Analyse
Erscheinungsdatum: 21. November 2023

Digitalgipfel: Wahrheit und Pflicht für die Ampel

Digital-Gipfel 2023 der Bundesregierung in Jena Motto: Digitale Transformation in der Zeitenwende. Nachhaltig. Resilient. Zukunftsorientiert. Pressekonferenz am zweiten Gipfeltag. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, und Robert Habeck, Bundesminister für Wirtscha und Klimaschutz von linksDigital-Gipfel 2023 der Bundesregierung in Jena Motto: Digitale Transformation in der Zeitenwende. Nachhaltig. Resilient. Zukunftsorientiert. Pressekonferenz am zweiten Gipfeltag. Volker Wissing, Bundesminister für Digitales und Verkehr, und, Jena Thüringen Deutschland Volkshaus *** Digital Summit 2023 of the Federal Government in Jena Motto Digital Transformation in the Turning Point Sustainable Resilient
Der Digitalgipfel der Bundesregierung hat eine lange Historie – fast so lang wie die Digitalisierungsversuche der Bundesrepublik. Wie gut hat sich die Ampel bislang geschlagen?

Ob er noch zeitgemäß wäre, das wurde beim Digitalgipfel schon oft gefragt. Gestartet als Kuschelveranstaltung zwischen IT-Wirtschaft und Bundesregierung unter dem Titel IT-Gipfel fand er nun im thüringischen Jena statt. Einer von zahlreichen coronabedingten Nachholterminen für Veranstaltungen. Nach vielen Fehlentscheidungen in der Vergangenheit war die Ampel angetreten, vieles bei der Digitalisierung besser zu machen. Doch die Bilanz nach zwei Jahren sieht so aus: „Wir stehen auf sehr unterschiedlichen Feldern unterschiedlich gut.“

Das sagt nicht irgendwer – sondern Bundeskanzler Olaf Scholz am Nachmittag in Jena. Und wer eh schon nicht so gut da steht, freut sich besonders wenig über schlechte Nachrichten. Zugleich kommen Gipfel eigentlich immer zum falschen Zeitpunkt. Doch dieser war ein ganz besonderer Fall: Nur wenige Tage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) stehen auch wesentliche Teile der strategischen Digitalpolitik dieser Bundesregierung auf der Kippe.

Wer Robert Habeck am Dienstagmorgen in Jena sah, konnte erahnen, wie viel Schlaf der Minister bekommen hatte: sehr, sehr wenig. Und das hat zwei Gründe. Der erste ist das KTF-Urteil. Der zweite: Habeck hat digitalpolitisch bislang wenig geleistet. Sein politisches Pfund war in diesem Politikbereich bislang die Ansiedlung von Chipfabriken. Intel und TSMC sollen mit Milliarden Euro ins Land gelockt werden, um weitere Milliarden obendrauf auszugeben. Das sollte zumindest teilweise mit Mitteln aus dem Klima- und Transformationsfonds geschehen. Seit dem vergangenen Mittwoch ist das alles andere als sicher.

Habeck muss also hoffen, dass zwei Dinge eintreten: Dass sich noch Geld im Haushalt findet, um die Projekte durchzuführen – und dass sich andere Vorhaben so weit herunter stutzen oder nach hinten schieben lassen, dass es möglichst wenig weh tut. Kein schönes Setting für den Transformationsminister Habeck.

Wie gut, dass er einen ungleichen Partner hat. Immer gut gelaunt gibt sich Volker Wissing in Jena. Zwar braucht er – wie stets – auch dort wieder nur wenige Sekunden, um selbst beim Digitalgipfel vor allem über Verkehrsthemen zu sprechen. Der FDP-Politiker liebt die Bahndigitalisierung, Mobilitätsdatenräume und Building Information Modeling. Bei Mobilfunk und Breitband gehe es aber deutlich voran, bei gleichbleibendem Tempo würde man 2025 sogar vielleicht seine Ziele erreichen. Aber Wissing will diesmal auch andere Botschaften setzen: Die Länder und Kommunen müssten bei der Digitalisierung mehr tun. Und zumindest das umsetzen, was bereits möglich wäre – also etwa die digitale Autozulassung iKFZ, fordert er. Natürlich ist das wieder ein Beispiel aus dem Verkehrsbereich.

Doch dass die Verwaltungsdigitalisierung derzeit die größte Baustelle für diese Bundesregierung bleibt, weil an ihr alle möglichen anderen Prozesse hängen, ist unstrittig. Nancy Faeser verzichtet auf das fragwürdige Vergnügen, sich in Jena erneut für das Fiasko zu rechtfertigen, das die Verwaltungsdigitalisierung seit Jahrzehnten darbietet. Von DE-Mail über den elektronischen Personalausweis und digitale Identitäten bis hin zum Onlinezugangsgesetz: Nichts hatte funktioniert wie geplant, und nur sehr wenig wurde bislang real besser für die Bürgerinnen und Bürger. Ähnlich sieht es mit der Digitalisierung des Gesundheitswesens aus, bei der mit vielen alten Konzepten jetzt gebrochen werden soll – weil das Ergebnis untauglich war oder zumindest nicht akzeptiert wurde.

Nein, Digitalisierung sei kein Selbstzweck, gibt Steffi Lemke, Umwelt- und Verbraucherschutzministerin, in Jena zu Protokoll. Und betont, wie wichtig es sei, auch die digitalen Tools der Kreislaufwirtschaft zuzuführen – und zugleich Digitalisierung für eine nachhaltigere Form des Wirtschaftens zu nutzen. Lemke tut immerhin gar nicht erst so, als sei Digitalpolitik ihre eigene Baustelle – sondern sieht sie klar als Tool für die Umsetzung politisch-regulatorischer Ziele. Dass das verbraucherpolitisch möglicherweise etwas wenig ist, muss Lemke als letzte Hüterin der grünen Lehre innerhalb der Bundesregierung kaum mehr anfechten.

Besonders auffällig ist das, wenn man Robert Habeck beim Digitalgipfel aufmerksam zuhört. Für die Freundschaft mit dem oft etwas spröde wirkenden Volker Wissing gibt es eine naheliegende Erklärung: Die beiden Politiker, die kaum auf eigene Expertise zurückgreifen können, klingen digitalpolitisch fast identisch. Bei einer Bühnendiskussion mit einer NGO ist es Habeck, der vor zu viel Vorsicht warnt und zu viel Regulierung verdammt. Er macht das in einem für einen Grünen-Politiker ungewöhnlichen Tonfall. Es ist Habeck, der die Wirtschaft auffordert, nicht auf 100-Prozent-Lösungen zu warten, sondern jetzt in hoffnungsvolle Start-Ups zu investieren. Ist das wirklich noch jener Mann, der vor zwei Jahren Minister wurde? Zeitweilig scheint es, als könnte Habeck als FDP-Politiker durchgehen.

Was sich in Jena zeigt, ist das Abbild eines Problems, das seit Jahren existiert: Egal, wie die Zuständigkeit für die Digitalpolitik gestrickt wird, so richtig geht es nicht voran. Digitalminister im Nebenjob? Das scheint weiterhin kein Erfolgsrezept zu sein – selbst langjährige Gegner eines eigenständigen Digitalministeriums sprechen sich inzwischen dafür aus. Bis heute hat kein Minister die Themen für sich adoptiert, alle zuständigen Minister fremdeln mit der Materie – und ein Digitalminister, der wirklich gestaltend aktiv wird, ist am Horizont nicht zu erspähen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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