Das Urteil aus der Wirtschaft nach der gescheiterten Vermittlung zum Wachstumschancengesetz ist einhellig. Dass es nicht mal dieser „Gesetzchenentwurf“ durch den Ausschuss geschafft habe, sei eine „katastrophale Signalwirkung“, sagt BDI-Präsident Siegfried Russwurm. Sein Kollege Rainer Dulger vom BDA warnt in Table.Media vor dem endgültigen Stillstand. „Deutschland darf sich nicht selbst blockieren“, so Dulger. Und auch der Generalsekretär des ZDH, Holger Schwannecke, versteckt seine Enttäuschung kein bisschen. „Sehr traurig“ sei es, dass nicht mal das abgespeckte Wachstumspaket beschlossen werden konnte. „Es wäre ein wichtiges Zeichen gewesen, dass die Politik erkannt hat“, so Schwannecke.
Deutschland blockiert? Nichts geht mehr? Auch nicht beim Versuch, der Wirtschaft auf die Beine zu helfen? Fast hat es den Anschein, seit nicht nur die Ampel kaum mehr vom Fleck kommt, sondern auch die Opposition sich verweigert, wenigstens auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners mit der Regierung zusammenzufinden. Nichts anderes wäre das gekürzte Wachstumschancengesetz gewesen.
Die Union hat trotzdem Nein gerufen, weil sich die Regierungskoalition weigerte, die ohnehin verringerten Kürzungen bei den Agrarsubventionen ganz zurückzunehmen. Nimmt man die Rhetorik des bayrischen Ministerpräsidenten Markus Söder, dann kann man den Eindruck gewinnen, dass er sich nicht nur vollkommen im Recht fühlt, sondern mit seinem rigiden Von-uns-gibt-es-keine-Zustimmung nachgerade zufrieden wirkt, weil er die Ampel-Pläne stoppen konnte. Nach dem Motto: Auch der kleinste Fortschritt soll dieser Ampel nicht mehr vergönnt sein.
Bei den Unternehmerverbänden kommt das allerdings nicht gut an. Sie werben seit Monaten für Kooperationen und mehr Miteinander zwischen Ampel und Union, weil sie die Lage als zu dramatisch erachten, um den üblichen Parteienringkampf in derart heiklen Zeiten noch zu akzeptieren. Deshalb sollte es in den Reihen der Union niemanden überraschen, dass Russwurm am Morgen im Deutschlandfunk wenig Verständnis für die Taktik der Union zeigte. Der BDI-Präsident bezeichnete die Unionstaktik als eine „sehr schwierige Argumentation“, die er nicht teile. Noch zorniger zeigte sich der Chef des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft. „Der deutsche Mittelstand ist richtig sauer“, sagte Christoph Ahlhaus der dpa. Und DIHK-Präsident Peter Adrian warnte vor einer verheerenden psychologischen Wirkung auf die gesamte Wirtschaft.
Damit wird deutlich, wie sehr sich die Politik in eine Sackgasse begeben hat. Die Wahrnehmung von außen ist nicht mehr: schade eigentlich. Die Wahrnehmung lautet eher: Wie könnt Ihr eigentlich? Weil das Gefühl bestärkt wird, dass immer weniger vorangeht.
Auch bei den Ampel-Fraktionen stieß die Blockade der Union wenig überraschend auf Empörung. „Wie kann man am Donnerstagmorgen Unternehmenssteuersenkungen fordern, wenn man sie im Vermittlungsausschuss am gestrigen Abend abgelehnt hat?“, fragte FDP-Fraktionschef Christian Dürr den CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. „Wie schaffen Sie das intellektuell?“ Dobrindt hatte zuvor in seiner Rede erneut niedrigere Steuern als wichtigstes Instrument für mehr Wachstum empfohlen.
Wirtschaftsminister Robert Habeck warf in seiner Regierungserklärung zum Jahreswirtschaftsbericht einen konkreten Blick auf die steuerpolitischen Vorschläge von CDU und CSU. Sein Urteil: sie seien nicht finanzierbar. Habecks Haus hatte sich offenbar die Mühe gemacht, die Forderungen, die Jens Spahn und Julia Klöckner vor knapp zwei Wochen in einem Brief aufgelistet hatten, genauer nachzurechnen. Ergebnis: Sie würden nach einer überschlägigen Rechnung 45 bis 50 Milliarden Euro an Steuerausfällen bedeuten, so Habeck.
