Herr Holetschek, was würden Sie als Erstes tun, wenn Sie Bundesgesundheitsminister wären?
Klaus Holetschek: Die Situation in der Pflege verbessern! Dazu gehört: Die Bedingungen für die Arbeitskräfte in der Pflege erleichtern. Sofort sämtliche Zuschläge steuerfrei stellen. Aber auch Leiharbeit im Gesundheits- und Pflegebereich zurückdrängen. Der Personalmangel ist das zentrale Problem, speziell auch in den Kliniken. Ich glaube, eine wichtige Frage jeder Krankenhausreform muss lauten: Wie können wir überhaupt die Fachkräfte bekommen, die an den Betten stehen?
Sie fordern mehr Geld für die akuten Finanzprobleme von Kliniken. Das deutsche Gesundheitssystem ist vergleichsweise glänzend finanziert. Wieso reichen die Mittel nicht?
Wir hatten Corona, wir haben steigende Energiekosten, wir haben eine Inflation. Und sinkende Belegungszahlen. Vielen Kliniken drohen erhebliche Defizite. Das sieht auch der Bund, der jetzt mit Blick auf die mittelbar durch den Anstieg der Energiepreise verursachten Kostensteigerungen der Krankenhäuser noch mal 2,5 Milliarden Euro für Ausgleichszahlungen zur Verfügung stellt.
Das wird aber den vielen Kliniken in Deutschland kaum helfen, die schon vor der Pandemie in Not waren.
Überspitzt gesagt lautet die Frage: Wie können wir eine Krankenhausreform machen, wenn wir keine Krankenhäuser mehr haben? Ich halte es für notwendig, erst die bestehenden Kliniken zu stabilisieren und dann klug und nachhaltig zu reformieren. Diese Transformationsprozesse brauchen Geld. Wir werden Experten zufolge um die 100 Milliarden Euro für den gesamten Transformationsprozess benötigen. Auch Dänemark hat für seine viel beschworene Reform viele Milliarden gebraucht. Aber wenn ich die Aussagen von Bundesfinanzminister Christian Lindner höre, etwa zur Pflegeversicherung, stimmt mich das nicht sehr hoffnungsfroh.
Die Reform scheint Sie insgesamt nicht sonderlich hoffnungsfroh zu stimmen: ein anderes Finanzierungssystem für womöglich weniger, aber bessere Krankenhäuser und mehr ambulante Versorgung.
Karl Lauterbach irrt in zwei Punkten: Einmal, dass es eine Art „Umverteilung“ der Pflegekräfte geben wird, wenn wir weniger Krankenhäuser haben. Das glaube ich nicht. Studien zeigen, dass Pflegekräfte sich bei der Arbeitsplatzsuche nur innerhalb gewisser Radien bewegen. Lauterbachs Reform wird den Mangel an Pflegefachkräften nicht beheben. Zweitens behauptet er, seine Reform sei kein Krankenhausschließungsprogramm. Aber worauf läuft es denn sonst hinaus, wenn eine Vielzahl von Krankenhäusern künftig nicht mehr die Leistungen erbringen und abrechnen können, die sie derzeit zur Verfügung stellen? Dieser Widerspruch lässt sich nur lösen, wenn wir bereit sind, ehrlich zu kommunizieren. Die Reform braucht insgesamt mehr Zeit, zusätzliche Mittel und Verbesserungen der Bedingungen für Pflegekräfte. Da werden wir in den Bund-Länder-Gesprächen noch sehr hart ringen müssen.
Lauterbach hat zuletzt vor einem Kliniksterben gewarnt, insbesondere der kleinen Krankenhäuser. Die Patienten stimmen mit den Füßen ab, indem sie weitere Wege fahren zu besser ausgestatteten Kliniken. Wäre es nicht sinnvoller, kleine Krankenhäuser planvoll zu schließen, statt ihnen beim Sterben zuzuschauen?
