Table.Briefing: Security

Prigoschins wahrer Platz in Putins System + Neue EU-Mission in Moldau + Iris T-Luftverteidigung für Estland und Lettland

Liebe Leserin, lieber Leser,

die ostukrainische Stadt Bachmut steht seit Monaten im Mittelpunkt der Kriegsberichterstattung – unabhängig von ihrer militärischen Bedeutung. Umso mehr Aufsehen erregte eine Äußerung Wolodymyr Selenskyjs auf dem G-7-Gipfel in Hiroshima. “Bachmut gibt es nur noch in unseren Herzen”, antwortete der ukrainische Präsident einem Journalisten, der ihm russische Siegesmeldungen vorhielt.

Danach dementierte sein Sprecher zwar den Fall der Gemeinde unweit der russischen Grenze. Das Hin und Her Selenskyjs aber zeigt, dass die Einnahme des nach 14 Monaten Krieg dem Erdboben gleichgemachten Orts durch Milizionäre Jewgeni Prigoschins vielleicht unmittelbar bevorsteht. Mein Kollege Viktor Funk hat sich genauer angeschaut, welche Funktion der immer wieder mit harscher Kritik an der Militärführung in Moskau auffallende Chef der Söldnertruppe Wagner im System Wladimir Putins einnimmt.

Destabilisierung durch Russland ausgesetzt sieht sich auch die Republik Moldau. Der proeuropäische Kurs von Präsidentin Maia Sandu stößt auch deshalb auf Kritik aus Moskau, weil Brüssel dem Staat mit 2,6 Millionen Einwohnern mit dem Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen noch dieses Jahr winkt. Kandidatenstatus erhielt Moldau bereits im Juni 2022 – am selben Tag wie die Ukraine.

Weniger als ein Jahr später hat der rumänische Spitzendiplomat Cosmin Dinescu das Hauptquartier der von ihm geführten EU-Partnerschaftsmission (EUPM) mitten in Chișinău bezogen. Meine Kollegin Lisa-Martina Klein beschreibt, wie die erste EU-Mission im Bereich hybride Bedrohungen und Cybersicherheit die moldauischen Sicherheitsbehörden in ihrem Kampf gegen russischen Einfluss stärkt.

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Ihr
Markus Bickel
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Analyse

Putins Mann fürs Grobe braucht eine Pause

Wagner-Chef Prigoschin verkündet die angebliche Eroberung Bachmuts
Prigoschin will seine Leute schonen und zieht sie aus Bachmut ab.

In weniger als sieben Monaten ist die ukrainische Stadt Bachmut komplett zerstört worden. Ihre Einwohner sind geflohen, viele starben. 70.000 Menschen lebten dort vor der Invasion der Russen im vergangenen Jahr, so viele wie in den deutschen Städten Bamberg oder Ingolstadt.

Verantwortlich für die Verwüstung Bachmuts ist Jewgeni Prigoschin: Krimineller, Catering-Unternehmer und Gründer der kriegserfahrenen russischen Söldner-Gruppe Wagner. Prigoschin steht dem russischen Präsidenten so nahe, dass er sich Schimpftiraden gegen die Armeeführung erlauben darf, die jedem normalen Russen viele Jahre Strafkolonie einbringen würden.

Aus Prigoschins Perspektive ist Bachmut nicht verwüstet, sondern von seiner Truppe erobert worden. Und weil diese Aufgabe erledigt sei, werde sich seine Truppe, von Donnerstag, 25. Mai, an, geordnet aus der Stadt zurückziehen und sie der Kontrolle der regulären russischen Armee übergeben, kündigte der Chef der Söldner am Samstag an.

Der Söldner-Unternehmer stellt Kosten-Nutzen-Rechnung auf

Der Unternehmer Prigoschin scheint verstanden zu haben, dass er im Moment militärisch in der Ukraine nichts gewinnen kann. Er darf kein Personal mehr in russischen Gefängnissen rekrutieren und auch die Versorgung mit Munition entspricht nicht seinen Vorstellungen. Das hat er mehrfach beklagt. Sein möglicher Rückzug – ob er ihn so umsetzen wird, ist offen – sagt deshalb weniger über die Situation an der Front und mehr über die schwierige Beziehung zwischen Prigoschin und der russischen Staatsführung aus.

Kiew jedenfalls gibt Bachmut nicht verloren. Südwestliche Teile der Stadt seien noch unter ukrainischer Kontrolle, ebenso gebe es Vorstöße an den Flanken, so das Verteidigungsministerium Anfang der Woche.

Wenn Prigoschin jetzt Bachmut der russischen Armee überlasen will, dann weil er seine eigenen, erfahrenen Leute schonen will. Nach Einschätzung der US-Analysten vom Institut for the Study of War (ISW) drohte Wagner eine Einkreisung durch ukrainische Kräfte. Dass Prigoschin offenbar bereit ist, reguläre russische Soldaten zu “opfern”, hatte jüngst erst ein Bericht der Washington Post deutlich gemacht. Insgesamt, so die aktuelle ISW-Analyse, seien die Kräfte Wagners erschöpft, sie könnten derzeit keine größeren Angriffe unternehmen.

Kritik auf Bestellung

Putins Mann fürs ganz Grobe hat sich in den vergangenen Monaten und Wochen immer wieder sehr heftige verbale Gefechte mit der russischen Armeeführung geliefert. Damit übernimmt er für den Kreml zwei wichtige Funktionen: Er geht rücksichtslos im Feld vor – und er übt rücksichtslose Kritik.

Russlands Präsident Wladimir Putin, der durch diverse Gesetze jegliche Kritik an ihm und an der Armee verbieten ließ, braucht einen Hofnarr. Er allein darf die Kritik äußern, die dem Kreml nützt. Insofern sei der öffentliche Streit “kein Kampf der Eliten” in Russland, erläutert der Militärexperte Kirill Shamiev vom European Council on Foreign Relations (ECFR). “Prigoschin versteht es, sich gut zu positionieren. Er stellt sich als einen Kommandeur dar, der sich um die Soldaten kümmert. Er schimpft auf die Generäle. Das ist für Putin natürlich hilfreich, weil die normalen Bürger dann denken, dass die Generäle schuld seien, Putin selbst kann nichts für die Probleme”, sagt Shamiev im Gespräch mit Table.Media. “Prigoschin hat eine hervorragende PR-Agentur und wird gebraucht.”     

