Analyse
Erscheinungsdatum: 20. Oktober 2024

Drei Senioren als Retter in der Not

Die Angst der Linken vor der Bedeutungslosigkeit schweißt die Partei zusammen. Drei ergraute Herren sollen den Einzug in den Bundestag sichern. Aber reicht das?

Der Bundesparteitag der Linken in Halle ist am Sonntag mit einem Überraschungsgast zu Ende gegangen. Die frisch-gewählten Parteivorsitzenden Jan van Aken und Ines Schwerdtner hatten dafür sogar ihre Antrittsreden gekürzt. Der Auftritt von Sarah-Lee Heinrich, die als ehemalige Sprecherin der Grünen Jugend (GJ) erst vor Kurzem ihren Austritt bei den Grünen erklärt hatte, sorgte im Saal für einiges Ah und Oh: „Hallo. Mein Name ist Sarah-Lee Heinrich. Und ich bin der Meinung: Es ist Zeit für was Neues.“

Spätestens als die Ex-Grüne dann in ihrer Rede auf die Klassenfrage kam – „Dafür braucht es vor allem einen klaren Klassenstandpunkt!“ – war klar, dass sie die Sprache der gut 500 Genossinnen und Genossen spricht. Jedoch: zu früh gefreut. Der erhoffte prominente Partei(über)beitritt der GJ-Rebellen war das nicht. „Ihr seid noch nicht soweit“, sagte Heinrich und machte Hoffnung: „Seht’s uns nach, wir haben gerade eine Beziehung beendet.“ Man sortiere sich jetzt erst mal, werde aber noch voneinander hören.

Der Parteienforscher und Linken-Kenner Gero Neugebauer erkennt zwar, dass es partielle Übereinstimmung in einigen Positionen gebe, sieht aber nicht unbedingt eine Folgebereitschaft: „Was deutlich wurde, war, dass der linke Flügel im linken Lager des Parteiensystems sich mehr und mehr differenziert, ohne dadurch unbedingt stärker zu werden.“ Der von den scheidenden Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan unternommene Versuch, die Linke als sozialistische ökologische Partei zu etablieren, sei gescheitert.

Begonnen hatte der Parteitag am Freitag damit, dass zunächst das Thema mit dem größten Spaltpotential abgeräumt werden musste: Antisemitismus im Nahostkonflikt. Vor den halleschen Messehallen hatten sich pro-palästinensische Demonstranten postiert. Prominente Parteimitglieder berichteten später, dass sie sich bedroht gefühlt hätten. Henriette Quade, MdL aus Halle, die sich in ihrer Heimatstadt unter anderem bei der Aufarbeitung des antisemitischen Angriffs vom 9. Oktober 2019 auf eine Synagoge engagiert, musste die Veranstaltungshalle über den Hinterausgang verlassen. Der Antrag, den Demonstrierenden Redezeit einzuräumen, wurde jedoch von der großen Mehrheit abgelehnt.

Ein Kompromissantrag zum Krieg in Nahost enthielt Forderungen nach einem sofortigen Waffenstillstand und die Freilassung aller Geiseln. Dass dem Antrag ein interner Streit vorausgegangen war, war in den Formulierungen deutlich zu spüren: „Das Unrecht der Besatzung der palästinensischen Gebiete ist niemals eine Rechtfertigung für den menschenverachtenden Terror der Hamas – und genauso rechtfertigt der 7. Oktober nicht die Völkerrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza oder im Libanon.“ Es war wohl das Verdienst des neuen Vorsitzenden, dass sich letztlich eine große Mehrheit der Delegierten hinter dem Papier versammeln konnte. Nur unter der Hand sprachen hinterher manche davon, in etwas hineinreingeredet worden zu sein.

Während sich van Aken in seiner Antrittsrede am Sonntag auf den Friedensaspekt konzentrierte und eine Idee der Sowjetunion von 1973 aufwärmte – „Was wäre wenn, alle Länder gleichzeitig ihre Militärausgaben um 10 Prozent sänken?“ – hatte er sich in seiner Bewerbungsrede noch mit den Reichen angelegt: „Es sollte keine Milliardäre geben.“ An die eigenen Leute gewandt, machte er zudem klar, dass sie „nicht nur den netten Jan von nebenan, die Friedenstaube im Kapuzenpulli“ bekämen. Er forderte Disziplin: „Ab sofort ist Schluss mit Zoff. Niemand beißt mehr in irgendein Mikrophon, nur weil es ihm hingehalten wird.“

Da wirkte es sonderbar anachronistisch, dass inmitten des Erneuerungsprozesses der Partei die Vorstandswahlen unterbrochen wurden, um Gregor Gysi das Mikrophon zu überlassen. Der dann – redegewandt wie er ist – die „Aktion Silberlocke“ ausrief. Der 78-Jährige teilte mit: gemeinsam mit Ex-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch und dem scheidenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow werde er „bei einem Wein“ darüber nachdenken, ob es zum „wirklich notwendigen Aufschwung in unserer Partei“ komme. Falls sie zu einem positiven Ergebnis kämen, würden die Drei die „Aktion Silberlocke“ starten und „in vollem Umfang in den Wahlkampf eingreifen“. Jeder von ihnen würde versuchen, ein Direktmandat zu erreichen und der Partei beim Sprung über die Fünfprozenthürde helfen.

