Table.Briefing: Security

+++ Table.Alert – Bundeskabinett legt China-Strategie vor +++

Liebe Leserin, lieber Leser,

Vor vier Wochen die Nationale Sicherheitsstrategie – und nun die für China: Pünktlich zur Sommerpause macht die Bundesregierung Ernst damit, ihre geostrategischen Interessen wie im Koalitionsvertrag angekündigt genauer zu definieren und sich vom Werterivalen am anderen Ende der Welt abzugrenzen.

Für Deutschland ist das ein Novum: Noch nie wurde einem politischen Rivalen und wirtschaftlichem Partner so viel Aufmerksamkeit geschenkt – zumindest auf dem Papier. Denn wie bei Nato, EU und G7 schimmert auch in der China-Strategie der etwa simple Dreiklang von Rivalität, Konkurrenz und Partnerschaft durch, der jedem etwas bietet – auch der deutschen Industrie, die eine Distanzierung von Peking eher ablehnt.

Michael Radunski hat sich genauer angeschaut, was es konkret bedeutet, wenn in der China-Strategie mehr deutsche Militärpräsenz im Indo-Pazifik angekündigt wird. Gesprochen hat er außerdem mit dem US-Sicherheitsexperten Jeffrey Stoff, der aufgedeckt hat, wie deutsche Forscher chinesischen Militärinstituten bei der Entwicklung von Hyperschallwaffen geholfen haben dürften – wider besseres Wissen.

Eine spannende Lektüre wünscht

Ihr
Markus Bickel
Bild von Markus  Bickel

Analyse

Geopolitisch vorsichtig: die deutsche China-Strategie

Unter geopolitischen Aspekten glänzt die deutsche China-Strategie zu Beginn mit Klarheit. “China versucht auf verschiedenen Wegen, die bestehende regelbasierte internationale Ordnung umzugestalten”, heißt es in der Einleitung des Textes. Und unter Absatz 1.4 wird aufgeführt, wie Deutschland dieser Rivalität begegnen will: gemeinsam in der Europäischen Union und der nordatlantischen Allianz mit den USA. Der Vorstellung einer losgelösten, europäischen Autonomie wird damit indirekt eine Absage erteilt.   

China fordert auf allen Ebenen heraus

Insgesamt wird deutlich, dass die Regierung erkannt hat, wie offensiv China geopolitisch auftritt: sei es offen militärisch durch eine massive Aufrüstung oder verdeckt diplomatisch durch Initiativen wie die Global Security Initiative. Unter Absatz 5 wird nüchtern konstatiert: China versuche, “auf allen Kontinenten und in internationalen Organisationen (…) die bestehende regelbasierte internationale Ordnung nach chinesischen Vorstellungen zu verändern”.

In kurzen Absätzen werden deshalb tatsächlich sämtliche Kontinente und Ebenen aufgeführt. Afrika wird als zentrales Ziel der EU auserkoren, Lateinamerika und die Karibik gar als natürliche Partner für Deutschland und Europa gepriesen. Selbst Arktis und Antarktis, der Welt- und Cyberraum sowie Unterseeglasfaserkabel und Satellitennavigation finden Erwähnung. Es ist gut, dass damit der Umfang der chinesischen Herausforderung erfasst wird. Auch, wie China versucht, die UN von innen zu unterwandern (Absatz 5.6). Allerdings wirkt so manche Formulierung mitunter realitätsfern.

Furcht vor allzu klarer Kritik

An vielen Stellen meidet die Bundesregierung klare Worte. So heißt es zur potenziellen Gefahr der US-China-Rivalität: “Chinas antagonistisches Verhältnis zu den USA steht im Widerspruch” zu Deutschlands Sicherheit. Und Chinas Haltung im Ukraine-Krieg wird wie folgt bewertet: “Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine verteidigt China nicht glaubwürdig.”

Besonders in diesem Punkt hätte man sich durchaus mehr Klarheit erlauben dürfen. Vor allem, weil Außenministerin Annalena Baerbock dies selbst in Peking getan hat. Ohnehin fällt auf, dass die geopolitischen Konsequenzen des Ukraine-Kriegs kaum Beachtung finden – nämlich die immer enger werdende Blockbildung von China und Russland gegen den Westen.

