der Bericht zum gestrigen Munitionsgipfel des Kanzleramts in unserer Ausgabe am Freitag hat im politischen Berlin und in den Medien für viel Wirbel gesorgt. Dass die Bundesregierung versuchte, die Bedeutung des Treffens herunterzuzoomen, ist in Anbetracht der Sicherheitsrelevanz nachvollziehbar. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sprach gestern lapidar von einem Routinetermin.
Wirklich? Die Rüstungsindustrie jedenfalls mag von Routine nicht sprechen. Sie hat mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Einblick in die Munitionslage der Bundeswehr und kennt die dramatische Situation. Die Relativierungsversuche der Regierung, sagte einer ihrer Vertreter gestern vor dem Treffen, trügen jedenfalls “nicht zur Vertrauensbildung” bei.
Ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Regierung und wehrtechnischer Industrie kann Deutschland derzeit am wenigsten gebrauchen. Gerade hat der Bundestag mit dem Haushalt 2023 den Wirtschaftsplan für das Sondervermögen beschlossen. Wir skizzieren die wichtigsten Beschaffungsprojekte, die nun kommen sollen, aber auch diejenigen, für die trotz des 100-Milliarden-Budgets das Geld fehlt.
Erneut ist das unselige Treiben des Putin-Russlands hier Thema. Unser ukrainischer Kollege Denis Trubetskoy beschreibt die Auswirkungen des Raketenterrors auf die Energieversorgung seines Landes, Viktor Funk erläutert die Rolle russischer Söldner-Gruppen in Afrika.
Im Porträt von Gabriel Bub haben wir heute einen Mann, der wenig Schlaf braucht: Andreas Schwarz, Haushälter der SPD und Berichterstatter für den Wehretat.
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100 Milliarden Euro will die Bundesregierung in den nächsten Jahren ausgeben, um die Bundeswehr wieder in den Zustand zu versetzen, Deutschland verteidigen zu können. Der Bundestag hat Ende vergangener Woche mit dem Haushalt 2023 auch den Wirtschaftsplan des Sondervermögens Bundeswehr beschlossen.
Die besonders dringend benötigte Munition enthält das Paket kaum. Der Grund: Munition ist ein Verbrauchsgut, das Sondervermögen aber für Hardware vorgesehen. So hat es das Verteidigungsministerium gewünscht. Deshalb muss Munition überwiegend aus dem laufenden Wehretat finanziert werden.
Das sind die zehn wichtigsten Projekte des Sondervermögens:
Das Mega-Projekt der Bundeswehr, in seiner Größenordnung ohne Vergleich im Sondervermögen, weil die Digitalisierung über mindestens ein Jahrzehnt versäumt wurde. Dazu zählen verschlüsselte, abhörsichere Funksysteme (Gesamtvolumen: 8,6 Mrd.), Satellitenkommunikation (SATCOMBw und weitere, 4,8 Mrd.), die Harmonisierung der verschiedenen IT-Systeme, über die die Truppen geführt werden (German Mission Network, 2,6 Mrd.) und weitere Systeme.
Die Störung von Kommunikationsverbindungen und die Bekämpfung von Radarstellungen sind im Luftkrieg unverzichtbar (ECR – Electronic Combat Reconnaissance). Das zeigt sich gerade wieder in der Ukraine, wo es Russland sukzessive gelingt, die Radarstellungen ukrainischer Flugabwehr auszuschalten. Ursprünglich beabsichtigte die Luftwaffe, den veralteten ECR-Tornado durch amerikanische F-18 Growler zu ersetzen. Nun aber soll der Eurofighter diese Aufgabe übernehmen. Nach Angaben aus dem Ministerium vom März sind 15 Eurofighter in der ECR-Rolle vorgesehen.
Der Leichte Transporthubschrauber (LUH) befindet sich bereits beim KSK und als Rettungshubschrauber (SAR) im Einsatz. Die Bundeswehr beabsichtigt, bis zu 60 weitere Maschinen dieses kleinen Helikopters von Airbus (9 Passagiere) zu beschaffen.
Unter diesen Ausgabenposten fällt auch der Kauf von drei weiteren Seefernaufklärern P-8, von israelischen Lenkflugkörpern für die Kampfdrohne Heron TP (Beschaffung nach wie vor geplant, obwohl Drohnen im intensiven Gefecht keine Überlebenschance haben, wie der Ukraine-Krieg zeigt), eines weltraumbasierten Frühwarnsystems, von Radarsystemen und einem Weltraumüberwachungssystem.
Ersetzt den Tornado als Bomber, insbesondere in seiner Rolle als Nuklearwaffenträger. Die USA haben der Beschaffung von 35 Maschinen des Herstellers Lockheed Martin durch Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts bereits zugestimmt.
Man sollte meinen, Nachfolge des Schützenpanzers Marder und Beschaffung des Schützenpanzers Puma sind ein und dasselbe. Schließlich sollte der Puma vollständig den Marder ersetzen. Doch noch immer ist unklar, ob weitere Puma (auf Kette) oder ein Schützenpanzer auf der Basis des Radpanzers Boxer mit dem Turm des Puma (“Puma-Turm auf Boxer”) beschafft werden. Heeresinspekteur Alfons Mais favorisiert Radpanzer, um die neu aufzustellenden mittleren Kräfte in Bataillonsstärke beweglicher zu machen.
Der Chinook von Boeing ersetzt die veralteten CH-53. Die offizielle Antwort der US-Regierung auf die Anfrage der Bundesregierung nach bis zu 60 Maschinen steht noch aus.
Überraschenderweise steht dieser Posten mit der genauen Bezeichnung des geplanten Systems im Sondervermögen. Weder BMVg noch Bundeswehr hatten bisher offiziell geäußert, welches Flugabwehrsystem Deutschland für den von Kanzler Scholz angekündigten European Sky Shield kaufen will. Das israelische Arrow-3-System wurde mit Beteiligung der USA entwickelt, die den Verkauf derart sensibler Technik sehr restriktiv handhaben. Im Ukraine-Krieg zeigt sich die existenzielle Bedeutung von Luftverteidigung. In Berlin heißt es, das erste Arrow-System solle 2025 in Betrieb gehen.
Die Jäger-Verbände des Heeres sollen nicht mehr mit Wiesel, sondern mit Boxer ausgestattet sein, darauf eine 30-Millimeter-Maschinenkanone von Rheinmetall (Lanceturm).
Bis 2025 soll jede Soldatin und jeder Soldat die “modulare ballistische Schutz- und Trageausstattung” erhalten. Sie besteht aus einer Weste, die unter anderem gegen Beschuss mit Handwaffen schützt. Die Taschen für Gewehr- und Pistolenmagazine, Ausrüstung und Kampfmittel wie Handgranaten lassen sich an der Weste befestigen. Weltweit herrscht großer Bedarf an Schutzwesten, Lieferengpässe sind wahrscheinlich.
Das Main Ground Combat System (MGCS), ein deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt, soll in Deutschland den Leopard 2 ersetzen. Das eingeplante Geld dient dazu, die Entwicklung zu finanzieren. Der Bundestags-Haushaltsausschuss hatte die Zustimmung zu weiteren Mitteln für FCAS an Fortschritte bei MGCS gekoppelt.
Mit diesem Flugkörper sollen die Fregatten der Klasse 124 bis 126 bewaffnet werden, um Schiffe oder andere Ziele auf See zu bekämpfen. Er wurde von Kongsberg (Norwegen) und MBDA entwickelt. Wie viele Flugkörper beschafft werden, geht aus der Vorlage nicht hervor. Klar ist, dass es eine Weiterentwicklung geben soll (Future Naval Strike Missile). Das Geld ist bereits eingeplant.
Nur der Vollständigkeit halber: Dieses deutsch-französische Kampfflugzeugsystem umfasst einen Fighter, Drohnen, Bewaffnung und eine Combat Cloud. Der Bundestag hat der Finanzierung der nächsten Entwicklungsstufe zugestimmt, macht aber weitere Finanzmittel in den Folgejahren von einer Einigung der Industrievertreter Airbus und Dassault auf eine faire Arbeitsteilung abhängig. Mit Thomas Wiegold
Der Bedarf der Bundeswehr an Ausrüstung, Waffen und Munition ist so groß, dass er den Umfang des Sondervermögens sprengt. 100 Milliarden Euro reichen nicht, um alle notwendigen Projekte zu realisieren. Das liegt vor allem an der Inflation, den Zinsen für die Kreditaufnahme (7 Mrd. Euro), an den gestiegenen Preisen für Energie und Rohstoffe und an der massiv erhöhten Nachfrage nach Rüstungsgütern, die ebenfalls die Kosten in die Höhe treibt.
Deshalb hat das Verteidigungsministerium entschieden, die folgenden sechs Projekte aus dem Sondervermögen zu nehmen und sie über den Wehretat der kommenden Jahre zu finanzieren. Dort ist ihre Finanzierung allerdings unsicher.
Als Nachfolger der aktuell 939 Transportpanzer Fuchs, eingesetzt in allen Teilstreitkräften, soll 2023 der marktverfügbare Patria aus Finnland getestet werden. Die Beschaffung beginnt erst 2027, weshalb andere, noch dringlichere Landsysteme (z. B. Waffenträger Infanterie, Puma für die VJTF) Vorrang haben.
Deutschland hat sich in der Nato verpflichtet, sechs Kriegsschiffe vorzuhalten, die Ziele über und unter Wasser bekämpfen können. Bundeswehr und Hersteller (Damen-Werft in den Niederlanden) schlossen 2020 einen Vertrag über vier Schiffe mit der Option auf zwei weitere. Die erste F-126 soll 2028 ausgeliefert und muss erst dann bezahlt werden; die Schiffe lösen die Fregatten der Klasse 123 ab.
Damen will den Preis für die Schiffe nachverhandeln, bisher ist unklar, wie hoch die Mehrkosten sind. Der Bundestag hat daher entschieden, die ersten vier Schiffe über das Sondervermögen zu finanzieren, die beiden optionalen Fregatten aber in den laufenden Wehretat zu schieben. Allerdings in den Teil, dessen Finanzierung nicht gesichert ist.
Korvetten sind Kriegsschiffe für Randmeere wie Nord- und Ostsee. Die Marine verfügt derzeit über fünf K-130 (1. Los), fünf weitere sind bestellt. Weil ihre Auslieferung bereits 40 Monate hinter dem Zeitplan liegt, wird es bis 2025 dauern, bis das erste Boot eingesetzt werden kann. Die Boote des ersten Loses sollen im Anschluss durch fünf Boote des dritten Loses ersetzt werden.
Dies wird vermutlich erst zum Ende des Jahrzehnts erfolgen, weshalb der Bundestag keine Dringlichkeit bei der Finanzierung sieht. Zudem ist fraglich, ob ein drittes Los gebraucht wird, da mit Finnland und Schweden zwei Ostsee-Anrainer der Nato beitreten, die über leistungsfähige Seestreitkräfte verfügen.
Die deutschen U-Boote der Klasse 212A sollen mit einem Flugkörpersystem gegen Luftziele bewaffnet werden. Der Bundestag will das “Interactive Defense and Attack System for Submarines” (IDAS) weiterentwickeln lassen, während die Bundeswehr bis Anfang 2024 die Projektrisiken untersucht.
Anschließend soll ein erstes U-Boot testweise mit dem neuen System ausgerüstet werden. Da die ersten Flugkörper aber erst 2029 gekauft werden sollen, hat der Bundestag entschieden, nur die Entwicklung aus dem Sondervermögen zu finanzieren.
P-8 Poseidon sind Flugzeuge, vollgestopft mit Aufklärungstechnik, die Seegebiete beobachten und getauchte U-Boote aufspüren sollen. Deutschland hat der Nato zugesagt, acht Seefernaufklärer für die Bündnisverteidigung vorzuhalten. Der Vertrag für die ersten fünf Maschinen steht, das Geld dafür kommt aus dem laufenden Wehretat. Drei weitere Flugzeuge sollen nun über das Sondervermögen finanziert werden. Das ursprüngliche Vorhaben der Marine, zwölf Poseidon zu kaufen, wurde verworfen. Parallel zur P-8-Beschaffung läuft eine französische Studie über ein Maritime Airborne Warfare System (MAWS), das Deutschland und Frankreich gemeinsam entwickeln wollen.
