Zuletzt hatte er sich eher zurückgehalten mit Statements in der Öffentlichkeit, war seinem Job eher routiniert nachgegangen, als Schlagzeilen zu produzieren. Dabei wusste er vermutlich längst, dass das hohe Amt in Mainz auf ihn zulaufen würde. Es hat eine gewisse Tradition in Rheinland-Pfalz, dass Stabswechsel in der Staatskanzlei in Ruhe vorbereitet und dann überraschend öffentlich gemacht werden.
Alexander Schweitzer, 50, im Moment noch Arbeits- und Sozialminister, außerdem für Digitales und Transformation zuständig, soll in Kürze Malu Dreyer nach elfeinhalb Jahren Amtszeit ablösen und neuer Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz werden.
Als Liebling der Ministerpräsidentin galt Schweitzer lange nicht. Die Rolle fiel eher Innenminister Michael Ebling, 57, zu, den Dreyer im Herbst 2022 vom Posten des Mainzer Oberbürgermeisters in die Landesregierung geholt hatte. Wirklich glücklich verlief die Operation nicht, sie erschien schon seinerzeit überstürzt: Im Frühjahr ging die OB-Wahl in der Landeshauptstadt krachend verloren – nach über 70 Jahren musste die SPD den Chefsessel im Rathaus räumen. Dennoch, so sahen es auch Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz, schien Dreyers Gunst, was ihre Nachfolge anbelangt, eher auf Ebling zu ruhen. Auch Sabine Bätzing- Lichtenthäler, die ehemalige Bundestagsabgeordnete und SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, war eine Zeitlang im Gespräch, nahm sich dann aber selbst aus dem Rennen.
Nun also Alexander Schweitzer. Südpfälzer wie Kurt Beck, gut vernetzt in der Partei, viel unterwegs, angesehen in der Fraktion, die er selbst zwischen 2014 und 2021 geführt hat, bevor er ins Arbeits- und Sozialministerium wechselte. Auch Generalsekretär und Staatssekretär im Wirtschaftsministerium war er schon. Welche Themen ihm am Herzen liegen, trug er vor drei Wochen bei einer Netzwerkveranstaltung des Berliner „Zweitwohnclub“ vor: Zum Thema Einsamkeit und zu den Herausforderungen im Pflegebereich referierte er dort kundig und mit hoher Eindringlichkeit.
Manchmal sei er ein bisschen ungeduldig, „ein Macher“ halt, wie Menschen berichten, die ihm nahestehen. Anzupacken hat er genug. Die Kommunen im Land ächzen noch immer unter ihren Schulden, tief in der Westpfalz, zwischen Pirmasens, Kusel und Zweibrücken, wartet man vergebens auf den wirtschaftlichen Aufschwung. Der Niedergang der Schuhindustrie und der Abzug der Amerikaner ist bis heute nicht verwunden. Und auch beim Thema Bildung, bei dem Rheinland-Pfalz lange Vorzeigeland war, hat sich Mittelmaß eingeschlichen. Wettmachen konnten das auch mehrere Ansiedlungen potenter Unternehmen nicht.
Einfach wird es deshalb nicht werden. 33 Jahre lang, begonnen von Rudolf Scharping 1991, hat die SPD im strukturkonservativen Rheinland-Pfalz die Staatskanzlei besetzt. Inzwischen hat sich eine gewisse Müdigkeit ob der Regierungspartei SPD breit gemacht. Und die gesundheitlich angeschlagene Malu Dreyer hatte zuletzt nicht mehr den Mut, die Ideen und vielleicht auch nicht die Kraft, um noch Projekte mit Perspektive und Strahlkraft anzustoßen. Zumal die Ahrtal-Katastrophe, das Unvermögen in den entscheidenden Stunden des Hochwassers und die schwerfällige Aufarbeitung wie ein Klotz an ihr und der Parteiführung mit dem ehemaligen Innenminister Roger Lewentz hängen blieben.
Überhaupt Lewentz. Er sträubte sich, war aber irgendwann als Innenminister, der in der Katastrophennacht der Ahr allzu passiv geblieben war, nicht mehr tragbar. Parteivorsitzender wollte er bis zur Landtagswahl bleiben, durfte er bleiben – weil Malu Dreyer schützend ihre Hand über ihn hielt. Jetzt geht sie, und er muss die Kommandobrücke auch verlassen. Sabine Bätzing-Lichtenthäler, die Fraktionschefin, soll neue Landesvorsitzende werden. Das wiederum ist dem Umstand geschuldet, dass auch in Rheinland-Pfalz der regionale Proporz immer eine Rolle gespielt hat, und sich der Südpfälzer Schweitzer und Bätzing, die aus dem Westerwald kommt, ausbalancieren sollen.
Auch das Berliner Parkett ist ihm nicht ganz unvertraut, nicht nur über den Bundesrat. Seit 2017 sitzt er im Parteivorstand der Bundespartei, ist auch dort vernetzt. Was noch hilfreich werden könnte, denn formal hat Rheinland-Pfalz die Koordinierung der SPD-Bundesländer inne, was Malu Dreyer aber in den vergangenen Jahren nur noch mit gebremster Leidenschaft absolvierte. Man darf vermuten, dass Schweitzer nach einer Anlaufzeit mehr Engagement entwickelt, wohl wissend, dass überzeugend vorgetragene und eingefädelte sozialdemokratische Projekte auch seine Wahl 2026 befördern könnten.
Hilfreich könnte ihm auch die Kollegin Anke Rehlinger, Ministerpräsidentin des Saarlandes, noch werden. Beide kennen sich, vertrauen sich, haben einen ähnlichen politisch-pragmatischen Ansatz. Das war in den 90er Jahren unter Kurt Beck und Oskar Lafontaine und zuletzt unter Dreyer und Rehlinger nicht immer so. Auch kulturell haben das Saarland und Rheinland-Pfalz bekanntermaßen gegenseitig gewisse Reserven. Gut vorstellbar, dass Schweitzer und Rehlinger die Distanz nicht nur überbrücken, sondern auch mit gemeinsamen Ideen und Projekten in Berlin vorstellig werden. Nützen könnte es beiden.
Und doch, der Rückzug von Malu Dreyer erfolgt ein bisschen spät. Viel Zeit bleibt Alexander Schweitzer nicht, jedenfalls deutlich weniger, als seine Vorgängerin seinerzeit hatte. Im März 2026 werden die nächsten Landtagswahlen stattfinden. In der SPD ist er bekannt, darauf ruhen auch die Hoffnungen der Genossen. Darüber hinaus wird er an seinem Profil als Landesvater, Impulsgeber und Brückenbauer noch arbeiten müssen. Sein Vorteil: Auch die CDU sucht noch nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten, der die angeschlagene Stimmung in Zählbares ummünzen könnte.
In einer ersten Fassung hatten wir Alexander Schweitzer am vergangenen Freitag in Berlin verortet. Das war er nicht. Wir bitten, den Lapsus zu entschuldigen.