Nachdem die Sozialdemokraten 27 Jahre die Berliner Schulpolitik gestalteten, beansprucht in den anstehenden Koalitionsverhandlungen nun die CDU das Bildungsressort. Das erfuhr Table.Media aus Parteikreisen. Mit Blick auf die vielen Baustellen in der Hauptstadt, wofür die SPD am Wahltag abgestraft wurde, ist es gleichermaßen Risiko und Chance – geht mit dem Senatorenposten doch auch die aktuelle KMK-Präsidentschaft einher. Astrid-Sabine Busse müsste ihren Posten dann räumen, was einige SPD-Funktionäre aufatmen lässt.
Schon im Wahlkampf feuerten die Christdemokraten gegen die SPD: marode Schulen, schlechte IQB-Ergebnisse, eine unsichere Senatorin. Die Taktik ging auf. Wenn an jeder Schule Lehrer fehlen, erreicht man plötzlich ganz neue Wählergruppen.
Kai Wegner, der gerne Regierender Bürgermeister werden möchte, nennt schon eine Wunschkandidatin: Katharina Günther-Wünsch. Die 39-Jährige hat bis zu ihrer Wahl ins Abgeordnetenhaus vor zwei Jahren als Lehrerin und stellvertretende Schulleiterin gearbeitet – an der Walter-Gropius-Schule in Neukölln, einer Gemeinschaftsschule mit etwa 1.000 Schülern, von denen fast 90 Prozent eine nicht-deutsche Herkunftssprache haben.
KGW, so nennt sie sich auf ihrer Website, möchte sich auf Anfrage nicht zu ihren bildungspolitischen Plänen äußern. Ihr Name sei erstmal nur ein „Personalvorschlag“. Jetzt müssten SPD und CDU erstmal verhandeln, wobei Günther-Wünsch für die Union die Arbeitsgruppe „Bildung, Jugend, Familie“ leite t. Dennoch zeichnen sich schon Schwerpunkte ab.
Lehrermangel : Günther-Wünsch will das Lehramtsstudium in Berlin beschleunigen, laut Tagesspiegel für angehende Grundschullehrkräfte auf die Dauer eines Bachelors plus Referendariat mit freiwilligem ergänzenden Master. Sie will Pensionäre im Schuldienst halten, etwa durch flexiblere Arbeitszeiten, und Lehrkräfte von bürokratischen Aufgaben entlasten.
Schulbau : Die Schulbauoffensive will sie beschleunigen, wobei sie dem Vernehmen nach auf ein besseres Projektmanagement und Maßnahmen gegen den hohen Krankenstand im Gebäudemanagement setzt. Zudem forderte sie zuletzt ein Sonderbaurecht.
Ganztag : Das war das Lieblingsthema der amtierenden Senatorin Astrid-Sabine Busse. Günther-Wünsch schließt wohl daran an. Sie stehe hinter der Idee von Ganztagsangeboten, heißt es von Parteifreunden. Ihre Erfahrungen in Neukölln und die Kommunalpolitik in den Ostberliner Stadtteilen Mahlsdorf und Kaulsdorf hätten sie geprägt. Sie wisse, dass Ganztagsbetreuung gerade in sozial herausgeforderten Kiezen und bei Kindern aus bildungsferneren Haushalten mit Sprachdefiziten ein wichtiger Schlüssel ist.
Vor zehn Jahren zog Günther-Wünsch in den Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Sie hat ihr Lehramtsstudium – Chemie, Geschichte und Politik – in ihrem Geburtsort Dresden absolviert und an verschiedenen staatlichen und privaten Schulen in Deutschland sowie im südlichen Afrika unterrichtet.
Zuletzt war sie bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie ist nach eigenen Angaben seit über 20 Jahren politisch aktiv, seit circa acht Jahren mit eigenem Mandat. In der Partei gilt sie als gut vernetzt, war als Oppositionspolitikerin angriffslustig: „Senat will aus Fehlern nicht lernen: Schulbau stockt, Lehrer(verbeamtung) und Schulplätze fehlen weiter, Senatorin Busse entmündigt Schulen und bleibt ansonsten abgetaucht“, verkündete sie beispielsweise vor einem knappen Jahr auf der Website der CDU-Fraktion.