Erstmals bekam Prigoschin sogar von Putin persönlich Anerkennung für seine Rolle in Bachmut. Der russische Präsident und das russische Verteidigungsministerium gratulierten ihm in der Nacht auf Sonntag. Dieser Schritt kann eine Reaktion darauf sein, dass Prigoschin “seinen Sieg” über soziale Medien bereits so weit bekannt gemacht hat, dass Moskau seine Rolle nicht mehr verschweigen konnte. Was Prigoschin als Nächstes plant, lässt er in seiner Stellungnahme offen.

Der FSB ist über Prigoschins Autonomie nicht glücklich

Mit seinem eigenen Presseservice auf Telegram, auf dem er Anfragen verschiedener Medien und seine Antworten veröffentlicht, erreicht er mehr als 423.000 Abonnenten. Dort kann er es sich auch erlauben, auf die wichtigsten staatlichen Medien zu schimpfen. Es gibt offenbar keinen Bereich, den der Kreml orchestriert, auf den Prigoschin nicht schimpfen darf – außer auf Putin.

Die Wagner-Gruppe sei die am stärksten autonome private militärische Struktur in Russland, erläutert Kirill Shamiev. Es habe während des Krieges Versuche gegeben, sie zu integrieren. “Der Chef der russischen Streitkräfte, Waleri Gerassimow, hat genau verstanden, dass solche autonomen Strukturen ein Risiko für die Führung sind und hatte versucht, Wagner einzubinden, aber ohne Erfolg.”

Ob Prigoschin selbst politische Ambitionen habe, sei unklar, sagt Shamiev. “Er hat sich mit zu vielen zerstritten. Auch der FSB ist nicht besonders glücklich über ihn, weil er nicht unter deren Kontrolle steht. Er ist ähnlich wie Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow: eine Ausnahme in der russischen Machtstruktur. Eine gefährliche Ausnahme.”

  • Geopolitik
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  • Ukraine-Krieg

Moldau: EU-Mission soll Sicherheitssektor gegen hybride Bedrohungen stärken

Neben Finanzhilfen in Höhe von 145 Millionen Euro und Unterstützung beim Grenzschutz, werden künftig bis zu vierzig Beamte im Rahmen der EU-Partnerschaftsmission in Moldau (EUPM Moldova) die moldauische Regierung dabei unterstützen, effizienter gegen die hybriden Bedrohungen aus Russland vorzugehen. Bereits Mitte Mai nahm der Leiter der Mission, der rumänische Diplomat Cosmin Dinescu, seine Arbeit in Chișinău auf. Das von der EU im April genehmigte Mandat läuft vorerst bis Mai 2025. 

Die EUPM Moldau ist die erste Mission der EU im Rahmen ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Bereich hybride Bedrohungen und Cybersicherheit. Das verschafft dem vergleichsweise kleinen Einsatz mit dem Ziel, die Widerstandsfähigkeit des Sicherheitssektors zu stärken, hohe symbolische Bedeutung und Sichtbarkeit. Dem verleiht die EU durch den Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft am 1. Juni zusätzlich Ausdruck: Die Spitzen der 27 EU-Länder kommen dann in Chișinău mit denen der 20 Nachbarstaaten zusammen.  

Auf einer Demonstration mit mehr als 70.000 Teilnehmenden in der moldauischen Hauptstadt hatte erst am Sonntag EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola den prowestlichen Kurs von Präsidentin Maia Sandu unterstützt. Das Land sei “bereit für die europäische Integration”, sagte sie auf der von Sandus PAS (Party of Action and Solidarity) veranstalteten Kundgebung. Sandu, die seit ihrer Wahl im November 2020 versucht, das Land näher an die EU zu rücken, sagte: “Wir sind gekommen, um laut, mit Selbstbewusstsein und Stolz zu sagen, dass der Platz Moldaus in der Europäischen Union ist.” 

Demonstrationen als Teil hybrider Kriegsführung

Die EU ist seit 2005 mit der European Union Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine (EUBAM) in dem an Rumänien und die Ukraine angrenzenden Kleinstaat präsent, um die Sicherheitsbehörden bei der Überwachung der Grenzen zu unterstützen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) unterhält bereits seit 2012 eine Mission in Moldau, um eine dauerhafte Lösung des Konflikts Moldaus mit Russland um die abtrünnige Region Transnistrien zu erreichen. 

Die EU-Annäherung Moldaus, die Ministerpräsident Dorin Recean seit seinem Amtsantritt im Februar forciert hat, wird von einer starken prorussischen Opposition infrage gestellt. Rund dreißig Prozent der 2,6 Millionen Bewohner Moldaus gehören der russischen Minderheit an.  

Russland übt über die Behörden in Transnistrien großen Einfluss auf die zwischen der Ukraine und Rumänien eingezwängte frühere Sowjetrepublik aus und organisiert immer wieder Kundgebungen mit dem Ziel, die Regierung in Chișinău zu destabilisieren. “Die Demonstrationen sind keine Bewegung aus der Gesellschaft heraus, sondern Teil der hybriden Kriegsführung”, sagt Brigitta Triebel, Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Chișinău. Das sei auch deshalb “gefährlich”, weil der moldauischen Regierung die Instrumente fehlten, “um gegen die Desinformation anzugehen”. Diese soll sie nun von der EU erhalten. 

