Berlin.Table: In Berlin hat die Unzufriedenheit mit dem rot-grün-roten Senat der CDU massive Stimmenzuwächse beschert. Zugleich hätte die bisherige Koalition aus SPD, Grünen und Linken aber eine Mehrheit, um weiterzumachen. Welche Botschaft sendet das Berliner Wahlergebnis?
Wolfgang Schroeder: Das ist eine Protestwahl gewesen. Die machtpolitischen und die gefühlten Wahrnehmungen scheinen nicht zusammenzupassen. Die Leute sind unzufrieden mit der Organisation des öffentlichen Raumes. Vor allem gilt dies für den Umbau beim Verkehr und im Wohnungssektor. Gefordert wird eine pragmatische und schnellere Politik, die den Problemen, inklusive der damit einhergehenden Betroffenheiten, Rechnung trägt. Was die Menschen dagegen nicht wollen, ist eine rein utopistische Ankündigungspolitik, die die dringlichen Probleme der Gegenwart und die Gefühlslagen der Betroffen ignoriert.
Die CDU hat nicht aus eigener Stärke gewonnen, sondern als Protestpartei und damit wohl ein besseres Wahlergebnis der AfD verhindert. Wie gefährlich wäre es, diesen Protest zu ignorieren, indem die bisherige Koalition einfach weitermacht?
Einfach weitermachen geht nicht. Selbst wenn es am Ende darauf hinausläuft, dass die bisherige Koalition weiter regiert, müsste es sichtbare Signale an die Gesellschaft geben. Nach dem Motto: Wir haben verstanden und wir planen in entscheidenden Punkten Kursänderungen und sind auch in der Lage, diese umzusetzen. Das Vertrauensverhältnis zur Gesellschaft in Berlin ist gestört, und wenn man einfach weitermachen würde, sehe ich nicht, wie sich das reparieren ließe.
Nun hat auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey am Wahlabend das Signal ausgesendet, dass es ein „Weiter so“ nicht geben könne. Aber wie soll das gehen, bei drei Partnern, von denen jeder seine Spezialanliegen verfolgt?
Diese Regierung hat in vielen Fragen keinen Konsens. Und wenn SPD, Grüne und Linke bei einer Wiederauflage dieser Koalition nicht glaubhaft machen können, wie sie diesen Konsens beim Umbau der Stadt herstellen können und damit einen ernsthaften Lernprozess dokumentieren, dann wird es schwierig, die Protesthaltung eines relevanten Teils der Bevölkerung aufzubrechen und Vertrauen herzustellen.
In Berlin hat dieses Mal nicht der Gegensatz zwischen Ost und West die Hauptrolle gespielt, sondern eine Spaltung zwischen Innen und Außen. In den Außenbezirken dominiert die CDU, im Stadtzentrum die Grünen. Würde es da nicht auf der Hand liegen, trotz aller politischen Gegensätze eine schwarz-grüne Koalition zu bilden?
Bevor man jetzt die Farbenlehre bedient, müsste man erst einmal herausarbeiten, was die dringendsten Fragen und Aufgaben sind, die angegangen werden müssen. Und zwar sowohl im Hinblick auf defizitäre Entwicklungen bei der Funktionsweise der Stadt als auch im Hinblick auf die Bedürfnisse und Erwartungen der Bevölkerung. Denn der Wahlkampf hat dazu wenig beigetragen. Im Mittelpunkt haben nicht konkrete Lösungsvorschläge zum Umbau der Stadt gestanden, sondern viele plakative Übertreibungen zum Zustand der Stadt. Das Bild von der Stadt als einem Failed State ist natürlich absurd. Eine künftige Regierung muss die Aufgaben der nächsten Jahre präzise benennen und den Handlungsspielraum, den die Politik hat, beziehungsweise den sie braucht, um ihre Hausaufgaben zu machen.
Was bedeutet das Wahlergebnis speziell für die Grünen? Sie würden sich gerne zur Volkspartei entwickeln, aber das Ergebnis in Berlin zeigt ganz deutlich, dass sie eine Partei für bestimmte, besserverdienende urbane Milieus sind. Sind die Grünen vor allem eine Klientelpartei und damit der FDP viel näher als sie das selber wahrhaben wollen?
Die Grünen in Berlin sind eine zutiefst konservative Partei, die in diesem Wahlkampf einmal mehr bewiesen hat, dass sie sich selbst genügt. Sie haben in der Endphase einen fulminanten Angstwahlkampf geführt, der jedem Autofahrer die Schweißperlen auf die Stirn getrieben hat, weil alle dachten, jetzt werden Fußgängerzonen wie in der Friedrichstraße überall in Berlin eingerichtet. So einen Klientelwahlkampf gibt es eigentlich bei den Grünen in anderen Regionen selten. Dabei hätten die Grünen in Berlin das Potenzial, locker die Mehrheitspartei in dieser Stadt zu sein, wenn sie eine flexiblere, offenere Politik machen würden, die auch die Ängste eines wesentlichen Teils der Bevölkerung ernst nimmt.
Hauptverlierer ist ohne Zweifel die SPD und allen voran die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey. Ihre Popularitätswerte sind schwach, sie konnte keinen Amtsbonus entwickeln und hat auch ihren eigenen Wahlkreis an einen unbekannten CDU-Bewerber verloren. Ist Giffey noch die Richtige an der Spitze, sollte es zu einer Fortsetzung von Rot-Grün-Rot kommen?
Dass Giffey von ihrer eigenen Partei gestürzt wird, sehe ich nicht. Im Moment gibt es in der SPD vermutlich keine überzeugende Alternative zu ihr. Giffey hat ohne Frage nicht so gezogen, wie es erwartet wurde. Es gibt aber plausible Hinweise, dass es ohne sie noch schlimmer ausgesehen hätte.
An einen Noteinsatz eines SPD-Bundespolitikers glauben Sie nicht? Auch das hat es in Berlin ja schon einmal gegeben, als Anfang der 80er-Jahre Hans-Jochen Vogel nach Berlin geschickt wurde.
Das müssen die Berliner schon selbst klären. Da wird sie kein höheres Wesen retten. Das gilt auch für ihre programmatische Orientierung. Offensichtlich ist ja, dass sich die SPD in Berlin zu sehr an die grüne Programmatik hängt, statt eine eigene überzeugende, integrative sozialdemokratische Perspektive zu entfalten. Giffeys Problem war, dass sie eine solche Perspektive zwar selber teilweise gehabt hat, damit aber in der SPD nicht hinreichend mehrheitsfähig ist. Wenn sich daran nichts ändert, bleibt sie eine Königin ohne Land.