Table.Briefing: Agrifood

Ikea will CO2-Fußabdruck halbieren + Agrarkommissar auf juristischen Abwegen + Monopolkommission vorsichtig

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Agrardiesel-Kontroverse kommt einfach nicht zur Ruhe. Zuletzt sorgt die Union für Unruhe, die das Thema weiter mit den Verhandlungen zum Wachstumschancengesetz verknüpft. Zwar gab dazu am Freitag eine Arbeitsgruppe eine weitgehende Einigung zwischen Bundestag und Bundesrat bekannt. Aber: “Für die Union steht eine Einigung zum Wachstumschancengesetz weiter unter der Prämisse, dass es auch über die Fortgeltung der Agrardiesel-Rückvergütung eine Verständigung im Vermittlungsausschuss gibt”, stellte CDU-Fraktionsvize Mathias Middelberg klar.

Ob beim Haushaltsfinanzierungsgesetz, das die Agrardiesel-Kürzung enthält, überhaupt der Vermittlungsausschuss ins Spiel kommt, entscheidet sich aber frühestens am 22. März. Dann ist die nächste Bundesratssitzung angesetzt. Zünglein an der Waage könnten die SPD-geführten Bundesländer sein, von denen einige Kritik an den Plänen geäußert haben. Sie fordern, die Beihilfe ab 2025 langsamer als geplant auslaufen zu lassen und Alternativen zum Dieselantrieb stärker zu fördern.

Das bedeutet aber nicht, dass die SPD-Länder im März gegen das Gesetz stimmen. Der Entschließungsantrag stehe “in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024″ und verhindere auch nicht dessen mögliche Zustimmung, sagt der Regierungssprecher des Saarlandes zu Table.Media. Stattdessen dürfte es darum gehen, Zugeständnisse für die kommenden Jahre auszuhandeln. Die Verknüpfung von Agrardiesel und Wachstumschancengesetz kritisiert der Sprecher. Die Union erschwere damit “politische Lösungen für die Landwirtschaft.”

Diese Woche richtet sich die Aufmerksamkeit der Agrarwelt erst einmal verstärkt auf die Biobranche: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir eröffnet heute die Biofach-Messe und die neuen Branchendaten werden vorgestellt, denen zufolge sich die Branche von der Ukraine-Krise erholt hat.

Ihre
Amélie Günther
Bild von Amélie  Günther

Analyse

Green Deal scheitert im Agrarbereich nicht erst an den Bauernprotesten

Es ist ein weiterer Sargnagel für die Farm-to-Fork-Strategie: In einer Rede vor dem Europäischen Parlament am vergangenen Dienstag kündigte Ursula von der Leyen an, dass die EU-Kommission den Vorschlag für die SUR-Verordnung zurückzieht, die eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zum Ziel hat. Die Kommission könnte laut ihr einen “neuen, viel ausgereifteren Vorschlag” entwickeln. Sollte dieser überhaupt kommen, dann allerdings erst nach den Europawahlen.

Die Rücknahme der SUR ist eines der Zugeständnisse im Zuge der Bauernproteste, die zuletzt die agrarpolitische Debatte in Brüssel und Straßburg geprägt haben. Diese protestierenden Landwirte hätten “uns gezeigt, dass viele von ihnen sich eingeengt fühlen, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden”, sagte Maroš Šefčovič, der für den Green Deal zuständige Kommissionsvize, am Mittwoch bei einer kurzfristig anberaumten Parlamentsdebatte zur “Stärkung der Landwirte und Landbevölkerung”.

Die Proteste tragen zur Katerstimmung in Sachen Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft bei, die auch die Politik nach der Europawahl prägen dürfte. Doch der Green Deal war im Agrar- und Ernährungsbereich schon vorher ins Schleudern geraten.

Kaum etwas übrig von Farm to Fork

In der Farm-to-Fork-Strategie, dem Agrar- und Ernährungszweig des Green Deals, hatte sich die Kommission 2020 große Ziele gesetzt: Nahrungsmittel sollten nachhaltiger und gesünder produziert, verarbeitet und konsumiert werden, dazu wollte sie die Lebensmittelverschwendung begrenzen. Geblieben ist davon wenig:

  • Die angekündigte Tierschutzreform und das Gesetz zu nachhaltigen Lebensmittelsystem legte die Kommission gar nicht vor.
  • Die Chemikalienverordnung ist auf unbestimmte Zeit verschoben.
  • Das geplante Bodenschutzgesetz wurde zum “Bodenüberwachungsgesetz” degradiert.
  • Einen Vorschlag gegen Lebensmittelverschwendung legte die Kommission im vergangenen Sommer vor, Parlament und Rat haben ihn bisher aber nicht aufgegriffen.
  • Auch die SUR war bereits vor von der Leyens Rückzieher in einer politischen Sackgasse, nachdem das Parlament im November dagegen gestimmt hatte.

Für den Europaabgeordneten Pascal Canfin (Renew), Vorsitzender des einflussreichen ENVI-Ausschusses, ist die Strategie der Entpolarisierung, die für alles andere funktioniert hat”, bei der Landwirtschaft gescheitert. Und tatsächlich: In Sachen Klima und Energie wurde vieles umgesetzt in dieser Legislatur, so zum Beispiel die Reform des europäischen Emissionshandels (von dem die Landwirtschaft übrigens ausgenommen ist).

Diese Diskrepanz dürfte auch darauf zurückgehen, dass die Gruppe derer, die die Kosten von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen tragen, in der Landwirtschaft klar definiert und gut organisiert ist. Anders als beispielsweise beim Emissionshandel, der Mehrkosten für eine diffuse Gruppe an Wirtschafts- und Industriesektoren verursacht und für den Verbraucher schwer zu durchschauen ist.

Klima- statt Artenschutz

Hinzu kommt, dass der Green Deal von Teilen des politischen Spektrums immer stärker als reiner “Klimadeal” interpretiert wurde. Bei den Agrardossiers geht es dagegen häufig um Arten- und Umweltschutz, so zum Beispiel bei der SUR, aber auch beim Renaturierungsgesetz. Dieses ist zwar nicht Teil der Farm-to-Fork-Strategie, betrifft die Landwirtschaft aber unmittelbar. Ob der Schutz der Biodiversität – im Gegensatz zum Klimaschutz – wirklich hoch genug zu bewerten ist, um dafür Einschränkungen der (Land-)Wirtschaft in Kauf zu nehmen, ist vor allem bei der EVP, aber auch in Teilen von Renew umstritten.

Doch auch die Kommission selbst hat dazu beigetragen, dass von ihren Ambitionen am Ende wenig übrig blieb. Das gab von der Leyen beim Rückzug der SUR teils selbst zu: Der Vorschlag habe “polarisiert”, räumt sie ein. Die Farm-to-Fork-Strategie entstand unter dem Eindruck der Europawahl 2019, bei der die Grünen nach Massendemonstrationen von Fridays for Future Rekordergebnisse erzielten. Die Kommission unterschätzte dabei die Sprengkraft ihrer Vorschläge, die wegen des langwierigen politischen Prozesses in der EU erst gegen Ende der Legislaturperiode stärker diskutiert wurden. In der Zwischenzeit hatte sich die Stimmung gedreht: Durch Pandemie und den Ukrainekrieg war das Thema Ernährungssicherheit stärker in den Fokus gerückt.

Schwierige Verhältnisse nach der Wahl

Gleichzeitig begannen die Parteien bereits, sich für die nächste Wahl in Stellung zu bringen, was Kompromisse zu heiklen Themen erschwerte. Dazu kommen nun die Bauernproteste, die wohl weiter dazu beitragen, dass auch in der nächsten Legislaturperiode die Kompromissbildung bei Agrardossiers noch schwieriger werden dürfte. Zudem sagen Prognosen voraus, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament nach rechts verschieben. “Wenn es keine demokratische Unterstützung für den Green Deal mehr gibt, wird er enden. Das ist eine der großen Herausforderungen der Wahl”, betont Pascal Canfin.

Auch bei den Grünen bangt man: “Bei den letzten Europawahlen 2019 gab es die Klimamärsche und es war politisch teuer, sich gegen den Green Deal zu stellen. Heute ist es politisch rentabel“, sagt der Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts. Die Grünen müssten daher bei der Wahl “das Spiel ihres Lebens” liefern.

  • Bauernproteste
  • EU-Bodenüberwachungsgesetz
  • Europawahlen 2024
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Ikeas Food-Managerin sieht Deutschland als Vorreiter bei Ernährungswende

Tanja Schramm, Ikea Country Food Manager

Frau Schramm, Ikea macht nicht nur in Möbeln, sondern auch in Lebensmitteln. Dafür sind Sie in Deutschland verantwortlich. Wie viele Menschen essen bei Ihnen?

Das können wir nur schätzen. Wenn wir pro Ticket-Bon in unseren Restaurants und Schwedenbistros 1,8 Esser annehmen – als Mittelwert – dann kommen wir auf bis zu 50 Millionen Menschen im Jahr. Etwa die Hälfte aller Kundinnen und Kunden in unseren Einrichtungshäusern isst auch bei uns. Manche kommen auch nur zum Essen, besonders zum Frühstück.

Wie hoch ist der Food-Anteil am Umsatz von Ikea Deutschland?

In Deutschland 4,5 Prozent – 267 Millionen Euro im vergangenen Geschäftsjahr.

Zuletzt, im “Veganuary”, haben Sie besonders viele vegane Gerichte angeboten. Wie kommt das an?

Wir haben uns in diesem Jahr zum vierten Mal beteiligt. Das passt perfekt in unser Konzept: Seit sechs Jahren bieten wir immer mehr pflanzenbasierte Gerichte an. Im Januar sind es vier von sechs Gerichten; über das Jahr liegen wir bei 40 Prozent der Hauptgerichte. Unser Ziel bis 2025 sind 50 Prozent. Natürlich bieten wir weiterhin auch die Klassiker an, etwa die Entenkeule im Dezember. Es geht nicht darum, unser Lebensmittelangebot einzuschränken. Wir möchten es vielmehr dauerhaft um weitere gesündere und umweltbewusstere Optionen ergänzen.

Können Sie bei Ihrer Kundschaft die viel beschworene Ernährungswende erkennen? 

Ich sehe tatsächlich eine Wende, bei der unsere Kundinnen und Kunden in Deutschland Vorreiter sind. Wir erkennen das als globales Unternehmen an den Verkaufszahlen: In Deutschland greift jeder vierte Kunde bereits zu einem pflanzenbasierten Angebot – Tendenz steigend. Dies zeigt auch die Bilanz des diesjährigen Veganuary: Wir haben im Januar fast doppelt so viele Kunden überzeugen können, ein veganes Schnitzelgericht zu kaufen statt unseres Hähnchenschnitzels. Insgesamt entschieden sich im Januar vier von zehn für ein vegetarisches oder veganes Gericht, ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vormonaten.

Haben eingefleischte Köttbullar-Fans gemeckert, als Sie alternativ zu den schwedischen Hackbällchen den Plantbullar eingeführt haben?  

Im Gegenteil. Es gab nur die Bitte der Fans des Veggie-Hotdogs, dass dieser vegetarische Hotdog so bleibt, wie er ist, nämlich auf der Basis von Gemüse und Maiskörnern. Der schmecke so gut. Deshalb haben wir dann noch einen Plant-Hotdog für alle eingeführt, die sich einen Geschmack wünschen, der näher am Original ist. In unseren Schwedenbistros entscheiden sich bereits 25 Prozent der Kundschaft für einen pflanzlichen Hotdog oder Gemüse-Hotdog.

Sie wollen in Ihren Shops bis 2025 sogar zu 80 Prozent nur noch pflanzenbasierte Lebensmittel anbieten.

Ja, im verpackten Food-Sortiment wird es dann neben unserem pflanzlichen Lebensmittelangebot fast nur noch unsere ikonischen nicht-pflanzlichen Produkte geben: Köttbullar und Lachs.

Steht dahinter das Bekenntnis von Ikea zum Green Deal?

Wir haben eine ganz starke Nachhaltigkeitsstrategie und wollen bis 2030 unseren CO₂-Fußabdruck halbieren. Wir sind ein globales Unternehmen und wissen, dass unser Verhalten wirklich Einfluss hat. Daher verfolgen wir einen stringenten CO₂-Reduktionspfad, bei dem Food eine elementare Rolle spielt. Dazu gehört, Fleisch zu ersetzen – und zwar gerade bei den Produkten, die die Menschen kennen und mögen.

Lidl bietet seit Oktober 2023 pflanzenbasierte Lebensmittel zum gleichen oder niedrigeren Preis an wie vergleichbare tierische Alternativen. Wie ist das bei Ikea?

