Analyse
Erscheinungsdatum: 11. Mai 2023

Beim Industriestrom hat der Kanzler nicht viele Freunde

Ein Stahlarbeiter entnimmt eine Probe am Abstich desHochofens, Besuch von Bundespraesident Frank Walter Steinmeier bei Thyssenkrupp Steel in Duisburg, 02.05.2023. *** A steelworker takes a sample from the tapping of the blast furnace, visit by German President Frank Walter Steinmeier to thyssenkrupp Steel in Duisburg, 02 05 2023

Es ist eine ungewöhnliche Konstellation: Beim Thema subventionierter Industriestrom stellen sich Partei und Fraktion der SPD gegen ihren Kanzler. Auch den grünen Wirtschaftsminister haben sie auf ihrer Seite. Olaf Scholz wiederum kooperiert mit FDP-Finanzminister Christian Lindner. Wie eine Lösung aussehen könnte, ist völlig unklar.

Lars Klingbeil, der Co-SPD-Vorsitzende, verbreitete Zuversicht: Ein günstiger Strompreis für energieintensive Branchen werde kommen. Da wisse er nicht nur den grünen Wirtschaftsminister hinter sich, sondern auch seine eigene Partei und Bundestagsfraktion. Die Gäste, ein gutes Dutzend Konzernführer, Verband- und Gewerkschaftschefs, die sich in diskreter Runde im Willy-Brandt-Haus versammelt hatten, vernahmen es mit Interesse – und staunten.

Denn dass sich der SPD-Vorsitzende von seinem Bundeskanzler absetzt, kommt nicht oft vor. In Fall von Subventionen für energieintensive Branchen ist jedoch genau das der Fall: Kanzler Olaf Scholz hat – ebenso wie Finanzminister Christian Lindner – deutliche Skepsis an den Forderungen erkennen lassen, den industriellen Strompreis staatlich zu stützen. Dabei gibt es für diesen Plan nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch bei SPD, Grünen und CDU/CSU viel Sympathien.

Die Ausgangslage ist unstrittig: Insbesondere den stromintensiven Industrien in Deutschland macht der hohe Strompreis zu schaffen. Und sie werden noch viel mehr Energie benötigen, wenn sie – wie von Politik, Gesellschaft und Klimaforschern gewünscht – die Transformation mit hohem Druck vorantreiben sollen, um ihre Prozesse nicht mehr mit fossilen, sondern mit regenerativen Energien zu befeuern.

Parteichef Klingbeil ist nicht der einzige Genosse, der Verständnis für die Industriechefs zeigt. In Niedersachsen fordert Ministerpräsident Stephan Weil staatliche Unterstützung, im Saarland Kollegin Anke Rehlinger. Die IG Metall ruft nach günstigeren Stromtarifen, der Bundeswirtschaftsminister hat ein detailliertes Arbeits- und Argumentationspapier erstellen lassen, und auch die SPD-Bundestagsfraktion plädiert für staatliche Hilfen.

Das BMWK hat relativ klare Vorstellungen, wie aus seinem Arbeitspapier hervorgeht. Derzeit stelle der hohe Strompreis „eine potenziell existenzgefährdende Herausforderung“ für einige Industriebereiche dar. Langfristig – in etwa zehn Jahren – soll dagegen preisgünstiger Strom aus erneuerbaren Energien zur Verfügung stehen. 2030 ist der Fixpunkt für das Habeck-Haus, bis dahin sollen die günstigen Erneuerbaren einen Anteil von 80 Prozent am Strommix ausmachen. Für die sieben Jahre bis dahin sei allerdings ein staatlich geförderter „mittelfristiger Brückenstrompreis“ für energieintensive Unternehmen nötig.

Sechs Cent pro Kilowattstunde soll dieser Strompreis betragen, mit öffentlichen Geldern heruntersubventioniert, für einen klar definierten Empfängerkreis. Gedacht ist ausschließlich für Unternehmen, die „in hohem Maße begründungspflichtig“ seien. Allerdings sagt das Ministerium auch unmissverständlich: „Dauersubventionen passen nicht zu unserer Wirtschaftsordnung, und wir können sie auch nicht durchhalten.“ Dennoch, mit einem Subventionsbedarf von 25 bis 30 Milliarden Euro bis 2030 rechnen Habecks Leute. Und sie stellen Bedingungen: Unternehmen, die Hilfe beantragen, müssen eine Standortgarantie und eine Verpflichtung abgeben, bis 2045 klimaneutral zu produzieren.

Nebenbei versucht das Ministerium, das Paradox zu beseitigen, dass Tag für Tag in großen Mengen preisgünstig erzeugter Strom vernichtet – im Fachterminus „abgeregelt“ – wird, während er anderswo fehlt. Der Grund sind in aller Regel fehlende Netzkapazitäten. „Bis die Engpässe beseitigt sind“, schreiben Habecks Fachleute, sei es volkswirtschaftlich effizienter, wenn der Strom vor Ort genutzt statt abgeregelt wird. Nur wie? Die Erzeugung von Produktionseinheiten für Wasserstoff oder Wärme durch Strom, die das Papier an den Windstandorten nahelegt, dürfte sich kurzfristig kaum realisieren lassen.

Und die Finanzierung der Staatshilfen? Die Mittel müssten aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) kommen, empfiehlt das BMWK. Dafür jedoch sind die rechtlichen Hürden hoch. Und eine verfassungsrechtlich saubere Lösung erfordere dazu zwingend neue parlamentarische Beschlüsse.

Das genau ist der Punkt, in dem das Bundeskanzleramt einhakt, wo mit dem Kanzler und Hauschef Wolfgang Schmidt zwei Juristen sitzen. Sie fürchten, dass das Bundesverfassungsgericht eine Finanzierung über den WSF kippen könnte. Und sie fürchten, dass die EU wegen des Beihilferechts intervenieren könnte. Zudem sei der Kanzler skeptisch, argumentiert Regierungssprecher Steffen Hebestreit, „dauerhaft etwas zu subventionieren, womit wir eigentlich Geld verdienen müssten".

Die Kritiker haben weitere, durchaus berechtigte Argumente auf ihrer Seite. Auch Wirtschafts- und Finanzexpertinnen wie die Wirtschaftsweise Veronika Grimm oder die SPD-nahe Philippa Sigl-Glöckner sind skeptisch, was die potenziellen Subventionen angeht. Sie befürchten Mitnahmeeffekte und ein mögliches Verschleppen der Transformation durch die Staatshilfen.

Nun sind Kanzleramt, Finanz- und Wirtschaftsministerium sowie Partei und Fraktion der SPD auf der Suche nach einem Kompromiss. Hilfen für die Industrie soll es geben. Aber zu moderaten Kosten und juristisch abgesichert. Wie eine Verständigung unter diesen Voraussetzungen aussehen könnte, ist völlig unklar.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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