Analyse
Erscheinungsdatum: 12. Februar 2023

Ampel-Baustellen: Zögern, verzögern, verhandeln

(Bild: IMAGO/photothek)
Die Ampel hatte sich zum Start im Dezember 2021 versprochen, auf Parteitaktik und sachfremde Gegengeschäfte zu verzichten. Sie wollte Neues vorleben, auch was den politischen Stil angeht. 14 Monate später steckt das Bündnis in vielen Fragen fest. SPD und Grüne sagen: die FDP bremse. Aus der ist zu hören: Das habe gute Gründe.

Am Anfang war viel Aufregung. Als die Ampel zu Jahresbeginn ihre Reform für das Wahlrecht präsentierte, wurde über die Folgen heftig diskutiert, weil diese Reform doch eine ganze Menge verändern könnte. Inzwischen aber ist es ruhig geworden um die große Reform. Und das, obwohl CDU und CSU erst völlig überrascht wurden und dann einen für die Ampel kaum bis gar nicht attraktiven Gegenvorschlag auf den Tisch legten. Der wirkte nicht nur bei Grünen, Liberalen und Sozialdemokraten wie ein letzter Versuch, die für die Union bislang besonders günstigen Überhangmandate zu retten. Auch die meisten Beobachter beschlich das Gefühl, als sei da jemand etwas verzweifelt.

Aber: In den letzten Tagen gab es dazu ziemlich viele Gespräche. Zwischen den Berichterstattern, aber auch zwischen den Fraktionschefs, in größeren Runden, nicht selten auch unter vier Augen. Und obwohl alle drei Ampelparteien es grundsätzlich für richtig erachten, auch mit der Union noch im Gespräch zu bleiben, so wachsen doch inzwischen bei Roten und Grünen die kritischen Blicke in Richtung FDP, die besonders entschlossen den Austausch mit der Union sucht. Das leise Misstrauen der Partner ist geweckt.

Man könnte das als eine der üblichen Debatten in einer Koalition bewerten. Gäbe es da nicht aus Sicht von SPD und Grünen aktuell eine ganze Reihe von Fällen, in denen sie das Verhalten der FDP als Tritt auf die Bremse empfinden. So hat im Landwirtschaftsministerium von Cem Özdemir für Erstaunen gesorgt, dass die Liberalen eine Reform bei der Brachflächen-Vergütung, die wegen des Ukrainekriegs ausgesetzt wurde, dauerhaft verschieben wollen. In der Forderung der FDP heißt es, man müsse schlicht bis Ende des Krieges warten. Aber das kann, nach dem Stand von heute, Jahre dauern. In einen öffentlichen Streit will das Landwirtschaftsministerium nicht gehen. Aber man habe den Eindruck, so heißt es aus Fraktionskreisen, dass die FDP aktuell bei immer mehr Themen zögere, bremse oder einen nicht vereinbarten Weg einschlage.

Ein Eindruck, den auch Sozialdemokraten teilen. Als „Klotz am Bein der Ampel“ hat Fraktionsvize Dirk Wiese, sonst eher zurückhaltend mit Attacken, jüngst FDP-Justizminister Marko Buschmann bezeichnet. Elf Gesetzesvorlagen, so listet Wiese auf, würden derzeit im Hause Buschmann blockiert. Elf Gesetze jedenfalls, die den Sozialdemokraten wichtig sind. Darunter ein Vorhaben, das Kommunen ein Vorkaufsrecht bei Immobilienübertragungen einräumt, oder ein Verbot oder zumindest die Deckelung von Indexmieten, die – zusätzlich zu den gestiegenen Energiepreisen – so manchen Mieter in Schwierigkeiten bringen.

Dazu gehören auch das Recht auf Weiterbildung, das die SPD gern gesetzlich regeln würde, sowie eine mögliche Reform des Waffenrechts; hier will Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nach Silvesterkrawallen und Razzien in der Reichsbürgerszene halbautomatische Waffen für Privatleute verbieten, den Gebrauch von Schreckschusswaffen einschränken und auch für den Besitz einer Armbrust den kleinen Waffenschein zur Bedingung machen. Die FDP stemmt sich mit dem Hinweis dagegen, sie wolle „keine neuen Verbotsdebatten“.

Genauso stellt sie sich gegen eine Verschärfung der Vorratsdatenspeicherung. Und bei gleich mehreren Gesetzentwürfen zu Migration, Integration und Staatsbürgerschaft verlangt die FDP keine grundsätzlichen Änderungen in der Sache, aber eine Einigung darüber, welches Gesetz am Anfang stehen soll und welches am Ende. Ergebnis, jedenfalls aus Sicht von Grünen und SPD: An vielen Punkten hake es, werde gezögert und verzögert – und zwar vor allem von den Liberalen.

Und was sagen die so Gescholtenen? Sie ärgern sich darüber, dass viele Vorhaben unabgestimmt in die Öffentlichkeit gelangt seien, zum Beispiel in der Migrationspolitik, aber auch bei der Kindergrundsicherung und der Weiterbildung. Dabei zeige sich immer wieder, dass die finanziellen Auswirkungen noch gar nicht besprochen, geschweige denn umfassend geklärt seien. Ein Argument, das insbesondere FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner intern immer wieder vorbringt.

Außerdem hält man auf Seiten der FDP vor allem die Pläne aus dem Bundesinnenministerium, nicht zuletzt bei Waffenrecht und Vorratsdatenspeicherung, für besonders heikel und verfassungsrechtlich riskant. Hier müsse die Koalition verhindern, dass Themen ohne Not „gegen die Wand“ gefahren würden. Das sind Botschaften, die nicht nach schnellen Lösungen klingen. Im Übrigen heißt es aus der Fraktion noch, man sei nicht Bremser, sondern mache Druck und Tempo, zum Beispiel bei der Planungsbeschleunigung – dem aktuellen Synonym für die Großbaustelle schlechthin in der Koalition.

Deutlich wird angesichts der unterschiedlichen Sichtweisen und gemeinsamen Baustellen, wie kompliziert die Lage innerhalb der Ampel geworden ist. Und das wird auch nicht dadurch abgeschwächt, dass der Tenor innerhalb der SPD dahin geht, so ganz groß seien die Sorgen nicht. Jedenfalls nicht beim Blick auf die eigenen Interessen. Dass aber Parteichef Lars Klingbeil in einer Talkshow schon mal sorgenvoll die Scharmützel zwischen Grünen und Liberalen erwähnt, kommt bei den Partnern nicht besonders gut an. Ihr Eindruck: Auf diese Weise versuche die SPD, wie ein Friedensstifter aufzutreten. Etwas spitzer formulieren grüne Bundestagsabgeordnete: Da seien welche mit an Bord, die am liebsten an vielen Stellen keine Position beziehen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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