Wir machen das schon länger so. Die Ingka Gruppe hat bereits früh die Entscheidung getroffen, dass unsere pflanzlichen Lebensmittel seit Oktober 2022 immer zum gleichen oder gar niedrigeren Preis als die vergleichbare Alternative auf Basis von tierischem Eiweiß angeboten werden. Und Ikea Deutschland geht noch weiter: Seit Oktober 2022 ist das pflanzliche Lebensmittelangebot aus Gemüsebällchen, Proteinbällchen, dem Veggie-Hotdog und dem pflanzlichen Softeis immer die erschwinglichere Wahl, und zwar um zehn bis 50 Prozent.

Von Lidls Vegan-Offensive las man viel mehr als von Ihrer.

Das ist vielleicht nur in Fachgremien bekannt, weil wir mit unserer Systemgastronomie in einem Möbelhaus im Food-Bereich Exoten sind. Gleichzeitig schauen viele auf uns, auch im Handel. Denn wir gehören zu den großen Systemgastronomen in Deutschland. Es gehört ja ein gewisser Mut dazu, sein Sortiment so zu verändern. Also nicht mehr fünf Fleischgerichte anzubieten und als Feigenblatt dazu ein vegetarisches.

Stichwort Verpackung: Sie bieten neuerdings Mehrweggeschirr an. Kommen die Leute denn so oft in die Restaurants?

Wir bieten Einweggeschirr, Becher und Bowls gegen einen Euro Pfand vor allem im Schwedenbistro an, damit unsere Kundschaft das Getränk oder den Hotdog mit nach Hause nehmen kann. Das läuft über das RECUP/REBOWL-Mehrwegsystem. Kundinnen und Kunden können die Gefäße hinterher deutschlandweit bei allen Partnerbetrieben, aber auch bei uns, zurückgeben und Pfand zurückerhalten. Außerdem können sie in den Bowls in unseren Schwedenrestaurants Essensreste einpacken und mit nach Hause nehmen. Diese Maßnahmen reduzieren den Wegwerfgeschirr-Müll – und zugleich die Lebensmittelverschwendung.

Wie viel Lebensmittelabfall entsteht bei Ikea? Allgemein geht man ja im Gastro-Bereich davon aus, dass 17 Prozent der Lebensmittel in der Mülltonne landen.

Dem Thema haben wir uns 2017 erstmals national mit der NGO “United Against Waste” gestellt, mit dem Ziel, diese Abfälle zu halbieren. Zu Beginn haben wir durchsichtige Abfalltonnen für den Biomüll hingestellt und die Menge an Abfall erfasst, sodass die Mitarbeitenden gesehen haben, was sie da eigentlich wegwerfen. Später wurde die Abfallmessung von einer KI namens “Waste Watcher” übernommen und erfasst. Das ist eine lernende digitale Waage mit Kamera. Am Anfang muss der Mitarbeiter ihr noch helfen und eintippen, was er da jetzt reingeworfen hat, damit sie das erfassen kann. Mit der Zeit erkennt die KI das selbst an den gespeicherten Bildern.

Und so haben Sie die Halbierung der Abfälle erreicht?

Im Pre-Consumer-Bereich ja! Und das, obwohl am Anfang der Ausgangswert unserer Messungen schon sichtbar gesunken war, bevor wir ihn festgehalten hatten. Warum? Weil die durchsichtigen Tonnen sofort zu einem größeren Bewusstsein bei den Mitarbeitenden geführt hatte. Diese Awareness ist der echte Game-Changer bei der Sache.

Gehen Sie jetzt das an, was auf den Tellern bleibt, also den Post-Consumer-Abfall?

Ja, das ist der nächste Schritt. Wir haben zum Beispiel bereits herausgefunden, warum so viele halbe Brötchenscheiben im Müll landeten. Ergebnis: Der Belag unserer Frühstücksteller hat nicht zu vier Hälften gepasst! Jetzt haben wir die Rezeptur so verändert, dass der Belag reicht. Zudem wissen wir durch unsere Messungen besser, von welchen Produkten wir zu viel auf dem Teller anbieten. Wenn eine Portion Pommes zu groß ist, schmecken die letzten nicht mehr und bleiben liegen. Oder wann die Mindesthaltbarkeit abläuft: Auch das überwachen wir jetzt so, dass wir wirklich das meiste verkaufen, bevor es abläuft.

Bei den Möbeln setzt Ikea auf Kreislaufwirtschaft, man kann immer mehr alte Möbel, die man nicht mehr haben will, bei Ihnen abgeben. Bei Food auch?

Circularity ist unser oberstes Ziel. Es gibt Überlegungen, dies auch im Food-Bereich umzusetzen. Hier sind wir noch in den Anfängen. Erfolgreich sind wir bereits mit unserem Zweite-Chance-Markt, ehemals Fundgrube, wenn es um gebrauchte Möbel geht.

Sie haben mal Touristik gelernt, jetzt sind Sie neben Food- auch Nachhaltigkeitsmanagerin. Macht das mehr Spaß oder mehr Frust?

Das ist erfüllend! Ich bin vor acht Jahren in die Zentrale gewechselt und merke, wie das, was wir ausprobieren, vor Ort den Umgang mit Ressourcen verbessert. Und wie alle mitziehen. Das ist ein tolles Gefühl.

  • Abfall
  • Ernährung
  • Kreislaufwirtschaft
  • Lebensmittelverschwendung
  • Umweltschutz
  • Vegetarismus
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News

Agrarkommissar schlägt rechtlich fragwürdige Aussetzung von GAP-Sanktionen vor

EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Vorschläge dazu unterbreitet, wie die von ihr angekündigten Entlastungen der Bauern in Sachen Bürokratie aussehen könnten. Noch vor dem nächsten Agrarrat Ende des Monats will von der Leyen hierzu einen Entwurf vorlegen, wie sie Anfang Februar als Reaktion auf die Bauernproteste ankündigte. Wojciechowskis Vorschläge gehen weit – und die juristische Basis ist teils fragwürdig, wie ein Rechtsexperte Table.Media bestätigt.

So spricht sich Wojciechowski für die Aussetzung von Sanktionen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aus. Das geht aus einer internen Note Wojciechowskis an von der Leyen hervor, die das französische Portal Contexte vergangene Woche veröffentlichte. Demnach soll Brüssel den Mitgliedstaaten “signalisieren”, dass sie Sanktionen für Verstöße gegen die GLÖZ-Standards zeitweise aussetzen können. Als rechtliche Grundlage verweist Wojciechowski auf die Verordnung zur Finanzierung und Umsetzung der GAP, die Ausnahmen “im Fall höherer Gewalt und außergewöhnlicher Umstände” zulässt. Eine solche Ausnahmesituation liege aufgrund der Marktverwerfungen durch den Ukraine-Krieg vor, argumentiert er.

Rechtliche Basis wackelig

Ob hohe Produktionskosten infolge des Ukraine-Kriegs jedoch tatsächlich einen “außergewöhnlichen Umstand” darstellen, “muss bezweifelt werden“, meint der Göttinger Agrarrechtsprofessor José Martinez. Denn die Kosten seien absehbar gewesen. Dazu kommt aus Sicht des Experten, dass sich die Ausnahmeregelung, die in der Verordnung vorgesehen ist, auf Einzelfälle beziehe, also auf die Situation einzelner Betriebe. Sanktionen könnten auf dieser Basis also nicht, wie Wojciechowski vorschlägt, flächendeckend ausgesetzt werden.

Auch ein weiterer Vorschlag des Agrarkommissars könnte aus Martinez’ Sicht auf juristische Schwierigkeiten stoßen. Bei den Direktzahlungen sollen Betriebe nach dem Willen Wojciechowskis keine Belege – wie georeferenzierte Fotos – mehr dafür liefern müssen, dass beispielsweise Ökoregelungen tatsächlich umgesetzt wurden. Stattdessen würde eine einfache Erklärung hierüber ausreichen. Damit würde die Beweislast umgekehrt: Nicht der Betrieb müsste nachweisen, dass er eine Leistung erbringt, sondern die zuständigen Behörden müssten im Zweifelsfall beweisen, dass er dies nicht tut. Für einen solchen Schritt müsste aber aus Sicht von Martinez die entsprechende Verordnung ausdrücklich geändert werden, inklusive Zustimmung der Mitgliedstaaten und des Parlaments. Das dürfte die Kommission kurz vor Ende der Legislaturperiode vermeiden wollen.

Mitgliedstaaten sollen mehr zahlen

Als dritten Punkt schlägt Wojciechowski vor: Die Mitgliedstaaten sollen aus ihren eigenen Haushalten einen Inflationsausgleich für die GAP-Direktzahlungen finanzieren. Von einer Erhöhung der Zahlungen um bis zu zehn Prozent ist in der Note die Rede. Dadurch, dass die Kommission die Höchstgrenzen für nationale Beihilfen im Zuge des Ukraine-Kriegs temporär angehoben hat, sei dies erlaubt.

Dass von der Leyen die Vorschläge eins zu eins übernimmt, ist eher unwahrscheinlich. Der polnische Agrarkommissar war bereits seit längerem immer wieder öffentlich von der Linie der Kommission abgewichen, und rechtliche Schwierigkeiten dürfte sich die Kommissionspräsidentin nicht einhandeln wollen. Selbst bei Bauernvertretern sorgten in Brüssel die unorthodoxen Vorschläge für Verwunderung. Trotzdem könnte das Papier eine erste Arbeitsgrundlage dafür bilden, was die Kommission schließlich präsentiert.

  • Bauernproteste
  • Europäische Kommission
  • Gemeinsame Agrarpolitik

“Anzeichen” von Wettbewerbsproblemen im Lebensmitteleinzelhandel

Am vergangenen Donnerstag hat die Monopolkommission einen Policy Brief zu den Wettbewerbsbedingungen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) veröffentlicht. Die Kommission räumt ein, dass Strukturen der Lebensmittellieferkette in Deutschland Anzeichen von möglichen Wettbewerbsproblemen und Marktmacht aufweisen. Ein Eingriff in den Markt sei allerdings vorerst nicht notwendig. Das unabhängige Beratungsgremium war im Januar im Zuge der Bauernproteste von Wirtschaftsminister Robert Habeck beauftragt worden, die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels zu überprüfen.

Gesetzesverschärfung erstmal nicht notwendig

Laut dem Policy Brief sei der hohe Marktanteil des LEH auch durch “veränderte Produktions- und Nachfragestrukturen bedingt” und bedeute deshalb nicht zwingend eine zu hohe Marktmacht. Die Kommission empfiehlt, “nur behutsam und auf klarer Tatsachengrundlage” zugunsten der Landwirte in die Agrarmärkte oder die Lieferkette einzugreifen. Damit sieht sie vorerst keine Notwendigkeit, bestehende Regulierungen zu verschärfen.

Zur Debatte steht unter anderem, das Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz (AgrarOLkG) zu verstärken und weitere Handelspraktiken unter dem Gesetz zu verbieten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium arbeitet zudem aktuell an Maßnahmen, um die Verhandlungsmacht von Milchbauern zu stärken. Der Policy Brief verweist auf diverse bestehende Instrumente zur Regulierung der Marktmacht, die teilweise erst seit kurzem ihre Wirkung entfalten und deren Auswirkungen noch nicht abschließend geklärt seien.

Gründlichere Untersuchung geplant

Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert dagegen, aktuelle Daten zu anderen EU-Ländern, die die Lieferbeziehungen im Agrarsektor in den letzten Jahren stärker reguliert haben, seien nicht einbezogen worden. Mit dem Papier will die Kommission allerdings nur eine erste Einschätzung vorlegen, eine gründlichere Untersuchung soll folgen. So könne eine Grundlage geschaffen werden, um gegebenenfalls einen Eingriff in den Markt zu empfehlen. Zudem will sie bewerten, ob eine Sektoruntersuchung durch das Bundeskartellamt notwendig ist. ag

  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
  • Lebensmittel
  • Lebensmittelindustrie
  • LEH
  • Lieferketten
  • Lieferkettengesetz

Keine Mehrheit der EU-Länder für neuen Vorschlag zu Brachflächen

Der jüngste Vorschlag der Europäischen Kommission für eine temporäre Lockerung des GLÖZ-8-Standards zu Brachflächen fand bei einer Abstimmung im zuständigen Ausschuss am Freitag nicht die nötige qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten. Auch die Bundesregierung enthielt sich, was bei dem Abstimmungsverfahren faktisch wie eine Gegenstimme zählt. Die Kommission hatte bereits Ende Januar als Zugeständnis an die protestierenden Bauern eine Ausnahmeregelung für 2024 vorgeschlagen, diese aber zuletzt noch einmal deutlich ausgeweitet – laut einem Kommissionssprecher auf Wunsch einiger Mitgliedstaaten.

