Analyse
Erscheinungsdatum: 11. Mai 2025

Der Parteitag nach dem Comeback: Ist die Linke zurück um zu regieren?

Mitgliederrekord und gute Umfragewerte versetzen die Linke in ein neues Hoch. Beim Parteitag in Chemnitz präsentiert sich die Partei geschlossen wie lange nicht. Auch im Bund stellt sich nun die Frage: Würde sie auch regieren?

Die Linke ist zurück. Und sie wird dringend gebraucht. Das ist spätestens seit der verunglücktem Kanzlerwahl klar, als Friedrich Merz und die Koalition nur mit Stimmen der Linkspartei an der AfD vorbei einen zweiten Wahlgang am selben Tag anberaumen konnte. Schon bald wird die Merz-Koalition wieder Stimmen der Linken für eine Zweidrittelmehrheit brauchen: Wenn nämlich im Sommer die Wahl eines neuen Verfassungsrichters ansteht – und mittelfristig für die Schuldenbremse, deren Reform noch in diesem Jahr vorbereitet werden soll. Die Linke hat gezeigt, dass sie grundsätzlich bereit ist zu kooperieren – selbst mit der CDU, gegen die sie im Wahlkampf noch so gewettert hat. Aber würde sie in Zukunft auch selbst mitregieren?

Den Parteitag in Chemnitz geht die Linke mit großem Selbstbewusstsein an. Nach dem Einlaufen zu Eminems „Guess who’s back“ jubelt Heidi Reichinnek : „Es ist so ein verdammt gutes Gefühl, mal wieder etwas gewonnen zu haben!“ Und: „Die Linke ist die Zukunft!“ Die sächsische Landesvorsitzende Susanne Schaper bringt auf den Punkt, worum es nach dem Comeback nun geht: „Nachdem wir gezeigt haben, dass wir mit Niederlagen umgehen können, müssen wir nun zeigen, dass wir mit Erfolg umgehen können.“ Heißt das, dass man in Zukunft mitregieren will? Die Linke denke anders, sagt Parteichefin Ines Schwerdtner Table.Briefings. Es gehe ihr nicht um das Regieren, sondern ums Verändern. Ergo: Das Regieren schließt die Partei nicht aus.

Der zentrale Wahlkampfspruch lautete genau so: Alle wollen regieren, wir wollen verändern. Das sei missverständlich formuliert, sagen einige. Wer es so verstehe, dass die Linke partout nicht mitregieren wolle, liege falsch. Wenn es darum gehe, die AfD zu verhindern, wäre die Linke dabei. Dies, so verteidigt sich die Parteispitze, sei auch der Grund für die Zusammenarbeit mit Merz gewesen, für die es in Chemnitz durchaus Kritik gibt. Aber wäre die Partei im Kampf gegen die AfD auch bereit, noch enger mit der Union zu paktieren? In dem Leitantrag, der auf dem Parteitag beschlossen wird, heißt es, dass man die soziale Opposition sein will. Der Begriff ist nicht unbedacht gewählt. Denn selbst in Regierungsfunktion lässt es sich soziale Opposition bleiben – zur Not auch zu seinem Regierungspartner. So glauben jedenfalls linke Vordenker.

Ob die Partei eine Regierungsbeteiligung anstrebt, wird sich erst nächstes Jahr abzeichnen, wenn der Programmprozess beginnt. Er soll bis 2027 abgeschlossen sein. Dem entgegen dürfte jedoch das grundlegend andere Gesellschaftsverständnis der Partei stehen, die sich in einem Leitantrag einmal mehr dem Sozialismus verschreibt. Immer wieder ist in Chemnitz die Rede davon, den Kapitalismus zu überwinden. Großes Feindbild ist Friedrich Merz und sein „Lobbyisten-Kabinett“. Parteichef Jan van Aken teilt in seiner Rede aus: „Wenn Merz in seinem Privatflieger nach Sylt fliegt, dann schwebt er da oben über den Wolken. Der weiß gar nicht, wie es uns hier unten geht.“

Groß ist die Sorge davor, dass die eigene Glaubwürdigkeit verloren gehen könnte, würde man mitregieren. Deswegen konzentriert man sich weiterhin auf linke Kernfrage, will sich zu einer „organisierenden Klassenpartei“ ausbauen, neue Orts- und Kreisverbände in der Fläche aufbauen. Das Motto des Parteitages lautet „Hoffnung organisieren“, Schwerdtner sagt sogar einmal: „Wir sind die Hoffnung." In seiner Rede berichtet van Aken von einer älteren Frau aus Baden-Württemberg, die sich das 9-Euro-Ticket zurückwünscht, damit Sie wieder ihre Freunde besuchen und in Museen gehen könnte: Es war ihr Rezept gegen die Einsamkeit.