Der Ukraine-Krieg zeigt die enorme Bedeutung kleiner Drohnen in heutigen Kriegsszenarien. Sie dienen der Aufklärung, aber auch dem gezielten Abwurf kleiner Sprengkörper. Eine Möglichkeit, diese Drohnen zu bekämpfen, sind neben Kanonen wie dem Gepard und kleinen Abwehrraketen auch Laser-Systeme.
Der Mix verschiedener Effektoren ist im Luftverteidigungssystem Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS) auch vorgesehen, doch Priorität hat die Beschaffung von Kanonen und Raketen. Entwicklung und Kauf von Lasern wurden daher aus dem Sondervermögen gestrichen. Mit Thomas Wiegold
Mit den seit Wochen laufenden massiven Angriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur verfolgt Moskau mehrere Ziele: Erstens soll die Moral der Bevölkerung gebrochen werden, wenn Strom, Wärme sowie Wasser fehlen. Zweitens soll der ukrainische Staatshaushalt strapaziert werden: Kiew muss mehr für Reparaturen ausgeben, zugleich brechen die Einnahmen aus dem Stromexport weg. Drittens sollen sich die Arsenale der ukrainischen Flugabwehr leeren, damit Russlands Luftwaffe widerstandslos bombardieren kann.
Der seit Wochen andauernde massive Beschuss der Infrastruktur beschädigt das ukrainische Stromnetz so sehr, dass immer wieder kein Strom von einer Region in eine andere umgeleitet werden kann. Diese “Verinselung” der Energieversorgung ist Russlands Ziel. Immer wieder sind Regionen für längere Zeit von Strom, Wärme und Wasser abgeschnitten.
“Ich war besorgt, als die Russen mit diesen Angriffen begannen. Mir war nicht klar, wie effektiv unsere Energiebranche darauf reagieren würde”, sagt Andrian Prokip, Direktor des Energieprogramms des “Ukrainischen Zukunftsinstituts”, eines unabhängigen Think-Tanks in Kiew. Die Reparaturen gehen zwar rasch voran, doch am gestrigen Montag konnte selbst der minimale Strombedarf zu 27 Prozent immer noch nicht gedeckt werden. Das teilte der staatliche Energieversorger Ukrenergo mit.
Seit dem 10. Oktober feuerten die Russen wöchentlich zwischen 50 und 90 Raketen auf Energieobjekte, meist konzentriert an einem Tag. Begleitet wurden die Raketen von iranischen Drohnen. Die Flugabwehr fing nach ukrainischen Angaben bisher etwa 75 Prozent der Raketen ab, das heißt, ein Viertel erreichte sein Ziel. Der Schutz des ukrainischen Energiesystems wird nun auch Thema beim Treffen der Nato-Außenminister in Rumänien am heutigen Dienstag und am morgigen Mittwoch sein, kündigte Dmytro Kuleba an.
“Die Angriffe haben eine klare Struktur”, erklärt Prokip. “Die Russen fingen mit Wärmekraftwerken an. Ab Anfang November folgten Wasserkraftwerke. Und ab dem 15. November kamen Atomkraftwerke ins Spiel.” An dem Tag wurde zum ersten Mal das zusammenhängende Stromnetz des Landes gestört – damals nur für zwei Stunden.
Angriffsziele sind seltener die Objekte der Stromerzeugung selbst, sondern die Verteilungsinfrastruktur: Umspannwerke, Transformatoren und Hochspannungsleitungen. “Stromerzeugung und Stromübertragung sind gleich wichtig”, erläutert Prokip.
Die sowjetische Vergangenheit der ukrainischen Infrastruktur ist bei diesen Angriffen ein Vor- und Nachteil zugleich für die russische Armee. Einerseits ist Moskau gut bekannt, wie die Kritische Infrastruktur der Ukraine aufgebaut ist. Zudem vermutet Kiew, dass Moskau Spezialisten aus dem Elektrizitätsbereich für die Zielauswahl heranzieht.
Andererseits ist die Infrastruktur unter Berücksichtigung eines Krieges gebaut worden. Kraftwerke direkt zu zerstören, sei deshalb schwierig. Die Leitungen, Trafostationen und Verteilungspunkte seien leichtere Ziele, erläutert Prokip.
Laut Ukrenergo sind fast alle wichtigen Umspannwerke inzwischen beschädigt. “Die Lage ist sicher schwer, aber noch nicht kritisch”, meint Prokip. “Ja, nach den Angriffen auf AKW-verbundene Umspannwerke mussten alle drei AKWs auf dem von Kiew kontrollierten Gebiet teilweise heruntergefahren werden. Aber es waren kontrollierte Abschaltungen.”
Unberechenbarer ist die Situation im AKW Saporischschja, das die russischen Besatzer kontrollieren. Gerüchte, die russische Truppen könnten sich vom AKW-Gelände zurückziehen, dementierte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag.
Der ukrainische Strom war auch ein wichtiges Exportgut für das am Boden liegende Land. Im Juli hatte die Ukraine angefangen, Strom über Rumänien in die EU zu liefern. Mit seinen Angriffen kappte Moskau diese Geldquelle.
Mit Stromausfällen, die quasi das ganze Land Gebiet für Gebiet erfassen, rechnet Fachmann Prokip für den anstehenden Winter. Die AKW hätten in dieser Lage den Nachteil, dass es länger dauert, sie hochzufahren. Wasserkraftwerke seien flexibler. Vor dem Krieg deckten sie rund sechs Prozent des Strombedarfs im Land. Die russische Armee habe die Wasserkraftwerke vorsorglich beschädigt.
Mehrere Faktoren entscheiden mittelfristig über die Energiesicherheit in der Ukraine:
Andrian Prokip glaubt, dass die Ukraine ein Jahr brauchen würde, um Strom wieder exportieren zu können, wenn der Krieg endet. “Wenn kein AKW stark beschädigt ist, ist das durchaus möglich.” Der Senior Associate am Kennan Institute wagt zudem einen langfristig positiven Blick: “Wie auch immer das klingen mag: Dieser Krieg öffnet uns die Möglichkeiten, unser Stromsystem entscheidend zu modernisieren und in die Zukunft zu führen.” Denis Trubetskoy
Wo die russische Söldner-Firma “Wagner” in Afrika auftaucht, sterben mehr Zivilisten. Eine aktuelle Untersuchung der US-Nichtregierungsorganisation ACLED sieht einen Zusammenhang zwischen den Aktivitäten von Wagner und der Zahl der zivilen Opfer.
Die EU, afrikanische Staaten und die Vereinten Nationen mit ihren Friedens- sowie humanitären Missionen stehen vor einem Dilemma: Schränken sie ihr Engagement in Krisenregionen ein, weil lokale Partner Verbrechen begehen, dann weitet Russland seinen Einfluss aus.
Moskau kann dabei auf seine jahrzehntealten Kooperationen aus Sowjetzeiten mit vielen afrikanischen Staaten im Bereich Bildung, Entwicklung und Militär zurückgreifen. Russland ist zudem der größte Waffenlieferant für den gesamten Kontinent. An Mali verkaufte Moskau zwischen 2017 und 2021 unter anderem zwei Kampfflugzeuge, vier militärische Transport- und vier Kampfhubschrauber.
Inzwischen wird in nationalistischen, russischen Telegram-Kanälen über Niger als nächstes Ziel Moskaus diplomatischer Offensive spekuliert. Das Land ist wichtiger Uran-Lieferant für Frankreich. Laut Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat Niger jedoch kürzlich versichert, nicht mit Wagner kooperieren zu wollen.
In Mali, Sudan, Libyen und Burkina Faso spielt für Moskau der indirekte geopolitische Einfluss auf Frankreich und die EU derzeit möglicherweise eine größere Rolle als wirtschaftliche Interessen. In Südafrika hat Russland ebenfalls einen starken Einfluss. In der Zentralafrikanischen Republik sind russische Söldner der Sicherheitsgarant für Präsident Faustin-Archange Touadéra. Mehrere Staaten sind zudem stark vom Import russischen Weizens abhängig, darunter Benin, Sudan, Ägypten, Madagaskar, Senegal.
Weder die EU noch Deutschland haben bisher eine Strategie im Umgang mit Russland in Afrika gefunden, obwohl sich Moskau seit der Annexion der Krim und den darauf folgenden westlichen Sanktionen wieder stärker Afrika zuwendet.
Eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantwortete die Bundesregierung Ende vergangener Woche mit dem Hinweis, dass Russlands Betreiben in der künftigen Nationalen Sicherheitsstrategie berücksichtigt werde (BT-Drucksache 20/4616). Konkreter wird die Bundesregierung nicht. Sie verweist zwar darauf, dass Russlands wirtschaftliche Bedeutung für Afrika eher gering sei. Zugleich heißt es: “Der regelmäßig tagende Ressortkreis Afrika befasst sich seit dem 24. Februar 2022 verstärkt mit dem russischen Einfluss in Afrika.” Ob daraus Schlussfolgerungen gezogen werden, bleibt unklar.
Wissenschaftler des Niederländischen Instituts für Internationale Beziehungen (Clingendael) empfehlen einen tieferen und längerfristigen Ansatz als Reaktion auf Moskau. Statt sich von Russland treiben zu lassen, sei eine andere Strategie nötig:
Washington hat bereits Ende April sein Außenministerium beauftragt, eine Strategie gegen den antiwestlichen Einfluss Russlands in Afrika zu erstellen. Noch liegen keine konkreten Empfehlungen vor. Die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) befürchtet jedoch, unter Druck gesetzt zu werden und kritisiert das Vorhaben.
Der Streit zwischen Mali und Frankreich eskaliert derweil weiter. Nach dem Abzug seiner Soldatinnen und Soldaten und dem Ende der Anti-Terror-Mission Barkhane strich Paris vor wenigen Tagen auch humanitäre Hilfe für das Land. Daraufhin untersagte Bamako jegliche Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle, technische oder andere materielle Unterstützung aus Frankreich erhalten.
Frau Vinke, in der Ukraine sterben tausende Menschen. Wie kann sich ein Land, das sich gegen einen Angriff verteidigen muss, bei der COP27 mit Klima beschäftigen?
Die Ukraine selbst hatte einen eindrücklichen Pavillon auf der COP, in dem sie auch auf lokale Umweltzerstörung aufmerksam machte, wie etwa von Munition belastete Böden. Denn neben dem unmittelbaren menschlichen Leid, das durch den Krieg ausgelöst wurde, entstehen auch große Umweltprobleme, die das Land noch Jahre in seiner Entwicklung beeinträchtigen werden. Auch auf das Klima haben Kriege einen Einfluss. Zum einen werden Treibstoffreserven angegriffen und Truppenbewegungen ziehen hohe Treibhausgasemissionen nach sich. Zum anderen wird Infrastruktur zerstört. Dort, wo die Kriegshandlungen gestoppt werden, sollte der Wiederaufbau möglichst in nachhaltige Bahnen gelenkt werden, was etwa die Energieversorgung oder Gebäude betrifft.
Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für Länder, die auf Getreidelieferungen angewiesen sind?
Die Preise für Getreide und fossile Brennstoffe sind in vielen Ländern stark gestiegen. Das kann etwa bedeuten, dass sich gerade in Ländern, die zuvor von der Ukraine oder Russland große Getreidelieferungen erhielten, Hungerkrisen verschärfen könnten. Auch das World Food Program bezog 2021 noch zwei Drittel seiner Getreidelieferungen aus der Ukraine. Hinzu kommt, dass es in vielen Teilen der Welt, wie etwa im Sahelgürtel, immer häufiger zu Ernteausfällen kommt, die mit häufigeren Wetterextremen im Zusammenhang stehen, zum Beispiel Überflutungen und Dürren.
Die größte Entscheidung, die bei der COP27 getroffen wurde, ist die Einrichtung des “Loss and Damage”-Fonds. Wie sollte der Fonds genutzt werden, um Sicherheitsrisiken anzugehen?
