zum ersten Mal hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ausdrücklich ausgeschlossen. Begründung: Deutschland könne zur Kriegspartei werden, wenn deutsche Soldaten in Ausbildung und Bedienung vor Ort eingebunden wären. Die Industrie hat eine andere Sicht auf die Dinge, schreibt Thomas Wiegold.
Drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine war das politische Berlin noch weit weg von Diskussionen über Taurus und andere Waffensysteme zur Unterstützung Kiews. Scholz hatte grade erst seine Zeitenwende-Rede gehalten, hatte auf Einigkeit vor allem mit Finanzminister Christian Lindner geschworen. Zwei Jahre später findet sich die Regierung in einem erbitterten Verteilungskampf wieder. Um was es geht, erläutert Markus Bickel.
Über die gestrige Zustimmung Ungarns zur Aufnahme Schwedens in die Nato dürfte sich ein Land besonders gefreut haben: Lettland kann nun mit einer Verstärkung der Bodenpräsenz im Rahmen der “enhanced Forward Presence” aus Schweden rechnen. Bis Ende November sichert zudem die Luftwaffe der Bundeswehr erstmals den Luftraum vom lettischen Lielvārde aus. Warum das keine Schwächung der Nato an der Ostflanke bedeutet, lesen Sie in meiner Analyse.
Die Ansage des Kanzlers drei Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine war eindeutig. “Klar ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen”, sagte Olaf Scholz am 27. Februar 2022 in seiner Zeitenwende-Rede im Bundestag. “Aber machen wir uns nichts vor: Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld.”
Diese “große nationale Kraftanstrengung” mache die Einrichtung eines “Sondervermögen Bundeswehr” notwendig – im Grundgesetz verankert, mit einmalig 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt ausgestattet, warb er bei den Abgeordneten für Zustimmung. Einen aus seinem Kabinett hob Scholz an diesem Tag in seiner Rede besonders hervor: “Ich bin Bundesfinanzminister Lindner sehr dankbar für seine Unterstützung dabei.”
Zum zweiten Jahrestag der Zeitenwende-Rede ist es mit dem Zusammenhalt zwischen Kanzler und Finanzminister in Finanzierungsfragen von Verteidigungsausgaben nicht mehr weit her. Ein offener Verteilungskampf zwischen Sozial- und Wehretat steht an, ausgelöst durch Lindners Forderung nach einem Sozial-Moratorium zur Finanzierung von Verteidigungsausgaben.
Mehr für Rüstung, weniger für Rente? Der durch die militärischen Verpflichtungsleistungen der Bundesregierung für die Ukraine angeheizte Verteilungskonflikt – durch das Sondervermögen bislang geschickt kaschiert – bricht nun mit voller Wucht durch: “In dieser brenzligen Situation jetzt den Sozialstaat schleifen zu wollen, ist der ganz falsche Weg”, sagt der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner gegenüber Table.Media: “Wenn wir die Akzeptanz für die notwendige Finanzierung der Landes- und Bündnisverteidigung gewährleisten wollen, dürfen wir niemals innere und äußere Sicherheit gegen soziale Sicherheit ausspielen.” Das sei “ein Giftcocktail für die Demokratie und ein Long Drink für die Rechtspopulisten.”
Der FDP-Verteidigungspolitiker Nils Gründer verteidigt Lindners Vorstoß und betont, dass der Sozialetat ja nicht gekürzt, sondern lediglich ein Aufwuchs für drei Jahre verhindert werden solle. Zugleich räumt er ein: “Wir werden nicht um die Debatte herumkommen, ob wir uns die Rente mit 63 noch leisten können.” Es gehe mit Blick auf die Jahre nach Auslaufen des Sondervermögens darum, “dass wir uns ehrlich machen müssen”.
Dass das Verteilungsfragen mit sich bringt, ist allen, die mit dem Thema befasst sind, klar. Und gleichzeitig wächst die Sorge vor einem neuen Koalitionskrach. Zwar erkennen auch Unionsabgeordnete an, dass Scholz sein Versprechen von Februar 2022, “unsere Verteidigungsausgaben bis 2024 auf zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung zu steigern” eingehalten hat. Doch innerhalb der Ampel ist der Blick längst auf die Zukunft gerichtet – nach 2028 sind die Milliarden des Sondervermögens ausgegeben, dann könnte der in Einzelplan 14 des Bundeshaushalts verankerte Verteidigungsetat bis auf 100 Milliarden Euro anwachsen.
Darüber, wie das gelingen soll ohne ein neues Sondervermögen, herrscht vor allem unter den Haushältern im Bundestag großes Rätselraten. Zwar warnen sowohl Stegner wie Gründer vor neuen Sonderregelungen für Einzeletats.
“Die Zeitenwende ist kein Zweijahresprojekt, sondern eins, das uns möglicherweise Jahrzehnte beschäftigen wird”, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sebastian Schäfer, Berichterstatter seiner Fraktion für Verteidigungsetat und Sondervermögen im Haushaltsausschuss. “Dafür braucht es einen langen Atem.” Umso wichtiger seien “Vertragssicherheit für die Industrie und Klarheit darüber, wie verlässlich es um Nachfrage aus der Bundeswehr für die kommenden Jahre bestellt ist, um den Ausrüstungs-Gap” zu schließen.
Was sein Vertrauen in den liberalen Koalitionspartner anbelangt, sich für eine “nachhaltige Ausstattung der Bundeswehr” zu verwenden, sagt Schäfer: “Der Indikator am BIP-Anteil ist nicht entscheidend, es geht um Bedrohungen für unsere Sicherheit und unsere Fähigkeiten zur Abschreckung. Insofern sind die zwei Prozent weder eine Unter- noch eine Obergrenze für die Verteidigungsausgaben. Ich sehe nicht, wie wir nach Ende des Sondervermögens die notwendigen Ausgaben allein über Konsolidierungsmaßnahmen und Wirtschaftswachstum finanzieren können.”
Wie sich Sozial- und Verteidigungsressorts über die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl hinaus einigen werden, ist knapp zwei Jahre nach Verankerung des Sondervermögens im Grundgesetz daher unklar – und wie viel Deutschland und Europa nach einem möglichen Wahlsieg Donald Trumps in Zukunft selbst für ihre Verteidigung ausgeben müssen auch. Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte vorige Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz deshalb sogar eine Korrektur des Zweiprozentziels nach oben nicht ausgeschlossen: “Es könnte sein, dass wir drei oder sogar 3,5 Prozent erreichen. Das hängt davon ab, was in der Welt passiert.”
Rückendeckung bekommt der Verteidigungsminister dabei auch aus der SPD-Bundestagsfraktion. Die Abgeordnete Marja-Liisa Völlers fordert gegenüber Table.Media “Investitionen in den Bereich der Sicherheit – sowohl in den Zivilschutz als auch in die Bundeswehr – von der Schuldenbremse auszunehmen.” Die “Idee, das Geld für die Bundeswehr bei Sozialausgaben einzusparen, halte ich für absolut ungerecht”, sagte sie. “Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Lage täten wir alle gut daran, unsere Gesellschaft durch solche Debatten nicht noch weiter zu spalten. Zumal es andere, bessere und sinnvollere Wege gibt, um die adäquate Ausrüstung der Bundeswehr zu finanzieren.”
20 Jahre nach der Einrichtung der Nato-Mission “Air Policing Baltikum” mit Standort im litauischen Šiauliai und zehn Jahre nach der Verstärkung der Präsenz durch den zweiten Standort im estnischen Ämari (enhanced Air Policing), steht die Mission vor einer weiteren, wenn auch temporären Veränderung: Weil am Flugplatz in Ämari die Start- und Landebahnen erneuert und Unterkünfte modernisiert werden müssen, zieht die Nato-Mission bis Ende November ins knapp 350 Kilometer südlicher gelegene lettische Lielvārde um. Es ist das erste Mal, dass die Nato ihr Air Policing von Lettland aus durchgeführt.
Fünf Eurofighter und etwa 200 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten vom Taktischen Luftwaffengeschwader 74 starten bereits diese Woche von Neuburg an der Donau aus nach Lettland. Der offizielle Auftrag beginnt am 1. März. Die routinemäßige Übergabe von Polen, das bis Ende Februar das Air Policing von Ämari aus übernommen hatte, an Deutschland findet dann am 2. März in Lielvārde statt. Kontingentführer des ersten von drei Teilkontingenten ist Oberstleutnant Swen Jacob, stellvertretender Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg an der Donau.
