In der SPD hat das Mikadospiel begonnen. Wer bewegt sich zuerst? Wer wartet ab? Wann ist der Moment, um mit eigenen Ambitionen aus der Kulisse zu treten? Noch ist das Ergebnis der Wahl kaum vorhersagbar. Eines aber scheint für die allermeisten sicher zu sein: Olaf Scholz wird das Feld nicht noch einmal von hinten aufrollen können. Und sehr wahrscheinlich wird auch Saskia Esken ihren Stuhl räumen müssen. Sollten die Umfragen auch nur annähernd zutreffen, wird es die Co-Vorsitzende zuerst treffen bei der Suche nach Verantwortlichen für das mutmaßlich schlechteste Ergebnis aller Zeiten.
Dahinter ist alles in Bewegung; ab Sonntag, 18.01 Uhr beginnt eine neue Zeitrechnung. Auch wenn sich auf sozialdemokratischer Seite am Sonntagabend die meisten noch zurückhalten werden : Niemand will den Fehler von 2017 wiederholen, als Martin Schulz am Wahlabend den Gang in die Opposition ankündigte – und die SPD im März 2018 nach hartem internem Ringen doch einen Koalitionsvertrag unterzeichnete. Außerdem sind in Hamburg eine Woche später Wahlen. Die will niemand belasten.
Und doch werden sich die Scheinwerfer von der Stunde Null an vor allem auf zwei Niedersachsen richten: Boris Pistorius und Lars Klingbeil. Nach Informationen von Table.Briefings sollen sich die beiden zwar auf einen Nichtangriffspakt verständigt haben, auch, um Rufen nach einem Gang in die Opposition vorzubeugen. Und das Parteipräsidium wird sie dabei unterstützen. Eine mögliche Regierungsbeteiligung soll nicht durch frühe Unbedachtheiten gefährdet werden. Wie stabil der Nichtangriffspakt ist, hängt freilich davon ab, wie miserabel das Ergebnis tatsächlich ausfällt. Kippt es von schlecht zu desaströs, könnte auch Klingbeil in Gefahr geraten. Zumal Pistorius 2019 schon einmal Parteivorsitzender werden wollte. Er ist seit knapp zwei Jahren der beliebteste Politiker und überließ Scholz im vergangenen November, nach Tagen des Zögerns, die Kandidatur trotz breiter innerparteilicher Unterstützung.
Kaum weniger wichtig: Auch in der Fraktion stellt sich die Führungsfrage. Am Mittwoch nach der Wahl wird sie ihren neuen Vorsitzenden wählen. Rolf Mützenich stünde wohl zur Verfügung, zumindest für einen Übergang. Auch Klingbeil wird ein Interesse nachgesagt, den Parteivorsitz abzugeben und stattdessen den Fraktionsvorsitz zu übernehmen. Wenn das Wahlergebnis nicht zu schlecht ausfällt. Und dann ist da noch Arbeitsminister Hubertus Heil. Auch er traut sich zu, die Fraktion zu leiten. Zu beachten dabei: Der Altersschnitt der Fraktion dürfte deutlich ansteigen. Viele junge Abgeordnete, die es 2021 in den Bundestag geschafft haben, sind bei der Vergabe der sicheren Listenplätze leer ausgegangen – und wären dann nicht mehr dabei. Sicher ist außerdem, dass die Parlamentarische Linke, angeführt von Tim Klüssendorf und Matthias Miersch und unterstützt von Mützenich, kaum tatenlos zuschauen wird, wie die Seeheimer die Posten unter sich aufteilen.
Schaut man auf mögliche Kabinettskandidaten, wird es spannend. Den ersten Zugriff hätte wohl Klingbeil als Parteichef, der SPD-seitig neben Pistorius auch mögliche Koalitionsverhandlungen führen würde. Allerdings: Mehr als sechs Ministerposten dürften für die SPD kaum drin sein, in einer möglichen Dreiparteien-Konstellation wären es wohl nur noch vier. Pistorius gilt als gesetzt, Klingbeil – wenn er nicht nach der Fraktionsführung greift – ebenso. Von den Frauen dürften Bärbel Bas als NRW-Vertreterin und Klara Geywitz mit ihrem ostdeutschen Hintergrund als wahrscheinlichste Optionen gelten.
Offen ist die Frage, welche Rolle die Ministerpräsidenten spielen wollen. Bisher haben sie sich zurückgehalten. Aber rund um die letzte Bundesratssitzung und die vorgeschaltete SPD-Runde mit Scholz und Wolfgang Schmidt wurde viel über den Wahlausgang und die Zukunft der SPD gesprochen. Wenn sich Anke Rehlinger, Stephan Weil, Alexander Schweitzer und Manuela Schwesig verbünden, sind auch sie ein Kraftzentrum im Gefüge der Partei.
Einen leichten, gar willfährigen Koalitionspartner werden die Sozialdemokraten jedenfalls nicht abgeben. Zum einen, weil es in der Partei nicht nur die Jusos gibt, die beim erwartbar schlechten Abschneiden für den Gang in die Opposition plädieren. Nochmal Juniorpartner in einer Koalition – das wird bei allen viel Überzeugungsarbeit kosten. Zum anderen haben die Genossen längst erkannt, dass ihnen Markus Söder mit seiner Anti-Grünen-Rhetorik einen großen Gefallen getan hat. Selbst im Falle eines miserablen Ergebnisses könnten sie der Union einiges abverlangen, weil mögliche Alternativen mindestens auf Seiten der CSU gar nicht gewollt sind. Was den Preis auch treibt: Am Ende stehen für die SPD ein Mitgliederentscheid oder ein Parteitag. Und für eine inhaltlich kaum mehr erkennbare oder in den Verhandlungen gar gedemütigte SPD wird es dort kaum eine Mehrheit geben.