Bayern ist ein Flächenland. Wir haben viele ländliche Räume. Qualität definiert sich durchaus auch an Entfernungen, wo das nächste Krankenhaus liegt. Das heißt: Es kommt nicht per se auf eine Schließung kleinerer Krankenhäuser an, sondern auf einen maßvollen Ausgleich zwischen Wohnortnähe, Qualität und medizinischer und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Dieses Ziel verfolgt die bayerische Krankenhausplanung gemeinsam mit den Krankenhausträgern seit vielen Jahren – und nicht zuletzt die erfolgreiche Bewältigung der Pandemie hat gezeigt, dass es um die Versorgung in Bayern grundsätzlich sehr gut bestellt ist. Wir müssen zudem in die Versorgungskette auch die Rettungsdienste mit hineindenken. Wenn zunehmend Krankenhäuser schließen, verlängern sich Rettungsketten. Noch einmal: Aus meiner Sicht darf es nicht um Schließungen gehen, sondern um die Frage: Wie definiert sich gute Versorgung in einer Region?
Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen sind auch Flächenländer. Beide arbeiten schon länger an Reformen als Lauterbach. Zumal eine Bertelsmann-Studie ja gezeigt hat, dass auch auf dem Land die Krankenhausdichte sehr hoch sein kann.
Reformen, etwa Verbundlösungen, gibt es bei uns auch schon. Im Allgäu haben sich zum Beispiel Kliniken zusammengetan. Das unterstützen wir auch. Aber es ist nicht immer einfach. In Weilheim-Schongau wollten wir gerade aus zwei Standorten einen machen. Doch die Menschen vor Ort haben mit einem Bürgerbegehren diesem Plan eine Absage erteilt. Unsere Lehre daraus ist: Wir müssen solche Prozesse in den Regionen gestalten, mit den Menschen. Die Botschaft muss heißen: Wir optimieren die Versorgung.
Gemeinsam mit dem Bund?
Zuständig für die Krankenhausplanung sind und bleiben die Länder. Dass der Bund in die Krankenhausplanung der Länder massiv eingreift, alle Kliniken in Level mit fest zugeordneten Leistungsgruppen einteilen und zahlreichen Krankenhäusern spezialisiertere Behandlungen verwehren will: Das kann nicht sein. Dass die Regierungskommission ein Expertenpapier vorlegt, ohne die Länder vorher zu beteiligen, ohne eine Analyse der Folgen. Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Bayern haben ein gemeinsames Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um zu klären, ob die Reform überhaupt verfassungskonform wäre. Das Gutachten wird alsbald vorgestellt werden.
Die Einteilung der Krankenhäuser auf Basis von Leistungsgruppen soll doch aber nun auf den Kriterien basieren, die ein Land ausgearbeitet hat, nämlich Nordrhein-Westfalen.
Bei den Leistungsgruppen bin ich entspannt. Was falsch ist, ist die starre Einteilung der Klinik-Level und die starre Zuordnung der Leistungsgruppen an bestimmte Mindestlevel. Da würden zahlreiche Versorgungsangebote in der Fläche nicht mehr angeboten werden können. Noch mal: Eine Reform ist notwendig. Sie muss aber unter der Überschrift stehen, dass die Länder nach wie vor entscheiden, wo welche Versorgung richtig, möglich und notwendig ist. Von den Fallpauschalen, die Lauterbach mal vor 20 Jahren befürwortet und über die SPD im Bund eingeführt hat, auf eine stärkere Berücksichtigung von Vorhaltekosten umzustellen, ist grundsätzlich der richtige Weg. Das könnte der Bund ohne Diskussion einführen.
Können Sie Ihre Sorge an Beispielen festmachen?
Wir haben in Bayern ein per Telemedizin gesteuertes Schlaganfallnetzwerk. Das wäre nach dem Entwurf des Bundes weg. Das neue System bildet nämlich nur die Schlaganfallversorgung an den großen Standorten ab. Wegfallen könnten auch die Kardiologie, die Gastroenterologie oder auch die Endoprothetik, vor allem auf dem Land. Die will der Bund an Basis-Level-Krankenhäusern nicht mehr finanzieren. Das geht schon aus Gründen der flächendeckenden Versorgung nicht. Aber auch unabhängig liefen wir direkt auf ein massives Versorgungsproblem zu, weil die Menge an Behandlungen nicht ohne Weiteres und schon gar nicht kurzfristig von den verbleibenden größeren Krankenhäusern aufgefangen werden kann. Das gilt sowohl in räumlich-technischer als auch vor allem in personeller Hinsicht.
Roland Engehausen, Chef der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, hat sich vom Freistaat zuletzt eine „aktivere Rolle“ gewünscht, weil manche Stationen nicht ausgelastet seien. Er brachte die Fusionierung von Kliniken ins Spiel. Was entgegnen Sie ihm?
Herr Engehausen hat ein Thema angesprochen, das ich bereits beschrieben habe. Wir müssen über Versorgungsstrukturen reden, und zwar alle zusammen. Dazu bedarf es aber vor allem auch der Bereitschaft der Krankenhausträger, solche Veränderungen auch mitzugehen. Viele positive Beispiele haben gezeigt, dass Straffungen und Stärkungen regionaler Strukturen gut funktionieren können. Hinsichtlich der notwendigen Investitionskostenförderung stehen wir seit Jahren mit hohen Haushaltsansätzen an der Seite der Krankenhäuser. Wir haben dafür in Bayern rund 640 Millionen Euro und finanzieren, zum Ausgleich von Härten, sogar etwas mehr.
Herr Engehausen sprach Fusionen an. Die führen aber doch zu Schließungen?
Schauen wir uns noch mal das Beispiel Weilheim an. Dort haben die Krankenhausträger mit dem gesamten medizinischen Personal parteiübergreifend gesagt: Wir wollen eine zentrale Klinik. Es war ein sehr gutes Konzept. Ich war vor Ort und habe mit denen gesprochen, die dagegen demonstriert haben. Trotzdem gab es einen Bürgerentscheid für den Erhalt der beiden Standorte. So funktioniert Demokratie. Das kann man nicht wegbeamen. In der Berliner Blase mag das idealtypisch funktionieren. Es entspricht aber nicht dem, was die Menschen draußen fühlen und wollen. Ich war zwölf Jahre lang Bürgermeister. Ich weiß, dass man nicht an den Bürgern vorbei Strukturen schaffen kann. Diese Prozesse brauchen Zeit, die werden nicht in fünf Jahren abgeschlossen sein. Am Ende kann auch mal eine Schließung stehen, eine Verbundlösung, vielleicht auch ein neues Haus.
Das dänische System schafft trotz weniger Kliniken messbar gute Qualität. Von 100 Herzinfarktpatienten, die stationär behandelt werden, versterben in Dänemark keine vier. In Deutschland sind es acht. Das liegt auch daran, dass die Daten der Patienten schon im Rettungswagen eingelesen werden, sodass die Ärzte bei dessen Eintreffen schon wissen, welche Vorerkrankungen sie oder er hat.
Daten können heilen! Die elektronische Patientenakte ist wichtig. Ich bin ein großer Anhänger der Opt-Out-Lösung. Eins ist dabei aber wichtig: Wir müssen den Mehrwert der Digitalisierung kommunizieren. Dass wir nicht Gesundheitskonzerne besser versorgen wollen, sondern Patientinnen und Patienten. Wir dürfen die Bürgerinnen und Bürger nicht vergessen.
Was glauben Sie: Werden sich Bund und Länder einig werden in Sachen Krankenhausreform oder wird es ausgehen wie bei der Bildungsreform? Die Bundesbildungsministerin lädt ein – und keiner macht mit.
Ich glaube, wir haben in Bayern ein sehr gutes Bildungssystem.