Trotz der Stationierung der Eurofighter in Lettland seien die Jets “schnell genug” in Estland, sagte ein Sprecher der Luftwaffe. Denn dass Russland die Reaktionszeit der Bundeswehr durch verstärkte Übungsaktivitäten im internationalen Luftraum zwischen Estland und Finnland testen wird, davon gehen Experten aus. Die Luftwaffe sei aber darauf vorbereitet.
Auch auf eine Zunahme von hybrider Kriegsführung, vor allem durch Falschinformationen oder falsche Anschuldigungen wie 2017 in Litauen, richtet sich die Bundeswehr ein. Damals wurden aus Russland Gerüchte über eine angebliche Vergewaltigung eines litauischen Mädchens durch deutsche Soldaten gestreut. Zwar sieht der Großteil der lettischen Bevölkerung die Stationierung deutscher Soldaten als Stärkung der Sicherheit an, die russischsprachige Bevölkerung allerdings könnte solchen Gerüchten Glauben schenken.
Der Umzug nach Lettland dient nicht nur praktischen Zwecken. Deutschland sendet damit gleich mehrere sicherheitspolitische Signale – innerhalb der Nato und in Richtung Russland:
Zwar wird die Bundeswehr ab dem 30. November das Feldlager in Lielvārde zurückbauen und die Nato die Air-Policing-Mission wieder von Ämari aus führen. Für Lettland, das als einziges baltisches Land bislang keine dauerhafte Nato-Präsenz für die Luftraumsicherung hat, ist die Erprobung ihres Flugplatzes allerdings ein wichtiger Schritt, um in Zukunft vielleicht doch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Schweden hat bereits angezeigt, dass es – nach dem Beitritt zur Nato – mit einem 600 bis 800 Personen starken Bataillon an der “enhanced forward presence” unter kanadischer Führung und in Rotation mit Dänemark, teilnehmen will.
Der Ausbau der Nato-Präsenz an der Grenze zu Russland wird immer brisanter: Nach Einschätzung des estnischen Auslandsgeheimdienstes will Russland seine Truppen an den Grenzen zu den baltischen Staaten und Finnland als “Reaktion auf die Expansion der Nato” in den kommenden Jahren verstärken und “militärische Dominanz” in der Ostseeregion erreichen. Zwar werden die russischen Luftstreitkräfte nicht explizit erwähnt, das Signal der verstärkten Präsenz auch im Luftraum ist aber ein wichtiges.
Da die baltischen Staaten keine eigene Luftwaffe haben, richtete die Nato 2004 die Air Policing-Mission ein, um den zivilen Flugverkehr im internationalen Luftraum über dem Baltikum zu schützen. Flugzeuge – zumeist russische -, die mit ausgeschaltetem Transpondersignal vor allem zwischen Russland und der Enklave Kaliningrad fliegen, werden von alarmierten Kampfjets begleitet, um einen Zusammenstoß mit anderen Flugzeugen zu verhindern.
Tatsächliche Verletzungen des nationalen Luftraums eines baltischen Staats seien bislang aber höchst selten und wenn, dann nur in kleinem Ausmaß vorgekommen, sagte der Sprecher der Luftwaffe. Deutschland beteiligt sich vor allem an der seit 2014 verstärkten Präsenz in Estland jährlich für mindestens vier Monate, zuletzt war die Luftwaffe von August 2022 bis April 2023 in Ämari. Es ist der 14. Einsatz der Luftwaffe beim Air Policing Baltikum.
Insgesamt bis zu sechs Eurofighter sind in der Mission gebunden: Vier Eurofighter werden der Nato unterstellt und in Lielvārde dauerhaft in Alarmbereitschaft sein. Ein weiterer steht dort als Ersatz bereit, sollten die Eurofighter zu viele Stunden fliegen müssen. Ein sechster wird in Deutschland in der 96-Stunden-Bereitschaft beim Taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg stehen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schließt den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine durch sein Land nicht aus. Nichts sei ausgeschlossen, um das Ziel zu erreichen, dass Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine nicht gewinne, sagte Macron nach Abschluss einer Ukraine-Hilfskonferenz am späten Montagabend in Paris.
Bei dem Treffen von über 20 Staats- und Regierungschefs, an dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz teilnahm, habe es keinen Konsens zum Einsatz von Bodentruppen gegeben, aber in der künftigen Dynamik könne nichts ausgeschlossen werden, so Macron. Jedes Land könne eigenständig und souverän entscheiden. Mehrere Mitglieder der Nato und der EU erwägen nach Angaben des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico die Entsendung von Soldaten in die Ukraine auf bilateraler Basis.
Bei dem Treffen sei die Bildung einer Koalition beschlossen worden, die die Ukraine mit Raketen für Angriffe weit hinter die russischen Linien versorgt, sagte der französische Präsident. Kurzfristig solle außerdem auch aus eigenen Beständen zusätzliche Munition für die Ukraine mobilisiert werden. Eine Lieferung französischer Mirage-Kampfjets sei aktuell nicht beschlossen worden, geprüft werde aber weiterhin, welches französische Militärmaterial der Ukraine helfen könne. Die Teilnehmer hätten laut Macron auch vereinbart, Sanktionen gegen Länder auszuarbeiten, die Russland bei der Umgehung von Sanktionen helfen.
Zudem kündigte der niederländische Premier Mark Rutte an, eine Initiative Tschechiens mit 100 Millionen Euro zu unterstützen, weltweit Munition für die Ukraine aufzukaufen. Rund 15 Länder signalisieren Interesse an der tschechischen Munitions-Initiative. “Eine Reihe von Staaten hat sich mitten in den Verhandlungen der Initiative angeschlossen, oder meine Kollegen haben mir gesagt, dass sie die Initiative schnell diskutieren werden”, sagt der tschechische Premierminister Petr Fiala im Anschluss an das Treffen in Paris. dpa/Reuters
Bundeskanzler Olaf Scholz hat erstmals die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ausdrücklich ausgeschlossen. Seine Ablehnung, trotz des ukrainischen Drängens die weit reichenden Waffensysteme zur Verfügung zu stellen, begründete Scholz mit einer nach seinen Worten nötigen Einbindung deutscher Soldaten in den Einsatz der Marschflugkörper, gegebenenfalls auch in Deutschland selbst. Das müsse grundsätzlich ausgeschlossen werden, damit Deutschland nicht Kriegspartei werde.
Die Ukraine dringt seit langem darauf, die Taurus aus deutscher Produktion zu erhalten, die rund 500 Kilometer entfernte Ziele angreifen und auch verbunkerte Stellungen zerstören können. Nachdem Großbritannien und Frankreich ähnliche Waffensysteme geliefert hatten, wenn auch mit geringerer Reichweite und Zerstörungskraft, war in Deutschland der Druck auf Scholz gewachsen, einer Lieferung an die Ukraine zuzustimmen. Selbst in der eigenen Koalition gibt es vor allem bei Grünen und FDP ein massives Werben für die Abgabe der Marschflugkörper.
Scholz machte am Montag bei einer Chefredakteurskonferenz der Deutschen Presse-Agentur klar, dass aus seiner Sicht die Taurus-Lieferung die Gefahr bedeute, dass Deutschland Kriegspartei im Krieg zwischen Russland und der Ukraine werde. “Das ist eine sehr weitreichende Waffe, und das, was an Zielsteuerung und Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden”, erklärte der Kanzler. Damit bezog er sich auf – öffentlich nicht bestätigte – Angaben, dass die britischen und französischen Marschflugkörper der Typen Storm Shadow und Scalp von der Ukraine nur mit Unterstützung des Militärs aus den Herkunftsländern eingesetzt werden könnten.
“Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein”, betonte Scholz. “Auch nicht in Deutschland.” Der konkreten Nachfrage, ob die Ukraine die Taurus-Marschflugkörper gegebenenfalls auch ohne Hilfe von Bundeswehrsoldaten nutzen könne, wich der Kanzler aus: “Ich will noch einmal wiederholen: Das, was andere Länder machen, die andere Traditionen und andere Verfassungsinstitutionen haben, ist etwas, das wir jedenfalls in gleicher Weise nicht tun können.”
