Analyse
Erscheinungsdatum: 08. Mai 2025

Die Migrationsfrage: Wenn Merz’ Entschlossenheit auf europäische Realität trifft

Mit dem sogenannten "Asylstopp" will die Union ihr großes Wahlversprechen erfüllen: Die irreguläre Migration zu stoppen. Doch dafür gibt es Kritik von Deutschlands Nachbarn.

Es war das ganz große, wenn nicht sogar das wichtigste Wahlversprechen der Union: Die irreguläre Migration endgültig zu stoppen. Zur Not im Alleingang, ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten europäischer Partner. An Tag Eins seiner Kanzlerschaft wollte Friedrich Merz seinen Innenminister per Richtlinienkompetenz zu schärferen Grenzkontrollen anweisen. Wer illegal einzureisen versuche, werde abgewiesen, auch mit Schutzstatus. So der Plan. Nur, ganz so einfach scheint das alles nicht zu sein. Kurz nachdem Bundesinnenminister Alexander Dobrindt am Mittwoch den sogenannten „Asylstopp“ verkündet hatte, hallte die Kritik von Deutschlands Nachbarn zurück. Wird das zu einem Problem? Und was bedeutet das für die Beziehungen, die Friedrich Merz als Bundeskanzler doch eigentlich verbessern und intensivieren wollte?Nach Informationen von Table.Briefings gestalteten sich die vergangenen zwei Tage so: Während Dobrindt den neuen Knallhart-Kurs einläutet, besucht der Bundeskanzler an seinem ersten Tag zunächst die engsten europäischen Partner, also Frankreich und Polen. Merz verspricht beiden gute Zusammenarbeit. „Das Thema Migration ist ein Thema, das wir gemeinsam in Europa lösen müssen und wollen“, so der Kanzler in Warschau. Nach seiner Rückkehr am Abend lässt er sich von seinem Innenminister über den Stand der Dinge informieren. Man beschließt für den Folgetag die Botschafter der Nachbarn ins BMI zu laden. Gegen 23 Uhr geht eine Mail raus, die Table.Briefings vorliegt. „Im Rahmen der Besprechung möchte Herr Staatsekretär Krösser Ihnen die heute von Bundesminister Dobrindt beschlossenen Maßnahmen an den deutschen Grenzen zu unseren europäischen Nachbarn erläutern und Gelegenheit für Fragen geben”, heißt es darin.

Um 15 Uhr erhalten die teilnehmenden Botschafter im BMI ein Briefing: Man plane eine Reihe von Maßnahmen (darunter Kontrollen und Zurückweisungen) auf Grundlage nationaler Gesetze, um eine Überforderung zu verhindern. Teilnehmer schließen daraus, Deutschland erwäge eine nationale Notlage nach Artikel 72. Nicht sofort, aber für den Fall, dass sich die Situation nicht verbessert. Als am Nachmittag die Welt darüber berichtet, dementiert das Kanzleramt. Auch weil sich Vize-Kanzler Lars Klingbeil irritiert bei Merz gemeldet hat. Denn koalitionsintern sei das Ausrufen der nationalen Notlage nicht abgesprochen gewesen.

Im Gegenteil: Die Union hatte der SPD im Koalitionsvertrag zugesagt, nur „in Absprache mit den europäischen Partnern“ zu handeln. Aber was heißt „in Absprache“? Etwa, dass man die Nachbarländer über das eigene Handeln in Kenntnis setzt? Oder darf Deutschland nur in Absprache, also mit dem d’accord der europäischen Partner, handeln? BMI-Chef Dobrindt schien von Ersterem auszugehen. Gleich am Mittwoch wies Dobrindt an: Ab sofort soll an den deutschen Grenzen kontrolliert, Asylsuchende ohne gültige Einreisedokumente sollen zurückgewiesen werden. Mit Ausnahme von Kindern, schwangeren Frauen und anderen vulnerable Gruppen.Das sorgt bei den Nachbarn für Verstimmung. Die meisten Regierungen kritisieren, sie seien vorab nicht informiert worden. Auch stößt das äußerst kurzfristig einberufene Treffen mit den Botschaftern auf scharfe Kritik. Ein Diplomat ätzt über „so viel politische Geschicklichkeit an symbolisch aufgeladenen Tagen“. Ausgerechnet am Gedenktag zum Ende des Zweiten Weltkrieges verkünde Deutschland seinen Nachbarn, dass sie künftig für die Asylbewerber verantwortlich seien. „Wenn dies die neue Europapolitik Deutschlands ist, weiß ich nicht, wie viel Europa davon verkraften kann.“ Offizielle Kritik kommt zudem aus Polen, Österreich und der Schweiz. „Systematische Zurückweisungen an der Grenze verstoßen aus Sicht der Schweiz gegen geltendes Recht", schreibt das Schweizer Justizministerium anschließend auf der Plattform X. Auch Polens Ministerpräsident Donald Tusk zeigte sich beim Antrittsbesuch von Friedrich Merz deutlich irritiert. Es könne nicht sein, dass Polen am Ende „die größten Opfer“ bringen müsse, weil Europa als Ganzes nicht imstande gewesen sei, früher für seine Grenzen Sorge zu tragen. „Ich möchte jetzt nicht die Atmosphäre kaputtmachen, aber wir sind nicht dazu da, jetzt vorzuspielen, dass alles super ist“, sagte Tusk.In Regierungskreisen beharrt man darauf, es habe sehr wohl Absprachen gegeben. Immer wieder sei in den vergangenen Wochen auf verschiedenen Ebenen telefoniert worden. Zudem sei der Plan der Union Gegenstand öffentlicher Berichterstattung gewesen. Dass all das im Ausland nicht registriert worden sei, sei nur schwer vorstellbar. Wie präzise die Absprachen waren, bleibt vorläufig offen. In jedem Fall scheint die Lage zwischen den Partnern angespannt. Und das, obschon Merz die Beziehungen eigentlich auf ein neues Level heben wollte.

Briefings wie Berlin.Table per E-Mail erhalten

Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

Anmelden

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

Teilen
Kopiert!