Staatsfernsehen und Telegram Kanäle für Falschinformation

Moldau bietet unter anderem aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage den perfekten Nährboden für gezielte Desinformationskampagnen Russlands. Dazu nutzte Moskau bis zum Verbot im Dezember 2022 in erster Linie russisches Staatsfernsehen – und weiterhin den Kurzmitteilungsdienst Telegram sowie Facebook. So soll der prorussische Oligarch Ilan Shor in den vergangenen Monaten Facebook-Anzeigen gekauft haben, um Falschinformationen zu verbreiten und damit Moldaus Bevölkerung für Proteste gegen die Regierung zu mobilisieren.  

Völkerrechtlich gehört Transnistrien zwar zu Moldau, hatte sich aber nach Auflösung der Sowjetunion 1992 von der früheren Teilrepublik losgesagt. Bis heute sind 1.500 russische Soldaten hier stationiert. Bereits im Februar annullierte der russische Präsident Wladimir Putin ein Dekret von 2012, in dem festgelegt worden war, dass eine Lösung des Transnistrien-Konflikts nur “unter Einhaltung der Souveränität, territorialen Integrität und Neutralität von Moldawien” erfolgen könne.  

Ein weiterer Unruheherd ist die seit 1994 autonome Region Gagausien, die ebenfalls seit Jahren Ziel russischer Einflussnahme ist. Seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 sind zudem 780.000 Ukrainer über die Grenze geflüchtet.  

Russland reagiert irritiert

Vor diesem Hintergrund beginnt die EUPM nun ihre Arbeit – nur wenige Monate vor den Kommunalwahlen im Herbst, die ein weiteres Einfallstor für hybride Attacken seitens Russlands bieten. Nicht verwunderlich, dass Moskau irritiert auf den Beschluss zur Einrichtung der Mission im April reagierte. “Angesichts der veränderten Natur der EU, die sich zu einem geopolitischen Instrument der USA und der Nato entwickelt hat, ist es unwahrscheinlich, dass eine neue Präsenz in Moldau zur Stabilisierung der Situation im Land und in der angrenzenden Region beitragen wird”, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zaharova – und warf der EU vor, “von extern Kontrolle über die Republik Moldau auszuüben.” 

Die Spannungen zwischen Chișinău und Moskau weiter anheizen dürfte die Ankündigung des Sprechers des moldauischen Parlaments, Igor Grosu, von vergangener Woche, die Interparlamentarische Versammlung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu verlassen.  

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News

Armenien will Bergkarabach an Aserbaidschan abgeben

Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinyan hat am Montag erklärt, er sei bereit, die armenische Enklave Bergkarabach als Teil Aserbaidschans anzuerkennen. Bedingung sei, dass Aserbaidschan die Sicherheit der armenischen Bevölkerung dort garantiere.

Paschinyan reagiert damit auf den Druck aus der internationalen Gemeinschaft. Am Montag sagte er auf einer Pressekonferenz: “In der internationalen Gemeinschaft setzt sich immer mehr die Auffassung durch, dass Armenien und Aserbaidschan die territoriale Integrität des jeweils anderen Landes mit einer Fläche von 29.800 Quadratkilometern [Armenien] bzw. 86.600 Quadratkilometern [Aserbaidschan] vorbehaltlos anerkennen sollten und ein Dialog zwischen Baku und Stepanakert stattfinden muss, um die Rechte und die Sicherheit der Armenier in Berg-Karabach zu gewährleisten.”

Er sei zur Akzeptanz der international anerkannten Grenzen Aserbaidschans bereit, wenn die Rechte der Armenier in Bergkarabach garantiert würden. Diese Frage solle in Gesprächen zwischen Baku und Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs, erörtert werden.

Streit um Status der Bergkarabach-Bewohner

Rund 120.000 ethnische Armenier leben in der Region Bergkarabach, die aus völkerrechtlicher Sicht zu Aserbaidschan gehört. Seit der Unabhängigkeitserklärung Bergkarabachs von der Regierung in Baku 1991, kommt es immer wieder zu Konflikten. Zuletzt war 2020 ein Krieg mit rund 5000 Toten ausgebrochen. In den vergangenen Monaten haben sich die Spannungen zeitweise wieder verschärft. Baku übte immer mehr Druck auf Yerewan aus, in dem es Zufahrtsstraßen in die Region blockierte.

Seit Ende April finden zwischen Armenien und Aserbaidschan, mit Hilfe aus den USA und Brüssel, wieder Friedensverhandlungen statt. Einer der größten Streitpunkte war bislang der Status der Bewohner der Region Bergkarabach. Aserbaidschan fordert, dass die in Bergkarabach lebenden Armenier die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft annehmen, Armenien möchte einen Sonderstatus für die Bewohner. klm

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Scholz zögert bei Unterstützung von Kampfjet-Koalition

Die USA, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Niederlande haben die Weichen für die Lieferung westlicher Kampfjets an die Ukraine gestellt, Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt weiter zögerlich. Nach dem G7-Gipfel in Japan wollte sich Scholz nicht zu einer Beteiligung an einer Kampfjet-Koalition bekennen, wie sie der britische Premierminister Rishi Sunak vergangene Woche gefordert hatte.

Im ZDF sagte Scholz am Sonntag: “Das ist ein Projekt, das nicht von kurzer Dauer ist, das muss man sich immer klar sagen und die Entscheidung, ob und wann es zur Lieferung solcher Flugzeuge kommt, wird auch erst zu einem späteren Zeitpunkt getroffen.” Es gehe darum, die Ukraine jetzt zu unterstützen. Das sei das, was unmittelbar anstehe, sagte Scholz.

US-Präsident Joe Biden hatte bei dem Treffen in Hiroshima vergangene Woche angekündigt, ukrainische Piloten an F-16-Kampfjets auszubilden, um “die ukrainische Luftwaffe und die Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, als Teil eines langfristigen Engagements zu stärken”.

