Irgendwie führte an ihm kein Weg vorbei. Alfonso Pantisano, 48, Sohn italienischer Einwanderer und weit über die Hauptstadt hinaus bekannter Aktivist für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender-Menschen, wurde heute zum ersten Queer-Beauftragten der Stadt Berlin ernannt. Voller Stolz vermeldete der Senat am Dienstag hochoffiziell: „Als Regenbogen-Hauptstadt ist Berlin Vorreiterin in Sachen Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sowohl in der Bundesrepublik als auch Europa." Pantisano solle Ansprechperson für die queeren Communities sein, als Sprachrohr fungieren und auf Landes- und Bundesebene repräsentieren.
Schon bei den Koalitionsverhandlungen hatte Pantisano intensiv für seinen Themenbereich gestritten. Dass es demnächst in Berlin einen Magnus-Hirschfeld-Tag (14. Mai) geben wird, einen Ehrentag für den 1933 aus der Stadt gejagten Arzt und Sexualwissenschaftler, hatte er in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Ebenso die Stelle, die er nun besetzt, die Landesstrategie für queere Sicherheit oder den Runden Tisch zum Schutz vor queerfeindlicher Hasskriminalität. Am Ende der Verhandlungen stand so viel in der schwarz-roten Geschäftsgrundlage, dass der Lesben- und Schwulenverband Berlin einen „queerpolitischen Aufbruch“ feierte. Daran wird Pantisano nun gemessen werden. Daran will er sich messen lassen, wie er sagt.
Gradlinig ist seine Biografie nicht unbedingt verlaufen. Eher ziemlich kompliziert. Und sie hat doch viel mit seinem Engagement heute zu tun. 1974 in Waiblingen geboren, beide Eltern ohne Schulabschluss, 1981 ins Internat ins Trentino geschickt worden, danach zwei Jahre mit den Eltern in Kalabrien, aber 1986 Rückkehr nach Waiblingen, „ohne ein Wort Deutsch“, wie er sagt. Als Kind wird er gehänselt, auch von der eigenen Verwandschaft, er interessiere sich für Mädchenthemen, er bewege sich wie ein Mädchen, er weine zu häufig.
Mit 19 Jahren erlebt er sein Coming Out, seine Eltern werfen ihn aus dem Haus, sein 14jähriger Bruder Luigi heult wie ein Schlosshund, als Alfonso die Tür hinter sich schließt. 17 Jahre dauert es, bis er seinen Lebensgefährten mit nach Hause bringen darf. Seine Eltern entschuldigen sich bei ihm. Über sie sagt er: „Sie sind einen riesigen Weg gegangen.“ Es sind Jahre, die ihn geprägt und Narben hinterlassen haben.
In dieser Zeit hat er gelernt zu kämpfen, sich rhetorisches Geschick zuzulegen. Manche würden es „eine große Klappe“ nennen. Es ist immer auch ein bisschen Überlebenstrieb. Er sagt: „Ich musste immer über mich sprechen. Ich hatte nie einen Anwalt.“ Und natürlich habe er „auf die Fresse gekriegt“. Heute sagt er, und es ist Auftrag für ihn: „Ich tue, was ich tue. Kein Kind soll durchmachen, was ich durchgemacht habe.“
Für den erschütterten Luigi, heute Gemeinderat in Stuttgart und auch mal Bürgermeisterkandidat (wie neulich in Konstanz), wurde damals klar, „dass er in die Politik gehen muss, um die Gesellschaft zu ändern“. So sagt es der große Bruder, der immer Vorbild war und den mit Luigi bis heute viel verbindet.
Pantisanos persönlich-politisches Engagement erwacht im Jahr 2013, als Vladimir Putin in Moskau Anti-Homo-Gesetze erlässt. Im Jahr darauf ist er maßgeblich dabei, als Queer-Aktivisten während der Winterspiele in Sotschi 16 Tage lang eine „Rainbow-Flame“ am Brandenburger Tor brennen lassen. Die Berlinale, die gleichzeitig stattfindet, und die Schauspieler, die herüberkommen, verleihen der Mahnwache weltweite Aufmerksamkeit.
2017 erhält er die deutsche Staatsbürgerschaft; weil er länger in London gelebt hat, mit Hilfe einer Fristverkürzung, die ihm der Regierende Bürgermeister Michael Müller gewährt. Ausgerechnet der Sozialdemokrat Müller, den Pantisano zwei Jahre vorher hart attackiert hatte, nachdem sich Müller bei einer Abstimmung im Bundesrat über die 'Ehe für alle' der Stimme enthalten hatte. Pantisano hält ihn damit nicht für hinreichend qualifiziert, den CSD zu eröffnen. Weil Martin Schulz in seiner Kampagne im Falle des Wahlsieges die 'Ehe für alle' verspricht, tritt Pantisano im gleichen Jahr in die SPD ein.
Und sein Programm? Er will den Austausch mit der Community, nicht nur den mit den großen Verbänden. Er will netzwerken und wo immer möglich, mehr Menschlichkeit herauskitzeln. „Auch wir sind Freunde, Arbeitskollegen, Geschwister." Er will die Anliegen derer sichtbar machen, „die nicht hör- und sichtbar sind“. Er will klar machen: „Auch die queere Community hat Rechte. Wir reden über grundlegende Menschenrechte und nicht über Sonderrechte.“
Dass er Konflikten nicht aus dem Weg geht, hat Pantisano bewiesen – auch innerparteilich. In seinem SPD-Bezirk in Pankow eckte er an, weil er einen Genossen unter falschem Namen decouvrierte. Den Disput mit Bürgermeister Müller suchte er ganz bewusst. Mit Wolfgang Thierse und Gesine Schwan duellierte er sich ebenfalls öffentlich, nachdem Thierse behauptet hatte, radikale linke Identitätspolitik habe unweigerlich Cancel Culture zur Folge. Minderheiten, die sich zu laut artikulierten, bewirkten das Gegenteil dessen, was sie zum Ziel hätten.
Pantisano („Wir müssen laut sein“) nannte Thierse in der folgenden hitzigen Debatte „reaktionär“, der vormalige Bundestagspräsident drohte öffentlich mit Parteiaustritt – ohne diesen dann auch zu vollziehen. Die Parteiführung hatte alle Mühe, den Streit zu schlichten. Geschadet hat all das Pantisano nicht. Zuletzt war er im Willy-Brandt-Haus beschäftigt, als persönlicher Referent der Co-Vorsitzenden Saskia Esken.
Der Regierende, das gilt aber auch für die Sozialdemokraten, weiß also, wem er das komplizierte Queer-Thema anvertraut. Und er darf sich darauf verlassen: Man wird von Alfonso Pantisano noch hören.