Olaf Scholz, Robert Habeck, Christian Lindner – das ist das mächtige Trio an der Spitze der Ampel. So war es am Start vor einem Jahr, so entwickelte es sich erst recht in den folgenden Monaten. Und dazu gehört, dass es im Hintergrund ihre wichtigsten Leute sind, die über weite Strecken des letzten Jahres die Ampel durch Zeitenwende, Waffenlieferdebatten und die Energiekrise manövriert haben. Im Maschinenraum werkelte ein verlässliches, hochloyales Trio, um den Tanker in Fahrt zu halten: Für den Kanzler Wolfgang Schmidt, sein Kanzleramtsminister; für den Vizekanzler dessen Staatssekretärin Anja Hajduk; und für den Bundesfinanzminister hielt und hält Staatssekretär Steffen Saebisch die Stellung.
Doch mittlerweile hat sich in diesem austarierten Kräftdreieck etwas verändert. Anders als in früheren Regierungskonstellationen spielen die Fraktionsführungen eine mitentscheidende Rolle. Sie haben sogar begonnen, eigene Schwerpunkte zu setzen. Und das nicht nur zur Freude des Kanzlers und seiner Stellvertreter. Rolf Mützenich (SPD), Christian Dürr (FDP), Katharina Dröge und Britta Hasselmann (Die Grünen) heißt das selbstbewusste Quartett, das sich nach einigen Anlaufschwierigkeiten zusammengerauft hat. Der Erfolg schweißt zusammen.
Offen sichtbar wurde das erstmals in Dresden. Dort trafen die SPD-Abgeordneten im Spätsommer zur Klausur zusammen. Im Gepäck hatten sie den Druck aus den Wahlkreisen, vor allem wegen der explodierenden Energiekosten. Der Kanzler soll nicht sehr erbaut gewesen sein über den Vorschlag seiner Parlamentarier, den Deutschen mit milliardenschweren Hilfspaketen unter die Arme zu greifen. Doch der Fraktionschef dekretierte: „Das muss jetzt sein.“
Und so ging es weiter. Die Fraktionen stemmten sich früh gegen die Gasumlage – die dann nicht kam. Im Dezember setzten sie eine Erhöhung des Kindergeldes auf 250 Euro pro Kind plus Gleichbehandlung aller Kinder durch. Es bedurfte einiger Telefonate zwischen Berlin und Ägypten, wo der Kanzler gerade an der Klimakonferenz teilnahm, aber nach 48 Stunden war das Projekt in trockenen Tüchern.
Am sichtbarsten zeigte sich die neue Kraft kurz vor Jahresende.In den letzten Sitzungswochen vor Weihnachten verständigten sich die Fraktionsspitzen der Koalition auf einen Härtefallfonds für Haushalte, die mit Heizöl, Flüssiggas oder Pellet heizen. Kanzler und Finanzminister mochten die Idee zunächst gar nicht, trugen das Paket schließlich aber doch mit – ein 1,8 Milliarden Euro teures Paket, wie Ampel-Abgeordnete nicht ohne Stolz berichten.
Natürlich hat die neue Machtarithmetik einen Preis : Das Leben wird für alle komplizierter. Denn ob im Koalitionsausschuss oder in anderen Zusammenkünften, das Quartett aus dem Bundestag wird stärker als bisher mitreden. Und wenn die Zahl der Mächtigen steigt, steigt damit auch der Aufwand für die Koalition, sich abschließend auf Beschlüsse zu verständigen.
Der mutmaßliche Auslöser für die gewachsene Autonomie der Parlamentarier liegt schon etwas zurück. Es war die Präsentation des Sonderfonds für die Bundeswehr am letzten Februar-Sonntag.Von diesem so überraschenden wie für die SPD heiklen Beschluss des Kanzlers erfuhr Fraktionschef Mützenich erst unmittelbar vor der Verkündung. Er trug das Milliardenpaket loyal mit, amüsiert war er nicht. Seither setzen er und seine Ampelkollegen und -kolleginnen immer häufiger eigene Akzente. Das neue Selbstbewusstsein bündelt sich in einem Satz von Mützenich, vor kurzem geäußert gegenüber dem Berlin.Table: „Vor Weihnachten haben wir bewiesen, dass wir Gesetzentwürfe quantitativ und qualitativ deutlich verändern können.“ Damit müsse die Regierung leben lernen.
Am Umstand, dass sich das Machtgefüge verschoben hat, trägt nicht zuletzt der Kanzler seinen Anteil. „Das hat sich Olaf Scholz auch sich selbst zuzuschreiben“, heißt es aus den eigenen Reihen. Ähnlich klingt es in den beiden anderen Fraktionen. Wundern solle sich das Spitzentrio jedenfalls nicht. Alle drei hätten sich in den vergangenen zwölf Monaten nicht hervorgetan mit Bemühungen, die Abgeordneten bei Entscheidungen einzubeziehen. Ein erfahrener Sozialdemokrat sagt über den Kanzler: „Er sucht die Kommunikation nicht, auch nicht mit seiner Fraktion.“ Ähnliche Berichte gibt es auch über die beiden Scholz-Partner, Habeck und Lindner. Wie man es anders angehen kann, zeigt dagegen Innenministerin Nancy Faeser (SPD) : Sie tauscht sich regelmäßig mit den zuständigen Innenpolitikern der Fraktionen aus.
Immerhin, zumindest Kanzler und Vizekanzler scheinen Anspruch und neues Selbstbewusstsein ihrer Fraktionen wahrgenommen zu haben: Bei der Vorstandsklausur der Grünen-Fraktion am Donnerstag in Berlin bestritt Habeck die Pressekonferenz zusammen mit den beiden Vorsitzenden. Und auch der Kanzler will sich am Freitag in der Fraktionsklausur nach einem Referat den Fragen seiner Parlamentarier stellen.