Table.Media: Warum braucht es Ihrer Meinung nach diese „fundamentale Erneuerung des Staates“?
Nadine Schön: Unser Staat befindet sich in einer Komplexitätsfalle: Die Veränderungen sind groß und schnell, die staatlichen Strukturen langsam und komplex. Wenn wir mit dem Tempo weniger demokratischer Staaten und der Innovationskraft anderer Regionen mithalten wollen, dann müssen wir unsere staatlichen Strukturen ändern, um schneller und besser zu werden.
Hauptaugenmerkt des Buches liegt auf der Modernisierung der Verwaltung und der Gesetzgebung – was ist der konkrete Vorschlag in dem Buch, wie das gelingen kann?
Wir machen in unserem Buch insgesamt 103 Vorschläge in den unterschiedlichsten Bereichen: Vorschläge zur Bildung und der Arbeitswelt der Zukunft, dem Umgang mit KI und einer innovationsoffenen Regulierung von Daten, Vorschläge zur Stabilisierung unseres Rentensystems und für eine bessere Innovationspolitik, Gründung und Wachstum von Start-ups. In der Tat machen wir einen großen Aufschlag mit Blick auf die Modernisierung der staatlichen Strukturen. Den einen konkreten Vorschlag, den man befolgen muss, damit alles besser wird, gibt es leider nicht. Wir haben ein Gesamtkonzept entwickelt, das wir den „lernenden Staat“ nennen. Das ist unser Leitbild.
Was besagt es?
Der lernende Staat ist dynamisch und datengetrieben, flexibel und faktenbasiert. Politische Entscheidungen werden nach Faktenlage getroffen und nicht nach politischem Gusto. Sie orientieren sich an Zielen, die transparent gemacht werden. Politische Maßnahmen werden bis zum Ende durchgedacht. Der Lernende Staat überprüft so sein Handeln permanent und in häufigen Zyklen. Was nachweislich geklappt hat, wird beibehalten. Strukturen und Maßnahmen, die behindern oder ihr Ziel verfehlen, werden angepasst.
Bücher schreiben kann jeder, und damit erfolgreich sein, aber so löst man ja nicht wirklich Probleme – was will das Buch bewirken?
Die Neustaat-Initiative entstand zu einer Zeit, in der wir als Union in Regierungsverantwortung waren. Wir haben die Zeichen der Zeit gesehen, uns kritisch damit auseinandergesetzt und aus unserem Handeln heraus konkrete Lösungsvorschläge entwickelt. Festzustellen an welchem Punkt wir waren und den Berg an Aufgaben zu benennen, der zur Erneuerung des Staates führt, war alles andere als bequem. Aber es war notwendig. Von anderen Parteien, die ja ebenso wie die Union im Bund und in den Ländern Regierungsverantwortung getragen haben, gab es einen solchen Aufschlag nicht. Von keiner.
Hat es konkrete Veränderungen bewirkt?
Wir haben noch in der alten Legislaturperiode mit der Umsetzung begonnen. Die Registermodernisierung, der Gov Tech Campus, die Datenstrategie und viele weitere politische Initiativen haben ihren Ursprung in Neustaat. Und die Vorschläge wurden auch zu großen Teilen in das Wahlprogramm der Union aufgenommen. Die Ampel hat das glücklicherweise in ihrem Koalitionsvertrag aufgegriffen. Leider fehlt die politische Kraft, die das Thema Staatsmodernisierung zu ihrem Thema macht und vorantreibt. Die ausgerufene Zeitenwende wäre Anlass genug gewesen, dieses große Thema anzupacken. Leider nehme ich das derzeit nicht wahr.
Eine große Rolle spielt die Digitalisierung – wie soll die für den Neustaat genutzt werden?
Die digitalen Möglichkeiten, die wir heute haben, sind eine große Chance für den Staat. Wir können Daten nutzen und viel besser als noch vor einigen Jahren datenbasiert steuern und die Wirksamkeit politischer Maßnahmen monitoren. Das führt zu einer neuen Transparenz und braucht den politischen Mut, klar zu sagen, welche Ziele man mit einer Maßnahme erreichen will und nachzubessern, wenn die Wirkung nachweislich nicht eintritt.Digitalisierung bietet auch die Chance, die Silos aufzubrechen und besser zwischen den Ministerien und im föderalen Gefüge zusammenzuarbeiten. Kollaboration und Kooperation sind durch digitale Werkzeuge leichter möglich – dazu muss aber auch der gesetzliche Rahmen angepasst werden und die Kultur muss sich ändern. Mit dem Digitalservice, dem Gov Tech Campus und vielen weiteren Initiativen sind hier schon gute Grundlagen gelegt. Darauf muss jetzt aufgebaut werden.Wir schlagen außerdem vor, jedes Gesetz in einem digitalen Verlaufschart abzubilden und die digitale Umsetzung gleich mitzudenken. Deshalb ist der Digitalcheck so wichtig, das kann aber nur der Anfang sein. Ich bin überzeugt davon, dass wir mit konsequenter Digitalisierung bessere und praxistauglichere Gesetze schaffen.Und am Ende bietet Digitalisierung auch die Chance, Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen zu entlasten. Daten müssen nicht immer wieder von neuem eingeben werden, wenn der Staat in der Lage ist, einen Datenaustausch zu organisieren. Dazu dient die Registermodernisierung, die noch in der alten Legislaturperiode beschlossen wurde.
Wie unterscheidet sich das von den Konzepten, die zurzeit implementiert werden?
Das meiste, das zurzeit implementiert wird, beruht noch auf unseren Vorarbeiten. Es ist gut, dass die Koalition das fortsetzt. Leider fehlt aber bei vielen Themen der Schwung. Die Umsetzung der Registermodernisierung tritt seit 1,5 Jahren auf der Stelle, der Digitalcheck hat noch keine Wirkung entfaltet. Ich nehme wahr, dass die Fraktionen an vielen Stellen uneinig sind. Dabei müsste man den begonnenen Schwung mitnehmen und im Sinne der Zeitenwende verstärken.
Welche Rolle spielt der Klimawandel bei dem Ganzen Vorhaben?
Der Klimawandel ist eine der großen Herausforderungen, die eine Staatsmodernisierung verlangen. Damit der Klimawandel zu bewältigen ist, müssen Verwaltungsverfahren beschleunigt werden und Themen ganzheitlich angegangen werden. Effizienz beim Ausbau von Erneuerbaren ist nicht zuletzt an der Digitalisierung, Automatisierung und Vereinfachung von Prozessen in Behörden geknüpft. Außerdem müssen unsere Energienetze intelligent werden. Die Nutzung von digitalen Instrumenten kann einen großen Beitrag im Bereich der bedarfsgerechten Stromproduktion leisten und die Effizienz in der Planung des Energiemixes steigern. Übertragung, Speicherung und Verbrauch von Strom informationsgesteuert durch intelligente Netzwerke zu optimieren wird dringend notwendig sein, wenn wir Dezentralität ernst nehmen.
Einige Ideen – mehr Venture-Capital, für Start-ups, Kapitalstock für die Rente – könnten auch von der FDP geschrieben worden sein. Wo ist die Handschrift der CDU?
Dass die FDP ähnliche Konzepte hat, macht sie nicht falsch. Unsere Doppelrente haben wir vor der Präsentation der Aktienrente vorgestellt. Aber am Ende ist egal, von wem die Idee stammt: wichtig ist, dass sie umgesetzt wird.