Analyse
Erscheinungsdatum: 31. Mai 2023

Drohnenangriffe auf Moskau: Grüße an Russland

30.05.2023, Russland, Moskau: Ein Wohnhaus, das Berichten zufolge durch eine ukrainische Drohne beschädigt wurde. Russlands Hauptstadt Moskau ist Bürgermeister Sergej Sobjanin zufolge von mehreren Drohnen angegriffen worden. (zu dpa «Bürgermeister: Moskau von mehreren Drohnen attackiert») Foto: Uncredited/AP +++ dpa-Bildfunk +++
Die Drohnenangriffe auf Moskau am Dienstag haben nicht nur die russische Führung irritiert. Auch westliche Verbündete der Ukraine haben offenbar noch keine einheitliche Einschätzung dazu. Nur in Kiew sind sie erstmal zufrieden.

Überrascht sind fast alle über die Drohnenangriffe auf Moskau. Die Kommentare ihrer Unterstützer aber fallen sehr unterschiedlich aus. Berlin und Washington mahnen eher zur Zurückhaltung. Regierungssprecher Steffen Hebestreit verwies am Mittwoch in der Bundespressekonferenz grundsätzlich auf das Völkerrecht, das einem angegriffenen Land erlaube, sich zu verteidigen. Aber er erinnerte auch daran, dass der Bundeskanzler mehrfach betont habe, deutsche Waffen dürften nur auf dem ukrainischen Territorium eingesetzt werden. Aus Washington kamen ähnliche Signale. Dort hieß es: „Wir unterstützen keine Angriffe innerhalb Russlands. Punkt.“

London sieht das anders: Grundsätzlich sei es Teil des ukrainischen Rechts auf Selbstverteidigung, über das eigene Territorium hinaus zuzuschlagen, um Russlands Fähigkeiten zu Schlägen auf ukrainisches Gebiet zu vermindern. „Legitime militärische Ziele außerhalb ihrer eigenen Grenze sind Teil des Selbstverteidigungsrechts der Ukraine“, sagte der britischen Außenminister James Cleverly.

Moskau versuchte zunächst, den Vorfall zu überspielen: Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte gar, Präsident Wladimir Putin habe keine Pläne, sich zu den Attacken zu äußern. Doch angesichts der Verbreitung von Drohnen-Videos und -Bildern über soziale Medien in Russland konnte Putin dann doch nicht länger schweigen und beantwortete fast fünf Minuten lang Fragen der russischen Presse zu den Attacken. Explizit betonte er, dass die Luftverteidigungssysteme in Moskau „zufriedenstellend“ gearbeitet hätten, aber es gebe Verbesserungsbedarf. Auffällig war, wie sehr Putin bemüht war, ruhig zu bleiben.

Wie bei früheren Drohnen-Vorfällen in Russland will Kiew auch dieses Mal nichts damit zu tun haben. Das ist wenig überraschend: Angriffe auf russisches Territorium könnten weitere Eskalationsmomente im Krieg Russlands gegen die Ukraine provozieren, so die Sorge westlicher Partner Kiews. Diese Sorgen schürte Putin auch in seiner Reaktion, in der er ruhig, aber bestimmt an das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja erinnerte, das derzeit von russischen Truppen besetzt ist.

„Solche Momente der vermeintlichen Coolness zeigen eher, dass die Führung nicht weiß, wie sie reagieren soll“, erläutert Alexey Yusupov, der Leiter des Russlandprogramms der Friedrich-Ebert-Stiftung, im Gespräch mit Table.Media. Die betonte Ruhe sei beachtenswert. „Die russische Führung weiß, dass die Loyalität in der Bevölkerung begrenzt ist. Die Drohnen über Moskau lassen den Krieg nicht mehr verdrängen. Jetzt muss der Kreml erstmal die Stimmung in der Bevölkerung einschätzen, um eine passende Reaktion zu finden.“

Die wichtigsten russischen Zeitungen konfrontierten die Bevölkerung am Tag danach jedenfalls gleich auf Seite eins mit den Angriffen, bei denen es keine Todesopfer gab. Das auflagenstarke Propagandablatt Moskowskij Komsomolez schrieb, dass Moskau in Frontnähe gerückt sei: „Die Möglichkeit ist real, dass du in Moskau eines Morgens aufwachst und in dein Fenster ein Gerät mit Sprengstoff fliegt.“

Seit Monaten werden in russischsprachigen Netzwerken fast täglich Drohnenangriffe in Russland gemeldet, meist nahe an der Grenze zur Ukraine auf Ölraffinerien, Eisenbahnverbindungen, Gasleitungen. Bisher wurde noch nie eine so große Zahl an Drohnen bei einem Vorfall registriert wie am Dienstag. Nach offiziellen russischen Angaben sollen es acht Drohnen gewesen sein, nach Angaben von kreml-kritischen Medien und militärischen Beobachtern waren es zwischen 25 und 32. Neben dem ukrainischen Ursprung könnten die Drohnen auch von regimekritischen Kräften in Russland selbst gestartet worden sein.

Wenn die Drohnen aus der Ukraine stammen, sind sie ungestört mehrere hundert Kilometer geflogen. Das deutet auf große Lücken im russischen Luftverteidigungssystem hin. In Moskau selbst sind bereits um den Jahreswechsel herum die Abwehrsysteme Pantsir-S auf verschiedenen Gebäuden aufgestellt worden, unter anderem auf dem Außenministerium. Wenn die russische Armee die Luftverteidigung rund um Moskau und andere Metropolen verstärken sollte, wie Putin am Dienstag forderte, wird dies wahrscheinlich die Wehrfähigkeit in Frontnähe schwächen.

Angesichts der verhaltenen Reaktionen des Westens reagierte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow etwas verschnupft am Mittwoch: Man hätte sich „eine Verurteilung“ der Angriffe gewünscht.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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