Dem Vorschlag zufolge sollen Betriebe GLÖZ 8 statt durch vier Prozent Brachflächen auch durch den Anbau von Leguminosen oder Zwischenfrüchten erfüllen können. Im ursprünglichen Entwurf waren hierfür jedoch sieben Prozent der Ackerfläche gefordert, im neuesten nur noch vier. Brachflächen hätten somit eins zu eins durch Leguminosen oder Zwischenfrüchte ersetzt werden können. Trotz der Änderungen stimmte dem Kommissionssprecher zufolge eine Reihe von Ländern gegen den neuen Vorschlag oder enthielt sich, weil ihnen auch dieser nicht weit genug gegangen sei. Gegenteiliges gilt für Deutschland, denn die Bundesregierung enthielt sich offenbar nicht trotz, sondern wegen der zusätzlichen Lockerungen.

“Zickzack-Kurs” der Kommission

Mit dem neuesten Vorschlag verpasse die Kommission “einen ausgewogenen Weg der Mitte, der die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft mit einem effizienten Schutz der Artenvielfalt zusammenbringt”, begründete Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nach der Abstimmung die Enthaltung der Bundesregierung. Eine solche ausgewogene Lösung wäre aus Sicht des Grünen-Politikers der ursprüngliche Vorschlag gewesen, den er noch ausdrücklich unterstützt hatte. Özdemir kritisierte zudem den “Zickzack-Kurs” der Kommission, die innerhalb weniger Wochen mehrmals ihre Meinung zur Brachenfrage geändert habe.

Trotz der gescheiterten Abstimmung hätte die Kommission nun die Möglichkeit, ihren Vorschlag eigenmächtig umzusetzen. Alternativ könnte sie einen neuen Entwurf vorlegen oder einen Berufungsausschuss anrufen. Man prüfe die weiteren Schritte, doch für welche Option die Kommission sich letztlich entscheidet, sei noch offen, sagte der Sprecher. jd

  • Biodiversität
  • Cem Özdemir
  • Europäische Kommission
  • Gemeinsame Agrarpolitik

Landwirtschaft, Ökologie, Europa: Frankreichs Ministerien bauen um

Einen Monat nach den ersten Ankündigungen der Regierungsumbildung in Frankreich ist die Regierung von Gabriel Attal nun komplett. Sie zählt 35 Minister und Staatssekretäre. Es ist Attal jedoch nicht gelungen, neue Gesichter aus dem rechten oder linken Lager zu gewinnen.

Agnès Pannier-Runacher, die bis Anfang Januar Ministerin für die Energiewende war, wurde überraschend zur beigeordneten Ministerin bei Marc Fesneau ernannt, Minister für Landwirtschaft und Ernährungssouveränität.

Wie das Landwirtschaftsministerium mitteilte, wird Pannier-Runacher zuständig sein für:

  • die ökologische Planung des Agrarsektors
  • Energiefragen
  • die Produktion von Biomasse
  • die Lebensmittelindustrie
  • Innovation und Forschung.

Ihr Fachwissen in den Bereichen Energie, Klima und Industrie werde dort von “unschätzbarem Wert sein”. Pannier-Runacher werde ihren Chef Fesneau auch bei weiteren Themen unterstützen, heißt es im Landwirtschaftsministerium. Etwa bei der Stärkung der Ernährungssouveränität und der Wettbewerbsfähigkeit der Agrar- und Lebensmittelsektoren sowie der Unterstützung der Land- und Forstwirte im Kampf gegen den Klimawandel.

Klimaverhandlungen liegen bei Christophe Béchu

Das Ministerium von Christophe Béchu, Minister für die ökologische Transformation, bekommt Zuwachs in Form von zwei stellvertretenden Ministern: Einer ist zuständig für den Wohnungsbau und damit für die Klimakomponente der thermischen Gebäudesanierung, der andere für den Verkehr. Auch ein neuer Staatssekretär wurde in sein Team aufgenommen, der für Meere und Biodiversität zuständig ist. Béchu hat außerdem die zuvor von Pannier-Runnacher geleiteten internationalen Klimaverhandlungen übernommen.

Das Energie-Ressort wurde dem Wirtschaftsministerium zugeteilt, das vom einflussreichen Bruno Le Maire geleitet wird. Diese Neuorganisation könnte für Spannungen zwischen den Ministern Béchu und Le Maire sorgen. So heißt es im Amtsblatt, dass sich Béchu um die thermische Sanierung von Gebäuden und die Elektrifizierung des Straßenverkehrs “unter Einbeziehung des Wirtschaftsministers” kümmern soll. Eine sehr administrative Art zu erklären, dass die verfolgte Politik vor allem vom Gewicht der amtierenden Minister und dem Willen des Staatspräsidenten Emmanuel Macron abhängen wird.

Stärkung des europäischen Portfolios

Auch das Europa-Ressort bekommt ein neues Gesicht. So wurde Jean-Noël Barrot zum beigeordneten Minister für Europa beim Minister für Europa und Auswärtige Angelegenheiten und ehemaligen Europaabgeordneten Stéphane Séjourné ernannt. Er tritt die Nachfolge von Laurence Boone an. Barrot war zuvor stellvertretender Minister für Digitales.

Sein Mandat als Abgeordneter der zentristischen Partei Mouvement démocrate im Département Yveline und als Regionalrat der Region Île-de-France wird er jedoch behalten. Die ehemalige Europaabgeordnete Chrysoula Zacharopoulou bleibt als Staatssekretärin für Entwicklung und internationale Partnerschaften erhalten. cst

  • Energiepolitik
  • Europapolitik
  • Europawahlen 2024
  • Frankreich
  • Klimapolitik
  • Landwirtschaft

CSDDD: Abstimmung im Rat verschoben

Die belgische Ratspräsidentschaft hat die Abstimmung über die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) verschoben. Die Entscheidung sei bei der Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter (AStV) am Freitag von der Agenda genommen worden, teilte ein Sprecher mit. Es sei zu diesem Zeitpunkt zu unsicher gewesen, ob eine qualifizierte Mehrheit zustande kommen würde.

Medienberichte über ein neues Datum am kommenden Mittwoch oder Freitag dementierte der Sprecher. Die Ratspräsidentschaft wolle mit den Mitgliedstaaten zunächst weiter an dem Gesetz arbeiten und die Abstimmung im AStV ansetzen, sobald “die Zeit dafür reif” sei. Es sei nicht einfach und nicht die bevorzugte Option, noch Änderungen vorzunehmen. Themen, bei denen Mitgliedstaaten noch Bedenken haben, wolle man ausführlich besprechen und “sehen, ob es einen Lösungsweg gibt”.

Die Reaktionen sind gespalten. “Die Verschiebung zeigt deutlich, dass das Lieferkettengesetz in dieser Form nicht mehrheitsfähig ist”, sagte Svenja Hahn (FDP), Schattenberichterstatterin im EU-Parlament. “Die klare Kritik aus Reihen des Parlaments und anderer Mitgliedstaaten hat gezeigt, wie groß die Unsicherheiten sind, ob das Lieferkettengesetz praxistauglich ist.” Nun müsse nachgebessert werden. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte Nachverhandlungen in dieser Legislaturperiode jedoch ausgeschlossen.

Befürworter des Gesetzes kritisierten noch einmal deutlich die Blockade der FDP und fordern die Bundesregierung auf, doch noch zuzustimmen. “Die FDP hat nicht nur Deutschland zu einer Enthaltung gezwungen, sondern auch auf andere Länder Druck ausgeübt, dem EU-Lieferkettengesetz ebenfalls nicht zuzustimmen”, kritisierte Anna Cavazzini (Grüne). “Ein ausgiebig verhandelter Kompromiss wurde so auf den letzten Metern auf undemokratische Weise ins Wanken gebracht. Eine Mehrheit war so nicht mehr sicher.” Die Entscheidung, die Abstimmung zu verschieben, müsse jetzt dafür genutzt werden, zeitnah die Unterstützung der Mitgliedstaaten zu sichern.

“Die FDP hat mit ihrer Blockade des Lieferkettengesetzes vor allem eins erreicht: Die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik als Verhandlungspartner ist zutiefst erschüttert”, erklärte Tiemo Wölken (SPD). Wer im Rat der EU künftig Mehrheiten finden wolle, werde dies ohne Deutschland tun. leo

  • Lieferkettengesetz

Tierwohlcent soll nicht bindend in Umbau der Tierhaltung fließen

In seinen jüngst den Fraktionen vorgelegten Eckpunkten zum “Tierwohlcent” fordert das BMEL die Einführung einer Verbrauchsteuer auf Fleisch und Fleischprodukte. Mit dieser “Fleischsteuer” soll der Umbau der Tierhaltung gefördert werden – das jedenfalls verspricht sich Bundeslandwirtschaftminister Özdemir. Genau das könnte allerdings rechtlich nicht garantiert werden, wie das Papier, das Table.Media vorliegt, zeigt.

“Eine verbindliche Bindung der Einnahmen für die Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung oder anderer landwirtschaftlicher Vorhaben ist nicht mit dem Unionsrecht vereinbar und könnte daher nicht gesetzlich normiert werden“, heißt es in dem Konzept. Auch Steuerrechtler Till Valentin Meickmann hatte vergangene Woche gegenüber Table.Media geäußert, dass eine solche Steuer voraussichtlich gegen das europarechtliche Verbot wettbewerbsverzerrender Beihilfen verstoßen würde.

Einnahmen könnten auch andere Haushaltslöcher stopfen

Die Einnahmen aus einer Fleischsteuer würden in den gesamten Bundeshaushalt fließen – die Zweckbindung wäre nicht festgelegt. So wäre es rechtlich möglich, die Mehreinnahmen auch zum Stopfen anderer Löcher im Haushalt einzusetzen. “Das zusätzliche Geld muss ausnahmslos zweckgebunden für Tierschutzfortschritte eingesetzt werden, um nachweislich mehr Tierschutz umzusetzen”, fordert der Deutsche Tierschutzbund.

Steffen Bilger, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, teilt diese Bedenken. “Zu viele Fragen sind offen”, sagt er gegenüber Table.Media. “Das gilt auch für die nicht gegebene Zweckbindung der möglichen Einnahmen aus der Fleischsteuer für den Stallumbau. Die Landwirte erwarten zu Recht einen Vorschlag, der juristisch trägt und von der Regierung einmütig vertreten wird.” ag

  • Agrarpolitik
  • Ampel-Koalition
  • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Neue Züchtungsmethoden: EU-Parlament schränkt Kommissionsvorschlag ein

Mit 307 zu 263 Stimmen nahm das Parlamentsplenum vergangene Woche seine Verhandlungsposition zur vorgeschlagenen Lockerung des EU-Gentechnikrechts an. Die Abgeordneten stellten sich damit im Grundsatz hinter den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Regeln für bestimmte genetisch veränderte Pflanzen zu lockern – allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Denn das Parlament votierte dafür, dass auch künftig alle Produkte, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden, mit der Aufschrift neuartige genomische Verfahren” versehen werden müssen. Dass ein Produkt mithilfe neuer Züchtungstechniken erzeugt wurde, soll zudem entlang der gesamten Lieferkette rückverfolgbar bleiben.

Die Kommission hatte im Gegensatz dazu für gentechnisch veränderte Pflanzen, die auch auf konventionelle Weise hätten entstehen können, eine deutliche Lockerung der Kennzeichnungspflicht vorgeschlagen. Nur Saatgut sollte demnach noch gekennzeichnet werden müssen, verarbeitete Produkte bis hin zum Supermarktregal nicht mehr. Dass das Parlamentsplenum für strengere Vorgaben zur Kennzeichnung und Nachverfolgbarkeit stimmte, ist ein wichtiger Punktsieg für die Grünen sowie Teile der Sozialdemokraten. Die verpflichtende Kennzeichnung sei “elementar”, sie werde es Verbrauchern ermöglichen, “eine bewusste Kaufentscheidung zu treffen”, sagt Martin Häusling, Schattenberichterstatter der Grünen, zu Table.Media.

Weiterhin Patt unter den Mitgliedstaaten

Zudem enthält der nun angenommene Text – wie bereits jener des Umweltausschusses – eine Klausel, die Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen und Saatgut ausschließt, jedoch im Widerspruch zum Europäischen Patentübereinkommen steht. Trotz der Einschränkungen trugen aber Grüne, Linke und etwa die Hälfte der Sozialdemokraten den Gesamttext am Ende nicht mit. Die EVP und die Liberalen (Renew) feierten die Verabschiedung des Texts dagegen als Erfolg. “Es ist ein historischer Tag, an dem das Europäische Parlament für die Wissenschaft gestimmt hat”, freute sich die EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd.