Inwieweit die Ukraine tatsächlich nach einer Übergabe dieses Waffensystems auf militärische Hilfe beim Einsatz angewiesen wäre, bleibt unklar. Aussagen aus der Industrie deuten darauf hin, dass ukrainische Soldaten nach einer entsprechenden Ausbildung die Programmierung selbst vornehmen könnten. Allerdings wären sie dabei sehr wahrscheinlich auf die Geodaten angewiesen, die Deutschland mit dem Taurus ebenfalls liefern müsste. tw
Sébastien Lecornu ist am Freitag als erster französischer Verteidigungsminister nach Armenien gereist, um das französisch-armenische Sicherheitsabkommen zu vertiefen, das die Länder im Oktober 2023 geschlossen hatten. Mit Lecornus Besuch erhält Jerewan Nachtsichtgeräte von Safran. Im Dezember 2023 hatte Paris bereits 24 gepanzerte Fahrzeuge des Typs Bastion geliefert.
Am Freitag unterschrieb Armenien mit dem französischen Hersteller PGM einen Vertrag zum Kauf von Präzisionsgewehren und verständigte sich darauf, Gespräche über die Beschaffung von Kurzstreckenraketen von MBDA zu führen. Außerdem sollen fünf armenische Militärs an einer französischen Militärakademie ausgebildet werden. Bis Jahresende will Frankreich eines von drei bereits versprochenen Ground Master 200 (GM200)-Radaren von Thales liefern. Die Lieferungen hätten den Zweck, die Zivilbevölkerung und strategische wichtige Punkte zu schützen, sagte Lecornu.
Da GM200 darauf ausgelegt ist, Drohnen, Flugzeuge oder Geschosse aufzuspüren, dürften sich die Franzosen den Verkauf weiterer Kampfsysteme erhoffen, die aufgespürte Kriegsgeräte abschießen können. Infrage kämen etwa die Caesar-Haubitze von Nexter oder das Boden-Luft-Verteidigungssystem Samp/T von MBDA und Thales.
Armenien verließ sich bislang hauptsächlich auf Russland als Schutzmacht, das beim Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach allerdings nicht intervenierte. Am Freitag hatte Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan dem französischen Fernsehsender France 24 gesagt, dass Armenien seine Mitgliedschaft in dem von Russland dominierten Militärbündnis Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) einfriere. Frankreich bringt sich als Schutzkraft für das Land in Stellung, auch wenn Lecornu beschwichtigt, dass es sich bei dem Abkommen nicht um “die große Geopolitik” handele, wie Le Monde berichtet.
Zuletzt hatte sich der Konflikt mit Armeniens Nachbarland Aserbaidschan wieder zugespitzt. Bei einem Gefecht am 13. Februar wurden vier armenische Soldaten getötet. Im Herbst 2023 hatte Aserbaidschan die von beiden Ländern beanspruchte und damals hauptsächlich von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach eingenommen. Über 100.000 ethnische Armenier flohen.
Die Friedensvertragsverhandlungen führen die beiden Länder seither hauptsächlich auf bilateraler Ebene. Die EU, bis dato einer der Hauptverhandler in dem Konflikt, sowie die USA haben sich weitestgehend zurückgezogen. Die militärische Hilfe, die aus Frankreich kommt, sieht Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, nicht als “Game-Changer”. Es gebe eine Lücke zwischen “Rhetorik und dem, was tatsächlich geliefert wird”. Man wolle Aserbaidschan nicht zu sehr provozieren, sagt Meister und auch der Iran sehe die Aufrüstung seines nördlichen Nachbarn Armenien durch einen Nato-Staat nicht gerne.
Nach der militärischen “Lösung” der Bergkarabach-Frage geht es in dem Konflikt nun hauptsächlich um die Grenzziehung zwischen den beiden Ländern, sowie einen möglichen Transportkorridor von Aserbaidschan zur Exklave Nachitschewan westlich von Armenien. Der kürzlich wiedergewählte aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev sei jederzeit zu einer militärischen Auseinandersetzung bereit, um seine Ziele zu erreichen, so Meister. bub/klm
Die Zahl der Asylanträge russischer Staatsbürger in Deutschland ist im vergangenen Jahr um 168 Prozent gestiegen – von 2.851 Erstanträgen im Jahr 2022 auf 7.663 Erstanträge. Insgesamt rückt Russland als Herkunftsland Schutzsuchender von Platz zehn auf Platz sieben vor. Das zeigen die Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf).
Die meisten Antragsteller sind männlich (60 Prozent), teilt die Behörde auf Nachfrage mit. Und gut 46 Prozent aller Antragsteller sind im Alter zwischen 18 und 40 – der Gruppe, aus der am häufigsten für den Krieg rekrutiert wird. 2023 waren es 3.538 Antragsteller, im Jahr zuvor 1.795.
Auffällig ist, dass auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen steigt, das heißt, dass ganze Familien keine Zukunft mehr für sich in Russland sehen und nach Deutschland flüchten: Nach 1.124 Antragstellern unter 18 Jahren im Jahr 2022 waren es im Jahr 2023 dann 2.869. Die Anerkennungsquote für russische Staatsbürger bleibt trotz eines leichten Anstiegs niedrig. Sie stieg von 6,1 Prozent im Jahr 2022 auf 7,6 Prozent im vergangenen Jahr. vf
Am Montag hat auch das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt – mit den Stimmen der Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán. Damit ist nach fast zwei Jahren die letzte Hürde für einen Beitritt Schwedens als 32. Mitglied im Bündnis beseitigt. Nachdem auch das türkische Parlament im Januar der Mitgliedschaft zugestimmt hatte, war Ungarn der letzte Nato-Mitgliedstaat, der dem schwedischen Beitritt im Weg stand.
Schweden wird durch seine geografische Mittellage zwischen hohem Norden und Baltikum als entscheidend für mögliche Truppenbewegungen und den Nachschub in der Region gesehen. Die schwedische Insel Gotland, die nur 330 Kilometer von Kaliningrad entfernt liegt, ist für die Verteidigung der baltischen Staaten besonders wichtig.
Der Beitritt des Landes macht das Bündnis “stärker und sicherer”, schrieb Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf X. Er ist das Resultat zäher diplomatischer Verhandlungen und eines Kampfjet-Deals.
Nach einem Treffen Viktor Orbáns mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson vergangenen Freitag wurde bekannt, dass Ungarn vier neue Kampfjets vom schwedischen Typ JAS 39 Gripen kaufen wird. Außerdem sollen die 14 Gripen-Maschinen, die Ungarn seit 2006 von Schweden geleast hat, 2026 vollständig in ungarischen Besitz übergehen. Stockholm versprach auch, dass Saab, der Hersteller der Kampfflugzeuge, ein KI-Forschungszentrum in Ungarn eröffnen werde.
“Ein Abkommen über Verteidigungs- und Militärkapazitäten hilft dabei, das Vertrauen zwischen den beiden Ländern wiederherzustellen”, hatte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán im Anschluss erklärt.
Die Ratifizierungsurkunde muss noch formal beim US-Außenministerium hinterlegt werden. Schon Ende der Woche könnte Schweden offiziell in das Bündnis aufgenommen werden.
Gleichzeitig hat das Rennen um die Nachfolge des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg an Fahrt aufgenommen, nachdem berichtet wird, dass neben dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte auch der rumänische Präsident Klaus Johannis eine Kandidatur in Erwägung zieht. Stoltenbergs Vertrag läuft Anfang Oktober nach zehn Jahren im Amt aus. wp
Die dänischen Streitkräfte lockern ihre strengen gesundheitlichen Anforderungen an Wehrpflichtige. Ein zu hohes Gewicht, eine zu geringe Körpergröße oder eine “sexuelle Abweichung” sind keine automatischen Ausschlusskriterien für den Dienst mehr. Dies geht aus einem internen Dokument des dänischen Verteidigungsministeriums hervor, das der dänischen Zeitung DR Nyheder vorliegt.
Die Aktualisierungen seien notwendig, um den Veränderungen in der Gesellschaft Rechnung zu tragen, sagte Jesper Lynge, Chef des Zentrums für Rekrutierung und Karriere der dänischen Armee. Die Änderungen der Gesundheitsvorschriften gehören zu den umfangreichsten Änderungen überhaupt. Statt auf harte Grenzen wie eine Körpergröße von mindestens 1,55 Meter oder einen bestimmten Body Mass Index (BMI) zu setzen, soll es Richtwerte geben.
