Analyse
Erscheinungsdatum: 29. November 2024

D-Day-Affäre: Wie und warum die Liberalen jetzt ums Überleben kämpfen 

Doppelrücktritt in der FDP: Nach zunehmendem Druck durch ein öffentlich gewordenes „D-Day-Papier“ stellen Generalsekretär Bijan Djir-Sarai und Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann ihre Ämter zur Verfügung. Nachfolger stehen noch nicht fest, doch die Debatte darüber läuft in der Partei bereits.

Nun wurde der Druck doch zu groß. Bijan Djir-Sarai ist vom Amt des FDP-Generalsekretärs zurücktreten. Und hat sogleich den Versuch unternommen, für die komplette FDP-Spitze die Verantwortung für das umstrittene Papier zu übernehmen. Allerdings nicht ohne den Zusatz, auch er habe bis zum Schluss nichts von der Existenz und dem Inhalt des Papiers gewusst. „Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert. Dies war nicht meine Absicht, da ich selbst keine Kenntnis von diesem Papier hatte – weder von der Erstellung noch von der inhaltlichen Ausrichtung“, erklärte Djir-Sarai. Er übernehme die politische Verantwortung, „um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der der FDP abzuwenden“.

Ausschlaggebend für das Trudeln der FDP ist das D-Day-Papier aus der Parteizentrale, über das Table.Briefings am Donnerstagnachmittag zuerst berichtet hatte. Darin wurde detailliert aufgelistet, wie Choreografie und Ablauf für den „D-Day" aussehen sollte, an dem die FDP aus der Koalition aussteigen wollte. Nach der Veröffentlichung versuchte die Partei zunächst die Flucht nach vorn: Sie stellte das Dokument selbst auf ihre Website, zusammen mit einem Statement von Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann, der der Autor der Powerpoint-Präsentation sein soll.

In einer internen Mail an die Parteimitglieder übernahm er dafür die Verantwortung – und beteuerte zugleich, dass die Parteiführung nichts davon gewusst habe. „Es handelt sich hierbei um ein Arbeitspapier, dass wir auf Ebene der Mitarbeiter erstellt und auch nur in diesem Kreis diskutiert haben. Es war nie Gegenstand der Beratungen der Parteiführung.“

Es war wohl der letzte Versuch, Djir-Sarai zu schützen. Dieser hatte nach den ersten Berichten über Planungen zum gezielten Koalitionsbruch in einem Interview mit n-tv noch erklärt, der Begriff „D-Day“ sei von der Partei nicht benutzt worden und entsprechende Berichte als „falsch“ zurückgewiesen. Doch nach Veröffentlichung des detaillierten, achtseitigen Papiers am Donnerstag war diese Beschreibung der Lage nicht mehr zu halten. Zu sehr verfestigte sich mit dem Papier der Eindruck, die FDP-Führung habe die Wähler über ihre wahren Absichten getäuscht.

Hinzu kam, dass sich auch die eigenen Leute abwendeten. Franziska Brandmann, Vorsitzende der Jungen Liberalen, forderte am Freitagmorgen als erstes prominentes Parteimitglied öffentlich den Rücktritt Djir-Sarais: „Auch ich wurde getäuscht“, schrieb sie in einem Statement in den sozialen Medien. „Um weiteren Schaden von der Partei abzuwenden“, habe sie den Generalsekretär zum Rücktritt aufgefordert. Er trage die „politische Verantwortung für die Inhalte und die Ausrichtung der Partei“. Auch Brandmann war durch die Veröffentlichung am Donnerstag in Bedrängnis geraten, da sie in einem Spiegel -Interview erklärt hatte, dass alle beteiligten Personen ihr versichert hätten, „dass sie von diesem Wort nichts gewusst und es auch nicht gesagt haben“.

Im Anschluss an Djir-Sarai trat dann auch Reymann zurück. „Ich tue dies, weil ich eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte“, erklärte er in einem schriftlichen Statement. Zu seinem Papier und eigenen Fehlern äußerte er sich nicht. Reymann hatte das Amt des Bundesgeschäftsführers erst im März dieses Jahres übernommen, nachdem sein Vorgänger Michael Zimmermann als Kommunikationschef ins Bundesbildungsministerium gewechselt war.

Reymann ist ein langjähriger Wegbegleiter Lindners. Er leitete zuvor bereits sein Büro als Fraktionsvorsitzender und anschließend die Planungsabteilung im Finanzministerium. Hinter vorgehaltener Hand hatten sich Fraktionsmitglieder schon seit mehreren Monaten besorgt geäußert, dass Mitarbeiter der Parteizentrale in Ministerien abgewandert seien und deren Kompetenz im Hans-Dietrich-Genscher-Haus nun für den Wahlkampf fehle.

Wer Djir-Sarai nachfolgt, war unmittelbar nach dessen Rücktritt noch offen. Es verdichten sich aber die Hinweise, dass Marco Buschmann das Amt und damit auch die Rolle des Chef-Wahlkämpfers übernehmen wird. Buschmann kennt die Parteizentrale und das auch noch aus schweren Zeiten. Als die FDP 2013 aus dem Parlament geflogen war, übernahm er nur wenige Monate später die Rolle des Bundesgeschäftsführers. Existenzkampf ist Buschmann also nicht fremd. Allerdings gibt es in der Bundestagsfraktion auch Stimmen, die ihn nicht für eine gute Lösung halten. Ein Abgeordneter sagte Table.Briefings am Freitag: „Es braucht neue Gesichter. Ein Ex-Minister ist das nicht.“

Der Rücktritt Djir-Sarais soll der Partei in ihrem politischen Überlebenskampf Luft verschaffen. Aber die Frage nach der Verantwortung des Parteichefs ist damit nicht beantwortet. Christian Lindner hatte die ersten Berichte von Zeit und SZ als irrelevant abgetan, sie jedoch nicht in derselben Schärfe wie Djir-Sarai dementiert. Lindner kann nur hoffen, dass der Wechsel beim Generalsekretär, der gleichzeitig auch der oberste Wahlkampf-Manager ist, auch für ihn ein Befreiungsschlag wird. In Umfragen hat der Koalitionsbruch bislang nicht auf das Konto der Liberalen eingezahlt. In der Partei war in den vergangenen Tagen allenfalls leichtes Grummeln über den Parteichef zu vernehmen, doch in der FDP wissen sie, dass sie keinen besseren Wahlkämpfer in ihren Reihen haben und sich bislang auch niemand ernsthaft als Nachfolger in Position gebracht hat.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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