ampel. Dabei half ihr die Unterstützung aus der Wirtschaft, die den Liberalen besonders beim Argument der Technologieoffenheit zustimmte. Plötzlich fühlte sich die Partei wieder bei sich selbst. Und das wurde durch den Protest der Grünen nicht schwächer, sondern stärker. Der Streit des Frühjahrs war für die FDP identitätsstiftend. Einziges Problem: Auch dieses Mal blieb die Belohnung aus. In Bayern stürzte die Partei im Oktober tief unter die Fünf-Prozent-Hürde; in Hessen musste sie die ganze Wahlnacht zittern, um am Ende bei 5,0 Prozent zu landen. Die Zahl 85 mit ihren Schmerzen – sie prägt noch immer die Stimmung.

Und so geschieht es immer wieder, dass Lindner, Fraktionschef Christian Dürr oder Parlamentsvize Wolfgang Kubicki bei größeren Veranstaltungen im Land viele Zuhörer haben und großen Beifall bekommen, aber am Ende kaum Unterstützung erhalten, wenn die Umfrageinstitute nachfragen. Nicht selten sprechen das die FDP-Führungsleute auch an, wenn wieder einer bei öffentlichen Auftritten in Hamburg, München oder Stuttgart fordert, die FDP möge endlich in der Ampel mehr eigene Positionen durchsetzen. Das, so halten sie der Kritik entgegen, könne nur gelingen, wenn die Partei auch bei Wahlen und in Umfragen mehr Unterstützung erhalte. Das eine fordern und das andere nicht machen – das passe dann doch nicht zusammen.

Diese Analyse ist nicht falsch, hilft der Partei und ihrer Führung aber nicht weiter. Sie kann nur hoffen, dass mehr Anhänger diesen Zusammenhang begreifen. Zugleich hat sich an einer Grundsituation nichts geändert: Noch immer fremdelt die FDP von den drei Koalitionspartnern mit der Ampel am meisten. Das hat zum einen damit zu tun, dass sich – wie es ein führender FDP-Mann analysiert – die politischen Lager trotz aller gegenteiliger Behauptungen nicht aufgelöst haben. Aus Sicht der FDP heißt das: So wie sie noch in der letzten Legislatur von der schwindenden Anziehungskraft der Union in der Großen Koalition profitierte, tut es jetzt die Union umgekehrt von der Unzufriedenheit vieler mit der FDP in der Ampel. Dabei bleiben die Leute im Lager, wechseln aber die Parteien.

Zum anderen hat sich an einem Grundgefühl nichts geändert. Immer wieder erinnern sie in der FDP-Spitze daran, dass es die Liberalen waren, die – wenn man in diesen Lagern denkt – zur Gründung der Ampel ans andere Ufer geschwommen sind. Vom ersten Tag an stehen sie deshalb nach eigener Wahrnehmung am meisten unter Beobachtung und mittlerweile auch unter Beschuss. „Und weil wir insgesamt nicht so viele sind, ist das für uns noch gefährlicher als für eine größere Partei“, heißt es in der Führung.

Dauernd im Feuer, ohne Perspektive auf große Änderungen – das nagt an der Partei und ihrem Vorsitzenden. Die Empathischeren bei SPD, Grünen und im Kanzleramt wissen das; man kann dieser Tage wichtige Vertreter der Ampel treffen, die anerkennen, dass die Lage der Liberalen alles andere als einfach sei. Aber bei Grünen wie bei Sozialdemokraten gibt es in den Fraktionen viele, die nach dem gefühlten Krawall der FDP beim Heizungsgesetz halt doch eher auf mehr eigene Inhalte als auf Zugeständnisse an den Koalitionspartner drängen. So gut der Kampf gegen die Grünen ums Heizungsgesetz nach innen getan hat, so sehr schadet er bis heute dem Klima in der Koalition.

Was also tun? Wie gefährlich wird das? Und: Erinnert das nicht längst an Guido Westerwelles Götterdämmerung im Sommer 2011? Während den meisten Liberalen auf die ersten beiden Fragen mögliche Antworten schwerfallen, ist die Antwort auf die dritte laut Führungspersonal eindeutig: Nein, mit 2011 lasse sich die Situation nicht vergleichen. Erstens beteuern alle, dass die wichtigsten Figuren in Kabinett, Partei und Fraktion an einem Strang zögen. „Das war 2011 ganz anders“, sagt einer, der auch damals sehr eng mit dabei war. Zum zweiten beteuern die meisten, dass der Parteivorsitzende unangefochten bleibe. Und zum dritten, so sagt es ein enger Mitstreiter von Lindner, sei die FDP sein Lebenswerk – was wohl heißen soll, dass der Chef seinen Laden nicht im Stich lässt, sondern bis zum Letzten 2025 für ihn kämpfen wird.

Das alles, so schwören sie sich gegenseitig ein, habe einen großen Vorteil: Die FDP sei geschlossen und habe keine Führungsprobleme. „Das kann uns, je näher die Wahl kommt, immer mehr helfen“, heißt es aus Lindners Umgebung. Ob das nur ein Strohhalm ist oder doch noch zum Pfund wird, entscheidet nicht nur die FDP. Es hängt auch an der Konkurrenz, die ihre Führungsfragen noch längst nicht geklärt hat.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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