Hotspot Taiwan

Dezidierter gibt sich die Bundesregierung hingegen beim Thema Taiwan. Insgesamt 13 Mal findet die Insel in der deutschen China-Strategie Erwähnung. Gleich zu Beginn stellt man zunächst klar: “Die Ein-China-Politik bleibt Grundlage unseres Handelns. Diplomatische Beziehungen bestehen nur mit der Volksrepublik China.”

Allerdings heißt es unter Absatz 5.7: “Eine Veränderung des Status quo in der Taiwan-Straße dürfe nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen.” Zudem unterstütze man “die sachbezogene Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen“.  

Deutschland macht sich auf den Weg

Hier wie an vielen anderen Stellen auch gilt es nun, die strategischen Leitlinien in die Realität zu überführen. Und es stellen sich etliche Fragen: Wenn beispielsweise auf dem Papier mehr deutsche Militärpräsenz im Indo-Pazifik angekündigt wird, kreuzen dann zukünftig deutsche Kriegsschiffe durch die Taiwan-Straße?

Insgesamt atmet der geopolitische Teil der deutschen China-Strategie ein wenig den Geist der deutschen Zeitenwende. Es scheint, als wage sich Deutschland auf den Weg, zu einem außenpolitischen Faktor zu werden. Man würde damit seiner Verantwortung als führende europäische Industrienation ein Stück weit gerechter werden. Noch wirkt es allerdings an etlichen Stellen der China-Strategie, als erschrecke sich die Bundesregierung mitunter vor ihrer eigenen Courage.

  • China
  • Ein-China-Politik
  • Geopolitik

“Deutsche Forscher haben China bei der Entwicklung von Hyperschallwaffen geholfen”

Sicherheitsexperte Jeffrey Stoff, Gründer der US-amerikanischen NGO “Center for Research Security & Integrity”.

In Ihrer aktuellen Studie warnen Sie eindringlich vor einer Wissenschaftskooperation zwischen China und Deutschland. Wie gefährlich ist eine Zusammenarbeit mit China?

Nun, das hängt stark vom Fachgebiet ab, aber in manchen Bereichen ist es ziemlich gefährlich, zum Beispiel im Forschungsbereich Hyperschall.

Sie meinen Hyperschallwaffen? Hightech-Raketen, die nur wenige Länder wie Russland und China besitzen. Selbst die USA verfügen nicht über diese Raketen.

Genau. Und schon verstehen Sie, warum ich warne: Man kann zu dem Schluss kommen, dass deutsche Forscher den Chinesen bei der Entwicklung von Hyperschallwaffen geholfen haben.

Deutschland selbst besitzt gar keine Hyperschallwaffen. Wie soll diese Hilfe ausgesehen haben?

Das stimmt. Und genau an diesem Beispiel zeigt sich das gefährliche Muster: Zuerst kooperiert China weltweit mit Wissenschaftlern und Ingenieuren, die an Anwendungen für Hyperschall arbeiten. Dann investiert man zu Hause viele Ressourcen und baut eigene Labore auf, geht sicherlich auch Risiken ein, die andere Länder nicht eingingen, und schlussendlich erreicht man das Ziel.

Hörgeräte-Forschung als Basis für U-Boot-Erkennung

Aber dann ist die Lösung doch einfach: ein simples Nein zur Zusammenarbeit im Hyperschallbereich.

Leider nicht, denn in vielen Forschungsfeldern besteht ein Doppelnutzen, wir sprechen von dual-use. Im Fall von Hyperschall gibt es große Überschneidungen mit anderen Bereichen wie zivile Luftfahrt, Triebwerksdesign oder Materialwissenschaften.

Okay. Dennoch ist zumindest das Ergebnis der Hyperschallforschung erkennbar gefährlich. Sind Sie bei Ihren Forschungen auch auf Bereiche gestoßen, die nicht so einfach als gefährlich erkannt werden können?