Der Fonds ist tatsächlich ein wichtiger Fortschritt, auch wenn er nur effektiv sein kann, wenn er mit ambitionierten Emissionsminderungen einhergeht. Auch das sogenannte Global Shield ist eine wichtige Initiative, um für sehr arme Personengruppen Versicherungsleistungen zu erbringen, die Schäden durch Wetterextreme abfedern könnten. Dies hat auch Sicherheitsbezüge, denn wenn Ernten ausfallen, sind viele Menschen vor existenzielle Nöte gestellt. Dies kann dazu führen, dass Menschen zur Migration gezwungen sind oder sich gar terroristischen Organisationen anschließen, wenn diese Perspektiven zur Existenzsicherung bieten. Durch die Zerstörung der Lebensgrundlagen werden auch traditionelle Identitäten zerstört. Diese Vernichtung von Identitäten kann dann bewirken, dass Menschen eher geneigt sind, sich identitätsstiftenden terroristischen Gruppierungen anzuschließen.
Ein weiterer Konflikt, der sich anbahnt, ist der zwischen China und den USA im Indopazifik. Hat China bei der COP27 Klimafragen als Hebel genutzt, um sich im Konflikt mit den USA Vorteile zu verschaffen?
Trotz der sicherheitspolitischen Krisen gab es produktive Gespräche zwischen dem US-Sondergesandten für Klima, John Kerry, und dem chinesischen Verhandlungsführer Xie Zhenhua. Das bedeutet, dass der multilaterale COP-Prozess nicht vollkommen von anderen, sicherheitspolitischen Spannungen zwischen Ländern dominiert wird, sondern ein Mindestmaß an Zusammenarbeit in der Bewältigung der Klimakrise weiterhin angestrebt wird. Die COP ist dabei notwendig, aber angesichts der mangelnden Durchschlagskraft nicht hinreichend, um Klimaschutz weltweit durchzusetzen. China schreibt sich auf der COP bei den G77 eine Führungsrolle zu, was nicht mehr der heutigen Realität entspricht, weil das Land enormes Wirtschaftswachstum verzeichnete. Somit müsste China perspektivisch in einen “Loss and Damage”-Fonds einzahlen, was die chinesische Regierung versucht hat, zu verhindern.
Kann der Westen den G77-Block beim Klima aufbrechen, um Entscheidungen voranzubringen?
Es ist nicht mehr zu rechtfertigen, dass Großemittenten wie China oder ölproduzierende Länder wie Kuwait und Katar in den Klimaschutzverhandlungen zum Block der Entwicklungsländer gezählt werden. Auch diese Länder haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv Kohlenstoffschulden aufgebaut und müssen bei der Lösung des Problems und bei Zahlungen an vulnerable Staaten eine größere Rolle spielen und Verantwortung übernehmen. Druck auf ölproduzierende Länder kann vor allem dadurch aufgebaut werden, dass wir uns in unserer Energieversorgung von ihnen unabhängiger machen. Zudem sollten wir Handelspartnerschaften mit den Staaten der G77 intensivieren, die grundlegende Werte mit uns teilen.
Chinas Rolle im russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist stärker als bisher in der westlichen Öffentlichkeit angenommen. Einem Bericht des britischen Wochenmagazins Spectator (siehe auch unsere Presseschau) zufolge sollen die Chinesen durch geheime Gespräche mit der US-Regierung im Frühjahr die Lieferung von gut 30 Kampfflugzeugen des Typs MiG-29 aus Polen an die Ukraine verhindert haben.
Der Regierung in Peking sei dies wichtig gewesen, weil sich ihrer Ansicht nach die Nato durch den MiG-Deal operativ in den Krieg eingemischt hätte und damit die Gefahr einer nuklearen Eskalation gestiegen wäre.
Teil des von Polen vorgeschlagenen Plans war es, die MiG-29 durch ukrainische Piloten von US-Stützpunkten auf Nato-Gebiet aus fliegen zu lassen. In dem Spectator-Bericht heißt es, nachdem Washington Zustimmung signalisiert habe, hätten nicht weiter konkretisierte europäische Regierungsvertreter gemeinsam mit China hinter den Kulissen auf die Biden-Regierung eingewirkt.
Pekings oberste Priorität sei es, einen Nuklearwaffen-Einsatz zu verhindern und zu einem Waffenstillstand in der Ukraine beizutragen. Die MiG-29 stammten ursprünglich aus der DDR, bevor sie nach der Wende von der Bundeswehr für etwa 15 Jahre übernommen und schließlich für einen Euro an Polen verkauft wurden. Als Ersatz habe Polen amerikanische F-16 beschaffen wollen.
China, das ein militärisches Beistandsabkommen mit Russland geschlossen hat, machte mit seiner Initiative deutlich, dass es seit Kriegsbeginn sowohl mit Russland als auch mit der Nato spricht. So äußerten ranghohe chinesische Vertreter einerseits, Putin nachhaltig dabei zu unterstützen, “das russische Volk zu vereinen und zu führen”, andererseits aber liefert Peking keine Waffen und zwingt Moskau damit, Drohnen und Raketen im Iran zu kaufen. ms
Zwischen Rheinmetall und Nexter soll es Schritte in Richtung einer Einigung im deutsch-französischen Panzerprojekt MGCS geben. Das berichtet die französische Zeitung La Tribune. Zuvor hatte es Streit um die Zuständigkeiten in vier der dreizehn technischen Studien zum Prototypen gegeben. Jetzt hätten sich die Rüstungskonzerne auf Druck der französischen Beschaffungsbehörde DGA und des BAAINBw auf Kompromisse geeinigt. Unterschrieben sei allerdings noch nichts.
Gestritten wurde um Studien zu:
Insbesondere die Studie zu den Waffen hatte für Streit gesorgt, speziell die Studie zur Kanone. Die Kanone ist bei den deutschen Kampfpanzern die Domäne von Rheinmetall. Die Einigung sieht nun vor, dass für die vier umstrittenen Studien Ad-hoc-Strukturen geschaffen werden, in denen beide Unternehmen zu 50 Prozent vertreten sind. Wer die Führungsrolle übernimmt, müssen die Staaten entscheiden. Eine Vereinbarung müsse bis zum Jahreswechsel unterzeichnet werden.
Eine Entscheidung auf politischer Ebene wird auch beim deutsch-französischen Projekt FCAS erwartet. Zuletzt waren widersprüchliche Meldungen zu Vertragsunterzeichnungen verkündet worden. Sowohl die französische Premierministerin Elisabeth Borne als auch Bundeskanzler Olaf Scholz sprachen bei ihrem Treffen Ende voriger Woche von “raschen Fortschritten”. Noch in diesem Jahr werde man in die nächste Phase 1B – den Bau eines Demonstrators – eintreten. Die Industriepartner Airbus und Dassault haben bislang allerdings keinen Vertrag vorgelegt.
Der Bundestag hat die Bewilligung von weiterem Geld für das Panzerprojekt MGCS wie auch das Luftverteidigungssystem FCAS an Fortschritte in beiden Projekten noch in diesem Jahr geknüpft. bub/nana
Das Pentagon erwägt, der Ukraine im kommenden Frühjahr weit reichende Artillerieraketen zu liefern. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Bisher haben die USA die Lieferung solcher Waffen ausgeschlossen, weil sie befürchten, die Ukraine könnte damit über die Grenze auf russisches Staatsgebiet schießen und der Krieg dadurch eskalieren.
Dem Bericht zufolge handelt es sich um “Small Diameter Bomben” (GBU-39), die mit einem Raketenmotor versehen sind. Sie werden vom Raketensystem MLRS abgefeuert, das die USA der Ukraine bereits geliefert haben. Die Reichweite der Raketen beträgt bis zu 150 Kilometer. Damit wäre die Ukraine in der Lage, tief in das von Russland besetzte Gebiet und darüber hinaus zu wirken.
Außerdem hat die US-Regierung weitere Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt. Im Schwerpunkt handelt es sich um Munition für Flugabwehr-Systeme, auf die die Ukraine in Anbetracht der massiven russischen Angriffe auf die Energie-Infrastruktur gerade existenziell angewiesen ist.
Das Paket hat ein Finanzvolumen von 400 Millionen US-Dollar und enthält unter anderem:
Demografie, Auswanderung, schlechte Bezahlung und Mobilmachung bringen die russische Rüstungswirtschaft in Schwierigkeiten. Es fehlt Personal. Dieses Problem will die Regierung mit Anreizen für Fachkräfte beheben und ihnen Umzüge bezahlen, wenn sie einen Job in einem Rüstungsbetrieb annehmen.
Die russische Wirtschaftszeitung Vedomosti spricht von 20.000 benötigten Fachkräften im Rüstungssektor, die Zeitung beruft sich auf den Gewerkschaftsverband FNPR. Das russische Arbeitsministerium spricht dagegen von derzeit 3814 unbesetzten Stellen in der Branche. Wer für den Job geeignet ist und dafür umziehen würde, soll vom Arbeitsministerium mit umgerechnet 4200 Euro unterstützt werden.
Westliche Sanktionen sowie der Personalmangel sind wichtige Gründe für die Probleme der russischen Rüstungsbranche. Sie verhindern, dass Russlands Armee im Krieg in der Ukraine moderne Panzer, Raketen oder Kampfflugzeuge zur Verfügung stehen. Schon vor vielen Jahren entwickelte Modelle wie etwa der Panzer Armata und das Kampfflugzeug SU-57 können nicht in Serienproduktion gehen. vf
Ein Drittel der rund 350 Haubitzen, die aus dem Westen in die Ukraine geliefert wurden, sind wegen Verschleißschäden nicht einsetzbar. So heißt es aus dem Pentagon. Die USA und Deutschland, zwei der Hauptwaffenlieferanten, haben nun darauf reagiert.
Während die USA der New York Times zufolge einen Reparaturhub in Polen eingerichtet haben, hat Deutschland ein Reparaturzentrum in der Slowakei aufgebaut, wie aus einer Pressemitteilung von Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) hervorgeht. Der Hub in der Slowakei wird von KNDS betrieben, die mobile Einrichtung mit Personal der KNDS-Tochter KMW bestückt.
Im deutschen Hub nahe der ukrainischen Grenze sollen die Panzerhaubitze 2000, die (französische) Haubitze Caesar, der Gepard-Panzer, das Artilleriesystem Mars II und das Transportfahrzeug Dingo repariert werden. Bis Anfang Dezember soll der Hub voll einsatzfähig sein und zunächst bis Ende 2024 betrieben werden. Das mobile Reparaturzentrum bietet Platz für sechs Fahrzeuge. Auf Nachfrage von Security.Table wollte KMW mit Verweis auf Sicherheitsgründe keine Angaben zu Personalstärke und genauem Standort machen. bub
Die sechs Staaten auf dem Westbalkan sollen sich angesichts der geopolitischen Spannungen klar zur Europäischen Union bekennen. “Der Zusammenhalt mit der EU ist ein klares Zeichen für die strategische Ausrichtung der Partner, mehr denn je, da Russland seinen Krieg in der Ukraine eskalieren lässt”, heißt es in einem Entwurf der Abschlusserklärung des EU-Westbalkan-Gipfels am 6. Dezember, der von “Contexte” veröffentlicht wurde. Daher bekräftige man die Erwartung, dass sich Länder der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU anschlössen und auch die Sanktionen gegen Russland übernähmen.
Die Botschaft richtet sich vor allen an Serbien, das trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine versucht, seine engen Beziehungen zu Moskau zu erhalten. Aber auch von den anderen Beitrittsaspiranten verlangt die EU mehr Einsatz. Die EU sei nach wie vor der wichtigste Investor, Handelspartner und Hauptgeldgeber der Region, heißt es in der Erklärung. “Das außergewöhnliche Ausmaß und die Bandbreite dieser Unterstützung müssen von den Partnern in ihrer öffentlichen Debatte und Kommunikation sichtbarer gemacht werden, damit die Bürger die konkreten Vorteile der Partnerschaft mit der EU erkennen können.”
Der Gipfel soll in einer Woche in der albanischen Hauptstadt Tirana stattfinden. Anfang November hatte Kanzler Olaf Scholz die Staats- und Regierungschefs von Serbien, Nordmazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Montenegro sowie etliche EU-Regierungen bereits nach Berlin eingeladen. Dort vereinbarten sie unter anderem eine engere Zusammenarbeit in der Energiepolitik und neue Finanzhilfen. tho
CNN – How Iran’s security forces use rape to quell protests: CNN arbeitet in dem Multimedia-Bericht persönliche Geschichten auf und berichtet, wie iranische Frauen, Männer und Kinder von Polizei-Station zu Station gebracht und dort systematisch vergewaltigt und gefoltert werden.
