Analyse
Erscheinungsdatum: 26. März 2023

Der Widerspenstigen Trennung

Sahra Wagenknecht - Aufstand fuer Frieden DEU, Deutschland, Germany, Berlin, 25.02.2023 Sahra Wagenknecht Partei die Lin
Wie weiter für die Linke? Ohne Sahra Wagenknecht? Oder womöglich doch mit ihr? Nach den zuletzt deutlichen Worten der Parteivorsitzenden bleibt die Frage ungelöst. Die einen fordern eine schnelle Entscheidung, weil für sie Wagenknecht mit der Partei längst abgeschlossen hat; die anderen fürchten eine Spaltung und sehen den Fall als Symptom für grundsätzlichere Probleme. Wir haben in Vorstand und Fraktion die Frage gestellt, wie es jetzt weitergehen soll.

Die Parteispitze ist zuletzt in ihrer Kritik an Sahra Wagenknecht sehr deutlich geworden. Martin Schirdewan und Janine Wissler haben ihr Verhalten heftig getadelt und sie zu einer schnellen Entscheidung aufgefordert. Wagenknecht hatte zuvor erklärt, sie werde bis Ende des Jahres darüber nachdenken, ob sie eine neue Partei gründen wolle. Dass Schirdewan dieses Hinauszögern als „parteischädigend“ bezeichnete, wurde von vielen als Hinweis gedeutet, dass auch ein Parteiausschluss nicht ausgeschlossen ist. Und trotzdem, der Ball liegt nun wieder im Feld von Sahra Wagenknecht, die das bis jetzt nicht dazu genutzt hat, Klarheit zu schaffen. Solange die Vorsitzenden ein potenziell langes und schwieriges Ausschlussverfahren ausschließen, wird sich daran wohl nichts ändern.

Janine Wissler

Wie sollte die Partei mit Sahra Wagenknecht umgehen?

Wir haben sie in der vergangenen Woche aufgefordert, sich endlich zu entscheiden. Es war wichtig, ein Stoppschild aufzustellen. Sie hat auch ein Bundestagsmandat und damit Verantwortung gegenüber den Mitgliedern. Im Übrigen müssen wir nach vorne schauen. Wir müssen unseren Mitgliedern klar sagen, wofür die Partei steht und dass sich auch Sahra Wagenknecht nicht alles erlauben kann.

Was wäre der Best Case für die Partei?

Ich bedaure zutiefst, dass wir überhaupt in eine solche Situation gekommen sind, wir haben ja auch mal gut zusammengearbeitet. Diese Zuspitzung hätte es nicht geben sollen. Diese Selbstbeschäftigung muss so schnell wie möglich aufhören, es gibt genug wichtige Themen für die Linke. Die permanente öffentliche Auseinandersetzung muss von einem geschlossenen öffentlichen Auftreten für unsere gemeinsamen Ziele abgelöst werden. Wir müssen dafür sorgen, dass am Ende eine starke linke Partei steht.

Was wäre der Worst Case?

Ich möchte nicht über Worst-Case-Szenarien spekulieren. Ich will eine gute Lösung finden, für die Partei, in die wir jeden Tag sehr viel Arbeit stecken.

Wagenknecht weiter in der Partei isolieren und den Druck für eine Entscheidung erhöhen, scheint die Strategie der Partei zu sein. Einig ist man sich auch darin, dass sie nicht gleichzeitig an einer neuen Partei arbeiten und weiter in der Linken sein kann. Das sei selbstverständlich und mit den Statuten nicht vereinbar, heißt es von mehreren Seiten. Das ist das Stoppschild, das die Vorsitzenden aufgestellt haben, es ist ihre rote Linie. Viele Mitglieder sind erleichtert, dass es die jetzt gibt und sehen die Position der Partei gegenüber Wagenknecht gestärkt.

Gleichzeitig sucht man in der Linken derzeit vergeblich nach Insidern, die glauben, dass Sahra Wagenknecht tatsächlich eine eigene Partei gründen wird. Parteikollegen, die sie lange kennen, sagen ohne Häme, sie sei für diesen Schritt, der Arbeit rund um die Uhr bedeuten würde, auch physisch nicht in der Lage.

Und so stellt sich die Frage: Was ist eine rote Linie wert, wenn sie nicht überschritten wird? Dann bedeutet es, dass die Partei weiter auf die Reaktion Wagenknechts warten und sich vor ihren Provokationen fürchten muss. Warum spielt man ihr den Ball also immer wieder zu? Einige fordern eine schnellere Entscheidung.

Lorenz Gösta Beutin

Wie sollte die Partei mit Sahra Wagenknecht umgehen?

Die Partei hat sich schon entschieden, dass sie den Weg einer emanzipatorischen Mitgliederpartei gehen will und nicht den populistisch nationalistischen Weg von Sahra Wagenknecht. Eigentlich ist Wagenknecht in der Defensive. Die Partei täte deshalb gut daran, wenn sie ihr gegenüber in die Offensive geht.

Was wäre in dieser Situation der Best Case für die Partei?

Die inhaltliche Trennung ist längst geschehen – die organisatorische Trennung ist sozusagen nur noch Formsache. Gleichzeitig muss die Linke in der gesamten Mitgliedschaft und vor allem in der Fraktion eine Neuaufstellung hinbekommen. In der Krise liegt die Chance für eine Erneuerung: Eine linke Partei muss programmatisch als Linke auf Höhe der Zeit erkennbar sein. Eine Partei, die nur populistisch auf die Tageslage reagiert und nationalistische Ressentiments bedient, wird scheitern.