Der 120-Seiten starke Anforderungskatalog werde Schritt für Schritt aktualisiert, meldet das Personalamt der Streitkräfte. “Es erscheint mir völlig grotesk, dass bei der Rekrutierung in den Streitkräften einige geschlechterdiskriminierende Kriterien angewendet wurden. Das gehört hier nicht hin”, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Liberalen Allianz, Carsten Bach.
Angesichts der neuen Bedrohungslage will das Verteidigungsministerium im Frühjahr seine Pläne über die Reform des Wehrdienstes vorstellen. Derzeit werden alle jungen Männer gemustert. Nur etwa 6.000 eines Jahrgangs werden aber eingezogen und leisten vier Monate Wehrdienst. Künftig könnte der Dienst länger dauern, um die Wehrpflichtigen besser zu qualifizieren.
Dänemark will außerdem seine Ausgaben für die Verteidigung in den kommenden Jahren signifikant erhöhen. Das dänische Parlament beschloss, bis 2033 155 Milliarden Dänische Kronen (mehr als 20 Mrd. Euro) für die Verteidigung auszugeben. Das Geld soll vorrangig in die Luftverteidigung investiert werden. klm
Süddeutsche Zeitung: Waffenbauer gegen Rechnungshof. Der Streit um das Sturmgewehr G95 ist noch nicht beendet. Der Hersteller Heckler & Koch habe auf den jüngsten Bericht des Bundesrechnungshofs, der die Beschleunigung der Prüfzyklen für das Gewehr kritisiert, mit einem juristischen Schreiben reagiert. Der Bundesrechnungshof bedauere jetzt, dass durch den Bericht ein falscher Eindruck entstanden sei.
INSS: Turning the Table: Ramadan as an Opportunity. Der muslimische Fastenmonat Ramadan ist in Israel traditionell besonders angespannt. Die israelische Regierung solle den Monat dieses Jahr nutzen, um ein Friedensangebot zu machen, das die Einstellung der Kämpfe im Gazastreifen beinhaltet. Auch wenn ein Deal von palästinensischer Seite abgelehnt werde, würde Israel mit der Initiative ein wichtiges Signal an die palästinensische Bevölkerung und die arabische Welt senden.
The New York Times: How the CIA Secretly Helps Ukraine Fight Putin. Die Ukraine profitiert im Krieg gegen Russland von einer über zehn Jahre alten Partnerschaft mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA. Die New York Times hat in über 200 Gesprächen die Details dieser Partnerschaft aufgearbeitet. Gerade zu Beginn der russischen Vollinvasion habe die Kooperation wichtige Informationen geliefert, wo die russischen Streitkräfte Luftschläge planten und welche Waffen sie dabei nutzen würden.
Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten zeigen, dass die Zahl der Soldatinnen und Soldaten, die eine Nation im Kriegsfall aufbieten kann, nach wie vor existenziell ist für den Erfolg auf dem Schlachtfeld. Deswegen war und ist die Personalgewinnung für Streitkräfte weltweit ein zentrales Thema.
Das gilt besonders auch für die Bundeswehr. Seit Jahren stagniert die personelle Stärke des militärischen Personals bei um die 182.000 Soldatinnen und Soldaten. Das unterschreitet die eigentlich seit Jahren gültige Sollplanung von 184.000 und ist weit von den bis spätestens 2031 geplanten 203.000 Soldatinnen und Soldaten entfernt.
Ein Ziel, das auf Nato-Zusagen beruht, schon jetzt aber zu niedrig angesetzt ist, weil es die neu aufzustellende Brigade in Litauen und mögliche Kräfte zur Erfüllung des “Operationsplans Deutschland” nicht miteinbezieht. Dazu kommt noch die Tatsache, dass 2022 etwa 16 Prozent der Dienstposten in der Bundeswehr unbesetzt waren. Besonders betraf dies die Ebene der Mannschaftsdienstgrade, also die sprichwörtlichen “Indianer”.
Will also die Bundeswehr das festgelegte Personalziel realisieren, muss sie in den kommenden Jahren um mehr als 20.000 Freiwillige wachsen – neben der schon jetzt bestehenden eigentlichen jährlichen Regenerationsquote von über 30.000 Menschen. Das scheint mit Blick auf die Zahlen der Nachwuchsgewinnung der vergangenen Jahre völlig illusorisch. Da werden auch die Maßnahmen, die die “Task Force Personal” im Dezember vorgelegt hat, nichts nützen. Sie sind eher dazu geeignet, den weiteren Personalverlust zu stoppen.
Die Personalstagnation und die Probleme bei der Nachwuchsgewinnung sind zwar nicht neu, doch sie verschärfen sich in atemberaubender Geschwindigkeit aufgrund des demografischen Wandels, der sinkenden Geburtenrate und des mittlerweile weit über den Facharbeiterbereich hinausgehenden Arbeitskräftemangels.
Es wäre auch falsch, nur auf die Personalprobleme der Bundeswehr zu fokussieren. Angesichts neuer Bedrohungslagen, zunehmender Umweltkatastrophen und einer neuen Betonung der gesamtstaatlichen Resilienz müssen auch die Personalnöte der anderen Organisationen für Krisen- und Katastrophenfälle betrachtet werden: die “Blaulichtorganisationen” der (freiwilligen) Feuerwehren, des THW, des Roten Kreuzes und so weiter. Sie alle leben in personeller Hinsicht von der Substanz und sehen sich einem schleichenden Überalterungsprozess gegenüber. Gleichzeitig aber werden die Erwartungen an ihre Einsatz- und Durchhaltefähigkeiten größer.
Im Laufe der vergangenen Monate hat deswegen ganz zu Recht die Diskussion um die Wiedereinsetzung der allgemeinen Wehrpflicht, die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, beziehungsweise Mischmodelle wie etwa ein Wehrpflichtmodell nach schwedischem Vorbild an Fahrt aufgenommen. Die Forderung danach wird mittlerweile breit getragen: vom Bundespräsidenten über die Wehrbeauftragte bis hin zum Verteidigungsminister und nicht zuletzt von der CDU, die zur Einführung einer Dienstpflicht schon 2022 einen Parteitagsbeschluss gefasst hat.
Grundsätzlich wäre eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer der sinnvollste und auch am besten in unsere Zeit passende Weg. Er böte die notwendige Zahl von Menschen, die unsere Gemeinschaft benötigt, um wehrhaft und resilient zu sein. Und er böte den jungen Menschen die Chance, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Beides braucht unser Land.
Deswegen sollten die Theoriediskussionen enden und es sollten konkrete Schritte eingeleitet werden, die sukzessive zu einer allgemeinen Dienstpflicht führen. Kurzfristig braucht es eine umfassende (Wehr-)Erfassung eines Geburtsjahrgangs, mit der alle jungen Menschen erreicht werden, um sie zu Beginn für einen Freiwilligendienst zu gewinnen und später einziehen zu können. Mittelfristig braucht es zusätzliche Infrastruktur – wahrscheinlich auch zusätzliche Standorte bei der Bundeswehr – bei allen Organisationen, die von einem “Ersatzdienst” beziehungsweise einer Allgemeinen Dienstpflicht profitieren sollen und können.
Johann Wadephul ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zuständig für die Bereiche Auswärtiges, Verteidigung und Interparlamentarische Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP).
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist neues Mitglied im Beirat von ELNET. Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses und FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl im Juni folgt auf Nicola Beer, ebenfalls FDP. Das European Leadership Network (ELNET) versteht sich als Denkfabrik und Netzwerkorganisation im europäisch-israelischen Kontext. Der Beirat wird geführt von Brigitte Zypries, ehemalige Justiz- und Wirtschaftsministerin Deutschlands. Ihm gehören darüber hinaus unter anderem die frühere Grünen-Vorsitzende und Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, und der Publizist Richard C. Schneider an.
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zum ersten Mal hat Bundeskanzler Olaf Scholz die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ausdrücklich ausgeschlossen. Begründung: Deutschland könne zur Kriegspartei werden, wenn deutsche Soldaten in Ausbildung und Bedienung vor Ort eingebunden wären. Die Industrie hat eine andere Sicht auf die Dinge, schreibt Thomas Wiegold.
