Karl Lauterbach steht im Ruf, einsame Entscheidungen zu treffen und diese mit der Selbstgefälligkeit des Besserwissenden zu verteidigen. Im Ringen um die Legalisierung von Cannabis zeigt sich freilich eine ganz andere Qualität des Sozialdemokraten: Loyalität. Denn die Entkriminalisierung der Droge war ein Herzensliegen von Grünen und Liberalen, bis sie im Koalitionsvertrag der Ampel landete und seitdem – mehr nolens als volens – auch ein SPD-Projekt ist. Nun muss ausgerechnet der Bundesgesundheitsminister von der SPD für dieses Gesetz kämpfen. Lauterbach macht das mit demselben quijotesk anmutenden Einsatz wie für die Krankenhausreform oder die elektronische Patientenakte.
So stellte sich der ausgebildete Arzt, bekannt für seine salzarme Diät, schon im Sommer 2022 eindringlichen Fragen des Spiegel zu seinem eigenen Marihuanakonsum (nur einmal, mit über 18) und seiner gewandelten Haltung zur Legalisierung (früher war Lauterbach dezidierter Gegner). Ein Jahr später steht er dann ganz alleine vor den Hauptstadtjournalisten und stellt das Gesetz vor, an dem acht Ministerien beteiligt sind – kein einziger Minister der Grünen oder der FDP tauchte auf, weder Cem Özdemir noch Marco Buschmann. Auch öffentlich verteidigte er die Pläne tapfer, sei es im Streitgespräch mit Suchtexperten oder bei „Hart aber Fair“.
Dabei stehen bei diesem Gesetz die Windmühlen, gegen die Lauterbach ficht, auf dessen ureigenen Feldern. Gegen eine Cannabis-Legalisierung sind die Bundesärztekammer, die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und viele weitere Forschungs- und Ärztebündnisse. Zuletzt ließen ihn gar die eigenen Genossen hängen. Am 4. Dezember wurde das Gesetzesvorhaben von der Bundestagsagenda genommen, weil Mitglieder der SPD-Fraktion nicht zustimmen wollten. Der Entwurf wurde auf 2024 vertagt. Manche unken, er werde nie kommen.
Das Ampel-Vorhaben war von Anfang an von Fehlannahmen, Verzögerungen und Streit innerhalb der Bundesregierung geprägt: Eckpunktepapiere mussten nachgebessert werden, das Vorhaben wurde auf zwei Säulen verteilt. Schon die erste Lesung des Säule-1-Gesetzes wurde im Oktober – angeblich wegen des Hamas-Angriffs auf Israel – vertagt. Und die geplante finale Beschlussfassung scheiterte zum ersten Mal bereits im November, damals aufgrund von Reibereien zwischen Ministerium und Fraktionen.
Dass das Gesetz ein „Bürokratiemonster“ sei, befand schon im Sommer enttäuscht die Legalisierungsbefürworterin Kristine Lütke von der FDP. Und tatsächlich reibt man sich die Augen, wie das gehen soll: den Jugendschutz zu wahren, indem zum Beispiel nur weit weg von Schulen, Kindergärten oder Spielplätzen gekifft werden darf – aber nicht so weit weg, dass dies nirgends mehr möglich ist. 200 Meter stand im ersten Entwurf, nur: In vielen Großstadtvierteln befindet sich mindestens alle 200 Meter eine Jugendeinrichtung. Sogar Polizei und Richterbund fanden diese Regelung so weltfremd, dass der Abstand zuletzt halbiert wurde. Ob es allerdings der Polizei im Streit mit Rauchern nutzt, die 85 Meter von einem Spielplatz entfernt ihre Joints durchziehen, fragt sich.
Table.Media ist aus Regierungskreisen eine Erzählung zu Ohren gekommen, die erklärt, wie aus dem Gute-Laune-Vorhaben ein Alptraum wurde. Was die Niederlande seit Jahrzehnten vormachen mit ihren Coffeeshops, hätten sich die Koalitionäre am Grünen Tisch gedacht, sollten wir auch hinkriegen. Womit sie nicht rechneten: Wie kritisch das Völkerrecht eine Liberalisierung sieht. Und während dessen Kontrollorgane bei den kleinen Niederlanden stets ein Auge zudrückten – auch dort ist das Kiffen übrigens nicht legal, sondern wird nur geduldet – verhält sich das beim großen Deutschland ganz anders. Deshalb muss der Jugendschutz nun wie eine Monstranz vor dem Kiffer-Gesetz hergetragen werden. Don Quijote Lauterbach macht das mit Bravour.