Analyse
Erscheinungsdatum: 30. Juni 2024

Die AfD nach dem Parteitag: Glatte Wogen, aber nur an der Oberfläche

In Essen hat die AfD Weichen gestellt. Während Tino Chrupalla mit starkem Ergebnis schon vom Projekt 2029 spricht, wollen andere ihn als Vorsitzenden längst vorher loswerden. Diese sind mit einem Antrag, der eine Einer-Spitze ohne Chrupalla bedeuten könnte, zwar nicht durchgekommen, ihren Einfluss konnten sie aber sehr wohl ausbauen.

Die AfD hat ihrer Spitze in Essen Fakten geliefert, mit der sich die Partei als so diszipliniert und geeint feiern lässt wie noch nie. Tino Chrupalla fuhr mit 83 Prozent mehr ein, als die Wohlmeinendsten ihm zugetraut hätten, überholte selbst Alice Weidel leicht. Dem Vernehmen nach hat er sich aus Sorge um seine Wiederwahl vorab eifrig Stimmen gesichert. Manche Delegierte behaupten gar, dass Chrupallas Leute dazu aufgerufen hätten, Alice Weidel zurückhaltender zu wählen, damit kein zu großer, auffälliger Abstand zu ihr entsteht – anders als bei der letzten Wahl landete Chrupalla diesmal nun sogar leicht vor seiner „geliebten Co-Vorsitzenden“, wie er erfolgstrunken schwärmte.

Chrupalla schreitet denkbar gestärkt aus der Grugahalle in Essen in seine nächste Amtszeit als Co-Vorsitzender hinein, aber seine größte Bedrohung bleibt: Das Ansinnen eines einflussreichen Kreises um den Bundestagsabgeordneten Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz, einen Generalsekretär zu installieren – und damit die Doppelspitze abzuschaffen. Wer von den beiden bleiben würde, ist allen klar: Alice Weidel. Sie mag innerhalb der Partei nicht bei allen beliebt sein, führt Fehden im eigenen Landesverband und ist bei Teilen der Bundestagsfraktion unbeliebt, weil sie vielen Terminen fernbleibt, einige Abgeordnete sie als abgehoben und schnell reizbar empfinden. Dennoch: Nach außen verschafft Weidel der Partei ein Image, das schwer erreichbare Wählerkreise öffnet. Auch die Kanzlerkandidaten-Frage beantworten beinahe alle bei der AfD klar mit Weidel.

Den Antrag auf Schaffung eines Generalsekretärs weichte die AfD schon am Samstag in Essen auf. Am Sonntag hatte Damian Lohr aus Rheinland-Pfalz, enger Vertrauter von Sebastian Münzenmaier und früherer Vorsitzender der Jungen Alternative, zwar kurz Zeit, das Bestreben vorzustellen. Doch dann setzte sich mit knapp über 50 Prozent ein Antrag durch, wonach der Generalsekretärs-Antrag an den Satzungsausschuss übergeben wurde – und somit keine Abstimmung mehr darüber auf dem Parteitag stattfand. Für Chrupalla ist auch das ein Erfolg, aber die strebsamen Jung-AfDler zwischen 30 und 40 werden nicht locker lassen.

Während Chrupalla das „Projekt 2029“ ankündigt – was dieses Superwahljahr für die AfD bedeutet, lesen Sie hier – hat Münzenmaiers Netzwerk keineswegs vor, ihn noch so lange zu dulden. Dass der Generalsekretär und die Einer-Spitze in absehbarer Zeit kommen würden, ist auch nach dem Parteitag häufiger zu hören. Nach Vorhaben entsprechender Kreise könnte es beim Satzungsparteitag im Januar 2025 so weit sein. Noch gibt es für Chrupalla ein Argument, das nach dem Herbst 2024 aber wegfallen wird: für die Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen ist ein Sachse als Vorsitzender nützlich.

Neue Personenkreise haben Einfluss in der AfD gewonnen.Björn Höcke war auf dem Parteitag kaum sichtbar, gefeiert wurde er nur noch von der Jungen Alternative wie ein Promi. Auf der Bühne trat er kaum als Erscheinung; die eine Kandidatin fürs Bundesschiedsgericht, die Höcke vorschlug, konnte sich nicht durchsetzen. Während Höcke lange Zeit als engster Verbündeter des rechtsextremen Vordenkers Götz Kubitschek aus Schnellroda galt, soll Kubitschek sich dem Vernehmen nach längst mit dem Kreis um Münzenmaier vernetzt haben, nicht mehr so sehr auf Höcke setzen.