Drei Tage nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine war das politische Berlin noch weit weg von Diskussionen über Taurus und andere Waffensysteme zur Unterstützung Kiews. Scholz hatte grade erst seine Zeitenwende-Rede gehalten, hatte auf Einigkeit vor allem mit Finanzminister Christian Lindner geschworen. Zwei Jahre später findet sich die Regierung in einem erbitterten Verteilungskampf wieder. Um was es geht, erläutert Markus Bickel.
Über die gestrige Zustimmung Ungarns zur Aufnahme Schwedens in die Nato dürfte sich ein Land besonders gefreut haben: Lettland kann nun mit einer Verstärkung der Bodenpräsenz im Rahmen der “enhanced Forward Presence” aus Schweden rechnen. Bis Ende November sichert zudem die Luftwaffe der Bundeswehr erstmals den Luftraum vom lettischen Lielvārde aus. Warum das keine Schwächung der Nato an der Ostflanke bedeutet, lesen Sie in meiner Analyse.
Die Ansage des Kanzlers drei Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine war eindeutig. “Klar ist: Wir müssen deutlich mehr in die Sicherheit unseres Landes investieren, um auf diese Weise unsere Freiheit und unsere Demokratie zu schützen”, sagte Olaf Scholz am 27. Februar 2022 in seiner Zeitenwende-Rede im Bundestag. “Aber machen wir uns nichts vor: Bessere Ausrüstung, modernes Einsatzgerät, mehr Personal – das kostet viel Geld.”
Diese “große nationale Kraftanstrengung” mache die Einrichtung eines “Sondervermögen Bundeswehr” notwendig – im Grundgesetz verankert, mit einmalig 100 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt ausgestattet, warb er bei den Abgeordneten für Zustimmung. Einen aus seinem Kabinett hob Scholz an diesem Tag in seiner Rede besonders hervor: “Ich bin Bundesfinanzminister Lindner sehr dankbar für seine Unterstützung dabei.”
Zum zweiten Jahrestag der Zeitenwende-Rede ist es mit dem Zusammenhalt zwischen Kanzler und Finanzminister in Finanzierungsfragen von Verteidigungsausgaben nicht mehr weit her. Ein offener Verteilungskampf zwischen Sozial- und Wehretat steht an, ausgelöst durch Lindners Forderung nach einem Sozial-Moratorium zur Finanzierung von Verteidigungsausgaben.
Mehr für Rüstung, weniger für Rente? Der durch die militärischen Verpflichtungsleistungen der Bundesregierung für die Ukraine angeheizte Verteilungskonflikt – durch das Sondervermögen bislang geschickt kaschiert – bricht nun mit voller Wucht durch: “In dieser brenzligen Situation jetzt den Sozialstaat schleifen zu wollen, ist der ganz falsche Weg”, sagt der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner gegenüber Table.Media: “Wenn wir die Akzeptanz für die notwendige Finanzierung der Landes- und Bündnisverteidigung gewährleisten wollen, dürfen wir niemals innere und äußere Sicherheit gegen soziale Sicherheit ausspielen.” Das sei “ein Giftcocktail für die Demokratie und ein Long Drink für die Rechtspopulisten.”
Der FDP-Verteidigungspolitiker Nils Gründer verteidigt Lindners Vorstoß und betont, dass der Sozialetat ja nicht gekürzt, sondern lediglich ein Aufwuchs für drei Jahre verhindert werden solle. Zugleich räumt er ein: “Wir werden nicht um die Debatte herumkommen, ob wir uns die Rente mit 63 noch leisten können.” Es gehe mit Blick auf die Jahre nach Auslaufen des Sondervermögens darum, “dass wir uns ehrlich machen müssen”.
Dass das Verteilungsfragen mit sich bringt, ist allen, die mit dem Thema befasst sind, klar. Und gleichzeitig wächst die Sorge vor einem neuen Koalitionskrach. Zwar erkennen auch Unionsabgeordnete an, dass Scholz sein Versprechen von Februar 2022, “unsere Verteidigungsausgaben bis 2024 auf zwei Prozent unserer Wirtschaftsleistung zu steigern” eingehalten hat. Doch innerhalb der Ampel ist der Blick längst auf die Zukunft gerichtet – nach 2028 sind die Milliarden des Sondervermögens ausgegeben, dann könnte der in Einzelplan 14 des Bundeshaushalts verankerte Verteidigungsetat bis auf 100 Milliarden Euro anwachsen.
Darüber, wie das gelingen soll ohne ein neues Sondervermögen, herrscht vor allem unter den Haushältern im Bundestag großes Rätselraten. Zwar warnen sowohl Stegner wie Gründer vor neuen Sonderregelungen für Einzeletats.
“Die Zeitenwende ist kein Zweijahresprojekt, sondern eins, das uns möglicherweise Jahrzehnte beschäftigen wird”, sagt der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sebastian Schäfer, Berichterstatter seiner Fraktion für Verteidigungsetat und Sondervermögen im Haushaltsausschuss. “Dafür braucht es einen langen Atem.” Umso wichtiger seien “Vertragssicherheit für die Industrie und Klarheit darüber, wie verlässlich es um Nachfrage aus der Bundeswehr für die kommenden Jahre bestellt ist, um den Ausrüstungs-Gap” zu schließen.
Was sein Vertrauen in den liberalen Koalitionspartner anbelangt, sich für eine “nachhaltige Ausstattung der Bundeswehr” zu verwenden, sagt Schäfer: “Der Indikator am BIP-Anteil ist nicht entscheidend, es geht um Bedrohungen für unsere Sicherheit und unsere Fähigkeiten zur Abschreckung. Insofern sind die zwei Prozent weder eine Unter- noch eine Obergrenze für die Verteidigungsausgaben. Ich sehe nicht, wie wir nach Ende des Sondervermögens die notwendigen Ausgaben allein über Konsolidierungsmaßnahmen und Wirtschaftswachstum finanzieren können.”
Wie sich Sozial- und Verteidigungsressorts über die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl hinaus einigen werden, ist knapp zwei Jahre nach Verankerung des Sondervermögens im Grundgesetz daher unklar – und wie viel Deutschland und Europa nach einem möglichen Wahlsieg Donald Trumps in Zukunft selbst für ihre Verteidigung ausgeben müssen auch. Verteidigungsminister Boris Pistorius hatte vorige Woche auf der Münchner Sicherheitskonferenz deshalb sogar eine Korrektur des Zweiprozentziels nach oben nicht ausgeschlossen: “Es könnte sein, dass wir drei oder sogar 3,5 Prozent erreichen. Das hängt davon ab, was in der Welt passiert.”
Rückendeckung bekommt der Verteidigungsminister dabei auch aus der SPD-Bundestagsfraktion. Die Abgeordnete Marja-Liisa Völlers fordert gegenüber Table.Media “Investitionen in den Bereich der Sicherheit – sowohl in den Zivilschutz als auch in die Bundeswehr – von der Schuldenbremse auszunehmen.” Die “Idee, das Geld für die Bundeswehr bei Sozialausgaben einzusparen, halte ich für absolut ungerecht”, sagte sie. “Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Lage täten wir alle gut daran, unsere Gesellschaft durch solche Debatten nicht noch weiter zu spalten. Zumal es andere, bessere und sinnvollere Wege gibt, um die adäquate Ausrüstung der Bundeswehr zu finanzieren.”
20 Jahre nach der Einrichtung der Nato-Mission “Air Policing Baltikum” mit Standort im litauischen Šiauliai und zehn Jahre nach der Verstärkung der Präsenz durch den zweiten Standort im estnischen Ämari (enhanced Air Policing), steht die Mission vor einer weiteren, wenn auch temporären Veränderung: Weil am Flugplatz in Ämari die Start- und Landebahnen erneuert und Unterkünfte modernisiert werden müssen, zieht die Nato-Mission bis Ende November ins knapp 350 Kilometer südlicher gelegene lettische Lielvārde um. Es ist das erste Mal, dass die Nato ihr Air Policing von Lettland aus durchgeführt.
Fünf Eurofighter und etwa 200 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten vom Taktischen Luftwaffengeschwader 74 starten bereits diese Woche von Neuburg an der Donau aus nach Lettland. Der offizielle Auftrag beginnt am 1. März. Die routinemäßige Übergabe von Polen, das bis Ende Februar das Air Policing von Ämari aus übernommen hatte, an Deutschland findet dann am 2. März in Lielvārde statt. Kontingentführer des ersten von drei Teilkontingenten ist Oberstleutnant Swen Jacob, stellvertretender Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 aus Neuburg an der Donau.