Ja, viele. In meinem Buch findet sich das Beispiel Hörgeräte. Die medizinische Forschung für Spracherkennung und Signalverarbeitung leistet hierfür wichtige Arbeit. Einige engagierte chinesische Forscher arbeiten jedoch für eine Abteilung der Seven Sons of National Defense University. Deren Hauptaufgabe wiederum ist die Entwicklung von Verteidigungs- und Waffensystemen. In diesem Fall sind die Forscher einem Labor für U-Boot-Kriegsführung der chinesischen Marine zugeordnet. Sie nutzen die Signalverarbeitung und Hörgerätetechnologie zur U-Boot-Erkennung.

“Wissenschaftsfreiheit bis zu gewissem Grad einschränken”

Wie kann es sein, dass man mit chinesischen Militärforschern zusammenarbeitet?

Ganz einfach, weil es keine Gesetze dagegen gibt, weder in den USA noch in Europa, auch nicht in Deutschland. Unsere Exportkontrollregelungen gelten im Allgemeinen nicht für Grundlagenforschung.

Die Freiheit der Forschung ist ein hoher Wert. Wollen Sie etwa die Wissenschaftsfreiheit einschränken?

Zu einem gewissen Grad. Denn akademische Freiheit bedeutet nicht Freiheit von Verantwortung. Auch in der Wissenschaft haben wir die Verantwortung sicherzustellen, dass die von uns geleistete Arbeit nicht für gefährliche militärische Zwecke oder für Menschenrechtsverletzungen genutzt wird. Akademische Freiheit sollte nicht bedeuten, dass ich tun kann, was ich will und mit wem ich will, ohne dass mir irgendwelche Bedingungen auferlegt werden.

Diagnose: Mangelndes Bewusstsein für die Forschungspartner

Haben die westlichen Wissenschaftler absichtlich dem chinesischen Militär geholfen, oder waren sie schlicht naiv?

Ich kenne natürlich nicht die individuelle Motivation oder den Wissensstand des einzelnen Forschers. Im Allgemeinen handelt es sich jedoch um mangelndes Bewusstsein dafür, mit wem sie zusammenarbeiten. Das ist im Falle Chinas besonders schwierig zu verstehen, weil Transparenz verhindert und absichtlich verschleiert wird, was ein Labor tut.

Wie gelingt das?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Es beginnt damit, dass Sie keine Informationen in englischer Sprache über eine Organisation finden.

Warum sollte es das auch geben? Es sind Chinesen, die in China arbeiten, also ist auch ihre Internetseite auf Chinesisch.

Das ist nur der erste Schritt. In anderen Fällen werden Websites von außerhalb Chinas blockiert. Oder sie verwenden harmlos klingende englische Namen, die auf Englisch mitunter sogar lächerlich sind. Wenn man sich aber dann die chinesische Seite anschaut, wird deutlich, dass es sich um ein Verteidigungslabor für militärische Zwecke handelt. Das ist absichtliche Täuschung.

Regierungen sollten Richtlinien erstellen und vor Gefahren warnen

Sie erwarten also allen Ernstes von einem Forscher in Jena, dass er jedes Mal überprüft, ob Internetseiten von außerhalb Chinas zugänglich sind, ob deren Inhalte auf Englisch verfügbar sind und was die chinesischen Namen wirklich bedeuten?

Natürlich nicht. Es ist zu viel verlangt, dass Forscher eine vollständige Risikobewertung, Due-Diligence-Prüfung durchführen und zudem sich der geostrategischen Konsequenzen bewusst sind.

Was sollte man stattdessen tun?

Zuerst müssen wir das Bewusstsein für diese Probleme schärfen. Wenn Sie mit China zu tun haben, muss man mehr Energie aufwenden, um zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Es ist anders, als mit anderen Wissenschaftlern in liberalen Demokratien zusammenzuarbeiten. Man muss beispielsweise wissen, dass die Wissenschaftler der Seven Sons of National Defense University Waffensysteme entwickeln. Sie betreiben zwar auch andere Forschung, aber das ist ihre vorrangige Aufgabe.

Okay, Bewusstsein. Doch wer kann, wer soll das erzeugen?

