Herr Laschet, erleben wir gerade den 11. September Israels?
Es gibt gefühlt eine Parallelität. Vergleichbar ist es insofern, als dass dieser Angriff Israel völlig überraschend getroffen hat. Israel wurde die eigene Verletzlichkeit vor Augen geführt. Dass die Hamas auf israelischen Boden und bis in größere Städte des Südens vordringen und Geiseln nehmen konnte – das hätte in Israel niemand für möglich gehalten.
Mit dem Vergleich verbindet sich auch eine Reaktion, die Washington nach dem 11. September vollzog: erst in Afghanistan, dann im Irak. Haben Sie die Erwartung, vielleicht auch die Befürchtung, dass Israel ähnlich reagieren könnte. Menschlich völlig verständlich mit großer Wut im Bauch?
Worauf sich Israel jetzt konzentrieren wird, ist der Kampf gegen die Hamas. In Übereinstimmung mit der israelischen Opposition, die in den letzten Monaten ja auch viel Dissens zu der von Netanjahu geführten Regierung hatte. Jetzt steht das Land zusammen und wird alles tun, um die Angriffe aus dem Süden und mögliche Angriffe der Hisbollah aus dem Norden zu verhindern. Und irgendwie wieder die Kontrolle zu gewinnen. Den Vergleich mit den Reaktionen der USA auf die Angriffe des 11. September durch die Invasionen in Afghanistan und Irak kann ich nicht sehen. Die Hamas ist mit ihren Kämpfern nach Israel eingedrungen. Israels hat das Recht und die Pflicht, seine Bevölkerung gegen einen solchen Angriff zu verteidigen.
Wie weit wird das gehen?
Das ist schwer zu sagen. Man wird nun aber wahrscheinlich das Ziel verfolgen, die gesamte militärische und politische Infrastruktur der Hamas zu zerstören und der Hamas die Fähigkeit zu nehmen, einen solchen Angriff zu wiederholen. Aber ich glaube nicht, dass man jetzt einen großen Krieg in der Region beispielsweise mit dem Iran riskiert. Auch wenn richtig ist, dass der Iran die Quelle all dieses Übels ist. Er finanziert die Hisbollah und unterstützt die Hamas. Man muss international diplomatische Mittel und Sanktionen nutzen, Iran noch mehr zu isolieren, damit es eben nicht zum großen Krieg kommt.
Wie schwer wiegt es für die kollektive Seele der Israelis, dass dieser Angriff fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg erfolgt ist, der mit einem ähnlich grausigen Überraschungsangriff begann?
Viele werden diese Parallele ziehen, immerhin liegt ein sehr ähnliches Muster vor: fast auf den Tag genau vor 50 Jahren fand am 6. Oktober 1973 der Angriff einer arabischen Koalition auf Israel statt, und auch dieses Mal ein hoher jüdischer Feiertag und Shabat, die gläubigen Juden arbeiten an diesem Tag nicht. Und genau diesen Sachverhalt der verminderten Alarmbereitschaft ist ausgenutzt worden. Das erinnert an das Trauma des Jom -Kippur-Krieges, in dem Israel kalt erwischt wurde und nur sehr knapp einer schweren Niederlage entgangen ist. Der Unterschied ist, dass es nicht die arabischen Nachbarn sind, die angreifen, sondern Terroristen. Was sicher in Israel eine Diskussion auslösen wird: Wieso waren wir darauf nicht vorbereitet? Wieso haben wir nicht die Informationen gehabt? Diese Fragen stellt im Moment niemand. Jetzt steht die Verteidigung im Mittelpunkt. Aber man wird für die Zukunft so etwas niemals mehr zulassen wollen.
Angela Merkel hat in einer berühmt gewordenen Rede in der Knesseth gesagt, Israels Sicherheit gehöre zur deutschen Staatsräson. Was muss Deutschland jetzt tun?
Israel wird sich selbst verteidigen und braucht da im Moment keine militärische Unterstützung aus Deutschland. Aber Deutschland kann natürlich politisch alles dafür zu tun, Israel zu stützen. Das gilt im internationalen Bereich vor allem in der Europäischen Union. Im EU-Parlament gibt es eine latent unreflektierte Sympathie für die Palästinenser, die oftmals blind für extremistische Tendenzen ist. Daraus entsteht eine unkontrollierte Unterstützung durch EU-Gelder, die auch immer wieder für Terrorismus missbraucht werden könnten. Hier muss man viel genauer hinschauen und die humanitäre und entwicklungspolitische Unterstützung so zuschneiden, dass Gelder nicht für Terrorismus gegen Israel missbraucht werden können. Das Gleiche muss auch die Bundesregierung in ihren Etats tun. Und in unserer Gesellschaft müssen wir dafür sorgen, dass Vorfälle wie in Neukölln, wo Menschen jubelnd und Süßigkeiten verteilend den brutalen und menschenverachtenden Angriff der Hamas gefeiert haben, in Zukunft konsequenter und entschiedener entgegengetreten wird.