Trotz der Stationierung der Eurofighter in Lettland seien die Jets “schnell genug” in Estland, sagte ein Sprecher der Luftwaffe. Denn dass Russland die Reaktionszeit der Bundeswehr durch verstärkte Übungsaktivitäten im internationalen Luftraum zwischen Estland und Finnland testen wird, davon gehen Experten aus. Die Luftwaffe sei aber darauf vorbereitet.
Auch auf eine Zunahme von hybrider Kriegsführung, vor allem durch Falschinformationen oder falsche Anschuldigungen wie 2017 in Litauen, richtet sich die Bundeswehr ein. Damals wurden aus Russland Gerüchte über eine angebliche Vergewaltigung eines litauischen Mädchens durch deutsche Soldaten gestreut. Zwar sieht der Großteil der lettischen Bevölkerung die Stationierung deutscher Soldaten als Stärkung der Sicherheit an, die russischsprachige Bevölkerung allerdings könnte solchen Gerüchten Glauben schenken.
Der Umzug nach Lettland dient nicht nur praktischen Zwecken. Deutschland sendet damit gleich mehrere sicherheitspolitische Signale – innerhalb der Nato und in Richtung Russland:
Zwar wird die Bundeswehr ab dem 30. November das Feldlager in Lielvārde zurückbauen und die Nato die Air-Policing-Mission wieder von Ämari aus führen. Für Lettland, das als einziges baltisches Land bislang keine dauerhafte Nato-Präsenz für die Luftraumsicherung hat, ist die Erprobung ihres Flugplatzes allerdings ein wichtiger Schritt, um in Zukunft vielleicht doch mehr Aufmerksamkeit zu bekommen. Schweden hat bereits angezeigt, dass es – nach dem Beitritt zur Nato – mit einem 600 bis 800 Personen starken Bataillon an der “enhanced forward presence” unter kanadischer Führung und in Rotation mit Dänemark, teilnehmen will.
Der Ausbau der Nato-Präsenz an der Grenze zu Russland wird immer brisanter: Nach Einschätzung des estnischen Auslandsgeheimdienstes will Russland seine Truppen an den Grenzen zu den baltischen Staaten und Finnland als “Reaktion auf die Expansion der Nato” in den kommenden Jahren verstärken und “militärische Dominanz” in der Ostseeregion erreichen. Zwar werden die russischen Luftstreitkräfte nicht explizit erwähnt, das Signal der verstärkten Präsenz auch im Luftraum ist aber ein wichtiges.
Da die baltischen Staaten keine eigene Luftwaffe haben, richtete die Nato 2004 die Air Policing-Mission ein, um den zivilen Flugverkehr im internationalen Luftraum über dem Baltikum zu schützen. Flugzeuge – zumeist russische -, die mit ausgeschaltetem Transpondersignal vor allem zwischen Russland und der Enklave Kaliningrad fliegen, werden von alarmierten Kampfjets begleitet, um einen Zusammenstoß mit anderen Flugzeugen zu verhindern.
Tatsächliche Verletzungen des nationalen Luftraums eines baltischen Staats seien bislang aber höchst selten und wenn, dann nur in kleinem Ausmaß vorgekommen, sagte der Sprecher der Luftwaffe. Deutschland beteiligt sich vor allem an der seit 2014 verstärkten Präsenz in Estland jährlich für mindestens vier Monate, zuletzt war die Luftwaffe von August 2022 bis April 2023 in Ämari. Es ist der 14. Einsatz der Luftwaffe beim Air Policing Baltikum.
Insgesamt bis zu sechs Eurofighter sind in der Mission gebunden: Vier Eurofighter werden der Nato unterstellt und in Lielvārde dauerhaft in Alarmbereitschaft sein. Ein weiterer steht dort als Ersatz bereit, sollten die Eurofighter zu viele Stunden fliegen müssen. Ein sechster wird in Deutschland in der 96-Stunden-Bereitschaft beim Taktischen Luftwaffengeschwader 74 in Neuburg stehen.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schließt den Einsatz von Bodentruppen in der Ukraine durch sein Land nicht aus. Nichts sei ausgeschlossen, um das Ziel zu erreichen, dass Russland den Angriffskrieg auf die Ukraine nicht gewinne, sagte Macron nach Abschluss einer Ukraine-Hilfskonferenz am späten Montagabend in Paris.
Bei dem Treffen von über 20 Staats- und Regierungschefs, an dem auch Bundeskanzler Olaf Scholz teilnahm, habe es keinen Konsens zum Einsatz von Bodentruppen gegeben, aber in der künftigen Dynamik könne nichts ausgeschlossen werden, so Macron. Jedes Land könne eigenständig und souverän entscheiden. Mehrere Mitglieder der Nato und der EU erwägen nach Angaben des slowakischen Ministerpräsidenten Robert Fico die Entsendung von Soldaten in die Ukraine auf bilateraler Basis.
Bei dem Treffen sei die Bildung einer Koalition beschlossen worden, die die Ukraine mit Raketen für Angriffe weit hinter die russischen Linien versorgt, sagte der französische Präsident. Kurzfristig solle außerdem auch aus eigenen Beständen zusätzliche Munition für die Ukraine mobilisiert werden. Eine Lieferung französischer Mirage-Kampfjets sei aktuell nicht beschlossen worden, geprüft werde aber weiterhin, welches französische Militärmaterial der Ukraine helfen könne. Die Teilnehmer hätten laut Macron auch vereinbart, Sanktionen gegen Länder auszuarbeiten, die Russland bei der Umgehung von Sanktionen helfen.
Zudem kündigte der niederländische Premier Mark Rutte an, eine Initiative Tschechiens mit 100 Millionen Euro zu unterstützen, weltweit Munition für die Ukraine aufzukaufen. Rund 15 Länder signalisieren Interesse an der tschechischen Munitions-Initiative. “Eine Reihe von Staaten hat sich mitten in den Verhandlungen der Initiative angeschlossen, oder meine Kollegen haben mir gesagt, dass sie die Initiative schnell diskutieren werden”, sagt der tschechische Premierminister Petr Fiala im Anschluss an das Treffen in Paris. dpa/Reuters
Bundeskanzler Olaf Scholz hat erstmals die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine ausdrücklich ausgeschlossen. Seine Ablehnung, trotz des ukrainischen Drängens die weit reichenden Waffensysteme zur Verfügung zu stellen, begründete Scholz mit einer nach seinen Worten nötigen Einbindung deutscher Soldaten in den Einsatz der Marschflugkörper, gegebenenfalls auch in Deutschland selbst. Das müsse grundsätzlich ausgeschlossen werden, damit Deutschland nicht Kriegspartei werde.
Die Ukraine dringt seit langem darauf, die Taurus aus deutscher Produktion zu erhalten, die rund 500 Kilometer entfernte Ziele angreifen und auch verbunkerte Stellungen zerstören können. Nachdem Großbritannien und Frankreich ähnliche Waffensysteme geliefert hatten, wenn auch mit geringerer Reichweite und Zerstörungskraft, war in Deutschland der Druck auf Scholz gewachsen, einer Lieferung an die Ukraine zuzustimmen. Selbst in der eigenen Koalition gibt es vor allem bei Grünen und FDP ein massives Werben für die Abgabe der Marschflugkörper.
Scholz machte am Montag bei einer Chefredakteurskonferenz der Deutschen Presse-Agentur klar, dass aus seiner Sicht die Taurus-Lieferung die Gefahr bedeute, dass Deutschland Kriegspartei im Krieg zwischen Russland und der Ukraine werde. “Das ist eine sehr weitreichende Waffe, und das, was an Zielsteuerung und Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden”, erklärte der Kanzler. Damit bezog er sich auf – öffentlich nicht bestätigte – Angaben, dass die britischen und französischen Marschflugkörper der Typen Storm Shadow und Scalp von der Ukraine nur mit Unterstützung des Militärs aus den Herkunftsländern eingesetzt werden könnten.
“Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein”, betonte Scholz. “Auch nicht in Deutschland.” Der konkreten Nachfrage, ob die Ukraine die Taurus-Marschflugkörper gegebenenfalls auch ohne Hilfe von Bundeswehrsoldaten nutzen könne, wich der Kanzler aus: “Ich will noch einmal wiederholen: Das, was andere Länder machen, die andere Traditionen und andere Verfassungsinstitutionen haben, ist etwas, das wir jedenfalls in gleicher Weise nicht tun können.”