Die Zahl scheint plausibel. Die von der Union geforderte Begrenzung der Sozialabgaben auf 40 Prozent würde angesichts des realen Werts von aktuell 40,9 Prozent rund sechs Milliarden Euro kosten; die Absenkung von Stromsteuer und Netzentgelten rund zehn Milliarden Euro. Der größte Posten ist die Senkung der Unternehmenssteuerbelastung auf thesaurierte Gewinne auf 25 Prozent; dies würde nach unterschiedlichen Schätzungen aus Regierungskreisen je nach Ausgestaltung zwischen 20 und 40 Milliarden Euro kosten.
Konkrete Vorschläge zur Gegenfinanzierung gebe es nicht, kritisierte Habeck. Die etwa von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geäußerte Erwartung, die Ausfälle durch Steuermehreinnahmen aufgrund von zusätzlichem Wirtschaftswachstum zu kompensieren, sei unrealistisch. Um Steuermehreinnahmen von 50 Milliarden Euro zu generieren, müsse das Bruttoinlandsprodukt angesichts der deutschen Steuerquote von rund 23 Prozent um mehr als 200 Milliarden Euro steigen – was einem Wachstum von fünf Prozent entspricht. „Das ist Vodoo-Finanzpolitik“, folgerte Habeck. Weder Spahn noch Klöckner regierten in ihren anschließenden Reden auf den Vorwurf der fehlenden Finanzierbarkeit ihrer Vorschläge.
Und doch: So geschlossen, wie sich die Ampel am Donnerstag im Bundestag präsentierte, ist sie intern keineswegs. Vielmehr blockiert sie sich an verschiedenen Stellen auch selbst. So wurde auch in einem Papier aus dem Finanzministerium in dieser Woche der von der Union geforderte – und von Habeck für nicht finanzierbar erklärte Unternehmenssteuersatz von 25 Prozent – als erstrebenswert bezeichnet. Im gleichen Papier beklagt das BMF „hohe Energiepreise“ – während Habeck im Bundestag darauf hinwies, dass diese zuletzt stark zurückgegangen seien. Tatsächlich kostet Gas aktuell wieder so viel wie vor der Krise – und damit weniger als in allen Szenarien erwartet. Auch bei anderen Themen wie der Transformation des Vergaberechts oder dem Rentenpaket II kommen die Koalitionspartner partout nicht voran.
Vielleicht ist das der entscheidende Grund für die strategische Entscheidung der Union, beim Wachstumschancengesetz zu blockieren. Sie will die innere Schwäche der Ampel für sich nutzen – und der Koalition deshalb möglichst nirgendwo auf die Beine helfen. Die Vorgabe von CDU-Chef Friedrich Merz in den internen Beratungen lautete: Solange die Einnahmeausfälle beim Bund durch das Wachstumsgesetz zumindest theoretisch durch Kürzungen bei der Landwirtschaft finanziert würden, sei die Blockade gerechtfertigt. Gefühlt aber geht das Nein der größten Opposition noch weiter.
So hat Merz intern die Zügel im Umgang mit der Ampel angezogen. Sollten einzelne Fach-Arbeitsgruppen der Unionsbundestagsfraktion in den Ausschüssen Projekten der Koalition zustimmen wollen, muss künftig zunächst die Fraktionsspitze informiert werden. Der persönliche Austausch zwischen Oppositionsführer und Bundeskanzler ist ohnehin weitgehend abgestorben, einen neuen Termin für ein Gespräch gibt es nach Angaben aus Opposition und Regierung bisher nicht.
Alles aktuell keine guten Voraussetzungen, um an der Lage was zu ändern. Dabei wünschen sich viele, nicht nur in der Wirtschaft, etwas ganz anderes. Wie sagt es BDA-Präsident Dulger: „Es muss jetzt gehandelt werden.“