Laut beschlossenem Leitantrag will die Linke in Zukunft noch viel mehr Menschen zusammenbringen und sie im Alltag unterstützen: mit Sozialsprechstunden, kostenlosen Frühstücken, Nachbarschaftsfesten und Online-Angeboten wie der Mietwucher-App, bei der Mieter überprüfen können, ob ihre Miete zu hoch ist und dies per Mausklick direkt ans betreffende Wohnungsamt gemeldet wird. Dass diese Strategie auch im Wahlkampf erfolgreich war, ist mehr als nur ein positiver Nebeneffekt. Die Linke inszeniert sich als Kümmerpartei. Nicht ohne Grund: Nicht nur linke Politstrategen empfehlen eben jene Präsenz vor Ort immer wieder als effektives Mittel gegen die AfD.

Bis jetzt fährt die im vergangenen Jahr angetretene Parteispitze gut mit der Erneuerung der Partei. Aber ihre vermutlich größte Aufgabe steht erst noch bevor: die vielen neuen Mitglieder einbinden und Antworten auf den demographischen Wandel finden. Mittlerweile leben 62 Prozent der Mitglieder im ehemaligen Westdeutschland. Die Frauenquote von 44,6 Prozent und ein Altersdurchschnitt von 38,9 Jahren können sich im Vergleich zu den anderen Parteien sehen lassen. Allein seit Jahresbeginn sind 55.000 Mitglieder eingetreten. Kurz nach dem Wagenknecht-Austritt lag die Partei bei knapp über 50.000, heute sind es 112.000 –eine Verdopplung in kürzester Zeit. Auch bei den Umfragen läuft es gut: Seit mehreren Wochen steht die Linke bei zehn Prozent, besser als ihr Bundestagswahlergebnis und nur hauchdünn hinter den Grünen.

Die neuen Mitglieder waren bei diesem Parteitag noch nicht dabei, weil Delegierte immer auf zwei Jahre bestimmt werden. Während der Parteinachwuchs heranwächst, scheinen die Älteren reifer zu werden. Der Umgang in der Linken, das betonen Funktionäre immer wieder, verändere sich gerade. Man ginge jetzt viel netter miteinander um. Schaper erinnert die Delegierten nochmal daran: „Wir brauchen kein „Ene mene muh, ich bin viel linker als du“ mehr“. Vorsitzende und Chef-Strategin Schwerdtner nennt es die neue „revolutionäre Freundlichkeit“, die die Partei laut Leitantrag nach innen und außen etablieren will. Sie sagt: „Wir müssen lernen, um unsere Positionen zu ringen, ohne dass sie uns zerreißen.“ Und in der Tat, es gibt weder fiese Sticheleien noch endlose Diskussionen. Hört man sich in Parteikreisen um, liegt die neue Freundlichkeit vor allem an dem Ausscheiden der angeblich streitsüchtigen Wagenknecht-Leute, denen niemand hinterhertrauert.

Weniger Streit führt auch zu mehr Effizienz: Frühzeitig wurde der Parteitag, anders als ursprünglich geplant, auf anderthalb statt drei Tage angesetzt. Die sonst üblicherweise ausdauernde Generaldebatte wurde deutlich gekürzt, damit die neuen Parteistars Heidi Reichinnek, Ines Schwerdtner, Jan van Aken und Sören Pellmann längere Redeslots bekommen. Das ist Teil der neuen Strategie, die sich im Wahlkampf bewährt hat. „Fokus, Fokus, Fokus“ wird in so manchem Redebeitrag zwar kritisiert – aber immer in neurevolutionär-freundlichem Ton.