Was wäre der Worst Case?

Wir haben diesen Konflikt eigentlich seit 2015 ununterbrochen. Der Worst Case wäre, dass er sich noch weiter hinschleppt bis zur Bundestagswahl.

Bernd Riexinger

Wie sollte die Partei jetzt mit Sahra Wagenknecht umgehen?

Die Linke muss wieder zu einer konsistenten und verlässlichen Politik kommen. Und natürlich gibt es immer Personen in der Partei, die aus der Reihe tanzen – jede Partei hat ihren Boris Palmer. Da muss die Führung klarstellen, was gilt. Die Entscheidung, ob Sahra Wagenknecht eine neue Partei gründet, hat nichts mit unserem Umgang mit ihr zu tun. Sie hat mit der Partei bereits abgeschlossen. Die Vorsitzenden haben deshalb den Rückhalt in der Partei für einen offensiven Kurs ihr gegenüber. Zuletzt haben sie das schon gut gesagt, aber ich finde, man kann noch einen drauflegen und klarmachen, sobald wir davon erfahren, dass Wagenknecht etwas Konkretes in Richtung Parteigründung macht, muss sie gehen.

Was wäre der Best Case für die Partei?

Wir müssen wieder offensiver Politik machen und wenn wir jetzt dahin kommen, dass wir nicht bei jeder Empörungswelle über Sahra Wagenknecht mitgehen, ist schon viel gewonnen. Wir brauchen neue Leute an der Fraktionsspitze, in der die alten Blockbildungen keine Rolle mehr spielen. Die Fraktion hat zu wenig Kontur.

Was wäre der Worst Case:

Dass wir uns weiter an ihr abarbeiten und sich das noch lange hinzieht.

Im Vorstand der Partei sind die Positionen ziemlich eindeutig: Sahra Wagenknecht habe mit der Partei bereits abgeschlossen, und nun müsse die Trennung so schnell wie möglich her. Anders sieht es in der Fraktion aus. Zwar gibt es auch unter den 39 Mitgliedern viele, die mit der Haltung des Vorstands übereinstimmen. Trotzdem ist das Lager der Wagenknecht-Anhänger nach wie vor stark. Die nötige Zweidrittelmehrheit für einen Ausschluss Wagenknechts käme wohl nicht zustande. Auch an der Drohkulisse, dass dann noch drei weitere Mitglieder gehen könnten und die Fraktionsstärke verloren geht, hat sich nichts geändert. Öffentlich reden viele Mitglieder der Fraktion nicht gerne über das Thema. Die meisten Gesprächsanfragen werden abgelehnt.

Bei denen, die eine schnelle Entscheidung fordern, wächst die Kritik an der Fraktionsspitze. Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali hätten sich von Wagenknecht abhängig gemacht. Bartsch widerspricht.

Dietmar Bartsch

Wie sollte die Partei mit Sahra Wagenknecht umgehen?

Ich bin Fraktionsvorsitzender und eine meiner Aufgaben ist es, dafür zu sorgen, dass es die Fraktion bis zum Ende der Legislaturperiode arbeitsfähig gibt und sie dann besser dasteht als heute. Auch wenn ich den Umgang von Sahra Wagenknecht mit der Partei gerade nicht in Ordnung finde (von einigen aus der Partei mit ihr übrigens auch nicht) und die Worte des Vorsitzenden berechtigt waren, glaube ich, dass wir eine Abspaltung von der Linken verhindern müssen. Das freut nur unsere politischen Konkurrenten.

Die Linke muss sich abseits von Sahra Wagenknecht mit ihren programmatischen Problemen auseinandersetzen und grundsätzliche Fragen diskutieren und klären. Linke Positionen müssen sich selbstverständlich weiterentwickeln. Keine Waffen in Kriegsgebiete zu liefern, ist ein wichtiger linker Grundsatz, aber ist das heute mit Blick auf die Ukraine weiter richtig? Das und vieles andere muss programmatisch diskutiert werden.

Was wäre der Best Case?

Wenn wir es schaffen, uns auf unsere politischen Aufgaben zu konzentrieren, miteinander zu agieren und für die Menschen da zu sein, die uns gewählt haben. Wir sind schließlich die einzige linke Opposition im Bundestag und haben damit eine gesellschaftliche Verantwortung. Es gibt drängende Themen, bei denen wir der Ampel etwas entgegensetzen müssen. Inflation, Kinder und Rentner in Armut und so weiter. Wir müssen es schaffen, dass unsere politischen Erfolge mehr Aufmerksamkeit bekommen. Die Linke hat schon andere Krisen überlebt. Menschen wählen uns, wenn sie merken, die Linke ist da und kümmert sich um unsere Probleme. Deshalb ist zuletzt eine Linke als Oberbürgermeisterin in Rostock und ein Linker als Oberbürgermeister in Reichenbach, im Vogtland gewählt worden.

Was wäre der Worst Case?

Der Worst Case ist, dass die Eskalationsschleife immer weitergeht und am Ende gibt es eine, zwei oder auch drei mehr oder minder Linke Parteien, die alle bedeutungslos sind. Das hat man auch in anderen Ländern beobachten können, etwa in Italien. Dann würden wir nicht nur unsere Kraft im Deutschen Bundestag, sondern nach und nach auch in den Ländern verlieren.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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