Aufseiten der Mitgliedstaaten zeichnet sich allerdings weiterhin kein Kompromiss zu dem Dossier ab. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte das Thema ebenfalls am Tag der Parlamentsabstimmung auch auf die Agenda der EU-Botschafter gesetzt. Diese erreichten aber keine Einigung, die Verhandlungen gehen jetzt wieder auf Arbeitsebene weiter, wie ein Sprecher bestätigte. Damit die Reform noch vor der Europawahl verabschiedet werden kann, hätte es eigentlich vergangene Woche schon eine Einigung zwischen Rat und Parlament geben müssen. Es besteht jedoch die Möglichkeit eines verkürzten Verfahrens. In diesem Fall wäre noch bis Mitte März Zeit. jd

  • EU-Gentechnik
  • EU-Gentechnikrecht
  • Europäisches Parlament
  • Grüne Gentechnik
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EU-Klimaziel: Kommission schwächt Vorgaben für Landwirtschaft ab

Um 90 Prozent soll die EU ihre CO₂-Emissionen bis 2040 im Vergleich zu 1990 senken: Das hat die Europäische Kommission vergangene Woche als Klimaziel vorgeschlagen. Zur Frage, was der Agrarsektor dazu beitragen soll, bleibt das entsprechende Papier aber vage: Die Landwirtschaft könne, “wie alle anderen Sektoren”, eine wichtige Rolle spielen, heißt es dort zwar. Konkreter wird es allerdings nicht.

In einer vorherigen Version des Vorschlags war der Agrarsektor noch deutlich stärker in die Pflicht genommen und als einer der Schlüsselsektoren zur CO₂-Reduzierung bezeichnet worden. Im finalen Vorschlag ist davon keine Rede mehr. Stattdessen wird betont, dass der Sektor nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur Ernährungssicherung beitragen müsse und dass nicht nur die Landwirtschaft, sondern die gesamte Lieferkette zur Emissionsreduktion beitragen solle. Konkrete Reduktionsziele für CO₂ oder andere Treibhausgase wie Methan finden sich in dem Text nicht.

Landwirtschaft “über Gebühr geschont”

In der parallel veröffentlichten Folgenabschätzungdem technischen Dokument der Kommission, auf dem der Vorschlag zum Klimaziel basiert – klingt das ganz anders: “Ohne ein spezifisches politisches Ziel zur Verringerung der Treibhausgasemissionen nach 2030 würden die landwirtschaftlichen Tätigkeiten
bis 2050 immer noch erhebliche Emissionen verursachen”, heißt es dort. Mit Blick auf die laufenden Bemühungen um das EU-Klimaziel 2030 sieht die Folgenabschätzung in der Landwirtschaft den “mangelnden Fortschritt” in den letzten Jahren als “Grund zur Besorgnis“. Es sei nötig, “einen Gang höher zu schalten.

Die Kommission habe die Landwirtschaft “über Gebühr geschont“, kommentiert Oliver Geden, IPCC-Autor und Leiter des SWP-Forschungsclusters Klimapolitik, den Vorschlag für das Klimaziel. Lob kommt dagegen vom EU-Bauerndachverband Copa Cogeca: “Endlich” setze die Kommission stärker auf den “Dialog mit den Landwirten”, schreibt der Verband. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte zuletzt im Zuge der Bauernproteste eine Reihe von Zugeständnissen an die Landwirtschaft angekündigt beziehungsweise bereits vorgelegt. jd/luk

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Termine

13.02. – 16.02.2024 / Messe Nürnberg
Messe BIOFACH – Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel
Seit 1990 ist die BIOFACH Treffpunkt für Pioniere und Newcomer, die ihre Leidenschaft für Bio-Lebensmittel und den Bio-Markt teilen und sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit Gleichgesinnten austauschen möchten. INFO

14.02.2024 – 17.00 Uhr / BIOFACH Messe Nürnberg
Podiumsdiskussion Vom Tierleid zum Tierwohl in der Nutztierhaltung – Was ist vom Gesetzgeber zu erwarten? INFO & PROGRAMM

14.02. – 15.02.2024 / Jork
Messe Norddeutsche Obstbautage
Die größte Fachmesse für den Obstbau im Norden. INFO

16.02.2024 – 17.30 / Hotel Bayerischer Hof München
Münchener Sicherheitskonferenz 2024 Recipe for Resilience: Fostering Cooperation for Sustainable Food Systems
Die MSC 2024 bietet eine einzigartige Gelegenheit für strategische Debatten über die drängendsten sicherheitspolitischen Herausforderungen der Welt. INFO

20.02. – 21.02.2024 – 10.00 – 17.00 Uhr / Grebenstein
Seminar Ackern in Zeiten des Klimawandels – welche Potenziale haben neue und alternative Kulturarten?
Das Seminar zeigt den Teilnehmenden neue Möglichkeiten in der Kulturartenwahl und Fruchtfolgegestaltung auf und nimmt dabei Anbaumethoden, Absatzmöglichkeiten und Aspekte des Betriebsmanagements unter die Lupe. INFO

20.02.- 22.02.2024 / Augsburg
Fachmesse RegioAgrar Bayern 2024
Die Messe RegioAgrar Bayern in Augsburg ist eine Landwirtschaftsmesse und regionale Fachmesse für landwirtschaftliche Produktion, Handel und Management. INFO

21.02.2024 – 16.00 – 18.00 Uhr / Hotel Aquino, Hannoversche Straße 5b, 10115 Berlin-Mitte
Podiumsdiskussion Bodenforum 2024: Agrarstrukturgesetze – Jetzt oder nie!
mit Wolfram Günther, Sächsischer Landwirtschaftsminister (Bündnis 90/Die Grünen)
Susanna Karawanskij, Thüringer Landwirtschaftsministerin (Die Linke)
Prof. Dr. José Martínez, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Landwirtschaftsrecht, Universität Göttingen
Hans-Jürgen Thies (MdB), Bodenmarktpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
ANMELDUNG

26.02.2024 / Brüssel
Tagung Rat für Landwirtschaft und Fischerei der Europäischen Union INFO

27.02. – 28.02.2024 – 9.00 – 17.00 Uhr / Stuttgart
44. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik in der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft e.V. Biodiversität fördern durch digitale Landwirtschaft – Welchen Beitrag leisten KI und Co?
Die Tagung bietet ein jährliches Forum für aktuelle Themen aus den Forschungsbereichen der Agrar- und Lebensmittelinformatik, einen schnellen und kompetenten Überblick über neue Entwicklungen der Informatik im Kontext der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft und spannende Diskussionen zu den neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen und Praxiserfahrungen. INFO

28.02. – 01.03.2024 / Stuttgart
Messe New Food Festival
Unter dem Motto “Die Zukunft ist jetzt” bietet die fünfte internationale Konferenz und Messe mit Keynotes, Talkpanels, Pitches, Break out Sessions und Roundtables wieder ganz viel Inspiration, Networking, Fachwissen und Erfahrungsaustausch zu Startups und Innovationen aus dem Lebensmittel-, Agrar-, Gastronomie- und Handelsbereich entlang der gesamten Nahrungsmittelwertkette. INFO

Presseschau

BFM hält Özdemirs Vorschlag zum Tierwohl-Cent für verbesserungswürdig agrarheute
Weitere Bauernproteste in Italien, Spanien und Polen Die Zeit
EU Commissioner for Agriculture Janusz Wojciechowski under pressure to quit Politico
Dieselalternativen für Traktoren: Diese Möglichkeiten gibt es taz
Das Potenzial von Wasserstoff als Kraftstoffalternative agrarheute
Discounter Action aus den Niederlanden überholt Lidl im Nonfood-Segment Lebensmittelzeitung
Fleischproduktion in Deutschland geht erneut zurück Die Zeit
Marktmacht des LEH: Strengere Regeln verbessern Lage der Landwirte nicht Euractiv
Düngemittelhersteller Yara verzeichnet Gewinneinbrüche AgE
Keine Bauernproteste in Dänemark: Wie das Land die Agrarpolitik transformiert agrar zeitung
The power of Europe’s rebellious farmers Financial Times

Heads

Christophe Clergeau: Der Mann, der Agrarmärkte im Sinne der Bauern regulieren will

Agrarexperte Christophe Clergeau in einer Ausschusssitzung.

Zum Thema Europa ist der französische Europaabgeordnete und Agrarexperte Christophe Clergeau (S&D) über Jacques Delors und Michel Rocard gekommen. Die entschieden pro-europäische Haltung der beiden Sozialisten unterschied sich deutlich von der öffentlichen Meinung in Frankreich, die schnell in Richtung Euroskeptizismus drehen kann.

2019 wurde Clergeau zum nationalen Europasekretär der Sozialistischen Partei ernannt. Zugleich ist er Regionalrat von Pays de la Loire, seiner Heimatregion im mittleren Westen Frankreichs. Sein Mandat als Regionalrat ermögliche es ihm, mit einem Fuß auf dem Boden zu bleiben, erklärt Clergeau. Der europäische Kreis schloss sich, als er am 2. Juni letzten Jahres ins Europäische Parlament nachrückte, als Éric Andrieu sein Mandat niederlegte.

Clergeau hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Er steht auf einem guten Platz auf der gemeinsamen Liste der Sozialistischen Partei und der vom französischen Europaabgeordneten Raphaël Glucksmann gegründeten Bewegung “Place publique” für die Europawahl. Mitglieder der Parti Socialiste werden an diesem Donnerstag über die Liste abstimmen, die am 10. Februar offiziell bestätigt werden soll. Ab dann wird Raphaël Glucksmann die gemeinsame Liste in den Europawahlkampf führen können. Dies wird die französischen Grünen und Renaissance, den französischen Zweig von Renew, alles andere als erfreuen, da alle drei politischen Gruppierungen versuchen werden, Stimmen aus demselben Lager der pro-europäischen und liberalen Wähler zu angeln.

“Landwirtschaft, Umwelt und Gesundheit sind untrennbar”

Im Europaparlament sitzt Clergeau in den Ausschüssen für Landwirtschaft, Umwelt (Biodiversität, Klimawandel und Gesundheit) und Entwicklungshilfe für die Nord-Süd-Beziehungen. Mit Landwirtschaft kennt er sich aus: 1997 war er Kabinettschef von Louis Le Pensec, dem damaligen sozialistischen Landwirtschaftsminister. 1999 verließ er Paris und ging als Lehr- und Forschungsbeauftragter zu AgroCampus Ouest nach Rennes. Die Hochschule bildet schwerpunktmäßig für die Landwirtschaft aus.

Während sich der europäische Agrarsektor in einer tiefen Krise befindet, ist der gelernte Ökonom und Geschichtswissenschaftler Clergeau der Ansicht, dass der politische Diskurs die Probleme des Agrarsektors “nicht mehr anspricht”. Er diagnostiziert einen “Agrarkonservatismus”, der in seinem Widerstand gegen die Agrarwende “immer radikaler” werde.

Clergeau würde Agrarmärkte gern regulieren

“Man wird die Landwirtschaft, die Umwelt und die Gesundheit gegeneinander ausspielen, obwohl diese drei Elemente untrennbar miteinander verbunden sind”, erklärt Clergeau. Für die S&D führt er die Verhandlungen um die neuen Gentechniken (NGTs) als Schattenberichterstatter. Durch die Einführung neuer Technologien und die Kontrolle von Normen können diese Gegensätze aufgehoben werden, erklärt er. Eine Position, die sein Lager gegen ihn aufbringen könnte. Er fordert, dass NGTs auch weiterhin genauso streng reguliert werden sollen wie herkömmliche Gentechnik. Diese Position steht im Gegensatz zu der Haltung der Koordinatorin der sozialistischen Fraktion im Landwirtschaftsausschuss, Clara Aguilera, die sich für die Entwicklung von NGT, auch in der biologischen Landwirtschaft, ausgesprochen hat.

Clergeau plädiert auch für die Regulierung der Agrarmärkte. “Die Preisschwankungen auf den Agrarmärkten ermöglichen es den Landwirten, vor allem denjenigen, die kleine und mittlere Betriebe führen, nicht, einen angemessenen Lohn zu erhalten”, sagt der Europaparlamentarier. Er sieht die Landwirte durch den Wirtschaftsliberalismus, der sich in der Agrarwelt durchsetzt, benachteiligt.

Und der Europaabgeordnete findet diese Marktlogik auch in der gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) wieder: “Die finanzielle Unterstützung, die von der GAP kommt, privilegiert die große Produktion und treibt die Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebe voran. Und es ist eine Hilfe ohne Bedingungen.” Handelsabkommen sind für ihn ein weiteres Gesicht dieses Wirtschaftsliberalismus, “sie setzen die Landwirte untereinander in Konkurrenz, die nicht denselben Standards unterliegen”, sagt er. “Deshalb bevorzuge ich die Regulierung der Märkte, um die Einkommen der Landwirte zu sichern.” Claire Stam

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Agrifood.Table Redaktion

AGRIFOOD.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Agrardiesel-Kontroverse kommt einfach nicht zur Ruhe. Zuletzt sorgt die Union für Unruhe, die das Thema weiter mit den Verhandlungen zum Wachstumschancengesetz verknüpft. Zwar gab dazu am Freitag eine Arbeitsgruppe eine weitgehende Einigung zwischen Bundestag und Bundesrat bekannt. Aber: “Für die Union steht eine Einigung zum Wachstumschancengesetz weiter unter der Prämisse, dass es auch über die Fortgeltung der Agrardiesel-Rückvergütung eine Verständigung im Vermittlungsausschuss gibt”, stellte CDU-Fraktionsvize Mathias Middelberg klar.

