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Erscheinungsdatum: 06. September 2025

Die Anleihe-Wächter und das Gespenst der Inflation sind zurück

Steigende Renditen, wachsende Schulden und politische Instabilität setzen Europa unter Druck. Droht eine neue Schulden- und Inflationskrise – und kann die EZB sie noch verhindern?

Die Anleihenmärkte sind in Unruhe! Die Renditen sind deutlich angestiegen. Die Zinsen auf 30-jährige französische und britische Staatsanleihen haben neue Höchststände erreicht. Die Abverkäufe werden durch die Sorge um weiter steigende Staatsverschuldung und politische Instabilität getrieben.

Die höheren Zinsen sind Ausdruck gestiegener Ausfallrisiken. Sie erhöhen den Druck, die Ausgaben zu konsolidieren. Man spricht auch von der „Disziplinierungsfunktion“ der Finanzmärkte. Die Anleihe-Wächter – Englisch: Bond Vigilantes – sind zurück! Der Begriff geht auf die frühen 1980er-Jahre zurück, als US-Präsident Ronald Reagan die Steuern senkte und die Staatsausgaben erhöhte. Gleichzeitig hielt die Zentralbank Fed die geldpolitischen Zügel straff.

Investoren verloren Vertrauen und verkauften US-Staatsanleihen, was die Renditen hochtrieb und die Finanzierungskosten der Regierung erhöhte. Politiker forderten daraufhin mehr Kontrolle. Reformen bei der Sozialversicherung – höhere Beiträge und spätere Renteneintritte – stellten deren langfristige Finanzierbarkeit sicher. Der Ökonom Ed Yardeni verglich die Investoren mit „Selbstjustizlern im Wilden Westen“, die das Gesetz in die eigenen Hände nahmen, wenn die Obrigkeit versagte.

Die Bond Vigilantes sind zurück, weil die großen Zentralbanken ab 2022 die Zinsen erhöhten und die Bestände an Anleihen in ihren Bilanzen schrittweise reduzierten. Die Regierungen der großen Industrieländer haben notwendige Reformen vertagt und sehen sich aufgrund der geopolitischen Lage zu höheren Militärausgaben gezwungen. Zu allem Überfluss will das bisher fiskalisch tugendhafte Deutschland nun ebenfalls aggressiv neue Schulden aufnehmen. Das dürfte die Zinsen in Europa deutlich nach oben treiben.

Frankreich, wo die Verschuldung trotz europäischer Schuldenregeln schon länger unkontrolliert steigt, steht exemplarisch für dieses Dilemma. Die Zinslast wird für 2025 auf 55 Milliarden Euro geschätzt. Premierminister François Bayrou hat für den 8. September ein Misstrauensvotum angesetzt, um ein Sparpaket im Umfang von etwa 44 Milliarden Euro durchzubringen. Doch eine breite Opposition von links bis rechts will dies verhindern. Als zusätzlicher Brandbeschleuniger droht eine Herabstufung des Ratings durch Fitch. Die Folge könnten eine politische Krise und eine Staatsschuldenkrise sein, die – wie in Südeuropa 2012 – durch den steilen Anstieg der Zinsen auf Staatsanleihen ausgelöst würde. Auch Frankreichs Banken wären betroffen, da sie viele französische Staatsanleihen halten. Die Folge wären Ansteckungseffekte auf andere hochverschuldete Länder im Euroraum wie Italien oder Spanien. Eine neue „Eurokrise“ droht.

Doch es gibt eine wirksame Waffe, wie EZB-Präsident Mario Draghi im Juli 2012 mit dem Spruch „Whatever it takes“ vorgemacht hat. Zentralbanken können – wenn nötig unbegrenzt – Staatsanleihen kaufen, um die Anleihe-Wächter in die Flucht zu schlagen. Im Gegensatz zu 2012 ist die EZB unter der Französin Christine Lagarde diesmal vorbereitet. Mit dem 2022 geschaffenen Transmissionsschutzinstrument kann sie gezielt Staatsanleihen einzelner Eurostaaten kaufen, wenn deren Finanzierungskosten „unangemessen“ steigen.

Doch solche Staatsanleihekäufe unterwandern das Mandat der Preisstabilität. Während EZB-Ratsmitglied Isabel Schnabel noch die Erfolge bei der Inflationsbekämpfung und die Resilienz des Euroraums beteuert, ist das Gespenst der Inflation plötzlich wieder zurück.

Letzte Aktualisierung: 06. September 2025
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