Sunaks Kampfjet-Koalitionsplänen wollen sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der niederländische Premierminister Mark Rutte anschließen. Allerdings verfügen weder Großbritannien noch Frankreich und Deutschland über F-16-Kampfflugzeuge. In Frankreich solle die Ausbildung der Piloten außerdem auf Französisch stattfinden, hieß es beim G7-Gipfel aus Kreisen des Élysée. Neben den USA und den Niederlanden kämen für F-16-Lieferungen unter anderem Polen, Belgien, Dänemark und Griechenland infrage. Die F-16 ist der weltweit meistverkaufte Kampfjet, aktuell werden rund 2.800 Exemplare genutzt. Deshalb gibt es auch einen großen Markt an Ersatzteilen für die Kampfgeräte. bub

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BND-Chef Kahl traut Russland langen Krieg zu

Der Präsident des Bundesnachrichtendiensts, Bruno Kahl, sieht derzeit keine Anzeichen für “Risse in dem System Putin”. Es weise nichts darauf hin, dass dessen Machtgefüge in absehbarer Zeit “ins Wanken” gerate, sagte er am Montagabend auf einer Veranstaltung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin. “Russland ist nach wie vor in der Lage, einen Krieg auf der langen Distanz gesehen zu führen”, so Kahl. Diese Strategie “könnte von Erfolg gekrönt sein”. Das schließe aber auch nicht aus, “dass es morgen implodiert”.

Kritik an der mangelnden Prognosefähigkeit des Bundesnachrichtendienstes im Vorfeld des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 wies Kahl zurück. Der BND sei sich in der Analyse der militärischen Lage mit den britischen, US-amerikanischen, französischen und italienischen Nachrichtendiensten einig gewesen. Jedoch verfügten vor allem die Partner aus den USA “auf dem Gefechtsfeld” in der Ukraine über erheblich größere “Ausrüstungskapazitäten” als der deutsche Auslandsgeheimdienst.

Anwendung von Waffengewalt durch China nicht ausgeschlossen

Der BND brauche sich, “was sein Wissen um militärische Potenzen Russlands” anbelange, dennoch “nicht zu verstecken”. Dieses sei beim BND anders als in anderen europäischen Diensten nach dem Ende der Blockkonfrontation “wachgehalten und frisch gehalten” worden, so Kahl, der seit 2017 an der Spitze des deutschen Auslandsgeheimdienstes steht.

Kahl warnte vor dem wachsenden Einfluss Chinas in Deutschland – nicht zuletzt im Wissenschaftssektor. So gebe es “40.000 chinesische Studenten im Land, die alle verpflichtet werden können, den Nachrichtendiensten zuzuarbeiten”, sagte er mit Blick auf die mangelnde Resilienz deutscher Behörden und Gesellschaft gegenüber Ausspähungsversuchen Chinas. So sei aus Sicht der Führung in Peking “Wissensvorsprung die entscheidende Kategorie”, um dem Anspruch gerecht zu werden, “bis 2049 die führende Weltmacht zu werden”. Der BND teile gegenüber Peking dieselbe Prognose wie gegenüber Moskau im Vorfeld der Ukraine-Invasion: “Wir schließen die Anwendung von Waffengewalt auch bei China nicht aus.” mrb

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Estland und Lettland kaufen zusammen Luftverteidigungssysteme IRIS-T SLM

Estland und Lettland wollen gemeinsam das von Diehl Defence in Überlingen produzierte Luftverteidigungssystem IRIS-T SLM kaufen. Dies wäre die größte militärische Beschaffung seit der Unabhängigkeit Lettlands 1991, erklärte die lettische Verteidigungsministerin Ināra Mūrniece am Sonntag.

Die Auslieferung der Systeme könnte estnischen und lettischen Angaben zufolge 2024 beginnen, einsetzbar seien die Systeme dann ab 2025. Bis dahin müssten die Soldaten entsprechend ausgebildet und die notwendige Infrastruktur aufgebaut worden sein.

Wie hoch die mögliche Auftragssumme sein wird, und wie viele Systeme gekauft werden sollen, und wo sie stationiert werden sollen, wurde nicht bekannt gegeben. Die Gespräche mit Diehl Defence seien noch nicht abgeschlossen, heißt es aus den Verteidigungsministerien beider Länder. Der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur erklärte aber, dass der Kauf einen Wert von mehreren Hundert Millionen Euro haben werde.

Das lettische Verteidigungsministerium arbeitet zurzeit an der Modernisierung seiner Verteidigungsfähigkeiten. Beschleunigt werden sollen die Verfahren zum Ausbau eines Küstenverteidigungssystems gegen Kriegsschiffe, Luftverteidigungssysteme mittlerer Reichweite sowie Raketenartillerie.

Bereits auf dem Nato-Gipfel in Madrid im Juni 2022 hatten Lettland und Estland eine Absichtserklärung über die Anschaffung von Luftverteidigungssystemen mittlerer Reichweite unterzeichnet. Zuvor war berichtet worden, dass für den Kauf der Luftverteidigungssysteme 600 Millionen Euro bereitgestellt werden könnten. klm

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Bundestag will Debatte über KI in Waffensystemen

Am Donnerstag wird sich der Unterausschuss “Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung” des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages mit der “Autonomie in Waffensystemen” beschäftigen. Der SPD-Obmann im Ausschuss, Ralf Stegner, erklärte gegenüber Table.Media: “Ungesteuerte KI ist eine der gefährlichsten Entwicklungen.” Hintergrund sind die ergebnislosen Verhandlungen über ein Regelwerk im Rahmen der UN-Waffenkonvention.

Seit 2014 bemüht sich die Convention on Certain Conventional Weapons (CCW) in Genf auf der Ebene von Regierungsexperten um eine Richtlinie zur Sicherstellung einer menschlichen Kontrolle in tödlichen automatischen Systemen, den sogenannten Lethal Autonomous Weapon Systems (LAWS). Bislang allerdings konnte keine Einigung erzielt werden, weil führende KI-Staaten wie die USA, China, Israel oder Südkorea diese blockieren.

Umso wichtiger sei es, so Stegner, dass der Bundestag die Debatte um eine Richtlinie vorantreibe: “Unsere Diskussion hier liegt deutlich hinter der technischen Entwicklung zurück.” Zwar steht im Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung: “Letale Autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab.” Bislang hat Deutschland aber keine klare Position. Von Expertenkreisen wird schon seit längerem eine Leitlinie der deutschen Regierung angemahnt, die den Einsatz von KI in Waffensystemen definiert.