Dass sich Gysi damit auch den Posten als Alterspräsident im Bundestag sichern könnte, dürfte eine zusätzliche Motivation für ihn sein. Die Kandidatur ist den Dreien nun kaum mehr gesichtswahrend zu nehmen. „Jenseits privater Motive geht es den drei Herren wohl darum, den Fortbestand der nun vielleicht bald alten Linken zu simulieren und Stammwähler zu halten“, vermutet Neugebauer, „aber auch um eine Position der Linken als möglicher Koalitionspartei zu demonstrieren.“ Trotz Applaus auf dem Parteitag waren viele Genossinnen und Genossen, auch aus der ersten Reihe, von dem Auftritt der Altvorderen not amused.

„Weder van Aken noch Schwerdtner haben Erfahrungen in Führungsfunktionen der Linken“, sagt Neugebauer. Ihre Akzeptanz als Personen ohne mehr oder weniger „Stallgeruch“ versetze sie jedoch theoretisch in die Lage, tabula rasa zu machen. Damit würden sie aber Unruhe in der Organisation erzeugen. „Das können sie nicht machen, weil sie die gewachsenen Strukturen für den Wahlkampf brauchen.“ Ein Dilemma.

Die letzte größere Hürde des Parteitags versteckte sich hinter drei Buchstaben und schwebte drei Tage durch die luftige hallesche Halle: BGE, bedingungsloses Grundeinkommen. In einem Mitgliederentscheid hatte sich eine Mehrheit für die Aufnahme der Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen in das Parteiprogramm ausgesprochen und den Vorstand damit zum Handeln gezwungen. Schwerdtner hatte sich bereits früh klar gegen das Grundeinkommen ausgesprochen, Gysi hatte auf das Spaltpotential des Antrags hingewiesen und einen behutsamen Umgang mit dem Thema angemahnt. Es gab hitzige Debatten um die Bindungskraft des Basisvotums. Laut Satzung muss der Parteitag einem solchen Votum allerdings nicht folgen. Die Delegierten lehnten den Antrag schließlich mit deutlicher Mehrheit ab.

Die Not halte die Partei zusammen, stellt Neugebauer fest, „weil selbst jene, die einen radikaleren linken Kurs befürworten, wissen, dass eine als durch interne Streitigkeit als handlungsunfähig stigmatisierte Partei nicht gewählt wird und sie damit eine der wesentlichen materiellen Grundlagen für ihre Existenz verlieren würde.“ Von der Neuausrichtung zeigt sich Neugebauer nicht überzeugt: „Die Partei hofft, wieder in den Bundestag zu kommen, aber außer der Kritik an politischen Zielen der Union und der Ampelparteien wurde lediglich die Absicht geäußert, gegen diese vorzugehen, ohne dass eigene Ziele genannt wurden.“

Mit großer Mehrheit beschlossen wurde ein Leitantrag des Parteivorstands. „Ein bezahlbares Dach über dem Kopf“, wird darin gefordert. Verlangt werden auch eine solidarische Gesundheits- und Pflegevollversicherung, ein neues Einwanderungsrecht und höhere Löhne.

Blieb nur noch, den Vorwahlkampf einzuläuten. „Nicht reden, sondern zuhören“ wolle man diesmal, erklärte Schwerdtner bei der Vorstellung der Kampagne. Das Konzept: An vielen Haustüren klopfen und eruieren, was die Wählerinnen und Wähler eigentlich wollen. Es ist die Ratlosigkeit als Konzept. Allerdings hatte Nam Duy Nguyen bei den Landtagswahlen in Sachsen bewiesen, dass eine solche Kampagne auch funktionieren kann. Er und sein Team hätten an 49.000 Haustüren geklingelt und 14.000 Gespräche geführt, hieß es. In Leipzig sicherte er sich so das Direktmandat. Weshalb es den Ideen der Bürgerinnen und Bürger ohne Parteibuch dann anders ergehen soll als einem Basisvotum der Mitglieder, wurde in Halle nicht erklärt.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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