Regierungen sollten zumindest mal einige Richtlinien bereitstellen und Dinge auflisten, vor denen sie warnen oder die sie einschränken möchten. Das können schlicht auch Hinweise sein, die berücksichtigt werden sollten, bevor man eine Zusammenarbeit mit chinesischen Wissenschaftlern eingeht. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Selbst die US-Regierung kann das nicht alleine schaffen.

Zeitenwende: “China ist immer autoritärer und restriktiver geworden”

Wer sollte noch helfen?

Wir brauchen zivilgesellschaftliche Institutionen wie die gemeinnützige Organisation, die ich gegründet habe, NGOs, Denkfabriken und Forschungseinrichtungen, die gemeinsam eine Wissensbasis aufbauen. Ich habe mit einer Studie begonnen, aber auch das ist lediglich ein Mikrokosmos. Es muss international systematisch zusammengearbeitet werden.

Nochmal zurück zu China. In der Vergangenheit haben beide Seiten von der wissenschaftlichen Zusammenarbeit profitiert. Jetzt warnen Sie. Was hat sich verändert?

China hat sich verändert. Es ist immer autoritärer, verschlossener, restriktiver und menschenrechtsverletzender geworden. Deshalb gilt unsere Verantwortung auch in vielen anderen Bereichen wie Ethik oder Massenüberwachung. Sie müssen wissen, dass die Zusammenarbeit mit Institutionen in China, die mit dem öffentlichen Sicherheitsapparat zusammenarbeiten, im Widerspruch zu unseren Werten steht. In meiner Studie werden Personen benannt, die mit dem Ministerium für öffentliche Sicherheit und der bewaffneten Volkspolizei zusammenarbeiten. Das sind schreckliche Menschenrechtsverletzer, die der Parteistaat gezielt einsetzt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, mit wem wir zusammenarbeiten.

Kein genereller Stopp, aber klare Kosten-Nutzen-Rechnung

Also überhaupt keine Zusammenarbeit mehr mit China?

Wir brauchen eine klare Kosten-Nutzen-Abwägung. Es gibt sicherlich Bereiche wie die Klimawissenschaft, in denen wir gemeinsam entscheiden sollten, dass die potenziellen Vorteile die Risiken überwiegen. Aber wir müssen rote Linien ziehen, selbst in Bereichen wie der Klimawissenschaft. Wir sollten nicht mit der Verteidigungsindustrie zusammenarbeiten, auch nicht bei Klimafragen.

Aber steht in China schlussendlich nicht alles und jeder unter der Kontrolle der Partei?

Ja, es wird kompliziert werden. Aber wir sollten irgendwo anfangen, denn im Moment hat China im Grunde uneingeschränkten Zugang zu den globalen Wissenschaftsunternehmen. Beginnen wir zumindest mit einigen Hochrisikokategorien, die ich in meinem Buch beschreibe.

Wie drängend ist das Problem?

Meine Studie zu Deutschland hat deutlich gezeigt, dass das Ausmaß und die Tragweite schon jetzt sehr riskant sind. Die Gefahr einer solch unkontrollierten Zusammenarbeit ist enorm. Wir können nicht warten, bis wir einheitliche und umfassende Richtlinien entwickelt haben. In manchen Bereichen könnte es schon zu spät sein, wie zum Beispiel beim Hyperschall, wo die Chinesen selbst die USA bereits überholt haben.

Jeffrey Stoff ist Gründer und Präsident des “Center for Research Security & Integrity” (CRSI), einer amerikanischen Non-Profit-Organisation. Davor arbeitete 18 Jahre lang für verschiedene US-Regierungsbehörden. Das Ziel seiner NGO: akademische, staatliche und private Institutionen dabei zu unterstützen, Risiken für die Sicherheit und Integrität der Forschung durch autoritäre Staaten zu minimieren. Seine jüngste Veröffentlichung: “Should Democracies Draw Redlines around Research Collaboration with China? A Case Study of Germany”.