Im Vorfeld der UN-Generalversammlung im September 2023 möchten SPD wie Grüne “einen völkerrechtlich verbindlichen Regulierungsrahmen für LAWS auf den Weg bringen”. SPD-Außenpolitiker Stegner geht davon aus, “dass wir das gemeinsam in der Ampel-Koalition durchsetzen”. nana

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  • Künstliche Intelligenz
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Presseschau

PRIF BLOG – Arab States’ Incentives Towards (not) Normalizing Relations with Syria – Islamists and Drug Trafficking? Arabische Staaten, die ihre Beziehungen zum syrischen Machthaber Baschar al-Assad verbessern wollen, haben dafür unterschiedliche Motive. Ähnlich wie Assad bekämpfen manche demokratische oder islamische Bewegungen, andere leiden an den Drogenexporten aus Syrien. Die Analyse von Mustafa Karahamad und Regine Schab von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung zeigt detailliert die vielen Problemfelder der Region, und macht keine hoffnungsvollen Prognosen.

GMF: Towards a Marshall Plan for Ukraine. Auf der Londoner Wiederaufbaukonferenz im Juni sollten die Unterstützer der Ukraine den Wiederaufbau des Landes strategisch ins Visier nehmen. Der German Marshall Fund of the United States (GMF) nennt in seinem neuen Policy-Paper fünf wichtige Bereiche, die dabei vorrangig behandelt werden sollten.

The Atlantic: It’s Not Enough for Ukraine to Win. Russia Has to Lose (Paywall). Ohne die Ukraine könne Russland kein Imperium sein und Russland müsse eine schmerzhafte Niederlage erfahren, um seine imperialistischen Ambitionen aufzugeben, schreibt Eliot A. Cohen. Seiner Argumentation muss man nicht folgen, aber sie lohnt sich zu lesen. In sehr hartem Ton (“die russische Niederlage muss ein blutiger Trümmerhaufen sein”) argumentiert er, warum und wie der Westen die Ukraine langfristig unterstützen soll.

Heads

Stefanie Babst – Offene Rechnung mit der Nato

Die Publizistin Stefanie Babst leitete bis 2020 den strategischen Planungsstab der Nato.

Eines kann Stefanie Babst überhaupt nicht gut: ruhig sitzen. Die ehemalige Leiterin des strategischen Planungsstabes der Nato rutscht ungeduldig auf einem Sofa im Berliner Hotel Adlon hin und her. Sie ist in Berlin, um ihr neues Buch vorzustellen.

Es kreist um die Frage, ob der Westen die richtigen Antworten auf die momentane Krise gefunden hat. Sie lässt sich nicht lange bitten und holt kurz Luft: “Wir sind in Deutschland sehenden Auges in die Katastrophe gerast – bis zum letzten Peng! Wir haben die Realität ein großes Stück weit ausgeblendet”.

“Sehendes Auges – Mut zum strategischen Kurswechsel” lautet der Titel ihres Buches. Darunter macht Stefanie Babst, 22 Jahre in höheren Positionen bei der Nato, es nicht. Man kann ihren leidenschaftlichen Essay auf zweierlei Weise lesen: als einen Abgesang auf einen schwächlichen Westen – oder als eine fulminante Streitschrift für eine grundlegende Neuaufstellung des Bündnisses.

In jedem Fall spürt man: Da hat noch jemand eine Rechnung mit der Nato offen. “Etliche Nato-Mitglieder sind gegen Russland in den letzten Jahren auf Autopilot gefahren, auch Deutschland. Sie wollten Putins Aggressionsgelüste einfach nicht sehen.”

22 Jahre bei der Nato

Angriffslustig blickt sie ihren Gegenüber an, bereit, jede Gegenrede zu parieren. Darin hat Babst, eine zierliche Frau, die gerne lacht und gestikuliert, einige Übung. Im Jahr 2013, ein Jahr vor der russischen Annexion der Krim, warnt sie in einem internen Papier vor Russlands Expansionismus und weist auf die Gefahren für die Ukraine hin. “Die Nato-Botschafter haben das Denkpapier zwar gelobt. Aber Folgen für den Kurs der Nato gegenüber Moskau hatte meine Warnung leider nicht.”

Nach dem Studium in ihrer Heimatstadt Kiel und an der Pennsylvania State University geht die promovierte Politologin als Gastdozentin an die Führungsakademie der Bundeswehr nach Hamburg. Es folgen Stationen an Universitäten in den USA, Russland, der Ukraine und Tschechien. Sie wird Wahlbeobachterin für die OSZE 1995/96 in Russland und geht schließlich 1998 zur Nato.

Die Nato-Jahre werden Babst prägen. “Ich hatte schon früh den Wunsch, in einer multilateralen Organisation zu arbeiten und dort Sicherheitspolitik mitzugestalten – so gut man das halt mit all den Beschränkungen kann.”

In der Nato macht sie schnell Karriere; sie wird 2006 stellvertretende beigeordnete Generalsekretärin in der Public Diplomacy Division. Und ist – mit knapp 42 – die ranghöchste deutsche Vertreterin bei der Nato. Als Leiterin des strategischen Planungsstabes bereitet sie viele Nato-Gipfel vor. 

Ex-Nato-Sprecher Jamie Shea hält Babst für eine der “besten Kennerinnen Russlands und transatlantischer Sicherheits- und Verteidigungsfragen”. Der dänische General Knud Bartels, ehemals Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, sagt: “Ich habe ihre strategische Meinung immer geschätzt.”

Forderungen nach Schutzgarantien für Ukraine

Vielleicht deshalb jetzt das Buch. Losgelöst von den Verpflichtungen, die man als Nato-Führungspersönlichkeit hat, spricht sie darin Tacheles: “Man sollte sich in der Nato konkrete Gedanken machen, welche Schutzgarantien man der Ukraine anbieten kann. Vielleicht mit einer Koalition der Willigen, die bereit ist, auch Truppen in der Ukraine zu stationieren.”

