Wer Innovation nur als Frage genialer Ideen betrachtet, unterschätzt die Macht der Strukturen, in denen Wissen verortet wird. Neue Forschung zeigt: Patente, die in unscharfen Kategorien („low-contrast categories“) verortet werden, führen häufiger zu Technologien, die bestehende Entwicklungspfade verlassen.
Der Grund liegt in zwei Effekten. Erstens: Je weniger klar die Abgrenzung, desto leichter fließen Impulse aus fernen Wissensfeldern ein. Erfinder kombinieren freier, entdecken ungewohnte Ansätze und schlagen Brücken zwischen Disziplinen. Zweitens: In der Patentanmeldung können solche Ideen breiter positioniert werden. Prüfer haben weniger feste Vergleichsmaßstäbe und akzeptieren eher weit gefasste Neuheitsansprüche. In klar definierten Kategorien dagegen dominiert inkrementelles Bauen auf Vorhandenem – schnell erkennbar, aber kurzlebig.
Für Führungskräfte heißt das: Strenge Ordnungssysteme in F&E oder Produktportfolios können den Blick verengen. Wer bewusst Grauzonen zulässt, erhöht die Chance auf Entwicklungen mit langem Atem und überdurchschnittlichem Marktwert. Ambiguität ist kein Störfaktor, sondern kann der Hebel für den nächsten Technologiesprung sein.
Gianluca Carnabuci ist Professor für Organizational Behavior, Inhaber des Ingrid und Manfred Gentz Chair in Business and Society und Director of Research an der ESMT Berlin. Die CEO.Picks sind eine Kooperation zwischen der ESMT und Table.Briefings.