  • China
  • Hyperschall-Waffen
  • Rüstung
  • Wissenschaftskooperation

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Vor vier Wochen die Nationale Sicherheitsstrategie – und nun die für China: Pünktlich zur Sommerpause macht die Bundesregierung Ernst damit, ihre geostrategischen Interessen wie im Koalitionsvertrag angekündigt genauer zu definieren und sich vom Werterivalen am anderen Ende der Welt abzugrenzen.

    Für Deutschland ist das ein Novum: Noch nie wurde einem politischen Rivalen und wirtschaftlichem Partner so viel Aufmerksamkeit geschenkt – zumindest auf dem Papier. Denn wie bei Nato, EU und G7 schimmert auch in der China-Strategie der etwa simple Dreiklang von Rivalität, Konkurrenz und Partnerschaft durch, der jedem etwas bietet – auch der deutschen Industrie, die eine Distanzierung von Peking eher ablehnt.

    Michael Radunski hat sich genauer angeschaut, was es konkret bedeutet, wenn in der China-Strategie mehr deutsche Militärpräsenz im Indo-Pazifik angekündigt wird. Gesprochen hat er außerdem mit dem US-Sicherheitsexperten Jeffrey Stoff, der aufgedeckt hat, wie deutsche Forscher chinesischen Militärinstituten bei der Entwicklung von Hyperschallwaffen geholfen haben dürften – wider besseres Wissen.

    Eine spannende Lektüre wünscht

    Ihr
    Markus Bickel
    Bild von Markus  Bickel

    Analyse

    Geopolitisch vorsichtig: die deutsche China-Strategie

    Unter geopolitischen Aspekten glänzt die deutsche China-Strategie zu Beginn mit Klarheit. “China versucht auf verschiedenen Wegen, die bestehende regelbasierte internationale Ordnung umzugestalten”, heißt es in der Einleitung des Textes. Und unter Absatz 1.4 wird aufgeführt, wie Deutschland dieser Rivalität begegnen will: gemeinsam in der Europäischen Union und der nordatlantischen Allianz mit den USA. Der Vorstellung einer losgelösten, europäischen Autonomie wird damit indirekt eine Absage erteilt.   

    China fordert auf allen Ebenen heraus

    Insgesamt wird deutlich, dass die Regierung erkannt hat, wie offensiv China geopolitisch auftritt: sei es offen militärisch durch eine massive Aufrüstung oder verdeckt diplomatisch durch Initiativen wie die Global Security Initiative. Unter Absatz 5 wird nüchtern konstatiert: China versuche, “auf allen Kontinenten und in internationalen Organisationen (…) die bestehende regelbasierte internationale Ordnung nach chinesischen Vorstellungen zu verändern”.

    In kurzen Absätzen werden deshalb tatsächlich sämtliche Kontinente und Ebenen aufgeführt. Afrika wird als zentrales Ziel der EU auserkoren, Lateinamerika und die Karibik gar als natürliche Partner für Deutschland und Europa gepriesen. Selbst Arktis und Antarktis, der Welt- und Cyberraum sowie Unterseeglasfaserkabel und Satellitennavigation finden Erwähnung. Es ist gut, dass damit der Umfang der chinesischen Herausforderung erfasst wird. Auch, wie China versucht, die UN von innen zu unterwandern (Absatz 5.6). Allerdings wirkt so manche Formulierung mitunter realitätsfern.

    Furcht vor allzu klarer Kritik

    An vielen Stellen meidet die Bundesregierung klare Worte. So heißt es zur potenziellen Gefahr der US-China-Rivalität: “Chinas antagonistisches Verhältnis zu den USA steht im Widerspruch” zu Deutschlands Sicherheit. Und Chinas Haltung im Ukraine-Krieg wird wie folgt bewertet: “Die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine verteidigt China nicht glaubwürdig.”

    Besonders in diesem Punkt hätte man sich durchaus mehr Klarheit erlauben dürfen. Vor allem, weil Außenministerin Annalena Baerbock dies selbst in Peking getan hat. Ohnehin fällt auf, dass die geopolitischen Konsequenzen des Ukraine-Kriegs kaum Beachtung finden – nämlich die immer enger werdende Blockbildung von China und Russland gegen den Westen.