Vielen Experten gilt Babst deshalb als “hawky”. Es gibt aber auch eine ganz andere Babst. Eine entspannte Frau in Freizeit-Outfit sitzt auf einem Mauerabsatz an der heimischen Kieler Förde und lacht in die Kamera. Vor ihr steht “Ajas Maus”, ein hellbrauner, persischer Windhund. Auf ausgedehnten Spaziergängen lässt sie sich mit ihm den Wind um die Nase wehen. “Da schalte ich ab.”

Das Ausscheiden aus der Nato nach 22 intensiven Jahren ist ihr nicht leicht gefallen. Und man ahnt, dass es nicht unbedingt freiwillig war. Aber sie schweigt öffentlich über die Gründe. Und sucht sich eine neue Herausforderung. Zusammen mit Elisabeth Linder, lange Facebooks “Diplomatin” in Europa, gründet sie die Londoner Firma Brooch Associates. Die weiblich geführte Politikberatungs-Agentur analysiert vor allem aktuelle Krisen-Szenarien. Ihr Credo: “Wir müssen Putin deutliche Grenzen aufzeigen, im wahrsten Sinne des Wortes.” Nana Brink

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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    die ostukrainische Stadt Bachmut steht seit Monaten im Mittelpunkt der Kriegsberichterstattung – unabhängig von ihrer militärischen Bedeutung. Umso mehr Aufsehen erregte eine Äußerung Wolodymyr Selenskyjs auf dem G-7-Gipfel in Hiroshima. “Bachmut gibt es nur noch in unseren Herzen”, antwortete der ukrainische Präsident einem Journalisten, der ihm russische Siegesmeldungen vorhielt.

    Danach dementierte sein Sprecher zwar den Fall der Gemeinde unweit der russischen Grenze. Das Hin und Her Selenskyjs aber zeigt, dass die Einnahme des nach 14 Monaten Krieg dem Erdboben gleichgemachten Orts durch Milizionäre Jewgeni Prigoschins vielleicht unmittelbar bevorsteht. Mein Kollege Viktor Funk hat sich genauer angeschaut, welche Funktion der immer wieder mit harscher Kritik an der Militärführung in Moskau auffallende Chef der Söldnertruppe Wagner im System Wladimir Putins einnimmt.

    Destabilisierung durch Russland ausgesetzt sieht sich auch die Republik Moldau. Der proeuropäische Kurs von Präsidentin Maia Sandu stößt auch deshalb auf Kritik aus Moskau, weil Brüssel dem Staat mit 2,6 Millionen Einwohnern mit dem Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen noch dieses Jahr winkt. Kandidatenstatus erhielt Moldau bereits im Juni 2022 – am selben Tag wie die Ukraine.

    Weniger als ein Jahr später hat der rumänische Spitzendiplomat Cosmin Dinescu das Hauptquartier der von ihm geführten EU-Partnerschaftsmission (EUPM) mitten in Chișinău bezogen. Meine Kollegin Lisa-Martina Klein beschreibt, wie die erste EU-Mission im Bereich hybride Bedrohungen und Cybersicherheit die moldauischen Sicherheitsbehörden in ihrem Kampf gegen russischen Einfluss stärkt.

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    Putins Mann fürs Grobe braucht eine Pause

    Wagner-Chef Prigoschin verkündet die angebliche Eroberung Bachmuts
    Prigoschin will seine Leute schonen und zieht sie aus Bachmut ab.

    In weniger als sieben Monaten ist die ukrainische Stadt Bachmut komplett zerstört worden. Ihre Einwohner sind geflohen, viele starben. 70.000 Menschen lebten dort vor der Invasion der Russen im vergangenen Jahr, so viele wie in den deutschen Städten Bamberg oder Ingolstadt.

    Verantwortlich für die Verwüstung Bachmuts ist Jewgeni Prigoschin: Krimineller, Catering-Unternehmer und Gründer der kriegserfahrenen russischen Söldner-Gruppe Wagner. Prigoschin steht dem russischen Präsidenten so nahe, dass er sich Schimpftiraden gegen die Armeeführung erlauben darf, die jedem normalen Russen viele Jahre Strafkolonie einbringen würden.

    Aus Prigoschins Perspektive ist Bachmut nicht verwüstet, sondern von seiner Truppe erobert worden. Und weil diese Aufgabe erledigt sei, werde sich seine Truppe, von Donnerstag, 25. Mai, an, geordnet aus der Stadt zurückziehen und sie der Kontrolle der regulären russischen Armee übergeben, kündigte der Chef der Söldner am Samstag an.

    Der Söldner-Unternehmer stellt Kosten-Nutzen-Rechnung auf

    Der Unternehmer Prigoschin scheint verstanden zu haben, dass er im Moment militärisch in der Ukraine nichts gewinnen kann. Er darf kein Personal mehr in russischen Gefängnissen rekrutieren und auch die Versorgung mit Munition entspricht nicht seinen Vorstellungen. Das hat er mehrfach beklagt. Sein möglicher Rückzug – ob er ihn so umsetzen wird, ist offen – sagt deshalb weniger über die Situation an der Front und mehr über die schwierige Beziehung zwischen Prigoschin und der russischen Staatsführung aus.

    Kiew jedenfalls gibt Bachmut nicht verloren. Südwestliche Teile der Stadt seien noch unter ukrainischer Kontrolle, ebenso gebe es Vorstöße an den Flanken, so das Verteidigungsministerium Anfang der Woche.

    Wenn Prigoschin jetzt Bachmut der russischen Armee überlasen will, dann weil er seine eigenen, erfahrenen Leute schonen will. Nach Einschätzung der US-Analysten vom Institut for the Study of War (ISW) drohte Wagner eine Einkreisung durch ukrainische Kräfte. Dass Prigoschin offenbar bereit ist, reguläre russische Soldaten zu “opfern”, hatte jüngst erst ein Bericht der Washington Post deutlich gemacht. Insgesamt, so die aktuelle ISW-Analyse, seien die Kräfte Wagners erschöpft, sie könnten derzeit keine größeren Angriffe unternehmen.