Sollte Israel trotz seiner Stärke um Hilfe bitten, zum Beispiel weil viel Munition auch der USA zuletzt an die Ukraine geliefert worden ist – soll Deutschland dann helfen?
Ja. Deutschland hat bereits eine Rüstungs- und Verteidigungskooperationen mit Israel. Auch Israel hat uns jetzt in der Luftverteidigung mit einem israelischen System geholfen, was eine absolute Neuerung ist. Und wir sollten jede notwendige materielle Unterstützung an Israel leisten, erst recht, bei einem Mangel an militärischen Gütern in Israel, weil Hilfslieferung an Ukraine gesendet wurden.
Sie haben den Iran schon erwähnt. Viele gehen davon aus, dass das Land Urheber und Anstifter ist. Was muss passieren, um Irans Einfluss auch hierzulande weiter zu beschneiden und solche Solidaritätsbekundungen für Terroranschläge nicht mehr möglich sind?
Ich glaube, dass das Straf- und Polizeirecht, das wir haben, längst reicht. Das ist Volksverhetzung, das ist Verherrlichung von Gewaltverbrechen, das ist Unterstützung von terroristischen Vereinigungen – mir fallen eine Menge an Straftatbeständen ein, die da schon wirken. Nur: Man muss dann auch durchgreifen und das Ganze unterbinden. Und klären, wie man mit den Geschäften, Lokalen, Kneipen umgeht, die das Ganze unterstützt haben, mit Clanführern, die auf ihren Social-Media-Portalen die ganze Aktion begrüßt haben. Hier empfehle ich, Herbert Reul zu fragen, der als Innenminister in Nordrhein-Westfalen eine Strategie entwickelt hat, wie man tausend Nadelstiche setzt. Man muss sie kontrollieren, ihnen auf den Füßen stehen und das Geschäftsmodell zerschlagen, von dem sie leben. Möglicherweise muss man auch bei bestimmten Einzelfällen prüfen, dass Personen, die Gewalt verherrlichen oder antisemitisch handeln, zur Not das Land verlassen müssen.
Ist ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern als Volk (nicht als Gruppe) mit dieser Attacke unmöglich geworden?
Nein, ich sage ganz entschieden, dass ein Friede nie unmöglich werden darf. Egal, wie die Attacken ausfallen, und egal, wie die Kämpfe verlaufen: beide Seiten müssen daran erinnert werden, dass egal wie der Konflikt ausgeht – die Palästinenser werden immer da sein; und auch Israel wird immer da sein. Sie werden immer Nachbarn sein und beide werden auch immer ihr Recht auf eine Existenz in Würde und Frieden einfordern. Deshalb, bei allem, was an großen Aktivitäten mit der Anerkennung Israels durch arabische Länder im Rahmen der Abraham Accords stattfindet – am Ende muss Israel nicht nur Frieden mit Dubai und Abu Dhabi machen, sondern mit Bethlehem und Hebron. Insofern ist es jetzt tatsächlich ein schwerer Rückschlag. Aber wir müssen bedenken: Es ist ja gerade die Absicht der Hamas, jeden Versuch der gegenseitigen Annäherung zu sabotieren. Die Absicht des Irans, durch diesen Angriff die Annäherung an Saudi-Arabien zu beschädigen, darf nicht aufgehen.
Wo könnte Berlin helfen, um das Ende aller Friedensbemühungen zu verhindern?
Berlin könnte vor allem mehr tun in der Unterstützung der arabischen Staaten, die mit Israel Frieden gemacht haben. Das sind Ägypten und Jordanien, das sind Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko. Ich kann nicht feststellen, dass diese Länder unsere besonderen strategischen Partner geworden sind. Man spricht mit jedem in der Region, der uns Gas verspricht, um eigene Probleme zu lösen. Aber es gibt keinen strategischen Ansatz, der auch andere ermutigen könnte, ebenfalls Frieden zu machen. Nur die Amerikaner sind im Rahmen der Abraham Accords dort aktiv, hier würde ich mir mehr strategisches Engagement der deutschen Außenministerin erwarten.