Foto: IMAGO / Metodi Popow
Wenn Clara Bünger gefragt wird, warum sie Politikerin geworden ist, erzählt sie von Verfolgungsjagden. „Ich weiß, wie es ist, in einem Dorf im Osten komplett allein gelassen zu werden mit all den Neonazis“, sagt sie. Sie habe die Baseballschlägerjahre miterlebt. Aufgewachsen ist sie im sächsischen Freiberg im Erzgebirge, und zwar in den Neunzigern, als die DDR zusammengebrochen war. Damals tauchten aus ihren Ruinen Neonazis auf, die den Frust und die Angst der Menschen kanalisierten. „Die einzige Partei vor Ort damals, das war die Linke.“ SPD, Grüne auch die CDU weit weg im Westen oder auf der Regierungsbank.
Bünger ist 35 Jahre alt, wirkt in ihrem Auftreten aber älter. Das liegt vor allem an ihrer Ernsthaftigkeit und dem Selbstbewusstsein, das sie ausstrahlt. Man könnte es auch als Härte beschreiben, die sich Berufspolitikerinnen vielleicht zulegen müssen. Bei ihr spürt man eine große Dringlichkeit, mit der sie über ihre Jugend und über ihr großes Thema, die Flüchtlingspolitik spricht. Man merkt, das sind Gefühle dahinter, man merkt, es bewegt sie wirklich. Wenn Partei- und Fraktionsführung davon sprechen, dass sie neue Gesichter brauchen, die linke Ideen glaubwürdig vertreten können – Bünger wäre so ein neues Gesicht.
Mit fünfzehn gründete sie ihre erste Bürgerinitiative, als ein NPD-Chef ein Tagungszentrum im Ort nutzen wollte. Die PDS habe Geld gegeben, zum Beispiel für Flugblätter. „Kein Frieden mit Nazis“, habe drauf gestanden. Die Grünen im Ort hatten geantwortet: „Kein Frieden, heißt ja Krieg“; das ginge für eine pazifistische Partei wie die Grünen nicht. Für Bünger war das im Kampf gegen die NPD kein stichhaltiges Argument.
Glaubt sie, dass die Linke das heute immer noch ist? Eine Partei, die einer 15-jährigen Clara Bünger in einer Kleinstadt in Ostdeutschland ein politisches Zuhause geben würde? Sie denkt einen Moment nach. „In vielen Regionen auf jeden Fall.“ Trotzdem sei eine aktive Aufbauarbeit versäumt worden. Deshalb fehle der Partei nun ein Mittelbau. Jetzt müssten dringend Brücken gebaut werden zwischen neuen Mitgliedern und jüngeren Menschen – und denen, die schon sehr lange dabei sind. Bisher gelingt das allerdings nicht. Im Gegenteil: In der Auseinandersetzung mit Sahra Wagenknecht wird der Graben zwischen den alten PDS-Mitgliedern und jungen „Lifestyle-Linken“, wie manche Jüngeren gerade von Wagenknecht-Sympathisanten genannt werden, für alle sichtbar. Ein Graben, der die Linke zerreißen könnte.
Ihre politische Sozialisierung macht Clara Bünger zu einem natürlichen Mitglied der sogenannten Bewegungslinken. Sie steht der Parteivorsitzenden Janine Wissler nahe. An der Aufstellung der Klima- und Flüchtlingsaktivistin Carola Rackete als Spitzenkandidatin für die Linke bei der Europawahl war sie maßgeblich beteiligt. Beide kennen sich durch ihre Arbeit. Clara Bünger war 2016 selbst auf einer griechischen Insel und gab nach Abschluss ihres Jura-Studiums Geflüchteten Rechtsberatung. Ihr Verein „Equal Rights Beyond Borders“, ist dort weiterhin aktiv. Bünger verzweifelt manchmal fast an diesem Thema. „Ich sehe, wie in Europa die Menschenrechte komplett erodieren, das ist ein Ergebnis des massiven Rechtsrucks.“
Sie ist Sprecherin der Fraktion für Flucht- und Rechtspolitik; für Ihre Arbeit als Fachpolitikerin hört man in der Fraktion viel Lob. Mit 44 Reden im Bundestag im vergangenen Jahr bis zur Sommerpause, liegt Bünger insgesamt auf Platz sechs aller Abgeordneten. Hinter ihren Fraktionskollegen Ralph Lenkert und Gesine Lötzsch. Sie wäre eine, die Verantwortung übernehmen könnte.
Ihre Stärke in ihrem Fachgebiet und die eindeutige Bindung zu einem Parteiflügel wären dafür allerdings eher eine Schwäche. Sie wird nicht als Generalistin wahrgenommen und auch nicht als eine, die Brücken bauen könnte zwischen den Lagern. Gelingen könnte es nur mit einem Co-Vorsitzenden, der diese Schwächen ausgleicht. Hinzu kommt, dass sie erst seit 2022 als Abgeordnete im Bundestag sitzt. Bünger war nachgerückt, als Katja Kipping als Sozialsenatorin in die Berliner Landesregierung wechselte.
Ihre Sichtbarkeit als Politikerin liegt auch an ihrem Fachgebiet. Im Bundestag ist die Linke die einzige Fraktion, die die geplanten Verschärfungen in der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) scharf angreift. Grüne und SPD verhielten sich in dieser Debatte „unerträglich scheinheilig“, sagt Clara Bünger. „Auf der einen Seite behaupten sie, dass ihnen Menschenrechte wichtig sind. Auf der anderen handeln sie aber nicht danach.“ An den Gesetzen sehe man, dass sie ihre Versprechen nicht eingehalten werden.“
Besondere Sorgen macht ihr die geplante Ausweitung der sogenannten sicheren Drittstaaten als Teil der Reform der EU-Asylverfahrensverordnung. Damit könnte der Asylantrag einer ganzen Reihe von Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, ohne inhaltliche Prüfung abgelehnt werden, wenn sie über einen solchen Drittstaat nach Europa kommen. Darunter könnten beispielsweise Staaten wie Marokko oder Tunesien fallen.
Und wenn Sie einen Wunsch frei hätte in der Flüchtlingspolitik? Dann würde sie massiv in die Infrastruktur der Kommunen investieren, „für eine bessere Aufnahme von Schutzsuchenden“, wie sie sagt. „Davon würden alle Menschen profitieren.“