    Hotspot Taiwan

    Dezidierter gibt sich die Bundesregierung hingegen beim Thema Taiwan. Insgesamt 13 Mal findet die Insel in der deutschen China-Strategie Erwähnung. Gleich zu Beginn stellt man zunächst klar: “Die Ein-China-Politik bleibt Grundlage unseres Handelns. Diplomatische Beziehungen bestehen nur mit der Volksrepublik China.”

    Allerdings heißt es unter Absatz 5.7: “Eine Veränderung des Status quo in der Taiwan-Straße dürfe nur friedlich und im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen.” Zudem unterstütze man “die sachbezogene Teilnahme des demokratischen Taiwan in internationalen Organisationen“.  

    Deutschland macht sich auf den Weg

    Hier wie an vielen anderen Stellen auch gilt es nun, die strategischen Leitlinien in die Realität zu überführen. Und es stellen sich etliche Fragen: Wenn beispielsweise auf dem Papier mehr deutsche Militärpräsenz im Indo-Pazifik angekündigt wird, kreuzen dann zukünftig deutsche Kriegsschiffe durch die Taiwan-Straße?

    Insgesamt atmet der geopolitische Teil der deutschen China-Strategie ein wenig den Geist der deutschen Zeitenwende. Es scheint, als wage sich Deutschland auf den Weg, zu einem außenpolitischen Faktor zu werden. Man würde damit seiner Verantwortung als führende europäische Industrienation ein Stück weit gerechter werden. Noch wirkt es allerdings an etlichen Stellen der China-Strategie, als erschrecke sich die Bundesregierung mitunter vor ihrer eigenen Courage.

    • China
    • Ein-China-Politik
    • Geopolitik

    “Deutsche Forscher haben China bei der Entwicklung von Hyperschallwaffen geholfen”

    Sicherheitsexperte Jeffrey Stoff, Gründer der US-amerikanischen NGO “Center for Research Security & Integrity”.

    In Ihrer aktuellen Studie warnen Sie eindringlich vor einer Wissenschaftskooperation zwischen China und Deutschland. Wie gefährlich ist eine Zusammenarbeit mit China?

    Nun, das hängt stark vom Fachgebiet ab, aber in manchen Bereichen ist es ziemlich gefährlich, zum Beispiel im Forschungsbereich Hyperschall.

    Sie meinen Hyperschallwaffen? Hightech-Raketen, die nur wenige Länder wie Russland und China besitzen. Selbst die USA verfügen nicht über diese Raketen.

    Genau. Und schon verstehen Sie, warum ich warne: Man kann zu dem Schluss kommen, dass deutsche Forscher den Chinesen bei der Entwicklung von Hyperschallwaffen geholfen haben.

    Deutschland selbst besitzt gar keine Hyperschallwaffen. Wie soll diese Hilfe ausgesehen haben?

    Das stimmt. Und genau an diesem Beispiel zeigt sich das gefährliche Muster: Zuerst kooperiert China weltweit mit Wissenschaftlern und Ingenieuren, die an Anwendungen für Hyperschall arbeiten. Dann investiert man zu Hause viele Ressourcen und baut eigene Labore auf, geht sicherlich auch Risiken ein, die andere Länder nicht eingingen, und schlussendlich erreicht man das Ziel.

    Hörgeräte-Forschung als Basis für U-Boot-Erkennung

    Aber dann ist die Lösung doch einfach: ein simples Nein zur Zusammenarbeit im Hyperschallbereich.

    Leider nicht, denn in vielen Forschungsfeldern besteht ein Doppelnutzen, wir sprechen von dual-use. Im Fall von Hyperschall gibt es große Überschneidungen mit anderen Bereichen wie zivile Luftfahrt, Triebwerksdesign oder Materialwissenschaften.

    Okay. Dennoch ist zumindest das Ergebnis der Hyperschallforschung erkennbar gefährlich. Sind Sie bei Ihren Forschungen auch auf Bereiche gestoßen, die nicht so einfach als gefährlich erkannt werden können?

