Analyse
Erscheinungsdatum: 28. Juni 2023

Arbeitsmarkt: Böll-Stiftung empfiehlt ein Parlament für Weiterbildung

Die Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlicht am Donnerstag ein Papier zur Neuregelung der Weiterbildung in Deutschland. Denn erstens gebe es in dem Sektor kaum Regeln und Standards, sondern ein unübersichtliches Wirrwarr. Die Weiterbildung müsse der Erstausbildung gleichgestellt werden, fordern die Autoren.

In Sonntagsreden wird sie gern beschworen: die Bedeutung lebenslangen Lernens, für jeden Einzelnen, aber auch für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und des Wohlstandes des ganzen Landes. Doch wie so oft, wenn Probleme als dringlich erkannt und Veränderungen beschworen werden, bleiben die Konsequenzen aus. Das gilt auch für das Thema Weiterbildung. Die Forderung nach einer klaren Strukturierung dieses Sektors stehe seit Jahren auf der politischen Agenda, „tragfähige Umsetzungen sind aber nicht zu erkennen“, heißt es in einem Eckpunktepapier der Heinrich-Böll-Stiftung, das an diesem Donnerstag veröffentlicht werden soll.

Verfasst hat es der Expertenkreis Weiterbildung der Stiftung, der 2018 gegründet worden ist. Mit ihrem neuen Papier konkretisieren die dort versammelten Fachleute einen Vorschlag, den sie vor vier Jahren in die Debatte geworfen haben: die Weiterbildung zur vierten Säule des Bildungssystems neben Schule, Hochschule und dualer Ausbildung auszubauen und dafür entsprechende Strukturen zu schaffen.

Der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, einer der Autoren der Studie, verweist auf die enormen Herausforderungen in den kommenden Jahren. „Der Arbeitsmarkt in Deutschland steht vor gewaltigen Umbrüchen“, sagt Schroeder. Die Digitalisierung und der ökologische Umbau der Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität wird ganze Regionen und Branchen verändern. Dabei werden neue Arbeitsplätze entstehen, aber auch viele bisherige Jobs wegfallen. Für viele Arbeitsplätze wird es neue Qualifikationsanforderungen geben. Und zugleich wird sich der jetzt schon gravierende Fachkräftemangel angesichts der demografischen Entwicklung weiter verschärfen. „Ein leistungsfähiges System der Aus- und Weiterbildung ist ein Schlüssel, um diese Herausforderungen zu bewältigen“, sagt Schroeder. Weiterbildung müsse in ihrer Relevanz der Erstausbildung gleichgestellt werden.

Zentraler Baustein der Vorschläge des Expertenkreises ist die Schaffung eines Bundesweiterbildungsgesetzes als rechtlichen Rahmen. Das Gesetz soll ein Recht auf Weiterbildung verbriefen und Standards formulieren, Qualifikationen und Abschlüsse von Weiterbildungsmaßnahmen transparent regeln sowie die Anerkennung der dort erworbenen Kompetenzen. Die operative Steuerung soll dabei bewusst nicht in staatlichen Händen liegen. Eine „Top-Down-Steuerung zentralstaatlicher Art“ sei nicht wünschenswert, heißt es in dem Papier, es gehe um ein „Management der Vielfalt“. Tatsächlich wäre eine zentrale Steuerung über eine Art von Weiterbildungsbehörde angesichts der Vielzahl ganz unterschiedlicher Akteure und des üblichen föderalen Kompetenzgerangels auch kaum durchsetzbar.

Stattdessen soll ein Steuerungsgremium geschaffen werden, das die Autoren des Papiers „Parlament der Weiterbildung“ nennen. Darin sollen neben Bund und Ländern, Arbeitgeber- und Arbeitsnehmerorganisationen, der deutsche Hochschulverband, Repräsentanten privater und öffentlicher Weiterbildungsanbieter sowie die Bundesagentur für Arbeit vertreten sein. Im Grunde eine Art von regelmäßigem Runden Tisch. Das Gremium soll eine langfristige Weiterbildungsstrategie entwickeln und sich darüber verständigen, welche Kompetenzen und Qualifikationen in der Arbeitswelt von morgen in den verschiedenen Branchen nötig sind. Und es soll wissenschaftlich überprüft werden, ob die Lerninhalte von Weiterbildungsmaßnahmen auch wirklich umgesetzt und die angestrebten Kompetenzen tatsächlich erworben werden.

Wie zerklüftet die Weiterbildungslandschaft in Deutschland ist, hatte das Expertengremium der Böll-Stiftung schon in einer Studie vor vier Jahren herausgearbeitet. Darin ist von einer „fragmentierten, schier unüberschaubaren Weiterbildungslandschaft“ die Rede, in der „rund 25 000 Träger ihre Leistungen anbieten“. Ein Datenreport des Bundesinstitutes für Berufsbildung (BIBB) aus dem Jahre 2018 listet der Böll-Studie zufolge 220 bundesrechtlich geregelte Fortbildungsordnungen und weitere landesrechtliche Bestimmungen für Fortbildungsabschlüsse auf, von denen keineswegs alle bundesweit anerkannt werden. Hinzu kommen noch zahllose Regelungen einzelner Industrie- und Handels- und Handwerkskammern zu Fortbildungsmaßnahmen, die oft nur auf dem Gebiet der jeweiligen Kammer gelten. Ein kunterbuntes Durcheinander also.

Die deutschen Regelungen zur Weiterbildung, so das aktuelle Papier der Böll-Stiftung, gehören „zu den komplexesten im internationalen Vergleich“. Viele andere OECD-Länder hätten die Rechte und Verantwortlichkeiten in Weiterbildungsgesetzen geregelt. Obwohl die Ausgaben für Weiterbildung gestiegen seien und mehr Menschen an Weiterbildungsmaßnahmen teilnähmen, gebe es „in unserem unübersichtlichen und fragmentierten Weiterbildungswesen viele Defizite“, sagt Wolfgang Schroeder. „Das muss sich ändern“.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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