Inwieweit die Ukraine tatsächlich nach einer Übergabe dieses Waffensystems auf militärische Hilfe beim Einsatz angewiesen wäre, bleibt unklar. Aussagen aus der Industrie deuten darauf hin, dass ukrainische Soldaten nach einer entsprechenden Ausbildung die Programmierung selbst vornehmen könnten. Allerdings wären sie dabei sehr wahrscheinlich auf die Geodaten angewiesen, die Deutschland mit dem Taurus ebenfalls liefern müsste. tw
Sébastien Lecornu ist am Freitag als erster französischer Verteidigungsminister nach Armenien gereist, um das französisch-armenische Sicherheitsabkommen zu vertiefen, das die Länder im Oktober 2023 geschlossen hatten. Mit Lecornus Besuch erhält Jerewan Nachtsichtgeräte von Safran. Im Dezember 2023 hatte Paris bereits 24 gepanzerte Fahrzeuge des Typs Bastion geliefert.
Am Freitag unterschrieb Armenien mit dem französischen Hersteller PGM einen Vertrag zum Kauf von Präzisionsgewehren und verständigte sich darauf, Gespräche über die Beschaffung von Kurzstreckenraketen von MBDA zu führen. Außerdem sollen fünf armenische Militärs an einer französischen Militärakademie ausgebildet werden. Bis Jahresende will Frankreich eines von drei bereits versprochenen Ground Master 200 (GM200)-Radaren von Thales liefern. Die Lieferungen hätten den Zweck, die Zivilbevölkerung und strategische wichtige Punkte zu schützen, sagte Lecornu.
Da GM200 darauf ausgelegt ist, Drohnen, Flugzeuge oder Geschosse aufzuspüren, dürften sich die Franzosen den Verkauf weiterer Kampfsysteme erhoffen, die aufgespürte Kriegsgeräte abschießen können. Infrage kämen etwa die Caesar-Haubitze von Nexter oder das Boden-Luft-Verteidigungssystem Samp/T von MBDA und Thales.
Armenien verließ sich bislang hauptsächlich auf Russland als Schutzmacht, das beim Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach allerdings nicht intervenierte. Am Freitag hatte Armeniens Premierminister Nikol Paschinjan dem französischen Fernsehsender France 24 gesagt, dass Armenien seine Mitgliedschaft in dem von Russland dominierten Militärbündnis Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) einfriere. Frankreich bringt sich als Schutzkraft für das Land in Stellung, auch wenn Lecornu beschwichtigt, dass es sich bei dem Abkommen nicht um “die große Geopolitik” handele, wie Le Monde berichtet.
Zuletzt hatte sich der Konflikt mit Armeniens Nachbarland Aserbaidschan wieder zugespitzt. Bei einem Gefecht am 13. Februar wurden vier armenische Soldaten getötet. Im Herbst 2023 hatte Aserbaidschan die von beiden Ländern beanspruchte und damals hauptsächlich von Armeniern bewohnte Region Bergkarabach eingenommen. Über 100.000 ethnische Armenier flohen.
Die Friedensvertragsverhandlungen führen die beiden Länder seither hauptsächlich auf bilateraler Ebene. Die EU, bis dato einer der Hauptverhandler in dem Konflikt, sowie die USA haben sich weitestgehend zurückgezogen. Die militärische Hilfe, die aus Frankreich kommt, sieht Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, nicht als “Game-Changer”. Es gebe eine Lücke zwischen “Rhetorik und dem, was tatsächlich geliefert wird”. Man wolle Aserbaidschan nicht zu sehr provozieren, sagt Meister und auch der Iran sehe die Aufrüstung seines nördlichen Nachbarn Armenien durch einen Nato-Staat nicht gerne.
Nach der militärischen “Lösung” der Bergkarabach-Frage geht es in dem Konflikt nun hauptsächlich um die Grenzziehung zwischen den beiden Ländern, sowie einen möglichen Transportkorridor von Aserbaidschan zur Exklave Nachitschewan westlich von Armenien. Der kürzlich wiedergewählte aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev sei jederzeit zu einer militärischen Auseinandersetzung bereit, um seine Ziele zu erreichen, so Meister. bub/klm
Die Zahl der Asylanträge russischer Staatsbürger in Deutschland ist im vergangenen Jahr um 168 Prozent gestiegen – von 2.851 Erstanträgen im Jahr 2022 auf 7.663 Erstanträge. Insgesamt rückt Russland als Herkunftsland Schutzsuchender von Platz zehn auf Platz sieben vor. Das zeigen die Daten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf).
Die meisten Antragsteller sind männlich (60 Prozent), teilt die Behörde auf Nachfrage mit. Und gut 46 Prozent aller Antragsteller sind im Alter zwischen 18 und 40 – der Gruppe, aus der am häufigsten für den Krieg rekrutiert wird. 2023 waren es 3.538 Antragsteller, im Jahr zuvor 1.795.
Auffällig ist, dass auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen steigt, das heißt, dass ganze Familien keine Zukunft mehr für sich in Russland sehen und nach Deutschland flüchten: Nach 1.124 Antragstellern unter 18 Jahren im Jahr 2022 waren es im Jahr 2023 dann 2.869. Die Anerkennungsquote für russische Staatsbürger bleibt trotz eines leichten Anstiegs niedrig. Sie stieg von 6,1 Prozent im Jahr 2022 auf 7,6 Prozent im vergangenen Jahr. vf
Am Montag hat auch das ungarische Parlament dem Nato-Beitritt Schwedens zugestimmt – mit den Stimmen der Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán. Damit ist nach fast zwei Jahren die letzte Hürde für einen Beitritt Schwedens als 32. Mitglied im Bündnis beseitigt. Nachdem auch das türkische Parlament im Januar der Mitgliedschaft zugestimmt hatte, war Ungarn der letzte Nato-Mitgliedstaat, der dem schwedischen Beitritt im Weg stand.
Schweden wird durch seine geografische Mittellage zwischen hohem Norden und Baltikum als entscheidend für mögliche Truppenbewegungen und den Nachschub in der Region gesehen. Die schwedische Insel Gotland, die nur 330 Kilometer von Kaliningrad entfernt liegt, ist für die Verteidigung der baltischen Staaten besonders wichtig.
Der Beitritt des Landes macht das Bündnis “stärker und sicherer”, schrieb Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf X. Er ist das Resultat zäher diplomatischer Verhandlungen und eines Kampfjet-Deals.
Nach einem Treffen Viktor Orbáns mit dem schwedischen Ministerpräsidenten Ulf Kristersson vergangenen Freitag wurde bekannt, dass Ungarn vier neue Kampfjets vom schwedischen Typ JAS 39 Gripen kaufen wird. Außerdem sollen die 14 Gripen-Maschinen, die Ungarn seit 2006 von Schweden geleast hat, 2026 vollständig in ungarischen Besitz übergehen. Stockholm versprach auch, dass Saab, der Hersteller der Kampfflugzeuge, ein KI-Forschungszentrum in Ungarn eröffnen werde.
“Ein Abkommen über Verteidigungs- und Militärkapazitäten hilft dabei, das Vertrauen zwischen den beiden Ländern wiederherzustellen”, hatte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán im Anschluss erklärt.
Die Ratifizierungsurkunde muss noch formal beim US-Außenministerium hinterlegt werden. Schon Ende der Woche könnte Schweden offiziell in das Bündnis aufgenommen werden.
Gleichzeitig hat das Rennen um die Nachfolge des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg an Fahrt aufgenommen, nachdem berichtet wird, dass neben dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte auch der rumänische Präsident Klaus Johannis eine Kandidatur in Erwägung zieht. Stoltenbergs Vertrag läuft Anfang Oktober nach zehn Jahren im Amt aus. wp
Die dänischen Streitkräfte lockern ihre strengen gesundheitlichen Anforderungen an Wehrpflichtige. Ein zu hohes Gewicht, eine zu geringe Körpergröße oder eine “sexuelle Abweichung” sind keine automatischen Ausschlusskriterien für den Dienst mehr. Dies geht aus einem internen Dokument des dänischen Verteidigungsministeriums hervor, das der dänischen Zeitung DR Nyheder vorliegt.
