Die Befugnisse der Polizei nach der Strafprozessordnung (StPO) greifen tief in die Bürgerrechte ein. Ob Wohnungsdurchsuchung, Überwachung der Telekommunikation, die Installation von umstrittenen Staatstrojanern auf Computern oder die Beschlagnahme und Auswertung von Mobiltelefonen. Bürgerinnen und Bürger können sich dagegen vor den Gerichten wehren, bis hin zur Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe. Da kann es schon von Interesse sein, ob diese dann beim Ersten Senat landen, der traditionell als liberaler, sprich bürgerfreundlicher gilt, oder beim Zweiten Senat, der den Ruf hat, konservativer zu sein. Nun hat das Bundesverfassungsgericht die Zuständigkeit der beiden Senate verändert. Für die Ermittlungsbefugnisse nach der StPO ist künftig nicht mehr der Zweite, sondern der Erste Senat zuständig.
Bürgerrechtler mögen sich davon eine Rechtsprechung erhoffen, die den Staat bei der Überwachung der Menschen stärker in die Schranken weist. So betont der Bremer Grünen-Politiker Wilko Zicht auf Twitter, der Zweite Senat habe in der Vergangenheit selbst extrem grundrechtsintensive digitale Ermittlungsmaßnahmen wie das Auswerten von Mail-Postfächern und Cloud-Speichern auf Basis des seit mehr als hundert Jahren fast unveränderten § 94 StPO zugelassen. Der Erste Senat verwerfe dagegen immer wieder Gesetze, die dem Staat keine engen und detaillierten Grenzen zögen. „Man darf gespannt sein, ob er diese Linie künftig auch in StPO-Verfahren durchzieht“, schreibt Zicht. „Falls ja, wird der Gesetzgeber einiges zu tun bekommen.“
Die Zuständigkeit der beiden Senate ist im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt. Danach kümmert sich der Erste Senat hauptsächlich um die Grundreche (daher auch „ Grundrechtssenat “ genannt), der zweite dagegen um Streitigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie zwischen Verfassungsorganen untereinander, um Parteiverbotsverfahren und Wahlbeschwerden. Deshalb wird er auch „ Staatsgerichtshof “ genannt Um die Überlastung eines Senats zu vermeiden, kann das Bundesverfassungsgericht jedoch abweichende Regeln treffen, was inzwischen jährlich geschieht.
So wanderten einst die Ermittlungsmaßnahmen nach der StPO vom Ersten zum Zweiten Senat. Nun kehren sie an den Ersten Senat zurück. Der Grund: Der Zweite ist wegen vieler Organklagen der AfD sowie der Erkrankung eines Richters zur Zeit besonders unter Druck. Am Ersten Senat wird fortan die Richterin Yvonne Ott für die StPO-Fälle im Bereich der Inneren Sicherheit zuständig sein. Sie wurde 2016 auf Vorschlag der SPD in das Bundesverfassungsgericht gewählt.
Ob sich dadurch die Rechtsprechung bei der Telekommunikationsüberwachung oder bei Staatstrojanern spürbar ändert, lässt sich noch nicht absehen. Das Rechtsmagazin Legal Tribune Online weist auf die zahlreichen Richterwechsel in Karlsruhe hin, die derzeit erfolgen. Zudem seien die Vorschlagsrechte der Parteien inzwischen für beide Senate gleich – drei Richterstellen pro Senat für die CDU/CSU, drei für die SPD, eine für die Grünen und einer für die FDP. Daher sei fraglich, „ob die unterschiedliche Charakterisierung der beiden Senate noch fortbestehen kann“.