    Kritik auf Bestellung

    Putins Mann fürs ganz Grobe hat sich in den vergangenen Monaten und Wochen immer wieder sehr heftige verbale Gefechte mit der russischen Armeeführung geliefert. Damit übernimmt er für den Kreml zwei wichtige Funktionen: Er geht rücksichtslos im Feld vor – und er übt rücksichtslose Kritik.

    Russlands Präsident Wladimir Putin, der durch diverse Gesetze jegliche Kritik an ihm und an der Armee verbieten ließ, braucht einen Hofnarr. Er allein darf die Kritik äußern, die dem Kreml nützt. Insofern sei der öffentliche Streit “kein Kampf der Eliten” in Russland, erläutert der Militärexperte Kirill Shamiev vom European Council on Foreign Relations (ECFR). “Prigoschin versteht es, sich gut zu positionieren. Er stellt sich als einen Kommandeur dar, der sich um die Soldaten kümmert. Er schimpft auf die Generäle. Das ist für Putin natürlich hilfreich, weil die normalen Bürger dann denken, dass die Generäle schuld seien, Putin selbst kann nichts für die Probleme”, sagt Shamiev im Gespräch mit Table.Media. “Prigoschin hat eine hervorragende PR-Agentur und wird gebraucht.”     

    Erstmals bekam Prigoschin sogar von Putin persönlich Anerkennung für seine Rolle in Bachmut. Der russische Präsident und das russische Verteidigungsministerium gratulierten ihm in der Nacht auf Sonntag. Dieser Schritt kann eine Reaktion darauf sein, dass Prigoschin “seinen Sieg” über soziale Medien bereits so weit bekannt gemacht hat, dass Moskau seine Rolle nicht mehr verschweigen konnte. Was Prigoschin als Nächstes plant, lässt er in seiner Stellungnahme offen.

    Der FSB ist über Prigoschins Autonomie nicht glücklich

    Mit seinem eigenen Presseservice auf Telegram, auf dem er Anfragen verschiedener Medien und seine Antworten veröffentlicht, erreicht er mehr als 423.000 Abonnenten. Dort kann er es sich auch erlauben, auf die wichtigsten staatlichen Medien zu schimpfen. Es gibt offenbar keinen Bereich, den der Kreml orchestriert, auf den Prigoschin nicht schimpfen darf – außer auf Putin.

    Die Wagner-Gruppe sei die am stärksten autonome private militärische Struktur in Russland, erläutert Kirill Shamiev. Es habe während des Krieges Versuche gegeben, sie zu integrieren. “Der Chef der russischen Streitkräfte, Waleri Gerassimow, hat genau verstanden, dass solche autonomen Strukturen ein Risiko für die Führung sind und hatte versucht, Wagner einzubinden, aber ohne Erfolg.”

    Ob Prigoschin selbst politische Ambitionen habe, sei unklar, sagt Shamiev. “Er hat sich mit zu vielen zerstritten. Auch der FSB ist nicht besonders glücklich über ihn, weil er nicht unter deren Kontrolle steht. Er ist ähnlich wie Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow: eine Ausnahme in der russischen Machtstruktur. Eine gefährliche Ausnahme.”

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    Moldau: EU-Mission soll Sicherheitssektor gegen hybride Bedrohungen stärken

    Neben Finanzhilfen in Höhe von 145 Millionen Euro und Unterstützung beim Grenzschutz, werden künftig bis zu vierzig Beamte im Rahmen der EU-Partnerschaftsmission in Moldau (EUPM Moldova) die moldauische Regierung dabei unterstützen, effizienter gegen die hybriden Bedrohungen aus Russland vorzugehen. Bereits Mitte Mai nahm der Leiter der Mission, der rumänische Diplomat Cosmin Dinescu, seine Arbeit in Chișinău auf. Das von der EU im April genehmigte Mandat läuft vorerst bis Mai 2025. 

    Die EUPM Moldau ist die erste Mission der EU im Rahmen ihrer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Bereich hybride Bedrohungen und Cybersicherheit. Das verschafft dem vergleichsweise kleinen Einsatz mit dem Ziel, die Widerstandsfähigkeit des Sicherheitssektors zu stärken, hohe symbolische Bedeutung und Sichtbarkeit. Dem verleiht die EU durch den Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft am 1. Juni zusätzlich Ausdruck: Die Spitzen der 27 EU-Länder kommen dann in Chișinău mit denen der 20 Nachbarstaaten zusammen.  

    Auf einer Demonstration mit mehr als 70.000 Teilnehmenden in der moldauischen Hauptstadt hatte erst am Sonntag EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola den prowestlichen Kurs von Präsidentin Maia Sandu unterstützt. Das Land sei “bereit für die europäische Integration”, sagte sie auf der von Sandus PAS (Party of Action and Solidarity) veranstalteten Kundgebung. Sandu, die seit ihrer Wahl im November 2020 versucht, das Land näher an die EU zu rücken, sagte: “Wir sind gekommen, um laut, mit Selbstbewusstsein und Stolz zu sagen, dass der Platz Moldaus in der Europäischen Union ist.” 

    Demonstrationen als Teil hybrider Kriegsführung

    Die EU ist seit 2005 mit der European Union Border Assistance Mission to Moldova and Ukraine (EUBAM) in dem an Rumänien und die Ukraine angrenzenden Kleinstaat präsent, um die Sicherheitsbehörden bei der Überwachung der Grenzen zu unterstützen. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) unterhält bereits seit 2012 eine Mission in Moldau, um eine dauerhafte Lösung des Konflikts Moldaus mit Russland um die abtrünnige Region Transnistrien zu erreichen. 