Die Aktualisierungen seien notwendig, um den Veränderungen in der Gesellschaft Rechnung zu tragen, sagte Jesper Lynge, Chef des Zentrums für Rekrutierung und Karriere der dänischen Armee. Die Änderungen der Gesundheitsvorschriften gehören zu den umfangreichsten Änderungen überhaupt. Statt auf harte Grenzen wie eine Körpergröße von mindestens 1,55 Meter oder einen bestimmten Body Mass Index (BMI) zu setzen, soll es Richtwerte geben.
Der 120-Seiten starke Anforderungskatalog werde Schritt für Schritt aktualisiert, meldet das Personalamt der Streitkräfte. “Es erscheint mir völlig grotesk, dass bei der Rekrutierung in den Streitkräften einige geschlechterdiskriminierende Kriterien angewendet wurden. Das gehört hier nicht hin”, sagt der verteidigungspolitische Sprecher der Liberalen Allianz, Carsten Bach.
Angesichts der neuen Bedrohungslage will das Verteidigungsministerium im Frühjahr seine Pläne über die Reform des Wehrdienstes vorstellen. Derzeit werden alle jungen Männer gemustert. Nur etwa 6.000 eines Jahrgangs werden aber eingezogen und leisten vier Monate Wehrdienst. Künftig könnte der Dienst länger dauern, um die Wehrpflichtigen besser zu qualifizieren.
Dänemark will außerdem seine Ausgaben für die Verteidigung in den kommenden Jahren signifikant erhöhen. Das dänische Parlament beschloss, bis 2033 155 Milliarden Dänische Kronen (mehr als 20 Mrd. Euro) für die Verteidigung auszugeben. Das Geld soll vorrangig in die Luftverteidigung investiert werden. klm
Süddeutsche Zeitung: Waffenbauer gegen Rechnungshof. Der Streit um das Sturmgewehr G95 ist noch nicht beendet. Der Hersteller Heckler & Koch habe auf den jüngsten Bericht des Bundesrechnungshofs, der die Beschleunigung der Prüfzyklen für das Gewehr kritisiert, mit einem juristischen Schreiben reagiert. Der Bundesrechnungshof bedauere jetzt, dass durch den Bericht ein falscher Eindruck entstanden sei.
INSS: Turning the Table: Ramadan as an Opportunity. Der muslimische Fastenmonat Ramadan ist in Israel traditionell besonders angespannt. Die israelische Regierung solle den Monat dieses Jahr nutzen, um ein Friedensangebot zu machen, das die Einstellung der Kämpfe im Gazastreifen beinhaltet. Auch wenn ein Deal von palästinensischer Seite abgelehnt werde, würde Israel mit der Initiative ein wichtiges Signal an die palästinensische Bevölkerung und die arabische Welt senden.
The New York Times: How the CIA Secretly Helps Ukraine Fight Putin. Die Ukraine profitiert im Krieg gegen Russland von einer über zehn Jahre alten Partnerschaft mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA. Die New York Times hat in über 200 Gesprächen die Details dieser Partnerschaft aufgearbeitet. Gerade zu Beginn der russischen Vollinvasion habe die Kooperation wichtige Informationen geliefert, wo die russischen Streitkräfte Luftschläge planten und welche Waffen sie dabei nutzen würden.
Die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten zeigen, dass die Zahl der Soldatinnen und Soldaten, die eine Nation im Kriegsfall aufbieten kann, nach wie vor existenziell ist für den Erfolg auf dem Schlachtfeld. Deswegen war und ist die Personalgewinnung für Streitkräfte weltweit ein zentrales Thema.
Das gilt besonders auch für die Bundeswehr. Seit Jahren stagniert die personelle Stärke des militärischen Personals bei um die 182.000 Soldatinnen und Soldaten. Das unterschreitet die eigentlich seit Jahren gültige Sollplanung von 184.000 und ist weit von den bis spätestens 2031 geplanten 203.000 Soldatinnen und Soldaten entfernt.
Ein Ziel, das auf Nato-Zusagen beruht, schon jetzt aber zu niedrig angesetzt ist, weil es die neu aufzustellende Brigade in Litauen und mögliche Kräfte zur Erfüllung des “Operationsplans Deutschland” nicht miteinbezieht. Dazu kommt noch die Tatsache, dass 2022 etwa 16 Prozent der Dienstposten in der Bundeswehr unbesetzt waren. Besonders betraf dies die Ebene der Mannschaftsdienstgrade, also die sprichwörtlichen “Indianer”.
Will also die Bundeswehr das festgelegte Personalziel realisieren, muss sie in den kommenden Jahren um mehr als 20.000 Freiwillige wachsen – neben der schon jetzt bestehenden eigentlichen jährlichen Regenerationsquote von über 30.000 Menschen. Das scheint mit Blick auf die Zahlen der Nachwuchsgewinnung der vergangenen Jahre völlig illusorisch. Da werden auch die Maßnahmen, die die “Task Force Personal” im Dezember vorgelegt hat, nichts nützen. Sie sind eher dazu geeignet, den weiteren Personalverlust zu stoppen.
Die Personalstagnation und die Probleme bei der Nachwuchsgewinnung sind zwar nicht neu, doch sie verschärfen sich in atemberaubender Geschwindigkeit aufgrund des demografischen Wandels, der sinkenden Geburtenrate und des mittlerweile weit über den Facharbeiterbereich hinausgehenden Arbeitskräftemangels.
Es wäre auch falsch, nur auf die Personalprobleme der Bundeswehr zu fokussieren. Angesichts neuer Bedrohungslagen, zunehmender Umweltkatastrophen und einer neuen Betonung der gesamtstaatlichen Resilienz müssen auch die Personalnöte der anderen Organisationen für Krisen- und Katastrophenfälle betrachtet werden: die “Blaulichtorganisationen” der (freiwilligen) Feuerwehren, des THW, des Roten Kreuzes und so weiter. Sie alle leben in personeller Hinsicht von der Substanz und sehen sich einem schleichenden Überalterungsprozess gegenüber. Gleichzeitig aber werden die Erwartungen an ihre Einsatz- und Durchhaltefähigkeiten größer.
Im Laufe der vergangenen Monate hat deswegen ganz zu Recht die Diskussion um die Wiedereinsetzung der allgemeinen Wehrpflicht, die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht, beziehungsweise Mischmodelle wie etwa ein Wehrpflichtmodell nach schwedischem Vorbild an Fahrt aufgenommen. Die Forderung danach wird mittlerweile breit getragen: vom Bundespräsidenten über die Wehrbeauftragte bis hin zum Verteidigungsminister und nicht zuletzt von der CDU, die zur Einführung einer Dienstpflicht schon 2022 einen Parteitagsbeschluss gefasst hat.
Grundsätzlich wäre eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer der sinnvollste und auch am besten in unsere Zeit passende Weg. Er böte die notwendige Zahl von Menschen, die unsere Gemeinschaft benötigt, um wehrhaft und resilient zu sein. Und er böte den jungen Menschen die Chance, sich für die Gesellschaft zu engagieren. Beides braucht unser Land.
Deswegen sollten die Theoriediskussionen enden und es sollten konkrete Schritte eingeleitet werden, die sukzessive zu einer allgemeinen Dienstpflicht führen. Kurzfristig braucht es eine umfassende (Wehr-)Erfassung eines Geburtsjahrgangs, mit der alle jungen Menschen erreicht werden, um sie zu Beginn für einen Freiwilligendienst zu gewinnen und später einziehen zu können. Mittelfristig braucht es zusätzliche Infrastruktur – wahrscheinlich auch zusätzliche Standorte bei der Bundeswehr – bei allen Organisationen, die von einem “Ersatzdienst” beziehungsweise einer Allgemeinen Dienstpflicht profitieren sollen und können.
Johann Wadephul ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und zuständig für die Bereiche Auswärtiges, Verteidigung und Interparlamentarische Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP).
Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist neues Mitglied im Beirat von ELNET. Die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses und FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl im Juni folgt auf Nicola Beer, ebenfalls FDP. Das European Leadership Network (ELNET) versteht sich als Denkfabrik und Netzwerkorganisation im europäisch-israelischen Kontext. Der Beirat wird geführt von Brigitte Zypries, ehemalige Justiz- und Wirtschaftsministerin Deutschlands. Ihm gehören darüber hinaus unter anderem die frühere Grünen-Vorsitzende und Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, Karin Prien, Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, und der Publizist Richard C. Schneider an.
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