Auch Maximilian Krah tauchte nicht in Essen auf, woraus wichtige Akteure folgern, dass er keine Truppen mehr in der Partei habe – andernfalls hätte gerade er sich den Auftritt, die Aufmerksamkeit nicht nehmen lassen. In Gesprächen spielt Krah noch eine Rolle, viele Angehörige gerade ostdeutscher Verbände empören sich darüber, dass Weidel und Chrupalla ihn im Wahlkampf nicht klarer verteidigten. Aber in entscheidenden Parteikreisen hat Krah längst Relevanz verloren. Auch auf dem Parteitag kritisieren manche Delegierte abseits der Bühne mit Blick auf Krah noch „katastrophales Krisenmanagement“ im Europawahlkampf. Auf der Bühne fällt sein Name aber nicht.

Auch Petr Bystron, an dem wie an Krah Vorwürfe der Korrumpierbarkeit haften, blieb dem Parteitag fern. Der wichtige Mann in Europa ist jetzt Delegationsleiter René Aust, der zwar wie Höcke aus Thüringen stammt, aber nicht als Höcke-Mann gilt. Er soll Berlin helfen, Brüssel besser unter Kontrolle zu kriegen. Das passt in das Bestreben der AfD, ihre Leute zu disziplinieren. Führende Personen wollen die AfD stärker durch hierarchisieren und sagen in Gesprächen, dass auch neue Mitglieder diesen Wunsch äußerten. Nach dem Parteitag resümieren Delegierte, dass sich das neue „Top-Down“-Prinzip längst zeige. Die Partei bewege sich weg von der Basis-Orientierung hin zu klareren Ansagen. Die Vorsitzenden versuchen schon länger, schwer kontrollierbare Gruppierungen enger an sich zu binden, um Querschlägereien in den Griff zu bekommen. Krah löste endgültig großen Druck auf die Bundesspitze aus, die Partei unter Kontrolle zu bringen.

Weidel und Chrupalla hätten selbstredend gerne mehr Kontrolle, aber finden teils andere Antworten darauf als das Münzenmaier-Netzwerk. Das will zwar keinen Streit auf offener Bühne, aber strebt dafür nicht unbedingt Parteiausschlüsse von Extremisten an; lieber erst gar keinen ideologischen Streit führen, sondern Einreihen durch gemeinsames Macht-Ansinnen. Welche Münzenmaier-Leute diese Linie in den Bundesvorstand bringen, lesen Sie hier.

Eine größere Herausforderung stellt für die AfD noch ihre Jugendorganisation Junge Alternative dar, die dem Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem gilt und regelmäßig mit neonazistischen Skandalen von sich reden macht. Auf dem Parteitag betrieben sie einen Stand mit Stickern, die sich nicht nur mit Krah, sondern auch mit Matthias Helferich solidarisieren; der soll sich selbst als „das freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet haben. Auch T-Shirts mit der Aufschrift „White Boys Summer“ verkauft die JA. Und Karten mit NS-Ästhetik und „Für Deutschland bis zum bitteren Ende“-Aufschrift.

Die Führungsspitze erwartet von der JA, Vorschläge zu unterbreiten, mit der sich die Organisation professionalisieren lässt. Die JA ist eng verbandelt mit extremistischen Gruppen, die auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD stehen. An der AfD-Spitze sähe man die JA gern das „Juso-Modell“ einführen, das alle Mitglieder verpflichten würde, auch AfD-Mitglied zu werden – somit ließen sich einige über die Unvereinbarkeitsliste direkt aussortieren. Ausgerechnet der JA-Bundesvorsitzende Hannes Gnauck, Bundestagsabgeordneter aus Brandenburg, brauchte auf dem Parteitag als einziges Mitglied drei Anläufe, um es in den Bundesvorstand zu schaffen. Er hat die eigenen Reihen längst nicht mehr sicher hinter sich. Ein anderer JAler, Alexander Jungbluth, schaffte es ad hoc in den Vorstand. Er zählt zum Münzenmaier-Netzwerk.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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