Sie schöpft aus ihrer Erfahrung als stellvertretende Schulleitung, wobei ihr der politische Instinkt nicht abgeht. Das unterscheidet sie von der amtierenden Senatorin, Astrid-Sabine Busse, gegen die Günther-Wünsch im Juni vergangenen Jahres einen Missbilligungsantrag einbrachte. Busse sei schlicht überfordert. „Was Ihnen fehlt, ist Verantwortungsbewusstsein, Engagement und eine Vision“, schimpfte sie.
Ihre Streitlust gepaart mit Charisma verfängt offenbar bei den Wählern: Schon 2021 gewann sie bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus mit 34 Prozent das Direktmandat. Bei der Wiederholungswahl in diesem Jahr erhielt sie sogar 45 Prozent der Stimmen – fast dreimal so viele wie Luise Lehman von der SPD. Bei einigen Beamten in der Senatsverwaltung ist sie vor allem durch besonders viele schriftliche Anfragen aufgefallen, die sie aber, so die Kritik aus anderen Fraktionen, nur in wenigen Fällen langfristig verfolgt hat.
Rückenwind kommte von der Bundesebene : „Katharina wäre als Bildungssenatorin eine sehr starke Lösung“, sagt Mario Czaja, Generalsekretär der CDU Deutschland. Beide kennen sich aus der gemeinsamen Wahlkreisarbeit. „Sie hat sich über die Parteigrenzen hinweg ein großes Renommée erarbeitet“, betont Czaja im Gespräch mit Table.Media.
Sie arbeite strukturiert und sei diszipliniert in ihren Botschaften. „Sie weiß als ehemalige Schulleiterin genau, an welchen Stellschrauben die Verwaltung anpacken muss. Sie würde Schulen stärken, indem sie Fesseln löst – durch mehr Eigenverantwortung, eigene Personal- und Digitalisierungsbudgets.“
Doch selbst erfahrene Kultusminister sagen: im ersten Jahr direkt KMK-Präsidentin? Das sei ein Höllenritt. Setzt sich die CDU durch, erwarten Günther-Wünsch steinige Verhandlungen mit dem Bund über das Startchancen-Programm und den Digitalpakt, die laufende Selbstevaluation der KMK und eine Debatte über den Ganztagsausbau. In der Berliner Bildungsverwaltung laufen dann viele Fäden zusammen.
„Das ist ohne Zweifel eine große Nummer“, räumt auch Czaja ein. Doch sie stehe bereits im engen Austausch mit Karin Prien, die sich vergangenes Jahr als KMK-Präsidentin profilierte. Und die CDU-Politikerin könnte sich einen echten Experten für Schulbau an die Seite holen. In Parteikreisen kursiert der Name Torsten Kühne, CDU-Bildungsstadtrat von Marzahn-Hellersdorf, als möglicher Kandidat für den Posten als Staatssekretär.
Günther-Wünsch gilt nicht nur in ihrer eigenen Partei als fachkundige Powerfrau, die viel Ambition mitbringt. „Sie wird sich daran messen lassen müssen, ob sie die Forderungen, die sie in der Opposition erhoben hat, nun auch in der Regierung umsetzen wird, sofern sie denn Senatorin wird“, betont Louis Krüger, schulpolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.
Auch ob sie die Pläne des CDU-Wahlprogramms vertritt, wird sich zeigen: Vom Probehalbjahr für alle Oberschulen mit immensen organisatorischen Aufgaben, die das für die Schulämter bedeutet, bis hin zur 110-prozentigen Personalausstattung an allen Berliner Schulen und gleichzeitiger Wiedereinführung der Vorschule. Janna Degener-Storr, Moritz Baumann