Analyse
Erscheinungsdatum: 30. Mai 2024

Berlin und der Nahostkonflikt – Union fordert mehr deutsches Engagement

Bislang galt für Berlin im Nahostkonflikt eine Prämisse: Zurückhaltung. Doch der Krieg in Gaza könnte das ändern.

Wie hältst Du es mit dem Nahostkonflikt? Für die deutsche Politik war diese Frage über Jahrzehnte beantwortet: Man steht unverbrüchlich an der Seite Israels. Man fördert moderate Palästinenser, so gut man kann. Und man hält sich aus den Bemühungen um eine Friedenslösung heraus. Das war historisch begründet, moralisch gut vertretbar und hat Israelis wie Palästinensern durchaus viel gebracht. Aber es ist lange her. Mit jedem Tag des israelischen Krieges in Gaza wird die Zurückhaltung schwieriger. Der Kanzler hat das in Meseberg indirekt bestätigt. Olaf Scholz erklärte, es gebe „keine Variante der massiven Kriegsführung“, die nicht zu unverhältnismäßig hohen zivilen Opferzahlen führe. Eine ziemlich klare Botschaft: Macht so nicht mehr weiter.

Alle Parteien spüren, dass der Rückhalt für Israels Kriegsführung bröckelt. Das hinterlässt nicht nur bei Scholz Spuren. Auch Annalena Baerbock und Friedrich Merz haben die Tonlage geändert. Beide hatten Israel zunächst volle Solidarität und Hilfe versprochen. Zuletzt aber hat sich die Außenministerin in Jerusalem harsch mit dem Premier gestritten (was hernach öffentlich wurde). Und Merz schickte die Mahnung, Netanjahus Regierung sei drauf und dran, auch ihre engsten Verbündeten vor den Kopf zu stoßen. Gemessen an der bisherigen Zurückhaltung sind das deutliche Worte.

Befördert wird das durch eine heikle Entwicklung. Länder wie Indien und China, Südafrika und Brasilien zeigen offen, dass sie für die westliche Unterstützung Israels kein Verständnis mehr haben. Und in der EU werden jene immer lauter, die gegenüber Israel die Geduld verlieren – und wie Spanien, Irland und vielleicht auch Frankreich die frühzeitige Anerkennung eines Palästinenserstaates anstreben. Alle Berliner Bemühungen, für Israel um Verständnis zu werben, werden gekontert mit dem Hinweis auf einen israelischen Premier, der jede Konzession auch an moderate Palästinenser bis hin zur Zwei-Staaten-Lösung ablehnt.

Berlin ist zunehmend isoliert – und spürt die eigene Ohnmacht. Doch trotz der Sorgen gibt es bislang weder im Kanzler- noch im Außenamt einen Versuch, mit eigenen Initiativen nach einer neuen Perspektive zu suchen, obwohl Scholz in Meseberg eine solche Perspektive als lebenswichtig hervorhob. Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, zeigt immerhin Verständnis dafür, mit der Anerkennung Palästinas nicht länger zu warten: „Drei Jahrzehnte nach den Oslo-Abkommen kann man die palästinensische Seite nicht abermals auf eine Verhandlungslösung vertrösten.“ Auch in Berlin mache er da eine „Akzentverschiebung“ aus.

In der Union wächst ohnehin die Überzeugung, dass es nicht mehr so bleiben kann. Die neue Nahostbeauftragte der Fraktion, Daniela Ludwig, sagte Table.Briefings, an den Konflikt traue sich seit vielen Jahren keiner so recht ran. „Alle schleichen drumrum; keiner hat das Gefühl, dass man das anrühren kann oder muss. Das geht jetzt nicht mehr.” Deutschland könne ein guter Mittler sein und müsse überlegen, was es tun könne. „Die Verantwortung für Israel heißt auch, immer wieder neu über Hilfestellungen auf dem Weg zum Frieden nachzudenken.”

Ähnlich sieht es Armin Laschet. Deutschland könne zwar bei der Beendigung des Krieges wenig tun, sollte „danach aber alles unternehmen, um zu befördern, was sich längst abzeichnet”. Zwingend sei, dass in Gaza eine „friedliche, mit neuer Autorität versehene Autonomiebehörde der Palästinenser die Kontrolle und Verwaltung übernimmt”, sagte Laschet. Berlin könne versuchen, mit glaubwürdigen Emissären Gesprächskanäle zu etablieren, „damit insbesondere die Palästinenser nicht nur über Krieg, Angst und Ohnmacht nachdenken, sondern sich mehr und mehr damit auseinandersetzen, wie und mit wem an ihrer Spitze ein solcher Weg möglich sein könnte.” Deutschland genieße auf beiden Seiten hohes Ansehen. „Warum sollen wir das nicht mit klugen und anerkannten Persönlichkeiten nutzen?”

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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