Es braucht in der Debatte um die digitale Souveränität Deutschlands mehr Zielstrebigkeit, findet Julia Jäkel. Die Menschen wollten nicht mehr zuschauen, wie Politiker sich die Köpfe über Zuständigkeiten einschlagen, so die frühere Gruner & Jahr-Chefin und Mitinitiatorin der Initiative für einen Handlungsfähigen Staat.
Die überparteiliche Initiative hatte im Juli 2025 insgesamt 35 Reformempfehlungen vorgelegt. Darunter – neben der Einführung eines Digitalministeriums: eine effizientere Aufgabenteilung im Föderalismus, zeitgemäße Gesetzgebungsverfahren, eine zentrale Dienstleistungsplattform oder Modellkommunen, in denen die Verwaltungsreformen erprobt werden.
Bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung steht Deutschland EU-weit auffallend schlecht da und belegt Platz 21 von 27. Das zeigt der gerade erschienene Bitkom-DESI-Index, der den Digitalisierungsfortschritt der EU-Länder vergleicht.
Um international konkurrenzfähig zu bleiben, braucht die deutsche Wirtschaft Veränderung vor allem in fünf Punkten.
1. Echtes Commitment zu Digitalität
„Bei der Cloud-Technologie hat es zu lange gedauert, bis sie adaptiert wurde – bei KI muss das schneller gehen“, so SAP-Vorstand Thomas Saueressig beim ersten CEO Round Table, den Table.Briefings zusammen mit der Public-Sector-Beratung Sopra Steria am Donnerstag durchgeführt hat.
Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Digitalisierungsquote in der Verwaltung niedrig. Das liege an dem fehlenden Mut, von analogen Prozessen ganz Abschied zu nehmen. „So kann das meiste digitale Potenzial nie genutzt werden“, gibt Saueressig auch Bundesdigitalminister Karsten Wildberger mit auf den Weg.
2. Eine starke Führung und klare Verantwortlichkeiten
Dabei gibt es durchaus Vorbilder, an denen sich Deutschland orientieren und aus deren Erfahrung es lernen kann. „Digitalisierung erfordert Leadership und nicht Delegieren in Arbeitskreise“, weiß der österreichische Altkanzler Schüssel, der sein Land im Eilverfahren umgebaut hat (siehe auch CEO.Success). „Ohne Chefsache-Status bleibt jede Reform stecken.“ Doch reine Krisenrhetorik mobilisiere nicht. „Das verlangt politische Kommunikation, die Fortschritte feiert und nicht sofort zur nächsten Problemdebatte springt.“
Hat vorgemacht, wie es funktioniert: der österreichische Altkanzler Wolfgang Schüssel – zwischen SAP-Vorstand Thomas Saueressig (links), und der Datenschutzbeauftragten Louisa Specht-Riemenschneider sowie PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther (rechts)
Zentraler Hebel für seinen Erfolg sei die politische Steuerung und das enge Tracking der Maßnahmen gewesen: Schüssel verweist auch im Podcast Table.Today auf die von ihm geleitete Ministerkommission mit externem CIO, die regelmäßige Kontrolle sicherstellte und die Umsetzung beschleunigte. „Wir haben jede Woche eine neue Reform umgesetzt. Und dafür einen Prozess aufgesetzt, bei dem über 100 Projekte gemeinsam definiert worden sind.“ Ein konsequentes Nachhalten sei dabei besonders wichtig gewesen, „weil sonst alles irgendwo im Nirvana oder in einer Schublade versickert“.
3. Mindset-Wandel und positives Leitbild
Der zweite Pfeiler sei ein Mindset‑Wandel durch sichtbare Anwendungen im E‑Government und konsequente Kommunikation gewesen. „Das sieht man zum Beispiel bei der E‑Card, damit kann jeder beim Arzt einchecken. Es gibt ein elektronisches Rezept und vieles mehr.“ Das Wichtigste sei, den Menschen alles ausführlich zu erklären – „nichts ist von vornherein selbstverständlich“.
Im jüngsten Deutschlandtrend der ARD haben 77 Prozent der Befragten angegeben, mit der Arbeit der Politiker unzufrieden zu sein. Ändern lasse sich das auch durch mehr Kommunikation, die Wirtschaftsvertreter vermissen ein starkes, von der Politik vorgelebtes Leitbild. Zalando-CEO Robert Gentz: „Jetzt ist ein guter Zeitpunkt, einen europäischen Traum zu manifestieren, ein ,wir wollen gewinnen´-Leitbild“.
4. (EU-)Regulierung mit Wachstumsfenster
Mehr Konkurrenzfähigkeit im internationalen Wettbewerb, insbesondere bei KI-Anwendungen, versprechen sich die Unternehmen währenddessen durch offenere EU-Verordnungen. Insbesondere die DSGVO sei dabei ein Beispiel, weil sie digitale Realitäten konterkariert, so Schufa-Vorstand Ole Schröder. Rückendeckung bekommt er von Stepstone-CEO Sebastian Dettmers, der am konkreten Beispiel verdeutlicht: „ChatGPT hat Daten aus der EU, die hiesige Unternehmen nach ein paar Tagen wieder löschen müssen.“
„Die Regulierung unterscheidet oft nicht zwischen B2B und B2C“, wie ZVEI-Präsident Gunther Kegel betonte. Konkretes Beispiel? „Ein KI-Sensor an einem Cerankochfeld, der Finger von einer Fleischwurst unterscheidet, ist laut AI Act eine Hochrisikoanwendung.“ Dabei gehe es natürlich nicht um die Nutzung personenbezogener Daten.
Lange gefordert, aber allzu selten beherzigt: Der Staat solle nach dem Vorbild der US-Behörde Darpa verlässlicher Ankerkunde für ambitionierte Tech-Projekte werden. Zuletzt wurde dies zwar in der Hightech-Agenda verankert. Aber Start-up-Verbandschefin Verena Pausder warnte beim CEO Round Table: „Das Tariftreuegesetz geht genau in die andere Richtung.“
5. Daten statt Dauerdiskussion
Besonders der Mittelstand leide dramatisch unter Regulierung, berichtet Datev-Chef Robert Mayr anhand realer Lohndaten: „Bürokratie treibt Kosten. Wir brauchen aber ein echtes Bürokratiemoratorium in dieser Legislatur – mit klaren Vereinfachungen.“ Live-Kennzahlen zum Wirtschaftsverlauf stünden zwar zur Verfügung – doch sie würden noch nicht umfassend genutzt, um Prioritäten wirklich zu steuern. Transparente Dashboards könnten politisches Bauchgefühl durch Evidenz ersetzen.