49security – “Ruhige Zeiten sind weitgehend ausgeschlossen”: Der frühere Leiter des präsidialen Leitungsstabs des BND, Gerhard Conrad, fordert im Interview eine Zeitenwende im Bereich der Nachrichtendienste. Dazu gehören ressortübergreifende Strukturen in Deutschland und bessere Vernetzung auf EU-Ebene.
Podcast: Geopolitics Decanted – How the Russian Air Force Failed in Ukraine: In gut 60 Minuten erläutern Justin Brock und Jack Waitling vom Royal United Services Institute (RUSI), warum Russland es nicht schafft, die ukrainische Luftabwehr auszuschalten, wie es um ukrainische Raketenbestände steht und wie der Westen die Versorgung des russischen Militärs mit Chips unterbrechen könnte.
The New York Times – U.S. and NATO Scramble to Arm Ukraine and Refill Their Own Arsenals: Mit Unverständnis blicken die Korrespondenten der New York Times auf die Europäer, die dachten, ein Krieg mit Panzern und Artillerie würde in Europa nie mehr stattfinden. Was in Afghanistan in einem Monat verschossen würde, verschießt die Ukraine an einem Tag, sagt ein Experte. Hier erfährt man Interessantes über die Diskrepanz zwischen verfügbarer und benötigter Munition.
The Spectator – The red line: Biden and Xi’s secret Ukraine talks revealed: Eine chinesische Intervention habe dafür gesorgt, dass Polen im März keine MiG-29-Jets in die Ukraine lieferte und ein diplomatischer chinesischer Kraftakt, dass die USA und China gemeinsam vor einer nuklearen Krise warnten. Owen Matthews legt mit Verweis auf sein aktuelles Buch dar, wie sich geheime Absprachen zwischen den USA und China auf den Kriegsverlauf in der Ukraine auswirken.
Restriktiv soll sie sein, die Rüstungsexportpolitik der Ampel-Koalition. So steht es im Koalitionsvertrag und im Entwurf der Eckpunkte des Rüstungsexportkontrollgesetzes. Der restriktive Ansatz, meint Sven Giegold, Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums, “entspricht unseren Sicherheitsinteressen”. Ist das so?
Deutschland diskutiert Rüstungsexporte immer kontrovers. Einzelfallentscheidungen stehen mit ihren spezifischen Rahmenbedingungen im Mittelpunkt. Das verstellt den Blick für die politischen Ziele, die Deutschland damit verfolgt. Eine klare Trennung von Sicherheits- und Wirtschaftspolitik entspricht nicht der geoökonomischen Logik, die gegenwärtig die internationale Politik prägt.
Geoökonomie beschreibt, wie Akteure wirtschaftliche Instrumente für politische Vorteile nutzen. Zentral ist der Wettbewerb um und mit Technologien wie zum Beispiel unbemannte Systeme, künstliche Intelligenz, digitale Anwendungen oder weltraumgestützte Lösungen. Sie werden heute oft von Unternehmen aus dem kommerziellen Umfeld entwickelt.
Gerade weil solche Systeme für Streitkräfte immer relevanter werden, entsteht eine Bruchstelle gegenüber systemischen Wettbewerbern und strategisch agierenden Partnern. Diese erkennen den direkten Zusammenhang zwischen Sicherheits- und Wirtschaftspolitik und streben ihr enges Zusammenwirken - nicht ihre Trennung – an.
Wie dieses Zusammenwirken im Rüstungskontext gewichtet wird, ist eine Frage der eigenen Weltbilder und Wertannahmen. In dieser Frage gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Zu diskutieren ist, in welcher Beziehung verschiedene Werte zueinanderstehen. Menschliche Sicherheit ist ein Aspekt; ein anderer ist die Versorgungssicherheit in einem sich grundlegend verändernden geoökonomischen Umfeld.
Kennzeichnend hierfür ist, dass der Wettstreit zwischen demokratischen und autoritären Staaten ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen toxisch werden lässt. Jüngste Beispiele, die von Lieferengpässen bei medizinischer Schutzausrüstung bis zur Instrumentalisierung der Rohstoffversorgung reichen, illustrieren die Folgen.
Der Ausbau der wertegebundenen Zusammenarbeit zwischen Demokratien soll den Ausweg weisen, argumentieren Koalitionsvertrag und Eckpunkteentwurf. Beide zielen darauf ab, die rüstungspolitische Zusammenarbeit in Europa zu stärken – auch als Kompensation für den Wegfall von Partnern, die mit der restriktiven Politik künftig nicht mehr unterstützt werden.
Genau an dieser Stelle wird der Charakter sicherheits- und verteidigungsrelevanter Technologie aber zur Herausforderung. Je mehr kommerziell entwickelte Technologie militärisch adaptiert und genutzt wird, desto mehr wird ein restriktives Verständnis der adressierbaren Märkte die kommerzielle Industriebasis und ihre Investoren abschrecken, in die entsprechenden Technologien zu investieren und streitkräfterelevante Produkte zu entwickeln.
Zudem ist Handel unter Freunden nicht problemfrei. Er kann die Risikokonzentration erhöhen, weil es weniger, nicht mehr Versorgungspartner und Versorgungswege gibt. Zudem politisiert die wertebasierte Neuausrichtung die Lieferketten, weil sich politische und unternehmerische Ansprüche gegenüberstehen.
Der Ausweg aus dieser Lage ist dornig. Ein erster Schritt besteht im Eingeständnis, dass Rüstungskooperation – genauso wie Energiekooperation – Dilemma-Management ist: Immer geht es darum, gewollte und nicht gewollte Abhängigkeiten gegeneinander abzuwägen. Einen Wert dabei zentral über alle anderen zu stellen, wird der Sache kaum gerecht, weil das Dilemma gerade aus dem Widerstreit verschiedener Werte entsteht.
Zweitens ist Rüstungskooperation mehr als Rüstungsexport. Sie umfasst ein breites Portfolio, das vom strategischen Dialog über Aus- und Weiterbildung, Übungen und Einsätze, die Standardisierung bis hin zu gemeinsamer Entwicklung, Produktion und dem Betrieb technischer Systeme reicht. Die Bausteine dieses Portfolios bauen aufeinander auf und verstärken sich.
Ein restriktiver Umgang mit Exporten sendet Partnern ein klares Signal, das den Nutzen des breiten Portfolios beschränkt. Wer will mit Deutschland in den strategischen Dialog treten und gemeinsame militärische Ausbildung anstreben, wenn er weiß, dass ihm die technischen Systeme, die Streitkräfte kooperationsfähig machen, verwehrt bleiben?
Und damit sind wir beim dritten Punkt. Rüstungskooperation unterstützt als Technologiekooperation gleichzeitig mehrere Politikfelder: Ein intelligentes Sensornetzwerk der Luftraumüberwachung stärkt die zivile Transportinfrastrukturentwicklung, die unbemannt fliegende Systeme nutzbar machen will; Forschung zur Entwicklung von Produkten, die menschliche Leistungsfähigkeit verbessern, baut Ernährungssicherheit aus; und satellitengestützte Aufklärung dient der Krisenprävention.
Genau mit diesem politikfeldübergreifenden Ansatz schnürt Deutschland Pakete für strategische Partnerschaften mit anderen Ländern, die politische und wirtschaftliche Interessen zusammenbinden. Eine restriktive Rüstungspolitik, die beide Aspekte trennt, wird diesen Ansatz unterlaufen.
Andreas Schwarz hat eine Fähigkeit, die für seinen Job sehr nützlich sein kann. “Ich habe kein Problem damit, mal 40 Stunden am Stück wach zu sein”, sagt er. Bei der “Nacht der langen Messer”, wie die Bereinigungssitzung des Haushaltsschusses genannt wird, kam ihm das zugute: Sie dauerte 17 Stunden.
Schwarz ist Berichterstatter der SPD für den Wehretat. Sein Lebenslauf ist unkonventionell, sein Stil auch. 2013 kam er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin, davor war er 18 Jahre Bürgermeister der 8.000-Einwohner-Gemeinde Strullendorf bei Bamberg. In Berlin war Schwarz zunächst im Finanzausschuss, befasste sich mit Steuerkriminalität, ging dann in den Haushaltsausschuss und wurde von Dennis Rohde, dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD, zum Berichterstatter Wehretat ernannt.
“Die Generalistik, die ich mir antrainiert habe, ist für den Verteidigungsetat wichtig. Im Verteidigungsbereich spielen Fragen der Technik und strategische Zusammenhänge eine Rolle. Die Palette reicht von der Digitalisierung bis zum Raketenschutzschirm”, sagt Schwarz.
Den Weg vom Gemeindechef zum Berichterstatter der Kanzlerpartei für den Wehretat geht nicht jeder. Schwarz ist einer der letzten, die den Stift an den Einzelplan 14, den Verteidigungshaushalt, setzen. Bei Schwarz war es kein militärischer Hintergrund, der ihn dahin brachte – den gibt es nicht. Es ist eher “das Überblicken von technischen Zusammenhängen, sie politisch zu verstehen und umzusetzen”. Und zur Wahrheit gehört auch: “Das ist ein schwieriger Etat und für Teile der Sozialdemokratie sicherlich eine herausfordernde Materie.”
Bei der Haushaltsbereinigungssitzung kommt jedes Ministerium in den Ausschuss, um vorzutragen und Fragen zu beantworten. Hier hat der Ausschuss die Möglichkeit, letzte Veränderungen am Haushaltsentwurf vorzunehmen. 35 waren es bei der vergangenen Sitzung, auch das deutsch-französische Rüstungsprojekt FCAS war Thema: “Das Parlament machte nochmal deutlich, dass es erwartet, dass die Industrie eine Einigung erreicht“, sagt Schwarz.
Außerdem wurde das Budget für Munition erhöht: 1 Milliarde Euro gibt es im Munitionstitel zusätzlich, sagt Schwarz. “Es hat aber nirgends gekracht, da muss ich Sie enttäuschen.” Seine Berichterstatter-Kollegen aus FDP (Karsten Klein) und Grüne (Sebastian Schäfer) sind auch Franken. Da liege man von der Mentalität über Parteigrenzen hinweg nah beieinander.
Noch während der Sitzung passiert viel auf Schwarz’ Handy, da schickte zum Beispiel Thomas Hitschler, Staatssekretär im BMVg, noch Wünsche. Bei der Bereinigungssitzung gab es zum FCAS-Beschluss noch Formulierungshilfen, “dass wir das auch rechtlich sauber abdecken”.
Auch was mit dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr geschieht, wurde besprochen. “Es gibt schon 39 Projekte, die als Einzeltitel drin sind. Der Rest der Projekte ist noch unter Sammeltiteln gebündelt”, sagt Schwarz.
In der Zeit vor der Bereinigungssitzung wird viel bei ihm an die Tür geklopft. Dann kommen Fachpolitiker aller Parteien, Mitarbeiter von Ministerien, die Haushaltsabteilung des Ministeriums, Lobbyisten, Verbände. “Da hat man im Stundentakt Besuch, was auch in Ordnung ist. Für einen guten Abwägungsprozess braucht man den Austausch mit vielen Stellen. Wir wissen auch als Parlamentarier: So ein Ministerium erzählt uns auch nicht alles.”
Und manchmal gefällt ihm auch die Arbeitsweise der Ministerien nicht. “Verwaltung muss stärker lösungs- und nicht problemorientiert denken und entscheiden. Das haben im administrativen Bereich aber leider nicht alle verinnerlicht.” Gabriel Bub
der Bericht zum gestrigen Munitionsgipfel des Kanzleramts in unserer Ausgabe am Freitag hat im politischen Berlin und in den Medien für viel Wirbel gesorgt. Dass die Bundesregierung versuchte, die Bedeutung des Treffens herunterzuzoomen, ist in Anbetracht der Sicherheitsrelevanz nachvollziehbar. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sprach gestern lapidar von einem Routinetermin.
