Table.Standpunkt | Handelspolitik
Erscheinungsdatum: 31. Juli 2025

Kein Unfall: Warum die EU keinen besseren Deal mit den USA bekommen hat

Etienne Höra von der Bertelsmann Stiftung
Etienne Höra von der Bertelsmann Stiftung. (Ansichtssache / Britta Schröder)
Die Einigung zeigt tiefe Schwächen der EU-Handelspolitik. Einzelne Mitgliedstaaten untergraben die Verhandlungsposition, statt gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Nationale Interessen machen die EU zudem erpressbar.

15 Prozent Zölle auf die meisten Produkte, gebrochenes WTO-Recht, noch größere Gas- und Tech-Abhängigkeiten: Mit dem Handelsdeal zwischen der EU und den USA sind die wenigsten zufrieden. Die einen glauben, von den USA wäre nichts Besseres zu bekommen gewesen, die anderen sehen die schüchterne Antwort der EU auf die US-Zölle als vertane Chance, sich durchzusetzen. Frankreichs Premierminister François Bayrou spricht gar von einem „dunklen Tag“ und „Unterwerfung“. Dieses Narrativ greift zu kurz: Der Deal vom Sonntag ist kein einmaliger Unfall, sondern zeigt tiefe strukturelle Schwächen der EU-Handelspolitik auf. Wenn es nicht gelingt, diese anzugehen, werden zukünftige Verhandlungen keine besseren Ergebnisse liefern.

Dass sich gerade die französische Regierung in der Art über das Ergebnis empört, ist mehr als ironisch: Verhandlungen, bei denen so viel auf dem Spiel steht, führt die EU-Kommission nie, ohne sich bei den Mitgliedstaaten rückzuversichern. Besonders bei Frankreich als einem der einflussreichsten Staaten. Dass die Kommission nicht mehr herausschlagen konnte, liegt auch daran, dass sie kein Mandat dafür hatte, robuster zu verhandeln.

Statt gemeinsam Verantwortung zu übernehmen, untergraben die Mitgliedstaaten die Verhandlungsposition der EU. Sie ducken sich weg und zeigen dann auf Brüssel. Sie verlangen öffentlich Gegenmaßnahmen, hinter denen sie dann am Ende nicht stehen. Einen schlechten Kompromiss kann eine uneinige EU immer eingehen; für eine selbstbewusste Antwort, die kurzfristig hohe Kosten haben kann, müssten die Mitgliedstaaten geeint hinter der Kommission stehen.

Dass im transatlantischen Verhältnis nicht nur die Handelsbeziehungen auf dem Spiel stehen, verengt den Handlungsspielraum der EU. Die US-Administration bringt die Sicherheitsabhängigkeiten und die Unterstützung der Ukraine mit an den Verhandlungstisch. Dass die EU auf Schlüsseltechnologien und -infrastrukturen angewiesen ist, die von den USA kontrolliert werden, gerade im Digitalen, macht sie zusätzlich erpressbar. Diese Abhängigkeiten lassen sich mittel- bis langfristig reduzieren. Fürs Erste bestimmen sie aber, wie viel Konfrontation die EU sich leisten kann – mit den USA, aber auch mit China, von dessen Rohstoffexporten sie ebenfalls extrem abhängig ist.

Da, wo es keine strategischen Abhängigkeiten gibt, machen nationale Interessen die EU erpressbar. Dabei sind die Mitgliedstaaten einerseits in unterschiedlichem Maß von Exporten in die USA abhängig – in der Slowakei machen sie beispielsweise 3,4 Prozent des BIP aus, in Zypern nur 0,16 Prozent – andererseits fehlt vielen besonders betroffenen Staaten wie Italien der fiskalische Spielraum, um ihre Wirtschaft zu stützen. Zu Beginn der Verhandlungen setzte sich Frankreich vehement dafür ein, US-Whisky von den geplanten EU-Gegenmaßnahmen auszunehmen. Aus Angst vor Vergeltung gegen die eigene Cognacproduktion. Diese macht etwas weniger als 0,02 Prozent des jährlichen EU-Bruttoinlandsprodukts aus.

Selbst die Mitgliedstaaten wie Deutschland, die es sich eigentlich leisten könnten, sind nicht bereit, mögliche Kosten für eine starke europäische Antwort zu tragen. Stattdessen stellen sie eigene Interessen nach vorne. Berlin hat sich massiv für eine schnelle Einigung mit den USA eingesetzt, um die deutsche Autoindustrie vor noch höheren Zöllen zu schützen. Die Verhandlungsposition der EU hat dies sicher nicht gestärkt.

Seit es die WTO gibt, geriert sich die EU in ihr als Musterschülerin. Und verlangt auch von ihren Handelspartnern, sich streng an Handelsregeln zu halten. Daran hat die Krise der Schiedsgerichtsbarkeit nichts geändert, ebenso wenig die Unfähigkeit der WTO, wirtschaftliche Kerninteressen der EU etwa gegen Industriesubventionen und Überkapazitäten zu schützen. Diese Regeltreue hat die EU jetzt unter dem Druck der USA über Bord geworfen – ihre Glaubwürdigkeit im multilateralen System gleich mit: Das Versprechen, für eine Reihe an Produkten die gegenseitigen Zölle mit den USA abzuschaffen, verstößt klar gegen die WTO-Regeln.

Die EU schafft es nicht, ihre Interessen und ihre Prinzipien zu verbinden. Im Zweifel ist sie, wie ihre Mitgliedstaaten, nicht bereit, den Preis zu zahlen. Etwa, indem sie sich gegen rechtswidrige Zölle wehrt und selbst keiner Einigung zustimmt, die WTO-Recht bricht. Der Vorwurf von Doppelstandards, der der EU ohnehin anhaftet, wird so zementiert.

Der EU-US-Deal ist kein dauerhaftes Abkommen, sondern ein Waffenstillstand. Er lässt sich nicht rechtlich durchsetzen, sondern nur durch Anreize und glaubwürdige Drohungen für den Fall, dass er gebrochen wird. Fürs Erste haben die EU und ihre Mitgliedstaaten sich Zeit erkauft. Um in der nächsten Runde des Handelskonflikts besser dazustehen, sollten sie diese Zeit dringend nutzen, um die strukturellen Schwächen ihrer Handelspolitik anzugehen.

Etienne Höra ist Project Manager im Programm Europas Zukunft bei der Bertelsmann Stiftung.

Letzte Aktualisierung: 31. Juli 2025
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