    Ja, viele. In meinem Buch findet sich das Beispiel Hörgeräte. Die medizinische Forschung für Spracherkennung und Signalverarbeitung leistet hierfür wichtige Arbeit. Einige engagierte chinesische Forscher arbeiten jedoch für eine Abteilung der Seven Sons of National Defense University. Deren Hauptaufgabe wiederum ist die Entwicklung von Verteidigungs- und Waffensystemen. In diesem Fall sind die Forscher einem Labor für U-Boot-Kriegsführung der chinesischen Marine zugeordnet. Sie nutzen die Signalverarbeitung und Hörgerätetechnologie zur U-Boot-Erkennung.

    “Wissenschaftsfreiheit bis zu gewissem Grad einschränken”

    Wie kann es sein, dass man mit chinesischen Militärforschern zusammenarbeitet?

    Ganz einfach, weil es keine Gesetze dagegen gibt, weder in den USA noch in Europa, auch nicht in Deutschland. Unsere Exportkontrollregelungen gelten im Allgemeinen nicht für Grundlagenforschung.

    Die Freiheit der Forschung ist ein hoher Wert. Wollen Sie etwa die Wissenschaftsfreiheit einschränken?

    Zu einem gewissen Grad. Denn akademische Freiheit bedeutet nicht Freiheit von Verantwortung. Auch in der Wissenschaft haben wir die Verantwortung sicherzustellen, dass die von uns geleistete Arbeit nicht für gefährliche militärische Zwecke oder für Menschenrechtsverletzungen genutzt wird. Akademische Freiheit sollte nicht bedeuten, dass ich tun kann, was ich will und mit wem ich will, ohne dass mir irgendwelche Bedingungen auferlegt werden.

    Diagnose: Mangelndes Bewusstsein für die Forschungspartner

    Haben die westlichen Wissenschaftler absichtlich dem chinesischen Militär geholfen, oder waren sie schlicht naiv?

    Ich kenne natürlich nicht die individuelle Motivation oder den Wissensstand des einzelnen Forschers. Im Allgemeinen handelt es sich jedoch um mangelndes Bewusstsein dafür, mit wem sie zusammenarbeiten. Das ist im Falle Chinas besonders schwierig zu verstehen, weil Transparenz verhindert und absichtlich verschleiert wird, was ein Labor tut.

    Wie gelingt das?

    Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Es beginnt damit, dass Sie keine Informationen in englischer Sprache über eine Organisation finden.

    Warum sollte es das auch geben? Es sind Chinesen, die in China arbeiten, also ist auch ihre Internetseite auf Chinesisch.

    Das ist nur der erste Schritt. In anderen Fällen werden Websites von außerhalb Chinas blockiert. Oder sie verwenden harmlos klingende englische Namen, die auf Englisch mitunter sogar lächerlich sind. Wenn man sich aber dann die chinesische Seite anschaut, wird deutlich, dass es sich um ein Verteidigungslabor für militärische Zwecke handelt. Das ist absichtliche Täuschung.

    Regierungen sollten Richtlinien erstellen und vor Gefahren warnen

    Sie erwarten also allen Ernstes von einem Forscher in Jena, dass er jedes Mal überprüft, ob Internetseiten von außerhalb Chinas zugänglich sind, ob deren Inhalte auf Englisch verfügbar sind und was die chinesischen Namen wirklich bedeuten?

    Natürlich nicht. Es ist zu viel verlangt, dass Forscher eine vollständige Risikobewertung, Due-Diligence-Prüfung durchführen und zudem sich der geostrategischen Konsequenzen bewusst sind.

    Was sollte man stattdessen tun?

    Zuerst müssen wir das Bewusstsein für diese Probleme schärfen. Wenn Sie mit China zu tun haben, muss man mehr Energie aufwenden, um zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Es ist anders, als mit anderen Wissenschaftlern in liberalen Demokratien zusammenzuarbeiten. Man muss beispielsweise wissen, dass die Wissenschaftler der Seven Sons of National Defense University Waffensysteme entwickeln. Sie betreiben zwar auch andere Forschung, aber das ist ihre vorrangige Aufgabe.

    Okay, Bewusstsein. Doch wer kann, wer soll das erzeugen?