Wirklich? Die Rüstungsindustrie jedenfalls mag von Routine nicht sprechen. Sie hat mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Einblick in die Munitionslage der Bundeswehr und kennt die dramatische Situation. Die Relativierungsversuche der Regierung, sagte einer ihrer Vertreter gestern vor dem Treffen, trügen jedenfalls “nicht zur Vertrauensbildung” bei.
Ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Regierung und wehrtechnischer Industrie kann Deutschland derzeit am wenigsten gebrauchen. Gerade hat der Bundestag mit dem Haushalt 2023 den Wirtschaftsplan für das Sondervermögen beschlossen. Wir skizzieren die wichtigsten Beschaffungsprojekte, die nun kommen sollen, aber auch diejenigen, für die trotz des 100-Milliarden-Budgets das Geld fehlt.
Erneut ist das unselige Treiben des Putin-Russlands hier Thema. Unser ukrainischer Kollege Denis Trubetskoy beschreibt die Auswirkungen des Raketenterrors auf die Energieversorgung seines Landes, Viktor Funk erläutert die Rolle russischer Söldner-Gruppen in Afrika.
Im Porträt von Gabriel Bub haben wir heute einen Mann, der wenig Schlaf braucht: Andreas Schwarz, Haushälter der SPD und Berichterstatter für den Wehretat.
Übrigens: Morgen starten unsere Kollegen vom ESG.Table unter der Leitung von Caspar Dohmen und Torsten Sewing mit ihrer ersten Ausgabe. Sie berichten über Nachhaltigkeitspolitik, Transformationsstrategien und Lieferkettenverantwortung und analysieren die Entwicklungen für alle, die in Unternehmen oder Verwaltungen über Einkauf, Investitionen, Produkte oder die sozialen und ökologischen Bedingungen innerhalb ihrer Lieferketten entscheiden müssen. Hier können Sie das Angebot kostenlos testen.
100 Milliarden Euro will die Bundesregierung in den nächsten Jahren ausgeben, um die Bundeswehr wieder in den Zustand zu versetzen, Deutschland verteidigen zu können. Der Bundestag hat Ende vergangener Woche mit dem Haushalt 2023 auch den Wirtschaftsplan des Sondervermögens Bundeswehr beschlossen.
Die besonders dringend benötigte Munition enthält das Paket kaum. Der Grund: Munition ist ein Verbrauchsgut, das Sondervermögen aber für Hardware vorgesehen. So hat es das Verteidigungsministerium gewünscht. Deshalb muss Munition überwiegend aus dem laufenden Wehretat finanziert werden.
Das sind die zehn wichtigsten Projekte des Sondervermögens:
Das Mega-Projekt der Bundeswehr, in seiner Größenordnung ohne Vergleich im Sondervermögen, weil die Digitalisierung über mindestens ein Jahrzehnt versäumt wurde. Dazu zählen verschlüsselte, abhörsichere Funksysteme (Gesamtvolumen: 8,6 Mrd.), Satellitenkommunikation (SATCOMBw und weitere, 4,8 Mrd.), die Harmonisierung der verschiedenen IT-Systeme, über die die Truppen geführt werden (German Mission Network, 2,6 Mrd.) und weitere Systeme.
Die Störung von Kommunikationsverbindungen und die Bekämpfung von Radarstellungen sind im Luftkrieg unverzichtbar (ECR – Electronic Combat Reconnaissance). Das zeigt sich gerade wieder in der Ukraine, wo es Russland sukzessive gelingt, die Radarstellungen ukrainischer Flugabwehr auszuschalten. Ursprünglich beabsichtigte die Luftwaffe, den veralteten ECR-Tornado durch amerikanische F-18 Growler zu ersetzen. Nun aber soll der Eurofighter diese Aufgabe übernehmen. Nach Angaben aus dem Ministerium vom März sind 15 Eurofighter in der ECR-Rolle vorgesehen.
Der Leichte Transporthubschrauber (LUH) befindet sich bereits beim KSK und als Rettungshubschrauber (SAR) im Einsatz. Die Bundeswehr beabsichtigt, bis zu 60 weitere Maschinen dieses kleinen Helikopters von Airbus (9 Passagiere) zu beschaffen.
Unter diesen Ausgabenposten fällt auch der Kauf von drei weiteren Seefernaufklärern P-8, von israelischen Lenkflugkörpern für die Kampfdrohne Heron TP (Beschaffung nach wie vor geplant, obwohl Drohnen im intensiven Gefecht keine Überlebenschance haben, wie der Ukraine-Krieg zeigt), eines weltraumbasierten Frühwarnsystems, von Radarsystemen und einem Weltraumüberwachungssystem.
Ersetzt den Tornado als Bomber, insbesondere in seiner Rolle als Nuklearwaffenträger. Die USA haben der Beschaffung von 35 Maschinen des Herstellers Lockheed Martin durch Deutschland bis zum Ende des Jahrzehnts bereits zugestimmt.
Man sollte meinen, Nachfolge des Schützenpanzers Marder und Beschaffung des Schützenpanzers Puma sind ein und dasselbe. Schließlich sollte der Puma vollständig den Marder ersetzen. Doch noch immer ist unklar, ob weitere Puma (auf Kette) oder ein Schützenpanzer auf der Basis des Radpanzers Boxer mit dem Turm des Puma (“Puma-Turm auf Boxer”) beschafft werden. Heeresinspekteur Alfons Mais favorisiert Radpanzer, um die neu aufzustellenden mittleren Kräfte in Bataillonsstärke beweglicher zu machen.
Der Chinook von Boeing ersetzt die veralteten CH-53. Die offizielle Antwort der US-Regierung auf die Anfrage der Bundesregierung nach bis zu 60 Maschinen steht noch aus.
Überraschenderweise steht dieser Posten mit der genauen Bezeichnung des geplanten Systems im Sondervermögen. Weder BMVg noch Bundeswehr hatten bisher offiziell geäußert, welches Flugabwehrsystem Deutschland für den von Kanzler Scholz angekündigten European Sky Shield kaufen will. Das israelische Arrow-3-System wurde mit Beteiligung der USA entwickelt, die den Verkauf derart sensibler Technik sehr restriktiv handhaben. Im Ukraine-Krieg zeigt sich die existenzielle Bedeutung von Luftverteidigung. In Berlin heißt es, das erste Arrow-System solle 2025 in Betrieb gehen.
Die Jäger-Verbände des Heeres sollen nicht mehr mit Wiesel, sondern mit Boxer ausgestattet sein, darauf eine 30-Millimeter-Maschinenkanone von Rheinmetall (Lanceturm).
Bis 2025 soll jede Soldatin und jeder Soldat die “modulare ballistische Schutz- und Trageausstattung” erhalten. Sie besteht aus einer Weste, die unter anderem gegen Beschuss mit Handwaffen schützt. Die Taschen für Gewehr- und Pistolenmagazine, Ausrüstung und Kampfmittel wie Handgranaten lassen sich an der Weste befestigen. Weltweit herrscht großer Bedarf an Schutzwesten, Lieferengpässe sind wahrscheinlich.
Das Main Ground Combat System (MGCS), ein deutsch-französisches Gemeinschaftsprojekt, soll in Deutschland den Leopard 2 ersetzen. Das eingeplante Geld dient dazu, die Entwicklung zu finanzieren. Der Bundestags-Haushaltsausschuss hatte die Zustimmung zu weiteren Mitteln für FCAS an Fortschritte bei MGCS gekoppelt.
Mit diesem Flugkörper sollen die Fregatten der Klasse 124 bis 126 bewaffnet werden, um Schiffe oder andere Ziele auf See zu bekämpfen. Er wurde von Kongsberg (Norwegen) und MBDA entwickelt. Wie viele Flugkörper beschafft werden, geht aus der Vorlage nicht hervor. Klar ist, dass es eine Weiterentwicklung geben soll (Future Naval Strike Missile). Das Geld ist bereits eingeplant.
Nur der Vollständigkeit halber: Dieses deutsch-französische Kampfflugzeugsystem umfasst einen Fighter, Drohnen, Bewaffnung und eine Combat Cloud. Der Bundestag hat der Finanzierung der nächsten Entwicklungsstufe zugestimmt, macht aber weitere Finanzmittel in den Folgejahren von einer Einigung der Industrievertreter Airbus und Dassault auf eine faire Arbeitsteilung abhängig. Mit Thomas Wiegold
Der Bedarf der Bundeswehr an Ausrüstung, Waffen und Munition ist so groß, dass er den Umfang des Sondervermögens sprengt. 100 Milliarden Euro reichen nicht, um alle notwendigen Projekte zu realisieren. Das liegt vor allem an der Inflation, den Zinsen für die Kreditaufnahme (7 Mrd. Euro), an den gestiegenen Preisen für Energie und Rohstoffe und an der massiv erhöhten Nachfrage nach Rüstungsgütern, die ebenfalls die Kosten in die Höhe treibt.
Deshalb hat das Verteidigungsministerium entschieden, die folgenden sechs Projekte aus dem Sondervermögen zu nehmen und sie über den Wehretat der kommenden Jahre zu finanzieren. Dort ist ihre Finanzierung allerdings unsicher.
Als Nachfolger der aktuell 939 Transportpanzer Fuchs, eingesetzt in allen Teilstreitkräften, soll 2023 der marktverfügbare Patria aus Finnland getestet werden. Die Beschaffung beginnt erst 2027, weshalb andere, noch dringlichere Landsysteme (z. B. Waffenträger Infanterie, Puma für die VJTF) Vorrang haben.
Deutschland hat sich in der Nato verpflichtet, sechs Kriegsschiffe vorzuhalten, die Ziele über und unter Wasser bekämpfen können. Bundeswehr und Hersteller (Damen-Werft in den Niederlanden) schlossen 2020 einen Vertrag über vier Schiffe mit der Option auf zwei weitere. Die erste F-126 soll 2028 ausgeliefert und muss erst dann bezahlt werden; die Schiffe lösen die Fregatten der Klasse 123 ab.
Damen will den Preis für die Schiffe nachverhandeln, bisher ist unklar, wie hoch die Mehrkosten sind. Der Bundestag hat daher entschieden, die ersten vier Schiffe über das Sondervermögen zu finanzieren, die beiden optionalen Fregatten aber in den laufenden Wehretat zu schieben. Allerdings in den Teil, dessen Finanzierung nicht gesichert ist.
Korvetten sind Kriegsschiffe für Randmeere wie Nord- und Ostsee. Die Marine verfügt derzeit über fünf K-130 (1. Los), fünf weitere sind bestellt. Weil ihre Auslieferung bereits 40 Monate hinter dem Zeitplan liegt, wird es bis 2025 dauern, bis das erste Boot eingesetzt werden kann. Die Boote des ersten Loses sollen im Anschluss durch fünf Boote des dritten Loses ersetzt werden.
Dies wird vermutlich erst zum Ende des Jahrzehnts erfolgen, weshalb der Bundestag keine Dringlichkeit bei der Finanzierung sieht. Zudem ist fraglich, ob ein drittes Los gebraucht wird, da mit Finnland und Schweden zwei Ostsee-Anrainer der Nato beitreten, die über leistungsfähige Seestreitkräfte verfügen.
Die deutschen U-Boote der Klasse 212A sollen mit einem Flugkörpersystem gegen Luftziele bewaffnet werden. Der Bundestag will das “Interactive Defense and Attack System for Submarines” (IDAS) weiterentwickeln lassen, während die Bundeswehr bis Anfang 2024 die Projektrisiken untersucht.
Anschließend soll ein erstes U-Boot testweise mit dem neuen System ausgerüstet werden. Da die ersten Flugkörper aber erst 2029 gekauft werden sollen, hat der Bundestag entschieden, nur die Entwicklung aus dem Sondervermögen zu finanzieren.
P-8 Poseidon sind Flugzeuge, vollgestopft mit Aufklärungstechnik, die Seegebiete beobachten und getauchte U-Boote aufspüren sollen. Deutschland hat der Nato zugesagt, acht Seefernaufklärer für die Bündnisverteidigung vorzuhalten. Der Vertrag für die ersten fünf Maschinen steht, das Geld dafür kommt aus dem laufenden Wehretat. Drei weitere Flugzeuge sollen nun über das Sondervermögen finanziert werden. Das ursprüngliche Vorhaben der Marine, zwölf Poseidon zu kaufen, wurde verworfen. Parallel zur P-8-Beschaffung läuft eine französische Studie über ein Maritime Airborne Warfare System (MAWS), das Deutschland und Frankreich gemeinsam entwickeln wollen.
Der Ukraine-Krieg zeigt die enorme Bedeutung kleiner Drohnen in heutigen Kriegsszenarien. Sie dienen der Aufklärung, aber auch dem gezielten Abwurf kleiner Sprengkörper. Eine Möglichkeit, diese Drohnen zu bekämpfen, sind neben Kanonen wie dem Gepard und kleinen Abwehrraketen auch Laser-Systeme.
Der Mix verschiedener Effektoren ist im Luftverteidigungssystem Nah- und Nächstbereichsschutz (LVS NNbS) auch vorgesehen, doch Priorität hat die Beschaffung von Kanonen und Raketen. Entwicklung und Kauf von Lasern wurden daher aus dem Sondervermögen gestrichen. Mit Thomas Wiegold
Mit den seit Wochen laufenden massiven Angriffen auf die ukrainische Energieinfrastruktur verfolgt Moskau mehrere Ziele: Erstens soll die Moral der Bevölkerung gebrochen werden, wenn Strom, Wärme sowie Wasser fehlen. Zweitens soll der ukrainische Staatshaushalt strapaziert werden: Kiew muss mehr für Reparaturen ausgeben, zugleich brechen die Einnahmen aus dem Stromexport weg. Drittens sollen sich die Arsenale der ukrainischen Flugabwehr leeren, damit Russlands Luftwaffe widerstandslos bombardieren kann.
Der seit Wochen andauernde massive Beschuss der Infrastruktur beschädigt das ukrainische Stromnetz so sehr, dass immer wieder kein Strom von einer Region in eine andere umgeleitet werden kann. Diese “Verinselung” der Energieversorgung ist Russlands Ziel. Immer wieder sind Regionen für längere Zeit von Strom, Wärme und Wasser abgeschnitten.
“Ich war besorgt, als die Russen mit diesen Angriffen begannen. Mir war nicht klar, wie effektiv unsere Energiebranche darauf reagieren würde”, sagt Andrian Prokip, Direktor des Energieprogramms des “Ukrainischen Zukunftsinstituts”, eines unabhängigen Think-Tanks in Kiew. Die Reparaturen gehen zwar rasch voran, doch am gestrigen Montag konnte selbst der minimale Strombedarf zu 27 Prozent immer noch nicht gedeckt werden. Das teilte der staatliche Energieversorger Ukrenergo mit.
Seit dem 10. Oktober feuerten die Russen wöchentlich zwischen 50 und 90 Raketen auf Energieobjekte, meist konzentriert an einem Tag. Begleitet wurden die Raketen von iranischen Drohnen. Die Flugabwehr fing nach ukrainischen Angaben bisher etwa 75 Prozent der Raketen ab, das heißt, ein Viertel erreichte sein Ziel. Der Schutz des ukrainischen Energiesystems wird nun auch Thema beim Treffen der Nato-Außenminister in Rumänien am heutigen Dienstag und am morgigen Mittwoch sein, kündigte Dmytro Kuleba an.
“Die Angriffe haben eine klare Struktur”, erklärt Prokip. “Die Russen fingen mit Wärmekraftwerken an. Ab Anfang November folgten Wasserkraftwerke. Und ab dem 15. November kamen Atomkraftwerke ins Spiel.” An dem Tag wurde zum ersten Mal das zusammenhängende Stromnetz des Landes gestört – damals nur für zwei Stunden.
Angriffsziele sind seltener die Objekte der Stromerzeugung selbst, sondern die Verteilungsinfrastruktur: Umspannwerke, Transformatoren und Hochspannungsleitungen. “Stromerzeugung und Stromübertragung sind gleich wichtig”, erläutert Prokip.
Die sowjetische Vergangenheit der ukrainischen Infrastruktur ist bei diesen Angriffen ein Vor- und Nachteil zugleich für die russische Armee. Einerseits ist Moskau gut bekannt, wie die Kritische Infrastruktur der Ukraine aufgebaut ist. Zudem vermutet Kiew, dass Moskau Spezialisten aus dem Elektrizitätsbereich für die Zielauswahl heranzieht.
Andererseits ist die Infrastruktur unter Berücksichtigung eines Krieges gebaut worden. Kraftwerke direkt zu zerstören, sei deshalb schwierig. Die Leitungen, Trafostationen und Verteilungspunkte seien leichtere Ziele, erläutert Prokip.
Laut Ukrenergo sind fast alle wichtigen Umspannwerke inzwischen beschädigt. “Die Lage ist sicher schwer, aber noch nicht kritisch”, meint Prokip. “Ja, nach den Angriffen auf AKW-verbundene Umspannwerke mussten alle drei AKWs auf dem von Kiew kontrollierten Gebiet teilweise heruntergefahren werden. Aber es waren kontrollierte Abschaltungen.”
Unberechenbarer ist die Situation im AKW Saporischschja, das die russischen Besatzer kontrollieren. Gerüchte, die russische Truppen könnten sich vom AKW-Gelände zurückziehen, dementierte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Montag.
Der ukrainische Strom war auch ein wichtiges Exportgut für das am Boden liegende Land. Im Juli hatte die Ukraine angefangen, Strom über Rumänien in die EU zu liefern. Mit seinen Angriffen kappte Moskau diese Geldquelle.
Mit Stromausfällen, die quasi das ganze Land Gebiet für Gebiet erfassen, rechnet Fachmann Prokip für den anstehenden Winter. Die AKW hätten in dieser Lage den Nachteil, dass es länger dauert, sie hochzufahren. Wasserkraftwerke seien flexibler. Vor dem Krieg deckten sie rund sechs Prozent des Strombedarfs im Land. Die russische Armee habe die Wasserkraftwerke vorsorglich beschädigt.
Mehrere Faktoren entscheiden mittelfristig über die Energiesicherheit in der Ukraine:
Andrian Prokip glaubt, dass die Ukraine ein Jahr brauchen würde, um Strom wieder exportieren zu können, wenn der Krieg endet. “Wenn kein AKW stark beschädigt ist, ist das durchaus möglich.” Der Senior Associate am Kennan Institute wagt zudem einen langfristig positiven Blick: “Wie auch immer das klingen mag: Dieser Krieg öffnet uns die Möglichkeiten, unser Stromsystem entscheidend zu modernisieren und in die Zukunft zu führen.” Denis Trubetskoy
Wo die russische Söldner-Firma “Wagner” in Afrika auftaucht, sterben mehr Zivilisten. Eine aktuelle Untersuchung der US-Nichtregierungsorganisation ACLED sieht einen Zusammenhang zwischen den Aktivitäten von Wagner und der Zahl der zivilen Opfer.
Die EU, afrikanische Staaten und die Vereinten Nationen mit ihren Friedens- sowie humanitären Missionen stehen vor einem Dilemma: Schränken sie ihr Engagement in Krisenregionen ein, weil lokale Partner Verbrechen begehen, dann weitet Russland seinen Einfluss aus.
Moskau kann dabei auf seine jahrzehntealten Kooperationen aus Sowjetzeiten mit vielen afrikanischen Staaten im Bereich Bildung, Entwicklung und Militär zurückgreifen. Russland ist zudem der größte Waffenlieferant für den gesamten Kontinent. An Mali verkaufte Moskau zwischen 2017 und 2021 unter anderem zwei Kampfflugzeuge, vier militärische Transport- und vier Kampfhubschrauber.
Inzwischen wird in nationalistischen, russischen Telegram-Kanälen über Niger als nächstes Ziel Moskaus diplomatischer Offensive spekuliert. Das Land ist wichtiger Uran-Lieferant für Frankreich. Laut Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat Niger jedoch kürzlich versichert, nicht mit Wagner kooperieren zu wollen.
In Mali, Sudan, Libyen und Burkina Faso spielt für Moskau der indirekte geopolitische Einfluss auf Frankreich und die EU derzeit möglicherweise eine größere Rolle als wirtschaftliche Interessen. In Südafrika hat Russland ebenfalls einen starken Einfluss. In der Zentralafrikanischen Republik sind russische Söldner der Sicherheitsgarant für Präsident Faustin-Archange Touadéra. Mehrere Staaten sind zudem stark vom Import russischen Weizens abhängig, darunter Benin, Sudan, Ägypten, Madagaskar, Senegal.
Weder die EU noch Deutschland haben bisher eine Strategie im Umgang mit Russland in Afrika gefunden, obwohl sich Moskau seit der Annexion der Krim und den darauf folgenden westlichen Sanktionen wieder stärker Afrika zuwendet.
Eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantwortete die Bundesregierung Ende vergangener Woche mit dem Hinweis, dass Russlands Betreiben in der künftigen Nationalen Sicherheitsstrategie berücksichtigt werde (BT-Drucksache 20/4616). Konkreter wird die Bundesregierung nicht. Sie verweist zwar darauf, dass Russlands wirtschaftliche Bedeutung für Afrika eher gering sei. Zugleich heißt es: “Der regelmäßig tagende Ressortkreis Afrika befasst sich seit dem 24. Februar 2022 verstärkt mit dem russischen Einfluss in Afrika.” Ob daraus Schlussfolgerungen gezogen werden, bleibt unklar.
Wissenschaftler des Niederländischen Instituts für Internationale Beziehungen (Clingendael) empfehlen einen tieferen und längerfristigen Ansatz als Reaktion auf Moskau. Statt sich von Russland treiben zu lassen, sei eine andere Strategie nötig:
Washington hat bereits Ende April sein Außenministerium beauftragt, eine Strategie gegen den antiwestlichen Einfluss Russlands in Afrika zu erstellen. Noch liegen keine konkreten Empfehlungen vor. Die Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) befürchtet jedoch, unter Druck gesetzt zu werden und kritisiert das Vorhaben.
Der Streit zwischen Mali und Frankreich eskaliert derweil weiter. Nach dem Abzug seiner Soldatinnen und Soldaten und dem Ende der Anti-Terror-Mission Barkhane strich Paris vor wenigen Tagen auch humanitäre Hilfe für das Land. Daraufhin untersagte Bamako jegliche Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle, technische oder andere materielle Unterstützung aus Frankreich erhalten.
Frau Vinke, in der Ukraine sterben tausende Menschen. Wie kann sich ein Land, das sich gegen einen Angriff verteidigen muss, bei der COP27 mit Klima beschäftigen?
Die Ukraine selbst hatte einen eindrücklichen Pavillon auf der COP, in dem sie auch auf lokale Umweltzerstörung aufmerksam machte, wie etwa von Munition belastete Böden. Denn neben dem unmittelbaren menschlichen Leid, das durch den Krieg ausgelöst wurde, entstehen auch große Umweltprobleme, die das Land noch Jahre in seiner Entwicklung beeinträchtigen werden. Auch auf das Klima haben Kriege einen Einfluss. Zum einen werden Treibstoffreserven angegriffen und Truppenbewegungen ziehen hohe Treibhausgasemissionen nach sich. Zum anderen wird Infrastruktur zerstört. Dort, wo die Kriegshandlungen gestoppt werden, sollte der Wiederaufbau möglichst in nachhaltige Bahnen gelenkt werden, was etwa die Energieversorgung oder Gebäude betrifft.
Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für Länder, die auf Getreidelieferungen angewiesen sind?
Die Preise für Getreide und fossile Brennstoffe sind in vielen Ländern stark gestiegen. Das kann etwa bedeuten, dass sich gerade in Ländern, die zuvor von der Ukraine oder Russland große Getreidelieferungen erhielten, Hungerkrisen verschärfen könnten. Auch das World Food Program bezog 2021 noch zwei Drittel seiner Getreidelieferungen aus der Ukraine. Hinzu kommt, dass es in vielen Teilen der Welt, wie etwa im Sahelgürtel, immer häufiger zu Ernteausfällen kommt, die mit häufigeren Wetterextremen im Zusammenhang stehen, zum Beispiel Überflutungen und Dürren.
Die größte Entscheidung, die bei der COP27 getroffen wurde, ist die Einrichtung des “Loss and Damage”-Fonds. Wie sollte der Fonds genutzt werden, um Sicherheitsrisiken anzugehen?
Der Fonds ist tatsächlich ein wichtiger Fortschritt, auch wenn er nur effektiv sein kann, wenn er mit ambitionierten Emissionsminderungen einhergeht. Auch das sogenannte Global Shield ist eine wichtige Initiative, um für sehr arme Personengruppen Versicherungsleistungen zu erbringen, die Schäden durch Wetterextreme abfedern könnten. Dies hat auch Sicherheitsbezüge, denn wenn Ernten ausfallen, sind viele Menschen vor existenzielle Nöte gestellt. Dies kann dazu führen, dass Menschen zur Migration gezwungen sind oder sich gar terroristischen Organisationen anschließen, wenn diese Perspektiven zur Existenzsicherung bieten. Durch die Zerstörung der Lebensgrundlagen werden auch traditionelle Identitäten zerstört. Diese Vernichtung von Identitäten kann dann bewirken, dass Menschen eher geneigt sind, sich identitätsstiftenden terroristischen Gruppierungen anzuschließen.
Ein weiterer Konflikt, der sich anbahnt, ist der zwischen China und den USA im Indopazifik. Hat China bei der COP27 Klimafragen als Hebel genutzt, um sich im Konflikt mit den USA Vorteile zu verschaffen?
Trotz der sicherheitspolitischen Krisen gab es produktive Gespräche zwischen dem US-Sondergesandten für Klima, John Kerry, und dem chinesischen Verhandlungsführer Xie Zhenhua. Das bedeutet, dass der multilaterale COP-Prozess nicht vollkommen von anderen, sicherheitspolitischen Spannungen zwischen Ländern dominiert wird, sondern ein Mindestmaß an Zusammenarbeit in der Bewältigung der Klimakrise weiterhin angestrebt wird. Die COP ist dabei notwendig, aber angesichts der mangelnden Durchschlagskraft nicht hinreichend, um Klimaschutz weltweit durchzusetzen. China schreibt sich auf der COP bei den G77 eine Führungsrolle zu, was nicht mehr der heutigen Realität entspricht, weil das Land enormes Wirtschaftswachstum verzeichnete. Somit müsste China perspektivisch in einen “Loss and Damage”-Fonds einzahlen, was die chinesische Regierung versucht hat, zu verhindern.
Kann der Westen den G77-Block beim Klima aufbrechen, um Entscheidungen voranzubringen?
Es ist nicht mehr zu rechtfertigen, dass Großemittenten wie China oder ölproduzierende Länder wie Kuwait und Katar in den Klimaschutzverhandlungen zum Block der Entwicklungsländer gezählt werden. Auch diese Länder haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv Kohlenstoffschulden aufgebaut und müssen bei der Lösung des Problems und bei Zahlungen an vulnerable Staaten eine größere Rolle spielen und Verantwortung übernehmen. Druck auf ölproduzierende Länder kann vor allem dadurch aufgebaut werden, dass wir uns in unserer Energieversorgung von ihnen unabhängiger machen. Zudem sollten wir Handelspartnerschaften mit den Staaten der G77 intensivieren, die grundlegende Werte mit uns teilen.
Chinas Rolle im russischen Angriffskrieg in der Ukraine ist stärker als bisher in der westlichen Öffentlichkeit angenommen. Einem Bericht des britischen Wochenmagazins Spectator (siehe auch unsere Presseschau) zufolge sollen die Chinesen durch geheime Gespräche mit der US-Regierung im Frühjahr die Lieferung von gut 30 Kampfflugzeugen des Typs MiG-29 aus Polen an die Ukraine verhindert haben.
Der Regierung in Peking sei dies wichtig gewesen, weil sich ihrer Ansicht nach die Nato durch den MiG-Deal operativ in den Krieg eingemischt hätte und damit die Gefahr einer nuklearen Eskalation gestiegen wäre.
Teil des von Polen vorgeschlagenen Plans war es, die MiG-29 durch ukrainische Piloten von US-Stützpunkten auf Nato-Gebiet aus fliegen zu lassen. In dem Spectator-Bericht heißt es, nachdem Washington Zustimmung signalisiert habe, hätten nicht weiter konkretisierte europäische Regierungsvertreter gemeinsam mit China hinter den Kulissen auf die Biden-Regierung eingewirkt.
Pekings oberste Priorität sei es, einen Nuklearwaffen-Einsatz zu verhindern und zu einem Waffenstillstand in der Ukraine beizutragen. Die MiG-29 stammten ursprünglich aus der DDR, bevor sie nach der Wende von der Bundeswehr für etwa 15 Jahre übernommen und schließlich für einen Euro an Polen verkauft wurden. Als Ersatz habe Polen amerikanische F-16 beschaffen wollen.
China, das ein militärisches Beistandsabkommen mit Russland geschlossen hat, machte mit seiner Initiative deutlich, dass es seit Kriegsbeginn sowohl mit Russland als auch mit der Nato spricht. So äußerten ranghohe chinesische Vertreter einerseits, Putin nachhaltig dabei zu unterstützen, “das russische Volk zu vereinen und zu führen”, andererseits aber liefert Peking keine Waffen und zwingt Moskau damit, Drohnen und Raketen im Iran zu kaufen. ms
Zwischen Rheinmetall und Nexter soll es Schritte in Richtung einer Einigung im deutsch-französischen Panzerprojekt MGCS geben. Das berichtet die französische Zeitung La Tribune. Zuvor hatte es Streit um die Zuständigkeiten in vier der dreizehn technischen Studien zum Prototypen gegeben. Jetzt hätten sich die Rüstungskonzerne auf Druck der französischen Beschaffungsbehörde DGA und des BAAINBw auf Kompromisse geeinigt. Unterschrieben sei allerdings noch nichts.
Gestritten wurde um Studien zu:
Insbesondere die Studie zu den Waffen hatte für Streit gesorgt, speziell die Studie zur Kanone. Die Kanone ist bei den deutschen Kampfpanzern die Domäne von Rheinmetall. Die Einigung sieht nun vor, dass für die vier umstrittenen Studien Ad-hoc-Strukturen geschaffen werden, in denen beide Unternehmen zu 50 Prozent vertreten sind. Wer die Führungsrolle übernimmt, müssen die Staaten entscheiden. Eine Vereinbarung müsse bis zum Jahreswechsel unterzeichnet werden.
Eine Entscheidung auf politischer Ebene wird auch beim deutsch-französischen Projekt FCAS erwartet. Zuletzt waren widersprüchliche Meldungen zu Vertragsunterzeichnungen verkündet worden. Sowohl die französische Premierministerin Elisabeth Borne als auch Bundeskanzler Olaf Scholz sprachen bei ihrem Treffen Ende voriger Woche von “raschen Fortschritten”. Noch in diesem Jahr werde man in die nächste Phase 1B – den Bau eines Demonstrators – eintreten. Die Industriepartner Airbus und Dassault haben bislang allerdings keinen Vertrag vorgelegt.
Der Bundestag hat die Bewilligung von weiterem Geld für das Panzerprojekt MGCS wie auch das Luftverteidigungssystem FCAS an Fortschritte in beiden Projekten noch in diesem Jahr geknüpft. bub/nana
Das Pentagon erwägt, der Ukraine im kommenden Frühjahr weit reichende Artillerieraketen zu liefern. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters. Bisher haben die USA die Lieferung solcher Waffen ausgeschlossen, weil sie befürchten, die Ukraine könnte damit über die Grenze auf russisches Staatsgebiet schießen und der Krieg dadurch eskalieren.
Dem Bericht zufolge handelt es sich um “Small Diameter Bomben” (GBU-39), die mit einem Raketenmotor versehen sind. Sie werden vom Raketensystem MLRS abgefeuert, das die USA der Ukraine bereits geliefert haben. Die Reichweite der Raketen beträgt bis zu 150 Kilometer. Damit wäre die Ukraine in der Lage, tief in das von Russland besetzte Gebiet und darüber hinaus zu wirken.
Außerdem hat die US-Regierung weitere Waffenlieferungen an die Ukraine angekündigt. Im Schwerpunkt handelt es sich um Munition für Flugabwehr-Systeme, auf die die Ukraine in Anbetracht der massiven russischen Angriffe auf die Energie-Infrastruktur gerade existenziell angewiesen ist.
Das Paket hat ein Finanzvolumen von 400 Millionen US-Dollar und enthält unter anderem:
Demografie, Auswanderung, schlechte Bezahlung und Mobilmachung bringen die russische Rüstungswirtschaft in Schwierigkeiten. Es fehlt Personal. Dieses Problem will die Regierung mit Anreizen für Fachkräfte beheben und ihnen Umzüge bezahlen, wenn sie einen Job in einem Rüstungsbetrieb annehmen.
Die russische Wirtschaftszeitung Vedomosti spricht von 20.000 benötigten Fachkräften im Rüstungssektor, die Zeitung beruft sich auf den Gewerkschaftsverband FNPR. Das russische Arbeitsministerium spricht dagegen von derzeit 3814 unbesetzten Stellen in der Branche. Wer für den Job geeignet ist und dafür umziehen würde, soll vom Arbeitsministerium mit umgerechnet 4200 Euro unterstützt werden.
Westliche Sanktionen sowie der Personalmangel sind wichtige Gründe für die Probleme der russischen Rüstungsbranche. Sie verhindern, dass Russlands Armee im Krieg in der Ukraine moderne Panzer, Raketen oder Kampfflugzeuge zur Verfügung stehen. Schon vor vielen Jahren entwickelte Modelle wie etwa der Panzer Armata und das Kampfflugzeug SU-57 können nicht in Serienproduktion gehen. vf
Ein Drittel der rund 350 Haubitzen, die aus dem Westen in die Ukraine geliefert wurden, sind wegen Verschleißschäden nicht einsetzbar. So heißt es aus dem Pentagon. Die USA und Deutschland, zwei der Hauptwaffenlieferanten, haben nun darauf reagiert.
Während die USA der New York Times zufolge einen Reparaturhub in Polen eingerichtet haben, hat Deutschland ein Reparaturzentrum in der Slowakei aufgebaut, wie aus einer Pressemitteilung von Krauss-Maffei-Wegmann (KMW) hervorgeht. Der Hub in der Slowakei wird von KNDS betrieben, die mobile Einrichtung mit Personal der KNDS-Tochter KMW bestückt.
Im deutschen Hub nahe der ukrainischen Grenze sollen die Panzerhaubitze 2000, die (französische) Haubitze Caesar, der Gepard-Panzer, das Artilleriesystem Mars II und das Transportfahrzeug Dingo repariert werden. Bis Anfang Dezember soll der Hub voll einsatzfähig sein und zunächst bis Ende 2024 betrieben werden. Das mobile Reparaturzentrum bietet Platz für sechs Fahrzeuge. Auf Nachfrage von Security.Table wollte KMW mit Verweis auf Sicherheitsgründe keine Angaben zu Personalstärke und genauem Standort machen. bub
Die sechs Staaten auf dem Westbalkan sollen sich angesichts der geopolitischen Spannungen klar zur Europäischen Union bekennen. “Der Zusammenhalt mit der EU ist ein klares Zeichen für die strategische Ausrichtung der Partner, mehr denn je, da Russland seinen Krieg in der Ukraine eskalieren lässt”, heißt es in einem Entwurf der Abschlusserklärung des EU-Westbalkan-Gipfels am 6. Dezember, der von “Contexte” veröffentlicht wurde. Daher bekräftige man die Erwartung, dass sich Länder der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU anschlössen und auch die Sanktionen gegen Russland übernähmen.
Die Botschaft richtet sich vor allen an Serbien, das trotz des russischen Angriffs auf die Ukraine versucht, seine engen Beziehungen zu Moskau zu erhalten. Aber auch von den anderen Beitrittsaspiranten verlangt die EU mehr Einsatz. Die EU sei nach wie vor der wichtigste Investor, Handelspartner und Hauptgeldgeber der Region, heißt es in der Erklärung. “Das außergewöhnliche Ausmaß und die Bandbreite dieser Unterstützung müssen von den Partnern in ihrer öffentlichen Debatte und Kommunikation sichtbarer gemacht werden, damit die Bürger die konkreten Vorteile der Partnerschaft mit der EU erkennen können.”
Der Gipfel soll in einer Woche in der albanischen Hauptstadt Tirana stattfinden. Anfang November hatte Kanzler Olaf Scholz die Staats- und Regierungschefs von Serbien, Nordmazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Montenegro sowie etliche EU-Regierungen bereits nach Berlin eingeladen. Dort vereinbarten sie unter anderem eine engere Zusammenarbeit in der Energiepolitik und neue Finanzhilfen. tho
CNN – How Iran’s security forces use rape to quell protests: CNN arbeitet in dem Multimedia-Bericht persönliche Geschichten auf und berichtet, wie iranische Frauen, Männer und Kinder von Polizei-Station zu Station gebracht und dort systematisch vergewaltigt und gefoltert werden.
49security – “Ruhige Zeiten sind weitgehend ausgeschlossen”: Der frühere Leiter des präsidialen Leitungsstabs des BND, Gerhard Conrad, fordert im Interview eine Zeitenwende im Bereich der Nachrichtendienste. Dazu gehören ressortübergreifende Strukturen in Deutschland und bessere Vernetzung auf EU-Ebene.
Podcast: Geopolitics Decanted – How the Russian Air Force Failed in Ukraine: In gut 60 Minuten erläutern Justin Brock und Jack Waitling vom Royal United Services Institute (RUSI), warum Russland es nicht schafft, die ukrainische Luftabwehr auszuschalten, wie es um ukrainische Raketenbestände steht und wie der Westen die Versorgung des russischen Militärs mit Chips unterbrechen könnte.
The New York Times – U.S. and NATO Scramble to Arm Ukraine and Refill Their Own Arsenals: Mit Unverständnis blicken die Korrespondenten der New York Times auf die Europäer, die dachten, ein Krieg mit Panzern und Artillerie würde in Europa nie mehr stattfinden. Was in Afghanistan in einem Monat verschossen würde, verschießt die Ukraine an einem Tag, sagt ein Experte. Hier erfährt man Interessantes über die Diskrepanz zwischen verfügbarer und benötigter Munition.
The Spectator – The red line: Biden and Xi’s secret Ukraine talks revealed: Eine chinesische Intervention habe dafür gesorgt, dass Polen im März keine MiG-29-Jets in die Ukraine lieferte und ein diplomatischer chinesischer Kraftakt, dass die USA und China gemeinsam vor einer nuklearen Krise warnten. Owen Matthews legt mit Verweis auf sein aktuelles Buch dar, wie sich geheime Absprachen zwischen den USA und China auf den Kriegsverlauf in der Ukraine auswirken.
Restriktiv soll sie sein, die Rüstungsexportpolitik der Ampel-Koalition. So steht es im Koalitionsvertrag und im Entwurf der Eckpunkte des Rüstungsexportkontrollgesetzes. Der restriktive Ansatz, meint Sven Giegold, Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums, “entspricht unseren Sicherheitsinteressen”. Ist das so?
Deutschland diskutiert Rüstungsexporte immer kontrovers. Einzelfallentscheidungen stehen mit ihren spezifischen Rahmenbedingungen im Mittelpunkt. Das verstellt den Blick für die politischen Ziele, die Deutschland damit verfolgt. Eine klare Trennung von Sicherheits- und Wirtschaftspolitik entspricht nicht der geoökonomischen Logik, die gegenwärtig die internationale Politik prägt.
Geoökonomie beschreibt, wie Akteure wirtschaftliche Instrumente für politische Vorteile nutzen. Zentral ist der Wettbewerb um und mit Technologien wie zum Beispiel unbemannte Systeme, künstliche Intelligenz, digitale Anwendungen oder weltraumgestützte Lösungen. Sie werden heute oft von Unternehmen aus dem kommerziellen Umfeld entwickelt.
Gerade weil solche Systeme für Streitkräfte immer relevanter werden, entsteht eine Bruchstelle gegenüber systemischen Wettbewerbern und strategisch agierenden Partnern. Diese erkennen den direkten Zusammenhang zwischen Sicherheits- und Wirtschaftspolitik und streben ihr enges Zusammenwirken - nicht ihre Trennung – an.
Wie dieses Zusammenwirken im Rüstungskontext gewichtet wird, ist eine Frage der eigenen Weltbilder und Wertannahmen. In dieser Frage gibt es keine richtige oder falsche Antwort. Zu diskutieren ist, in welcher Beziehung verschiedene Werte zueinanderstehen. Menschliche Sicherheit ist ein Aspekt; ein anderer ist die Versorgungssicherheit in einem sich grundlegend verändernden geoökonomischen Umfeld.
Kennzeichnend hierfür ist, dass der Wettstreit zwischen demokratischen und autoritären Staaten ihre politischen und wirtschaftlichen Beziehungen toxisch werden lässt. Jüngste Beispiele, die von Lieferengpässen bei medizinischer Schutzausrüstung bis zur Instrumentalisierung der Rohstoffversorgung reichen, illustrieren die Folgen.
Der Ausbau der wertegebundenen Zusammenarbeit zwischen Demokratien soll den Ausweg weisen, argumentieren Koalitionsvertrag und Eckpunkteentwurf. Beide zielen darauf ab, die rüstungspolitische Zusammenarbeit in Europa zu stärken – auch als Kompensation für den Wegfall von Partnern, die mit der restriktiven Politik künftig nicht mehr unterstützt werden.
Genau an dieser Stelle wird der Charakter sicherheits- und verteidigungsrelevanter Technologie aber zur Herausforderung. Je mehr kommerziell entwickelte Technologie militärisch adaptiert und genutzt wird, desto mehr wird ein restriktives Verständnis der adressierbaren Märkte die kommerzielle Industriebasis und ihre Investoren abschrecken, in die entsprechenden Technologien zu investieren und streitkräfterelevante Produkte zu entwickeln.
Zudem ist Handel unter Freunden nicht problemfrei. Er kann die Risikokonzentration erhöhen, weil es weniger, nicht mehr Versorgungspartner und Versorgungswege gibt. Zudem politisiert die wertebasierte Neuausrichtung die Lieferketten, weil sich politische und unternehmerische Ansprüche gegenüberstehen.
Der Ausweg aus dieser Lage ist dornig. Ein erster Schritt besteht im Eingeständnis, dass Rüstungskooperation – genauso wie Energiekooperation – Dilemma-Management ist: Immer geht es darum, gewollte und nicht gewollte Abhängigkeiten gegeneinander abzuwägen. Einen Wert dabei zentral über alle anderen zu stellen, wird der Sache kaum gerecht, weil das Dilemma gerade aus dem Widerstreit verschiedener Werte entsteht.
Zweitens ist Rüstungskooperation mehr als Rüstungsexport. Sie umfasst ein breites Portfolio, das vom strategischen Dialog über Aus- und Weiterbildung, Übungen und Einsätze, die Standardisierung bis hin zu gemeinsamer Entwicklung, Produktion und dem Betrieb technischer Systeme reicht. Die Bausteine dieses Portfolios bauen aufeinander auf und verstärken sich.
Ein restriktiver Umgang mit Exporten sendet Partnern ein klares Signal, das den Nutzen des breiten Portfolios beschränkt. Wer will mit Deutschland in den strategischen Dialog treten und gemeinsame militärische Ausbildung anstreben, wenn er weiß, dass ihm die technischen Systeme, die Streitkräfte kooperationsfähig machen, verwehrt bleiben?
Und damit sind wir beim dritten Punkt. Rüstungskooperation unterstützt als Technologiekooperation gleichzeitig mehrere Politikfelder: Ein intelligentes Sensornetzwerk der Luftraumüberwachung stärkt die zivile Transportinfrastrukturentwicklung, die unbemannt fliegende Systeme nutzbar machen will; Forschung zur Entwicklung von Produkten, die menschliche Leistungsfähigkeit verbessern, baut Ernährungssicherheit aus; und satellitengestützte Aufklärung dient der Krisenprävention.
Genau mit diesem politikfeldübergreifenden Ansatz schnürt Deutschland Pakete für strategische Partnerschaften mit anderen Ländern, die politische und wirtschaftliche Interessen zusammenbinden. Eine restriktive Rüstungspolitik, die beide Aspekte trennt, wird diesen Ansatz unterlaufen.
Andreas Schwarz hat eine Fähigkeit, die für seinen Job sehr nützlich sein kann. “Ich habe kein Problem damit, mal 40 Stunden am Stück wach zu sein”, sagt er. Bei der “Nacht der langen Messer”, wie die Bereinigungssitzung des Haushaltsschusses genannt wird, kam ihm das zugute: Sie dauerte 17 Stunden.
Schwarz ist Berichterstatter der SPD für den Wehretat. Sein Lebenslauf ist unkonventionell, sein Stil auch. 2013 kam er als Bundestagsabgeordneter nach Berlin, davor war er 18 Jahre Bürgermeister der 8.000-Einwohner-Gemeinde Strullendorf bei Bamberg. In Berlin war Schwarz zunächst im Finanzausschuss, befasste sich mit Steuerkriminalität, ging dann in den Haushaltsausschuss und wurde von Dennis Rohde, dem haushaltspolitischen Sprecher der SPD, zum Berichterstatter Wehretat ernannt.
“Die Generalistik, die ich mir antrainiert habe, ist für den Verteidigungsetat wichtig. Im Verteidigungsbereich spielen Fragen der Technik und strategische Zusammenhänge eine Rolle. Die Palette reicht von der Digitalisierung bis zum Raketenschutzschirm”, sagt Schwarz.
Den Weg vom Gemeindechef zum Berichterstatter der Kanzlerpartei für den Wehretat geht nicht jeder. Schwarz ist einer der letzten, die den Stift an den Einzelplan 14, den Verteidigungshaushalt, setzen. Bei Schwarz war es kein militärischer Hintergrund, der ihn dahin brachte – den gibt es nicht. Es ist eher “das Überblicken von technischen Zusammenhängen, sie politisch zu verstehen und umzusetzen”. Und zur Wahrheit gehört auch: “Das ist ein schwieriger Etat und für Teile der Sozialdemokratie sicherlich eine herausfordernde Materie.”
Bei der Haushaltsbereinigungssitzung kommt jedes Ministerium in den Ausschuss, um vorzutragen und Fragen zu beantworten. Hier hat der Ausschuss die Möglichkeit, letzte Veränderungen am Haushaltsentwurf vorzunehmen. 35 waren es bei der vergangenen Sitzung, auch das deutsch-französische Rüstungsprojekt FCAS war Thema: “Das Parlament machte nochmal deutlich, dass es erwartet, dass die Industrie eine Einigung erreicht“, sagt Schwarz.
Außerdem wurde das Budget für Munition erhöht: 1 Milliarde Euro gibt es im Munitionstitel zusätzlich, sagt Schwarz. “Es hat aber nirgends gekracht, da muss ich Sie enttäuschen.” Seine Berichterstatter-Kollegen aus FDP (Karsten Klein) und Grüne (Sebastian Schäfer) sind auch Franken. Da liege man von der Mentalität über Parteigrenzen hinweg nah beieinander.
Noch während der Sitzung passiert viel auf Schwarz’ Handy, da schickte zum Beispiel Thomas Hitschler, Staatssekretär im BMVg, noch Wünsche. Bei der Bereinigungssitzung gab es zum FCAS-Beschluss noch Formulierungshilfen, “dass wir das auch rechtlich sauber abdecken”.
Auch was mit dem 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr geschieht, wurde besprochen. “Es gibt schon 39 Projekte, die als Einzeltitel drin sind. Der Rest der Projekte ist noch unter Sammeltiteln gebündelt”, sagt Schwarz.
In der Zeit vor der Bereinigungssitzung wird viel bei ihm an die Tür geklopft. Dann kommen Fachpolitiker aller Parteien, Mitarbeiter von Ministerien, die Haushaltsabteilung des Ministeriums, Lobbyisten, Verbände. “Da hat man im Stundentakt Besuch, was auch in Ordnung ist. Für einen guten Abwägungsprozess braucht man den Austausch mit vielen Stellen. Wir wissen auch als Parlamentarier: So ein Ministerium erzählt uns auch nicht alles.”
Und manchmal gefällt ihm auch die Arbeitsweise der Ministerien nicht. “Verwaltung muss stärker lösungs- und nicht problemorientiert denken und entscheiden. Das haben im administrativen Bereich aber leider nicht alle verinnerlicht.” Gabriel Bub