    Ob beim Haushaltsfinanzierungsgesetz, das die Agrardiesel-Kürzung enthält, überhaupt der Vermittlungsausschuss ins Spiel kommt, entscheidet sich aber frühestens am 22. März. Dann ist die nächste Bundesratssitzung angesetzt. Zünglein an der Waage könnten die SPD-geführten Bundesländer sein, von denen einige Kritik an den Plänen geäußert haben. Sie fordern, die Beihilfe ab 2025 langsamer als geplant auslaufen zu lassen und Alternativen zum Dieselantrieb stärker zu fördern.

    Das bedeutet aber nicht, dass die SPD-Länder im März gegen das Gesetz stimmen. Der Entschließungsantrag stehe “in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Haushaltsfinanzierungsgesetz 2024″ und verhindere auch nicht dessen mögliche Zustimmung, sagt der Regierungssprecher des Saarlandes zu Table.Media. Stattdessen dürfte es darum gehen, Zugeständnisse für die kommenden Jahre auszuhandeln. Die Verknüpfung von Agrardiesel und Wachstumschancengesetz kritisiert der Sprecher. Die Union erschwere damit “politische Lösungen für die Landwirtschaft.”

    Diese Woche richtet sich die Aufmerksamkeit der Agrarwelt erst einmal verstärkt auf die Biobranche: Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir eröffnet heute die Biofach-Messe und die neuen Branchendaten werden vorgestellt, denen zufolge sich die Branche von der Ukraine-Krise erholt hat.

    Ihre
    Amélie Günther
    Bild von Amélie  Günther

    Analyse

    Green Deal scheitert im Agrarbereich nicht erst an den Bauernprotesten

    Es ist ein weiterer Sargnagel für die Farm-to-Fork-Strategie: In einer Rede vor dem Europäischen Parlament am vergangenen Dienstag kündigte Ursula von der Leyen an, dass die EU-Kommission den Vorschlag für die SUR-Verordnung zurückzieht, die eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zum Ziel hat. Die Kommission könnte laut ihr einen “neuen, viel ausgereifteren Vorschlag” entwickeln. Sollte dieser überhaupt kommen, dann allerdings erst nach den Europawahlen.

    Die Rücknahme der SUR ist eines der Zugeständnisse im Zuge der Bauernproteste, die zuletzt die agrarpolitische Debatte in Brüssel und Straßburg geprägt haben. Diese protestierenden Landwirte hätten “uns gezeigt, dass viele von ihnen sich eingeengt fühlen, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden”, sagte Maroš Šefčovič, der für den Green Deal zuständige Kommissionsvize, am Mittwoch bei einer kurzfristig anberaumten Parlamentsdebatte zur “Stärkung der Landwirte und Landbevölkerung”.

    Die Proteste tragen zur Katerstimmung in Sachen Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft bei, die auch die Politik nach der Europawahl prägen dürfte. Doch der Green Deal war im Agrar- und Ernährungsbereich schon vorher ins Schleudern geraten.

    Kaum etwas übrig von Farm to Fork

    In der Farm-to-Fork-Strategie, dem Agrar- und Ernährungszweig des Green Deals, hatte sich die Kommission 2020 große Ziele gesetzt: Nahrungsmittel sollten nachhaltiger und gesünder produziert, verarbeitet und konsumiert werden, dazu wollte sie die Lebensmittelverschwendung begrenzen. Geblieben ist davon wenig:

    • Die angekündigte Tierschutzreform und das Gesetz zu nachhaltigen Lebensmittelsystem legte die Kommission gar nicht vor.
    • Die Chemikalienverordnung ist auf unbestimmte Zeit verschoben.
    • Das geplante Bodenschutzgesetz wurde zum “Bodenüberwachungsgesetz” degradiert.
    • Einen Vorschlag gegen Lebensmittelverschwendung legte die Kommission im vergangenen Sommer vor, Parlament und Rat haben ihn bisher aber nicht aufgegriffen.
    • Auch die SUR war bereits vor von der Leyens Rückzieher in einer politischen Sackgasse, nachdem das Parlament im November dagegen gestimmt hatte.

    Für den Europaabgeordneten Pascal Canfin (Renew), Vorsitzender des einflussreichen ENVI-Ausschusses, ist die Strategie der Entpolarisierung, die für alles andere funktioniert hat”, bei der Landwirtschaft gescheitert. Und tatsächlich: In Sachen Klima und Energie wurde vieles umgesetzt in dieser Legislatur, so zum Beispiel die Reform des europäischen Emissionshandels (von dem die Landwirtschaft übrigens ausgenommen ist).

    Diese Diskrepanz dürfte auch darauf zurückgehen, dass die Gruppe derer, die die Kosten von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen tragen, in der Landwirtschaft klar definiert und gut organisiert ist. Anders als beispielsweise beim Emissionshandel, der Mehrkosten für eine diffuse Gruppe an Wirtschafts- und Industriesektoren verursacht und für den Verbraucher schwer zu durchschauen ist.

    Klima- statt Artenschutz

    Hinzu kommt, dass der Green Deal von Teilen des politischen Spektrums immer stärker als reiner “Klimadeal” interpretiert wurde. Bei den Agrardossiers geht es dagegen häufig um Arten- und Umweltschutz, so zum Beispiel bei der SUR, aber auch beim Renaturierungsgesetz. Dieses ist zwar nicht Teil der Farm-to-Fork-Strategie, betrifft die Landwirtschaft aber unmittelbar. Ob der Schutz der Biodiversität – im Gegensatz zum Klimaschutz – wirklich hoch genug zu bewerten ist, um dafür Einschränkungen der (Land-)Wirtschaft in Kauf zu nehmen, ist vor allem bei der EVP, aber auch in Teilen von Renew umstritten.

    Doch auch die Kommission selbst hat dazu beigetragen, dass von ihren Ambitionen am Ende wenig übrig blieb. Das gab von der Leyen beim Rückzug der SUR teils selbst zu: Der Vorschlag habe “polarisiert”, räumt sie ein. Die Farm-to-Fork-Strategie entstand unter dem Eindruck der Europawahl 2019, bei der die Grünen nach Massendemonstrationen von Fridays for Future Rekordergebnisse erzielten. Die Kommission unterschätzte dabei die Sprengkraft ihrer Vorschläge, die wegen des langwierigen politischen Prozesses in der EU erst gegen Ende der Legislaturperiode stärker diskutiert wurden. In der Zwischenzeit hatte sich die Stimmung gedreht: Durch Pandemie und den Ukrainekrieg war das Thema Ernährungssicherheit stärker in den Fokus gerückt.

    Schwierige Verhältnisse nach der Wahl

    Gleichzeitig begannen die Parteien bereits, sich für die nächste Wahl in Stellung zu bringen, was Kompromisse zu heiklen Themen erschwerte. Dazu kommen nun die Bauernproteste, die wohl weiter dazu beitragen, dass auch in der nächsten Legislaturperiode die Kompromissbildung bei Agrardossiers noch schwieriger werden dürfte. Zudem sagen Prognosen voraus, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament nach rechts verschieben. “Wenn es keine demokratische Unterstützung für den Green Deal mehr gibt, wird er enden. Das ist eine der großen Herausforderungen der Wahl”, betont Pascal Canfin.

    Auch bei den Grünen bangt man: “Bei den letzten Europawahlen 2019 gab es die Klimamärsche und es war politisch teuer, sich gegen den Green Deal zu stellen. Heute ist es politisch rentabel“, sagt der Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts. Die Grünen müssten daher bei der Wahl “das Spiel ihres Lebens” liefern.

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    Ikeas Food-Managerin sieht Deutschland als Vorreiter bei Ernährungswende

    Tanja Schramm, Ikea Country Food Manager

    Frau Schramm, Ikea macht nicht nur in Möbeln, sondern auch in Lebensmitteln. Dafür sind Sie in Deutschland verantwortlich. Wie viele Menschen essen bei Ihnen?

    Das können wir nur schätzen. Wenn wir pro Ticket-Bon in unseren Restaurants und Schwedenbistros 1,8 Esser annehmen – als Mittelwert – dann kommen wir auf bis zu 50 Millionen Menschen im Jahr. Etwa die Hälfte aller Kundinnen und Kunden in unseren Einrichtungshäusern isst auch bei uns. Manche kommen auch nur zum Essen, besonders zum Frühstück.

    Wie hoch ist der Food-Anteil am Umsatz von Ikea Deutschland?

    In Deutschland 4,5 Prozent – 267 Millionen Euro im vergangenen Geschäftsjahr.

    Zuletzt, im “Veganuary”, haben Sie besonders viele vegane Gerichte angeboten. Wie kommt das an?

    Wir haben uns in diesem Jahr zum vierten Mal beteiligt. Das passt perfekt in unser Konzept: Seit sechs Jahren bieten wir immer mehr pflanzenbasierte Gerichte an. Im Januar sind es vier von sechs Gerichten; über das Jahr liegen wir bei 40 Prozent der Hauptgerichte. Unser Ziel bis 2025 sind 50 Prozent. Natürlich bieten wir weiterhin auch die Klassiker an, etwa die Entenkeule im Dezember. Es geht nicht darum, unser Lebensmittelangebot einzuschränken. Wir möchten es vielmehr dauerhaft um weitere gesündere und umweltbewusstere Optionen ergänzen.

    Können Sie bei Ihrer Kundschaft die viel beschworene Ernährungswende erkennen? 

    Ich sehe tatsächlich eine Wende, bei der unsere Kundinnen und Kunden in Deutschland Vorreiter sind. Wir erkennen das als globales Unternehmen an den Verkaufszahlen: In Deutschland greift jeder vierte Kunde bereits zu einem pflanzenbasierten Angebot – Tendenz steigend. Dies zeigt auch die Bilanz des diesjährigen Veganuary: Wir haben im Januar fast doppelt so viele Kunden überzeugen können, ein veganes Schnitzelgericht zu kaufen statt unseres Hähnchenschnitzels. Insgesamt entschieden sich im Januar vier von zehn für ein vegetarisches oder veganes Gericht, ein deutlicher Anstieg gegenüber den Vormonaten.

    Haben eingefleischte Köttbullar-Fans gemeckert, als Sie alternativ zu den schwedischen Hackbällchen den Plantbullar eingeführt haben?  

    Im Gegenteil. Es gab nur die Bitte der Fans des Veggie-Hotdogs, dass dieser vegetarische Hotdog so bleibt, wie er ist, nämlich auf der Basis von Gemüse und Maiskörnern. Der schmecke so gut. Deshalb haben wir dann noch einen Plant-Hotdog für alle eingeführt, die sich einen Geschmack wünschen, der näher am Original ist. In unseren Schwedenbistros entscheiden sich bereits 25 Prozent der Kundschaft für einen pflanzlichen Hotdog oder Gemüse-Hotdog.

    Sie wollen in Ihren Shops bis 2025 sogar zu 80 Prozent nur noch pflanzenbasierte Lebensmittel anbieten.

    Ja, im verpackten Food-Sortiment wird es dann neben unserem pflanzlichen Lebensmittelangebot fast nur noch unsere ikonischen nicht-pflanzlichen Produkte geben: Köttbullar und Lachs.

    Steht dahinter das Bekenntnis von Ikea zum Green Deal?

    Wir haben eine ganz starke Nachhaltigkeitsstrategie und wollen bis 2030 unseren CO₂-Fußabdruck halbieren. Wir sind ein globales Unternehmen und wissen, dass unser Verhalten wirklich Einfluss hat. Daher verfolgen wir einen stringenten CO₂-Reduktionspfad, bei dem Food eine elementare Rolle spielt. Dazu gehört, Fleisch zu ersetzen – und zwar gerade bei den Produkten, die die Menschen kennen und mögen.

    Lidl bietet seit Oktober 2023 pflanzenbasierte Lebensmittel zum gleichen oder niedrigeren Preis an wie vergleichbare tierische Alternativen. Wie ist das bei Ikea?

    Wir machen das schon länger so. Die Ingka Gruppe hat bereits früh die Entscheidung getroffen, dass unsere pflanzlichen Lebensmittel seit Oktober 2022 immer zum gleichen oder gar niedrigeren Preis als die vergleichbare Alternative auf Basis von tierischem Eiweiß angeboten werden. Und Ikea Deutschland geht noch weiter: Seit Oktober 2022 ist das pflanzliche Lebensmittelangebot aus Gemüsebällchen, Proteinbällchen, dem Veggie-Hotdog und dem pflanzlichen Softeis immer die erschwinglichere Wahl, und zwar um zehn bis 50 Prozent.