    Regierungen sollten zumindest mal einige Richtlinien bereitstellen und Dinge auflisten, vor denen sie warnen oder die sie einschränken möchten. Das können schlicht auch Hinweise sein, die berücksichtigt werden sollten, bevor man eine Zusammenarbeit mit chinesischen Wissenschaftlern eingeht. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Selbst die US-Regierung kann das nicht alleine schaffen.

    Zeitenwende: “China ist immer autoritärer und restriktiver geworden”

    Wer sollte noch helfen?

    Wir brauchen zivilgesellschaftliche Institutionen wie die gemeinnützige Organisation, die ich gegründet habe, NGOs, Denkfabriken und Forschungseinrichtungen, die gemeinsam eine Wissensbasis aufbauen. Ich habe mit einer Studie begonnen, aber auch das ist lediglich ein Mikrokosmos. Es muss international systematisch zusammengearbeitet werden.

    Nochmal zurück zu China. In der Vergangenheit haben beide Seiten von der wissenschaftlichen Zusammenarbeit profitiert. Jetzt warnen Sie. Was hat sich verändert?

    China hat sich verändert. Es ist immer autoritärer, verschlossener, restriktiver und menschenrechtsverletzender geworden. Deshalb gilt unsere Verantwortung auch in vielen anderen Bereichen wie Ethik oder Massenüberwachung. Sie müssen wissen, dass die Zusammenarbeit mit Institutionen in China, die mit dem öffentlichen Sicherheitsapparat zusammenarbeiten, im Widerspruch zu unseren Werten steht. In meiner Studie werden Personen benannt, die mit dem Ministerium für öffentliche Sicherheit und der bewaffneten Volkspolizei zusammenarbeiten. Das sind schreckliche Menschenrechtsverletzer, die der Parteistaat gezielt einsetzt. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, mit wem wir zusammenarbeiten.

    Kein genereller Stopp, aber klare Kosten-Nutzen-Rechnung

    Also überhaupt keine Zusammenarbeit mehr mit China?

    Wir brauchen eine klare Kosten-Nutzen-Abwägung. Es gibt sicherlich Bereiche wie die Klimawissenschaft, in denen wir gemeinsam entscheiden sollten, dass die potenziellen Vorteile die Risiken überwiegen. Aber wir müssen rote Linien ziehen, selbst in Bereichen wie der Klimawissenschaft. Wir sollten nicht mit der Verteidigungsindustrie zusammenarbeiten, auch nicht bei Klimafragen.

    Aber steht in China schlussendlich nicht alles und jeder unter der Kontrolle der Partei?

    Ja, es wird kompliziert werden. Aber wir sollten irgendwo anfangen, denn im Moment hat China im Grunde uneingeschränkten Zugang zu den globalen Wissenschaftsunternehmen. Beginnen wir zumindest mit einigen Hochrisikokategorien, die ich in meinem Buch beschreibe.

    Wie drängend ist das Problem?

    Meine Studie zu Deutschland hat deutlich gezeigt, dass das Ausmaß und die Tragweite schon jetzt sehr riskant sind. Die Gefahr einer solch unkontrollierten Zusammenarbeit ist enorm. Wir können nicht warten, bis wir einheitliche und umfassende Richtlinien entwickelt haben. In manchen Bereichen könnte es schon zu spät sein, wie zum Beispiel beim Hyperschall, wo die Chinesen selbst die USA bereits überholt haben.

    Jeffrey Stoff ist Gründer und Präsident des “Center for Research Security & Integrity” (CRSI), einer amerikanischen Non-Profit-Organisation. Davor arbeitete 18 Jahre lang für verschiedene US-Regierungsbehörden. Das Ziel seiner NGO: akademische, staatliche und private Institutionen dabei zu unterstützen, Risiken für die Sicherheit und Integrität der Forschung durch autoritäre Staaten zu minimieren. Seine jüngste Veröffentlichung: “Should Democracies Draw Redlines around Research Collaboration with China? A Case Study of Germany”.

    • China
    • Hyperschall-Waffen
    • Rüstung
    • Wissenschaftskooperation

    Security.Table Redaktion

    SECURITY.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen