Analyse
Erscheinungsdatum: 19. März 2025

Baerbocks neuer Job: Warum es nicht nur um die Zukunft der Noch-Außenministerin geht

Dass Annalena Baerbock zu den UN wechseln will, sorgt für Kritik. Hinter der Debatte steckt aber noch mehr.

Verlieren ist kein Spaß. Eine Wahl zu verlieren, erst recht nicht. Gerade eben noch mit wichtigem Amt unterwegs zu sein, um plötzlich die eigene Bedeutungslosigkeit vor Augen zu haben – wer sich nur kurz auf diese Situation einlässt, ahnt, wie schwer das für jeden sein muss. Dabei ist es die eigentliche Kunst und Kraft, die eine Demokratie ihren Verlierern abverlangt. Nicht die Sieger müssen eine gute Figur machen. Die Verlierer sind’s, auf die es ankommt.

Über das schwarze Loch, das sich plötzlich auftut, können viele berichten. Martin Schulz etwa oder Peer Steinbrück, Annegret Kramp-Karrenbauer oder Hannelore Kraft. Sie alle wissen, wie sich der Phantomschmerz danach anfühlt. Deshalb ist es verständlich, dass jeder (und jede) sich überlegt, mit welchem neuen Amt das schwarze Loch umschifft werden könnte. Und nicht allen gelingt es, die Niederlage so vorbildhaft wegzustecken, wie es Armin Laschet getan hat. Schaut man auf die Bemühungen von Annalena Baerbock, ihre berufliche Zukunft neu zu gestalten, dann hat sich ein Eindruck festgesetzt: dass ihr Ego und ihr Geltungsdrang stärker sind als der Respekt vor einer Kollegin.

Der Grund: ihre Kandidatur für den Posten als Präsidentin der UN-Vollversammlung. Damit hat sie in letzter Minute die längst dafür vorgesehene Diplomatin Helga Schmid ausgebootet – und sich großen Ärger eingehandelt. Viele aktive und ehemalige Diplomaten verübeln ihr, dass sie Schmid aus purem Eigeninteresse beiseitegeschoben habe, obwohl diese längst für den Job in New York vorgesehen war. Der Sicherheitsexperte Carlo Masala etwa sagte Table.Briefings: „Helga Schmid ist eine der besten und erfahrensten Diplomatinnen, die Deutschland gegenwärtig hat. Dass sie Frau Baerbock weichen muss, ist kein Zeichen professioneller deutscher Diplomatie.“ Die Politikwissenschaftlerin Claudia Major kommentierte den Vorgang so: „Die Art des Vorgehens, also die unerwartete Änderung dieser Personalie, auf den letzten Metern, ist irritierend und nicht nachvollziehbar.“

Auch Christoph Heusgen, Wolfgang Ischinger und Reinhard Bütikofer üben Kritik. Merkels früherer Chefdiplomat nennt den Vorgang „eine Unverschämtheit“ gegenüber Schmid; der ehemalige Grünen-Chef Bütikofer und Ischinger sprechen von Selbstbedienung. Aktive Botschafterinnen und Mitarbeiter im Auswärtigen Amt halten sich mit öffentlichen Äußerungen zurück, aber schütteln hinter verschlossenen Türen den Kopf. Sie können kaum verstehen, warum Baerbock, die sich die Unterstützung von Frauen auf die Fahnen geschrieben hatte, ausgerechnet eine Frau auf diese Weise ausbootet. Bereits vor knapp neun Monaten war Schmid intern für den Posten nominiert worden, sie führte seit Wochen Gespräche in New York. Noch vor einer Woche wies die Internetseite der deutschen UN-Vertretung auf Schmid-Termine hin.

Noch heikler wird der Vorgang durch die Vorgeschichte. Viele Grüne, aber auch Baerbock selbst, gingen nach der Wahlniederlage zunächst davon aus, dass zwar Robert Habeck zur Seite würde treten müssen, die Außenministerin aber eine zentrale Figur bleiben werde. Also wurde früh lanciert, dass Baerbock die Fraktion übernehmen und Britta Haßelmann als Bundestagsvizepräsidentin kandidieren könnte. Dass Haßelmann, die Baerbock stets unterstützt hatte, freiwillig beiseitetreten würde, schien ausgemacht. Ein zusätzliches Argument: Auch Baerbock lebe in Ostdeutschland, weshalb Katrin Göring-Eckardt, bisher Vizepräsidentin, mit diesem Argument den Posten nicht länger für sich reklamieren könne und Platz für Haßelmann sei. Allein: Die Fraktionschefin erfuhr von solchen Überlegungen aus der Zeitung – und stellte sich quer. So quer, dass es Baerbock auch nicht mehr half, als sie, wie zu hören ist, in einzelnen Landesverbänden offensiv um Unterstützung warb. Erst als das offen zutage trat und sie in ein offenes Rennen hätte gehen müssen, schrieb Baerbock einen Brief. Darin erklärte sie, sie strebe keine prominente Rolle in der Fraktion an, um sich mehr um ihre Familie zu kümmern.

Ob sie zu diesem Zeitpunkt schon wusste, dass es auch die Option New York geben könnte, ist nicht sicher. Aber in der Wahrnehmung vieler wirkt der Brief im Nachhinein besonders irritierend, weil unmittelbar darauf das Schmid-Manöver folgte. Doch so hart die Kritik jetzt ausfällt, im AA gibt es auch manche, die zwar nicht den Schritt verteidigen, aber die Schärfe der Kritik dahingehend interpretieren, dass mancher Baerbock „noch einen mitgeben“ wolle. Unwahrscheinlich ist das nicht; Kritiker der Baerbock’schen Außenpolitik gibt es viele. Aber wirklich helfen kann ihr der Verweis auf die Gegner nicht. Aktuell setzt sich das Bild fest, dass sie vor allem zur Rettung der eigenen Haut handelt.

Mitgetragen haben die Entscheidung auch Noch-Kanzler Olaf Scholz und Wahrscheinlich-Kanzler Friedrich Merz. Schon kurz nach der Wahl hatte Baerbock bei Merz vorgefühlt, und Merz dem Beschluss der Bundesregierung dann auch nicht widersprochen. Die zur Seite geschobene Schmid kann immerhin darauf zählen, dass sie ab jetzt noch mehr Solidarität genießen wird als bisher ohnehin schon. Allerdings ist sie seit zwanzig Jahren vor allem in internationalen Organisationen im Einsatz. Entsprechend wäre New York für sie die Krönung ihrer Karriere gewesen. Die Chance, als Ersatz etwas Adäquates zu finden, ist eher gering. Es sei denn, der nächste im Kanzleramt oder im AA käme auf die Idee, ihre Erfahrung jetzt erst recht für sich zu nutzen.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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