    Von Lidls Vegan-Offensive las man viel mehr als von Ihrer.

    Das ist vielleicht nur in Fachgremien bekannt, weil wir mit unserer Systemgastronomie in einem Möbelhaus im Food-Bereich Exoten sind. Gleichzeitig schauen viele auf uns, auch im Handel. Denn wir gehören zu den großen Systemgastronomen in Deutschland. Es gehört ja ein gewisser Mut dazu, sein Sortiment so zu verändern. Also nicht mehr fünf Fleischgerichte anzubieten und als Feigenblatt dazu ein vegetarisches.

    Stichwort Verpackung: Sie bieten neuerdings Mehrweggeschirr an. Kommen die Leute denn so oft in die Restaurants?

    Wir bieten Einweggeschirr, Becher und Bowls gegen einen Euro Pfand vor allem im Schwedenbistro an, damit unsere Kundschaft das Getränk oder den Hotdog mit nach Hause nehmen kann. Das läuft über das RECUP/REBOWL-Mehrwegsystem. Kundinnen und Kunden können die Gefäße hinterher deutschlandweit bei allen Partnerbetrieben, aber auch bei uns, zurückgeben und Pfand zurückerhalten. Außerdem können sie in den Bowls in unseren Schwedenrestaurants Essensreste einpacken und mit nach Hause nehmen. Diese Maßnahmen reduzieren den Wegwerfgeschirr-Müll – und zugleich die Lebensmittelverschwendung.

    Wie viel Lebensmittelabfall entsteht bei Ikea? Allgemein geht man ja im Gastro-Bereich davon aus, dass 17 Prozent der Lebensmittel in der Mülltonne landen.

    Dem Thema haben wir uns 2017 erstmals national mit der NGO “United Against Waste” gestellt, mit dem Ziel, diese Abfälle zu halbieren. Zu Beginn haben wir durchsichtige Abfalltonnen für den Biomüll hingestellt und die Menge an Abfall erfasst, sodass die Mitarbeitenden gesehen haben, was sie da eigentlich wegwerfen. Später wurde die Abfallmessung von einer KI namens “Waste Watcher” übernommen und erfasst. Das ist eine lernende digitale Waage mit Kamera. Am Anfang muss der Mitarbeiter ihr noch helfen und eintippen, was er da jetzt reingeworfen hat, damit sie das erfassen kann. Mit der Zeit erkennt die KI das selbst an den gespeicherten Bildern.

    Und so haben Sie die Halbierung der Abfälle erreicht?

    Im Pre-Consumer-Bereich ja! Und das, obwohl am Anfang der Ausgangswert unserer Messungen schon sichtbar gesunken war, bevor wir ihn festgehalten hatten. Warum? Weil die durchsichtigen Tonnen sofort zu einem größeren Bewusstsein bei den Mitarbeitenden geführt hatte. Diese Awareness ist der echte Game-Changer bei der Sache.

    Gehen Sie jetzt das an, was auf den Tellern bleibt, also den Post-Consumer-Abfall?

    Ja, das ist der nächste Schritt. Wir haben zum Beispiel bereits herausgefunden, warum so viele halbe Brötchenscheiben im Müll landeten. Ergebnis: Der Belag unserer Frühstücksteller hat nicht zu vier Hälften gepasst! Jetzt haben wir die Rezeptur so verändert, dass der Belag reicht. Zudem wissen wir durch unsere Messungen besser, von welchen Produkten wir zu viel auf dem Teller anbieten. Wenn eine Portion Pommes zu groß ist, schmecken die letzten nicht mehr und bleiben liegen. Oder wann die Mindesthaltbarkeit abläuft: Auch das überwachen wir jetzt so, dass wir wirklich das meiste verkaufen, bevor es abläuft.

    Bei den Möbeln setzt Ikea auf Kreislaufwirtschaft, man kann immer mehr alte Möbel, die man nicht mehr haben will, bei Ihnen abgeben. Bei Food auch?

    Circularity ist unser oberstes Ziel. Es gibt Überlegungen, dies auch im Food-Bereich umzusetzen. Hier sind wir noch in den Anfängen. Erfolgreich sind wir bereits mit unserem Zweite-Chance-Markt, ehemals Fundgrube, wenn es um gebrauchte Möbel geht.

    Sie haben mal Touristik gelernt, jetzt sind Sie neben Food- auch Nachhaltigkeitsmanagerin. Macht das mehr Spaß oder mehr Frust?

    Das ist erfüllend! Ich bin vor acht Jahren in die Zentrale gewechselt und merke, wie das, was wir ausprobieren, vor Ort den Umgang mit Ressourcen verbessert. Und wie alle mitziehen. Das ist ein tolles Gefühl.

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    News

    Agrarkommissar schlägt rechtlich fragwürdige Aussetzung von GAP-Sanktionen vor

    EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Vorschläge dazu unterbreitet, wie die von ihr angekündigten Entlastungen der Bauern in Sachen Bürokratie aussehen könnten. Noch vor dem nächsten Agrarrat Ende des Monats will von der Leyen hierzu einen Entwurf vorlegen, wie sie Anfang Februar als Reaktion auf die Bauernproteste ankündigte. Wojciechowskis Vorschläge gehen weit – und die juristische Basis ist teils fragwürdig, wie ein Rechtsexperte Table.Media bestätigt.

    So spricht sich Wojciechowski für die Aussetzung von Sanktionen innerhalb der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) aus. Das geht aus einer internen Note Wojciechowskis an von der Leyen hervor, die das französische Portal Contexte vergangene Woche veröffentlichte. Demnach soll Brüssel den Mitgliedstaaten “signalisieren”, dass sie Sanktionen für Verstöße gegen die GLÖZ-Standards zeitweise aussetzen können. Als rechtliche Grundlage verweist Wojciechowski auf die Verordnung zur Finanzierung und Umsetzung der GAP, die Ausnahmen “im Fall höherer Gewalt und außergewöhnlicher Umstände” zulässt. Eine solche Ausnahmesituation liege aufgrund der Marktverwerfungen durch den Ukraine-Krieg vor, argumentiert er.

    Rechtliche Basis wackelig

    Ob hohe Produktionskosten infolge des Ukraine-Kriegs jedoch tatsächlich einen “außergewöhnlichen Umstand” darstellen, “muss bezweifelt werden“, meint der Göttinger Agrarrechtsprofessor José Martinez. Denn die Kosten seien absehbar gewesen. Dazu kommt aus Sicht des Experten, dass sich die Ausnahmeregelung, die in der Verordnung vorgesehen ist, auf Einzelfälle beziehe, also auf die Situation einzelner Betriebe. Sanktionen könnten auf dieser Basis also nicht, wie Wojciechowski vorschlägt, flächendeckend ausgesetzt werden.

    Auch ein weiterer Vorschlag des Agrarkommissars könnte aus Martinez’ Sicht auf juristische Schwierigkeiten stoßen. Bei den Direktzahlungen sollen Betriebe nach dem Willen Wojciechowskis keine Belege – wie georeferenzierte Fotos – mehr dafür liefern müssen, dass beispielsweise Ökoregelungen tatsächlich umgesetzt wurden. Stattdessen würde eine einfache Erklärung hierüber ausreichen. Damit würde die Beweislast umgekehrt: Nicht der Betrieb müsste nachweisen, dass er eine Leistung erbringt, sondern die zuständigen Behörden müssten im Zweifelsfall beweisen, dass er dies nicht tut. Für einen solchen Schritt müsste aber aus Sicht von Martinez die entsprechende Verordnung ausdrücklich geändert werden, inklusive Zustimmung der Mitgliedstaaten und des Parlaments. Das dürfte die Kommission kurz vor Ende der Legislaturperiode vermeiden wollen.

    Mitgliedstaaten sollen mehr zahlen

    Als dritten Punkt schlägt Wojciechowski vor: Die Mitgliedstaaten sollen aus ihren eigenen Haushalten einen Inflationsausgleich für die GAP-Direktzahlungen finanzieren. Von einer Erhöhung der Zahlungen um bis zu zehn Prozent ist in der Note die Rede. Dadurch, dass die Kommission die Höchstgrenzen für nationale Beihilfen im Zuge des Ukraine-Kriegs temporär angehoben hat, sei dies erlaubt.

    Dass von der Leyen die Vorschläge eins zu eins übernimmt, ist eher unwahrscheinlich. Der polnische Agrarkommissar war bereits seit längerem immer wieder öffentlich von der Linie der Kommission abgewichen, und rechtliche Schwierigkeiten dürfte sich die Kommissionspräsidentin nicht einhandeln wollen. Selbst bei Bauernvertretern sorgten in Brüssel die unorthodoxen Vorschläge für Verwunderung. Trotzdem könnte das Papier eine erste Arbeitsgrundlage dafür bilden, was die Kommission schließlich präsentiert.

    • Bauernproteste
    • Europäische Kommission
    • Gemeinsame Agrarpolitik

    “Anzeichen” von Wettbewerbsproblemen im Lebensmitteleinzelhandel

    Am vergangenen Donnerstag hat die Monopolkommission einen Policy Brief zu den Wettbewerbsbedingungen des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) veröffentlicht. Die Kommission räumt ein, dass Strukturen der Lebensmittellieferkette in Deutschland Anzeichen von möglichen Wettbewerbsproblemen und Marktmacht aufweisen. Ein Eingriff in den Markt sei allerdings vorerst nicht notwendig. Das unabhängige Beratungsgremium war im Januar im Zuge der Bauernproteste von Wirtschaftsminister Robert Habeck beauftragt worden, die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels zu überprüfen.

    Gesetzesverschärfung erstmal nicht notwendig

    Laut dem Policy Brief sei der hohe Marktanteil des LEH auch durch “veränderte Produktions- und Nachfragestrukturen bedingt” und bedeute deshalb nicht zwingend eine zu hohe Marktmacht. Die Kommission empfiehlt, “nur behutsam und auf klarer Tatsachengrundlage” zugunsten der Landwirte in die Agrarmärkte oder die Lieferkette einzugreifen. Damit sieht sie vorerst keine Notwendigkeit, bestehende Regulierungen zu verschärfen.

    Zur Debatte steht unter anderem, das Agrarorganisationen- und Lieferkettengesetz (AgrarOLkG) zu verstärken und weitere Handelspraktiken unter dem Gesetz zu verbieten. Das Bundeslandwirtschaftsministerium arbeitet zudem aktuell an Maßnahmen, um die Verhandlungsmacht von Milchbauern zu stärken. Der Policy Brief verweist auf diverse bestehende Instrumente zur Regulierung der Marktmacht, die teilweise erst seit kurzem ihre Wirkung entfalten und deren Auswirkungen noch nicht abschließend geklärt seien.

    Gründlichere Untersuchung geplant

    Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert dagegen, aktuelle Daten zu anderen EU-Ländern, die die Lieferbeziehungen im Agrarsektor in den letzten Jahren stärker reguliert haben, seien nicht einbezogen worden. Mit dem Papier will die Kommission allerdings nur eine erste Einschätzung vorlegen, eine gründlichere Untersuchung soll folgen. So könne eine Grundlage geschaffen werden, um gegebenenfalls einen Eingriff in den Markt zu empfehlen. Zudem will sie bewerten, ob eine Sektoruntersuchung durch das Bundeskartellamt notwendig ist. ag

    • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
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    • Lieferkettengesetz

    Keine Mehrheit der EU-Länder für neuen Vorschlag zu Brachflächen

    Der jüngste Vorschlag der Europäischen Kommission für eine temporäre Lockerung des GLÖZ-8-Standards zu Brachflächen fand bei einer Abstimmung im zuständigen Ausschuss am Freitag nicht die nötige qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten. Auch die Bundesregierung enthielt sich, was bei dem Abstimmungsverfahren faktisch wie eine Gegenstimme zählt. Die Kommission hatte bereits Ende Januar als Zugeständnis an die protestierenden Bauern eine Ausnahmeregelung für 2024 vorgeschlagen, diese aber zuletzt noch einmal deutlich ausgeweitet – laut einem Kommissionssprecher auf Wunsch einiger Mitgliedstaaten.

    Dem Vorschlag zufolge sollen Betriebe GLÖZ 8 statt durch vier Prozent Brachflächen auch durch den Anbau von Leguminosen oder Zwischenfrüchten erfüllen können. Im ursprünglichen Entwurf waren hierfür jedoch sieben Prozent der Ackerfläche gefordert, im neuesten nur noch vier. Brachflächen hätten somit eins zu eins durch Leguminosen oder Zwischenfrüchte ersetzt werden können. Trotz der Änderungen stimmte dem Kommissionssprecher zufolge eine Reihe von Ländern gegen den neuen Vorschlag oder enthielt sich, weil ihnen auch dieser nicht weit genug gegangen sei. Gegenteiliges gilt für Deutschland, denn die Bundesregierung enthielt sich offenbar nicht trotz, sondern wegen der zusätzlichen Lockerungen.

    “Zickzack-Kurs” der Kommission

    Mit dem neuesten Vorschlag verpasse die Kommission “einen ausgewogenen Weg der Mitte, der die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft mit einem effizienten Schutz der Artenvielfalt zusammenbringt”, begründete Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nach der Abstimmung die Enthaltung der Bundesregierung. Eine solche ausgewogene Lösung wäre aus Sicht des Grünen-Politikers der ursprüngliche Vorschlag gewesen, den er noch ausdrücklich unterstützt hatte. Özdemir kritisierte zudem den “Zickzack-Kurs” der Kommission, die innerhalb weniger Wochen mehrmals ihre Meinung zur Brachenfrage geändert habe.

    Trotz der gescheiterten Abstimmung hätte die Kommission nun die Möglichkeit, ihren Vorschlag eigenmächtig umzusetzen. Alternativ könnte sie einen neuen Entwurf vorlegen oder einen Berufungsausschuss anrufen. Man prüfe die weiteren Schritte, doch für welche Option die Kommission sich letztlich entscheidet, sei noch offen, sagte der Sprecher. jd

    • Biodiversität
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    Landwirtschaft, Ökologie, Europa: Frankreichs Ministerien bauen um

    Einen Monat nach den ersten Ankündigungen der Regierungsumbildung in Frankreich ist die Regierung von Gabriel Attal nun komplett. Sie zählt 35 Minister und Staatssekretäre. Es ist Attal jedoch nicht gelungen, neue Gesichter aus dem rechten oder linken Lager zu gewinnen.

    Agnès Pannier-Runacher, die bis Anfang Januar Ministerin für die Energiewende war, wurde überraschend zur beigeordneten Ministerin bei Marc Fesneau ernannt, Minister für Landwirtschaft und Ernährungssouveränität.

    Wie das Landwirtschaftsministerium mitteilte, wird Pannier-Runacher zuständig sein für:

    • die ökologische Planung des Agrarsektors
    • Energiefragen
    • die Produktion von Biomasse
    • die Lebensmittelindustrie
    • Innovation und Forschung.

    Ihr Fachwissen in den Bereichen Energie, Klima und Industrie werde dort von “unschätzbarem Wert sein”. Pannier-Runacher werde ihren Chef Fesneau auch bei weiteren Themen unterstützen, heißt es im Landwirtschaftsministerium. Etwa bei der Stärkung der Ernährungssouveränität und der Wettbewerbsfähigkeit der Agrar- und Lebensmittelsektoren sowie der Unterstützung der Land- und Forstwirte im Kampf gegen den Klimawandel.

    Klimaverhandlungen liegen bei Christophe Béchu

    Das Ministerium von Christophe Béchu, Minister für die ökologische Transformation, bekommt Zuwachs in Form von zwei stellvertretenden Ministern: Einer ist zuständig für den Wohnungsbau und damit für die Klimakomponente der thermischen Gebäudesanierung, der andere für den Verkehr. Auch ein neuer Staatssekretär wurde in sein Team aufgenommen, der für Meere und Biodiversität zuständig ist. Béchu hat außerdem die zuvor von Pannier-Runnacher geleiteten internationalen Klimaverhandlungen übernommen.

    Das Energie-Ressort wurde dem Wirtschaftsministerium zugeteilt, das vom einflussreichen Bruno Le Maire geleitet wird. Diese Neuorganisation könnte für Spannungen zwischen den Ministern Béchu und Le Maire sorgen. So heißt es im Amtsblatt, dass sich Béchu um die thermische Sanierung von Gebäuden und die Elektrifizierung des Straßenverkehrs “unter Einbeziehung des Wirtschaftsministers” kümmern soll. Eine sehr administrative Art zu erklären, dass die verfolgte Politik vor allem vom Gewicht der amtierenden Minister und dem Willen des Staatspräsidenten Emmanuel Macron abhängen wird.

    Stärkung des europäischen Portfolios

    Auch das Europa-Ressort bekommt ein neues Gesicht. So wurde Jean-Noël Barrot zum beigeordneten Minister für Europa beim Minister für Europa und Auswärtige Angelegenheiten und ehemaligen Europaabgeordneten Stéphane Séjourné ernannt. Er tritt die Nachfolge von Laurence Boone an. Barrot war zuvor stellvertretender Minister für Digitales.

    Sein Mandat als Abgeordneter der zentristischen Partei Mouvement démocrate im Département Yveline und als Regionalrat der Region Île-de-France wird er jedoch behalten. Die ehemalige Europaabgeordnete Chrysoula Zacharopoulou bleibt als Staatssekretärin für Entwicklung und internationale Partnerschaften erhalten. cst

    • Energiepolitik
    • Europapolitik
    • Europawahlen 2024
    • Frankreich
    • Klimapolitik
    • Landwirtschaft

    CSDDD: Abstimmung im Rat verschoben

    Die belgische Ratspräsidentschaft hat die Abstimmung über die EU-Lieferkettenrichtlinie (CSDDD) verschoben. Die Entscheidung sei bei der Sitzung des Ausschusses der Ständigen Vertreter (AStV) am Freitag von der Agenda genommen worden, teilte ein Sprecher mit. Es sei zu diesem Zeitpunkt zu unsicher gewesen, ob eine qualifizierte Mehrheit zustande kommen würde.

    Medienberichte über ein neues Datum am kommenden Mittwoch oder Freitag dementierte der Sprecher. Die Ratspräsidentschaft wolle mit den Mitgliedstaaten zunächst weiter an dem Gesetz arbeiten und die Abstimmung im AStV ansetzen, sobald “die Zeit dafür reif” sei. Es sei nicht einfach und nicht die bevorzugte Option, noch Änderungen vorzunehmen. Themen, bei denen Mitgliedstaaten noch Bedenken haben, wolle man ausführlich besprechen und “sehen, ob es einen Lösungsweg gibt”.

    Die Reaktionen sind gespalten. “Die Verschiebung zeigt deutlich, dass das Lieferkettengesetz in dieser Form nicht mehrheitsfähig ist”, sagte Svenja Hahn (FDP), Schattenberichterstatterin im EU-Parlament. “Die klare Kritik aus Reihen des Parlaments und anderer Mitgliedstaaten hat gezeigt, wie groß die Unsicherheiten sind, ob das Lieferkettengesetz praxistauglich ist.” Nun müsse nachgebessert werden. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte Nachverhandlungen in dieser Legislaturperiode jedoch ausgeschlossen.

    Befürworter des Gesetzes kritisierten noch einmal deutlich die Blockade der FDP und fordern die Bundesregierung auf, doch noch zuzustimmen. “Die FDP hat nicht nur Deutschland zu einer Enthaltung gezwungen, sondern auch auf andere Länder Druck ausgeübt, dem EU-Lieferkettengesetz ebenfalls nicht zuzustimmen”, kritisierte Anna Cavazzini (Grüne). “Ein ausgiebig verhandelter Kompromiss wurde so auf den letzten Metern auf undemokratische Weise ins Wanken gebracht. Eine Mehrheit war so nicht mehr sicher.” Die Entscheidung, die Abstimmung zu verschieben, müsse jetzt dafür genutzt werden, zeitnah die Unterstützung der Mitgliedstaaten zu sichern.

    “Die FDP hat mit ihrer Blockade des Lieferkettengesetzes vor allem eins erreicht: Die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik als Verhandlungspartner ist zutiefst erschüttert”, erklärte Tiemo Wölken (SPD). Wer im Rat der EU künftig Mehrheiten finden wolle, werde dies ohne Deutschland tun. leo

    • Lieferkettengesetz

    Tierwohlcent soll nicht bindend in Umbau der Tierhaltung fließen

    In seinen jüngst den Fraktionen vorgelegten Eckpunkten zum “Tierwohlcent” fordert das BMEL die Einführung einer Verbrauchsteuer auf Fleisch und Fleischprodukte. Mit dieser “Fleischsteuer” soll der Umbau der Tierhaltung gefördert werden – das jedenfalls verspricht sich Bundeslandwirtschaftminister Özdemir. Genau das könnte allerdings rechtlich nicht garantiert werden, wie das Papier, das Table.Media vorliegt, zeigt.

    “Eine verbindliche Bindung der Einnahmen für die Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung oder anderer landwirtschaftlicher Vorhaben ist nicht mit dem Unionsrecht vereinbar und könnte daher nicht gesetzlich normiert werden“, heißt es in dem Konzept. Auch Steuerrechtler Till Valentin Meickmann hatte vergangene Woche gegenüber Table.Media geäußert, dass eine solche Steuer voraussichtlich gegen das europarechtliche Verbot wettbewerbsverzerrender Beihilfen verstoßen würde.

    Einnahmen könnten auch andere Haushaltslöcher stopfen

    Die Einnahmen aus einer Fleischsteuer würden in den gesamten Bundeshaushalt fließen – die Zweckbindung wäre nicht festgelegt. So wäre es rechtlich möglich, die Mehreinnahmen auch zum Stopfen anderer Löcher im Haushalt einzusetzen. “Das zusätzliche Geld muss ausnahmslos zweckgebunden für Tierschutzfortschritte eingesetzt werden, um nachweislich mehr Tierschutz umzusetzen”, fordert der Deutsche Tierschutzbund.

    Steffen Bilger, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU, teilt diese Bedenken. “Zu viele Fragen sind offen”, sagt er gegenüber Table.Media. “Das gilt auch für die nicht gegebene Zweckbindung der möglichen Einnahmen aus der Fleischsteuer für den Stallumbau. Die Landwirte erwarten zu Recht einen Vorschlag, der juristisch trägt und von der Regierung einmütig vertreten wird.” ag

    • Agrarpolitik
    • Ampel-Koalition
    • Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

    Neue Züchtungsmethoden: EU-Parlament schränkt Kommissionsvorschlag ein

    Mit 307 zu 263 Stimmen nahm das Parlamentsplenum vergangene Woche seine Verhandlungsposition zur vorgeschlagenen Lockerung des EU-Gentechnikrechts an. Die Abgeordneten stellten sich damit im Grundsatz hinter den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Regeln für bestimmte genetisch veränderte Pflanzen zu lockern – allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Denn das Parlament votierte dafür, dass auch künftig alle Produkte, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden, mit der Aufschrift neuartige genomische Verfahren” versehen werden müssen. Dass ein Produkt mithilfe neuer Züchtungstechniken erzeugt wurde, soll zudem entlang der gesamten Lieferkette rückverfolgbar bleiben.

    Die Kommission hatte im Gegensatz dazu für gentechnisch veränderte Pflanzen, die auch auf konventionelle Weise hätten entstehen können, eine deutliche Lockerung der Kennzeichnungspflicht vorgeschlagen. Nur Saatgut sollte demnach noch gekennzeichnet werden müssen, verarbeitete Produkte bis hin zum Supermarktregal nicht mehr. Dass das Parlamentsplenum für strengere Vorgaben zur Kennzeichnung und Nachverfolgbarkeit stimmte, ist ein wichtiger Punktsieg für die Grünen sowie Teile der Sozialdemokraten. Die verpflichtende Kennzeichnung sei “elementar”, sie werde es Verbrauchern ermöglichen, “eine bewusste Kaufentscheidung zu treffen”, sagt Martin Häusling, Schattenberichterstatter der Grünen, zu Table.Media.

    Weiterhin Patt unter den Mitgliedstaaten

    Zudem enthält der nun angenommene Text – wie bereits jener des Umweltausschusses – eine Klausel, die Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen und Saatgut ausschließt, jedoch im Widerspruch zum Europäischen Patentübereinkommen steht. Trotz der Einschränkungen trugen aber Grüne, Linke und etwa die Hälfte der Sozialdemokraten den Gesamttext am Ende nicht mit. Die EVP und die Liberalen (Renew) feierten die Verabschiedung des Texts dagegen als Erfolg. “Es ist ein historischer Tag, an dem das Europäische Parlament für die Wissenschaft gestimmt hat”, freute sich die EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd.

    Aufseiten der Mitgliedstaaten zeichnet sich allerdings weiterhin kein Kompromiss zu dem Dossier ab. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte das Thema ebenfalls am Tag der Parlamentsabstimmung auch auf die Agenda der EU-Botschafter gesetzt. Diese erreichten aber keine Einigung, die Verhandlungen gehen jetzt wieder auf Arbeitsebene weiter, wie ein Sprecher bestätigte. Damit die Reform noch vor der Europawahl verabschiedet werden kann, hätte es eigentlich vergangene Woche schon eine Einigung zwischen Rat und Parlament geben müssen. Es besteht jedoch die Möglichkeit eines verkürzten Verfahrens. In diesem Fall wäre noch bis Mitte März Zeit. jd

    • EU-Gentechnik
    • EU-Gentechnikrecht
    • Europäisches Parlament
    • Grüne Gentechnik
    • NGT

    EU-Klimaziel: Kommission schwächt Vorgaben für Landwirtschaft ab

    Um 90 Prozent soll die EU ihre CO₂-Emissionen bis 2040 im Vergleich zu 1990 senken: Das hat die Europäische Kommission vergangene Woche als Klimaziel vorgeschlagen. Zur Frage, was der Agrarsektor dazu beitragen soll, bleibt das entsprechende Papier aber vage: Die Landwirtschaft könne, “wie alle anderen Sektoren”, eine wichtige Rolle spielen, heißt es dort zwar. Konkreter wird es allerdings nicht.

    In einer vorherigen Version des Vorschlags war der Agrarsektor noch deutlich stärker in die Pflicht genommen und als einer der Schlüsselsektoren zur CO₂-Reduzierung bezeichnet worden. Im finalen Vorschlag ist davon keine Rede mehr. Stattdessen wird betont, dass der Sektor nicht nur zum Klimaschutz, sondern auch zur Ernährungssicherung beitragen müsse und dass nicht nur die Landwirtschaft, sondern die gesamte Lieferkette zur Emissionsreduktion beitragen solle. Konkrete Reduktionsziele für CO₂ oder andere Treibhausgase wie Methan finden sich in dem Text nicht.

    Landwirtschaft “über Gebühr geschont”

    In der parallel veröffentlichten Folgenabschätzungdem technischen Dokument der Kommission, auf dem der Vorschlag zum Klimaziel basiert – klingt das ganz anders: “Ohne ein spezifisches politisches Ziel zur Verringerung der Treibhausgasemissionen nach 2030 würden die landwirtschaftlichen Tätigkeiten
    bis 2050 immer noch erhebliche Emissionen verursachen”, heißt es dort. Mit Blick auf die laufenden Bemühungen um das EU-Klimaziel 2030 sieht die Folgenabschätzung in der Landwirtschaft den “mangelnden Fortschritt” in den letzten Jahren als “Grund zur Besorgnis“. Es sei nötig, “einen Gang höher zu schalten.

    Die Kommission habe die Landwirtschaft “über Gebühr geschont“, kommentiert Oliver Geden, IPCC-Autor und Leiter des SWP-Forschungsclusters Klimapolitik, den Vorschlag für das Klimaziel. Lob kommt dagegen vom EU-Bauerndachverband Copa Cogeca: “Endlich” setze die Kommission stärker auf den “Dialog mit den Landwirten”, schreibt der Verband. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte zuletzt im Zuge der Bauernproteste eine Reihe von Zugeständnissen an die Landwirtschaft angekündigt beziehungsweise bereits vorgelegt. jd/luk

    • EU-Klimaziel 2040
    • Europäische Kommission
    • Klimaschutz
    • Landwirtschaft

    Termine

    13.02. – 16.02.2024 / Messe Nürnberg
    Messe BIOFACH – Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel
    Seit 1990 ist die BIOFACH Treffpunkt für Pioniere und Newcomer, die ihre Leidenschaft für Bio-Lebensmittel und den Bio-Markt teilen und sich entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit Gleichgesinnten austauschen möchten. INFO

    14.02.2024 – 17.00 Uhr / BIOFACH Messe Nürnberg
    Podiumsdiskussion Vom Tierleid zum Tierwohl in der Nutztierhaltung – Was ist vom Gesetzgeber zu erwarten? INFO & PROGRAMM

    14.02. – 15.02.2024 / Jork
    Messe Norddeutsche Obstbautage
    Die größte Fachmesse für den Obstbau im Norden. INFO

    16.02.2024 – 17.30 / Hotel Bayerischer Hof München
    Münchener Sicherheitskonferenz 2024 Recipe for Resilience: Fostering Cooperation for Sustainable Food Systems
    Die MSC 2024 bietet eine einzigartige Gelegenheit für strategische Debatten über die drängendsten sicherheitspolitischen Herausforderungen der Welt. INFO

    20.02. – 21.02.2024 – 10.00 – 17.00 Uhr / Grebenstein
    Seminar Ackern in Zeiten des Klimawandels – welche Potenziale haben neue und alternative Kulturarten?
    Das Seminar zeigt den Teilnehmenden neue Möglichkeiten in der Kulturartenwahl und Fruchtfolgegestaltung auf und nimmt dabei Anbaumethoden, Absatzmöglichkeiten und Aspekte des Betriebsmanagements unter die Lupe. INFO

    20.02.- 22.02.2024 / Augsburg
    Fachmesse RegioAgrar Bayern 2024
    Die Messe RegioAgrar Bayern in Augsburg ist eine Landwirtschaftsmesse und regionale Fachmesse für landwirtschaftliche Produktion, Handel und Management. INFO

    21.02.2024 – 16.00 – 18.00 Uhr / Hotel Aquino, Hannoversche Straße 5b, 10115 Berlin-Mitte
    Podiumsdiskussion Bodenforum 2024: Agrarstrukturgesetze – Jetzt oder nie!
    mit Wolfram Günther, Sächsischer Landwirtschaftsminister (Bündnis 90/Die Grünen)
    Susanna Karawanskij, Thüringer Landwirtschaftsministerin (Die Linke)
    Prof. Dr. José Martínez, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Landwirtschaftsrecht, Universität Göttingen
    Hans-Jürgen Thies (MdB), Bodenmarktpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag
    ANMELDUNG

    26.02.2024 / Brüssel
    Tagung Rat für Landwirtschaft und Fischerei der Europäischen Union INFO

    27.02. – 28.02.2024 – 9.00 – 17.00 Uhr / Stuttgart
    44. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik in der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft e.V. Biodiversität fördern durch digitale Landwirtschaft – Welchen Beitrag leisten KI und Co?
    Die Tagung bietet ein jährliches Forum für aktuelle Themen aus den Forschungsbereichen der Agrar- und Lebensmittelinformatik, einen schnellen und kompetenten Überblick über neue Entwicklungen der Informatik im Kontext der Land-, Forst- und Ernährungswirtschaft und spannende Diskussionen zu den neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen und Praxiserfahrungen. INFO

    28.02. – 01.03.2024 / Stuttgart
    Messe New Food Festival
    Unter dem Motto “Die Zukunft ist jetzt” bietet die fünfte internationale Konferenz und Messe mit Keynotes, Talkpanels, Pitches, Break out Sessions und Roundtables wieder ganz viel Inspiration, Networking, Fachwissen und Erfahrungsaustausch zu Startups und Innovationen aus dem Lebensmittel-, Agrar-, Gastronomie- und Handelsbereich entlang der gesamten Nahrungsmittelwertkette. INFO

    Presseschau

    BFM hält Özdemirs Vorschlag zum Tierwohl-Cent für verbesserungswürdig agrarheute
    Weitere Bauernproteste in Italien, Spanien und Polen Die Zeit
    EU Commissioner for Agriculture Janusz Wojciechowski under pressure to quit Politico
    Dieselalternativen für Traktoren: Diese Möglichkeiten gibt es taz
    Das Potenzial von Wasserstoff als Kraftstoffalternative agrarheute
    Discounter Action aus den Niederlanden überholt Lidl im Nonfood-Segment Lebensmittelzeitung
    Fleischproduktion in Deutschland geht erneut zurück Die Zeit
    Marktmacht des LEH: Strengere Regeln verbessern Lage der Landwirte nicht Euractiv
    Düngemittelhersteller Yara verzeichnet Gewinneinbrüche AgE
    Keine Bauernproteste in Dänemark: Wie das Land die Agrarpolitik transformiert agrar zeitung
    The power of Europe’s rebellious farmers Financial Times

    Heads

    Christophe Clergeau: Der Mann, der Agrarmärkte im Sinne der Bauern regulieren will

    Agrarexperte Christophe Clergeau in einer Ausschusssitzung.

    Zum Thema Europa ist der französische Europaabgeordnete und Agrarexperte Christophe Clergeau (S&D) über Jacques Delors und Michel Rocard gekommen. Die entschieden pro-europäische Haltung der beiden Sozialisten unterschied sich deutlich von der öffentlichen Meinung in Frankreich, die schnell in Richtung Euroskeptizismus drehen kann.

    2019 wurde Clergeau zum nationalen Europasekretär der Sozialistischen Partei ernannt. Zugleich ist er Regionalrat von Pays de la Loire, seiner Heimatregion im mittleren Westen Frankreichs. Sein Mandat als Regionalrat ermögliche es ihm, mit einem Fuß auf dem Boden zu bleiben, erklärt Clergeau. Der europäische Kreis schloss sich, als er am 2. Juni letzten Jahres ins Europäische Parlament nachrückte, als Éric Andrieu sein Mandat niederlegte.

    Clergeau hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Er steht auf einem guten Platz auf der gemeinsamen Liste der Sozialistischen Partei und der vom französischen Europaabgeordneten Raphaël Glucksmann gegründeten Bewegung “Place publique” für die Europawahl. Mitglieder der Parti Socialiste werden an diesem Donnerstag über die Liste abstimmen, die am 10. Februar offiziell bestätigt werden soll. Ab dann wird Raphaël Glucksmann die gemeinsame Liste in den Europawahlkampf führen können. Dies wird die französischen Grünen und Renaissance, den französischen Zweig von Renew, alles andere als erfreuen, da alle drei politischen Gruppierungen versuchen werden, Stimmen aus demselben Lager der pro-europäischen und liberalen Wähler zu angeln.

    “Landwirtschaft, Umwelt und Gesundheit sind untrennbar”

    Im Europaparlament sitzt Clergeau in den Ausschüssen für Landwirtschaft, Umwelt (Biodiversität, Klimawandel und Gesundheit) und Entwicklungshilfe für die Nord-Süd-Beziehungen. Mit Landwirtschaft kennt er sich aus: 1997 war er Kabinettschef von Louis Le Pensec, dem damaligen sozialistischen Landwirtschaftsminister. 1999 verließ er Paris und ging als Lehr- und Forschungsbeauftragter zu AgroCampus Ouest nach Rennes. Die Hochschule bildet schwerpunktmäßig für die Landwirtschaft aus.

    Während sich der europäische Agrarsektor in einer tiefen Krise befindet, ist der gelernte Ökonom und Geschichtswissenschaftler Clergeau der Ansicht, dass der politische Diskurs die Probleme des Agrarsektors “nicht mehr anspricht”. Er diagnostiziert einen “Agrarkonservatismus”, der in seinem Widerstand gegen die Agrarwende “immer radikaler” werde.

    Clergeau würde Agrarmärkte gern regulieren

    “Man wird die Landwirtschaft, die Umwelt und die Gesundheit gegeneinander ausspielen, obwohl diese drei Elemente untrennbar miteinander verbunden sind”, erklärt Clergeau. Für die S&D führt er die Verhandlungen um die neuen Gentechniken (NGTs) als Schattenberichterstatter. Durch die Einführung neuer Technologien und die Kontrolle von Normen können diese Gegensätze aufgehoben werden, erklärt er. Eine Position, die sein Lager gegen ihn aufbringen könnte. Er fordert, dass NGTs auch weiterhin genauso streng reguliert werden sollen wie herkömmliche Gentechnik. Diese Position steht im Gegensatz zu der Haltung der Koordinatorin der sozialistischen Fraktion im Landwirtschaftsausschuss, Clara Aguilera, die sich für die Entwicklung von NGT, auch in der biologischen Landwirtschaft, ausgesprochen hat.

    Clergeau plädiert auch für die Regulierung der Agrarmärkte. “Die Preisschwankungen auf den Agrarmärkten ermöglichen es den Landwirten, vor allem denjenigen, die kleine und mittlere Betriebe führen, nicht, einen angemessenen Lohn zu erhalten”, sagt der Europaparlamentarier. Er sieht die Landwirte durch den Wirtschaftsliberalismus, der sich in der Agrarwelt durchsetzt, benachteiligt.

    Und der Europaabgeordnete findet diese Marktlogik auch in der gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) wieder: “Die finanzielle Unterstützung, die von der GAP kommt, privilegiert die große Produktion und treibt die Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebe voran. Und es ist eine Hilfe ohne Bedingungen.” Handelsabkommen sind für ihn ein weiteres Gesicht dieses Wirtschaftsliberalismus, “sie setzen die Landwirte untereinander in Konkurrenz, die nicht denselben Standards unterliegen”, sagt er. “Deshalb bevorzuge ich die Regulierung der Märkte, um die Einkommen der Landwirte zu sichern.” Claire Stam

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    Agrifood.Table Redaktion

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