Die Menschen in Sachsen und Thüringen haben gewählt – und das Ergebnis ist eine politische Abrechnung mit der Bundesregierung. Zusammen kommen SPD, Grüne und FDP in Sachsen wie in Thüringen auf nicht mehr als 13 Prozent; die AfD dagegen erreicht in Hochrechnungen in Sachsen knapp 32 und in Thüringen knapp 31 Prozent. Außerdem haben AfD und BSW zusammen in beiden Ländern knapp die Hälfte aller Stimmen bekommen. Das ist ein historischer Einschnitt knapp 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Gewählt wurden zwei Landesparlamente, trotzdem ist das Ergebnis ein unmissverständlicher Fingerzeig in Richtung Berlin. Nicht ohne Grund sind in beiden Ländern alle drei Berliner Ampelparteien überrollt, teilweise politisch sogar verstümmelt worden. Es ist die dunkelgelbe Karte für eine Koalition, die vor allem zu Beginn zwar einige Probleme angepackt hat, aber nie wirklich zusammenfand und seit eineinhalb Jahren nachhaltig den Eindruck erweckt, sie sei unentschlossen, kompromissunfähig und also nicht mehr in der Lage, das Land nach vorne gerichtet zu regieren. Der Eindruck wiegt besonders schwer vor dem Hintergrund massiv drängender Herausforderungen und einer ohnehin verunsicherten Gesellschaft. Die Ampel war erklärtermaßen gestartet, um die letzten, zögerlichen Merkel-Jahre vergessen zu lassen und das Land als Bündnis der Mitte in eine moderne Zukunft zu führen. Im Hickhack um Heizungsgesetz und Haushalt ist davon nicht viel geblieben. Schlimmer noch: Im Osten haben sich auch Teile der Mitte der Gesellschaft nach rechts verabschiedet. Nicht aus Überzeugung, sondern abgestoßen von Kultur und politischem Stil derer, die in Berlin zu oft um sich selbst kreisen. Verantwortung dafür tragen alle drei Ampel-Partner zusammen. Die FDP, weil sie sich seit Monaten durch eine Fixierung auf eine unveränderte Schuldenbremse in allen anderen Themen selbst gefesselt hat, um an einer Stelle unbedingt standhaft zu erscheinen; die Grünen, weil sie beim Heizungsgesetz trotz aller früheren Bemühungen wieder in einen Duktus der Besserwisserei verfielen; und der Kanzler, der unentwegt um Schadensbegrenzung bemüht ist, aber darüber jede Strahlkraft und Autorität verloren hat.
Das bekam er auch vor Ort im Willy-Brandt-Haus zu hören. Gerade noch einmal gutgegangen, sagten sie sich. Sie hatten Schlimmeres befürchtet. Aber erkennbar wurde auch: Die Geduld der Parteiführung ist endlich, die üblichen Durchhalteparolen blieben aus, stattdessen gab es für alle Botschaften nur einen Adressaten – Olaf Scholz. Seine Schonzeit ist vorbei. Im Mittelpunkt der Ad-hoc-Analyse: Die miserabel bewertete Arbeit der Bundesregierung – und die noch schlechteren persönlichen Werte des Kanzlers. Über den Wahlkampf der beiden Landesverbände verlor niemand ein kritisches Wort. Das Wahlergebnis habe „klare Botschaften an die Bundespolitik“ gegeben, erklärte vielmehr ungefragt Generalsekretär Kevin Kühnert: „Der Bund zieht die Werte nach unten.“ Auch die Erwartungen an die verbleibende Regierungszeit wurden klar benannt. Kühnert: „Es muss einiges geändert werden.“ Allen voran der Kanzler müsse jetzt „in Konfrontation gehen“. Das habe im Wahlkampf zwar durchaus stattgefunden, aber das müsse jetzt „in hoher Taktung weiter gehen“. Co-Chefin Saskia Esken assistierte: „Er muss deutlich machen, das ist eine SPD-geführte Regierung.“ So ungeschminkt ist die Parteiführung an Wahlabenden selten, und offenkundig ist auch: Die Zeit des Moderierens ist für den Kanzler vorbei, die Parteispitze erwartet Attacke und Führung – sonst steht über kurz oder lang ihre Loyalität infrage. „Es wird eine härtere Gangart geben“, kündigte Kühnert an. „Wir lassen uns nicht mehr von anderen auf der Nase herumtanzen.“ Es hörte sich nach Kampfansage an eine an diesem Abend schwer gebeutelte FDP an, und es war wohl auch genau so gemeint.