Es gibt ein Team parteinaher Influencer, die die Inhalte der Partei in die sozialen Medien tragen und die Partei-Helden wie Popstars abfeiern. Damit waren sie im Wahlkampf so erfolgreich, dass Reichinnek, van Aken und die Silberlocken zu Internet-Phänomenen wurden. Den popkulturellen Hype versucht die Partei in Chemnitz weiterzutragen, unter anderem mit einem mit einem großen Merchandisestand: Mietendeckel-Schals, kleine Duplikate der Chemnitzer Karl-Marx-Statue und das T-Shirt mit „Tax the Rich“-Aufschrift, das van Aken fast den gesamten Wahlkampf über trug.

Die Zuspitzung auf wenige, zentrale Figuren ist in der Politik mittlerweile üblich. Doch ein Stück weit beißt sich das mit dem linken Selbstverständnis. Auf der Bühne sollen sich nochmal die fünf Gewinner der Direktwahlkreise feiern lassen. Nur Gregor Gysi ist nicht da. Seiner statt könnten die Wahlkreismitarbeiter kurz aufstehen. „Niemals allein, immer gemeinsam“, ruft jemand ins Mikro. Das war der Wahlkampfslogan, mit dem sich die Delegierten gegenseitigen anfeuerten. Als Gysis Helfer sich erheben, bekommt das niemand mit, weil gerade die Stars aus der ersten Reihe auf der Bühne gefeiert werden. Die Linke ist ganz auf ihrem neuen Kurs angekommen, könnte man meinen – doch so einfach ist es nicht.

Zwischendurch bröckelt die neue Harmonie nämlich doch. Eine Gruppe Delegierter erzwingt eine Abstimmung darüber, dass die nicht unumstrittene Jerusalemer Erklärung künftig als Grundlage für die Definition von Antisemitismus verwendet werden soll – gegen den Wunsch des Parteivorstandes. Sie ist knapp erfolgreich. Zuvor hatte es mehrere Anträge zum Thema Palästina gegeben, die der Vorstand aber alle im Stillen befrieden und in einen gemeinsamen Antrag zusammenfassen konnte. Im Vorfeld des Parteitages hatte das Vorstandsmitglied Ulrike Eifler auf X eine Karte Israels und Palästinas gepostet, deren gesamte Fläche mit den Flaggenfarben Palästinas eingefärbt war. Daraufhin hatte der Vorstand am Vorabend des Parteitages eine Erklärung abgegeben, in der Eifler gefordert wurde, den Post zu löschen.

Vor dem Gelände campiert die Gruppe „Chemnitz für Falastin“, eine pro-palästinensische Gruppe. Dort treffen sich Linke, die nicht in der Partei sind, weil sie mit der Position der Partei zum Nahostkonflikt unzufrieden sind. Sie demonstrieren gegen den „Völkermord, an dem Deutschland beteiligt ist“. Hier wie auch unter den Delegierten sieht man viele Kuffiyas, Palästinensertücher. Carola Rackete hält eine kurze Rede an dem Protestcamp. Sie ist kein Mitglied der Linken, aber für diese im Europaparlament. „In der Fraktion The Left kann ich niemandem erklären, warum die Position der Linken so ist, wie sie ist“, sagt Rackete.

Bei der Linken scheint zwar vieles neu, aber einige Dinge bleiben doch beim Alten. Bislang aber ist die Parteispitze schon froh, dass ihre Strategie aufgeht und größere Skandale ausbleiben. Eine Dreiviertelstunde vor dem Zeitplan wird der Leitantrag mit großer Mehrheit beschlossen. Obwohl darin durchaus kontroverse Dinge stehen, wie eine Mandatszeitbegrenzung auf drei Wahlperioden. Es ist ein krasser Gegensatz zu früheren Parteitagen, als jede Kleinigkeit bis ins Detail und oft in gereiztem Ton ausdiskutiert wurde.

Das Kalkül bei der Kooperation mit der Union, das machte der Parteivorstand deutlich, war weder Staatsverantwortung noch eine strategische Normalisierung der Zusammenarbeit mit den Konservativen, sondern die Verhinderung einer Chaossituation wie dem „Kemmerich-Moment“. So versichern es Führungsleute der Partei. Noch offen ist, wie sich die vielen neuen Mitglieder mit ihren Erwartungen in den kommenden Jahren einbringen. Für den Moment konzentriert sich die Partei auf eine Form der Professionalisierung und hält sich strategisch alles offen – zumal niemand weiß, wie die Neumitglieder zum Regieren stehen.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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