    Die EU-Annäherung Moldaus, die Ministerpräsident Dorin Recean seit seinem Amtsantritt im Februar forciert hat, wird von einer starken prorussischen Opposition infrage gestellt. Rund dreißig Prozent der 2,6 Millionen Bewohner Moldaus gehören der russischen Minderheit an.  

    Russland übt über die Behörden in Transnistrien großen Einfluss auf die zwischen der Ukraine und Rumänien eingezwängte frühere Sowjetrepublik aus und organisiert immer wieder Kundgebungen mit dem Ziel, die Regierung in Chișinău zu destabilisieren. “Die Demonstrationen sind keine Bewegung aus der Gesellschaft heraus, sondern Teil der hybriden Kriegsführung”, sagt Brigitta Triebel, Leiterin des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Chișinău. Das sei auch deshalb “gefährlich”, weil der moldauischen Regierung die Instrumente fehlten, “um gegen die Desinformation anzugehen”. Diese soll sie nun von der EU erhalten. 

    Staatsfernsehen und Telegram Kanäle für Falschinformation

    Moldau bietet unter anderem aufgrund der angespannten wirtschaftlichen Lage den perfekten Nährboden für gezielte Desinformationskampagnen Russlands. Dazu nutzte Moskau bis zum Verbot im Dezember 2022 in erster Linie russisches Staatsfernsehen – und weiterhin den Kurzmitteilungsdienst Telegram sowie Facebook. So soll der prorussische Oligarch Ilan Shor in den vergangenen Monaten Facebook-Anzeigen gekauft haben, um Falschinformationen zu verbreiten und damit Moldaus Bevölkerung für Proteste gegen die Regierung zu mobilisieren.  

    Völkerrechtlich gehört Transnistrien zwar zu Moldau, hatte sich aber nach Auflösung der Sowjetunion 1992 von der früheren Teilrepublik losgesagt. Bis heute sind 1.500 russische Soldaten hier stationiert. Bereits im Februar annullierte der russische Präsident Wladimir Putin ein Dekret von 2012, in dem festgelegt worden war, dass eine Lösung des Transnistrien-Konflikts nur “unter Einhaltung der Souveränität, territorialen Integrität und Neutralität von Moldawien” erfolgen könne.  

    Ein weiterer Unruheherd ist die seit 1994 autonome Region Gagausien, die ebenfalls seit Jahren Ziel russischer Einflussnahme ist. Seit Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 sind zudem 780.000 Ukrainer über die Grenze geflüchtet.  

    Russland reagiert irritiert

    Vor diesem Hintergrund beginnt die EUPM nun ihre Arbeit – nur wenige Monate vor den Kommunalwahlen im Herbst, die ein weiteres Einfallstor für hybride Attacken seitens Russlands bieten. Nicht verwunderlich, dass Moskau irritiert auf den Beschluss zur Einrichtung der Mission im April reagierte. “Angesichts der veränderten Natur der EU, die sich zu einem geopolitischen Instrument der USA und der Nato entwickelt hat, ist es unwahrscheinlich, dass eine neue Präsenz in Moldau zur Stabilisierung der Situation im Land und in der angrenzenden Region beitragen wird”, sagte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zaharova – und warf der EU vor, “von extern Kontrolle über die Republik Moldau auszuüben.” 

    Die Spannungen zwischen Chișinău und Moskau weiter anheizen dürfte die Ankündigung des Sprechers des moldauischen Parlaments, Igor Grosu, von vergangener Woche, die Interparlamentarische Versammlung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zu verlassen.  

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    Armenien will Bergkarabach an Aserbaidschan abgeben

    Armeniens Ministerpräsident Nikol Paschinyan hat am Montag erklärt, er sei bereit, die armenische Enklave Bergkarabach als Teil Aserbaidschans anzuerkennen. Bedingung sei, dass Aserbaidschan die Sicherheit der armenischen Bevölkerung dort garantiere.

    Paschinyan reagiert damit auf den Druck aus der internationalen Gemeinschaft. Am Montag sagte er auf einer Pressekonferenz: “In der internationalen Gemeinschaft setzt sich immer mehr die Auffassung durch, dass Armenien und Aserbaidschan die territoriale Integrität des jeweils anderen Landes mit einer Fläche von 29.800 Quadratkilometern [Armenien] bzw. 86.600 Quadratkilometern [Aserbaidschan] vorbehaltlos anerkennen sollten und ein Dialog zwischen Baku und Stepanakert stattfinden muss, um die Rechte und die Sicherheit der Armenier in Berg-Karabach zu gewährleisten.”

    Er sei zur Akzeptanz der international anerkannten Grenzen Aserbaidschans bereit, wenn die Rechte der Armenier in Bergkarabach garantiert würden. Diese Frage solle in Gesprächen zwischen Baku und Stepanakert, der Hauptstadt Bergkarabachs, erörtert werden.

    Streit um Status der Bergkarabach-Bewohner

    Rund 120.000 ethnische Armenier leben in der Region Bergkarabach, die aus völkerrechtlicher Sicht zu Aserbaidschan gehört. Seit der Unabhängigkeitserklärung Bergkarabachs von der Regierung in Baku 1991, kommt es immer wieder zu Konflikten. Zuletzt war 2020 ein Krieg mit rund 5000 Toten ausgebrochen. In den vergangenen Monaten haben sich die Spannungen zeitweise wieder verschärft. Baku übte immer mehr Druck auf Yerewan aus, in dem es Zufahrtsstraßen in die Region blockierte.

    Seit Ende April finden zwischen Armenien und Aserbaidschan, mit Hilfe aus den USA und Brüssel, wieder Friedensverhandlungen statt. Einer der größten Streitpunkte war bislang der Status der Bewohner der Region Bergkarabach. Aserbaidschan fordert, dass die in Bergkarabach lebenden Armenier die aserbaidschanische Staatsbürgerschaft annehmen, Armenien möchte einen Sonderstatus für die Bewohner. klm

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    Scholz zögert bei Unterstützung von Kampfjet-Koalition

    Die USA, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Niederlande haben die Weichen für die Lieferung westlicher Kampfjets an die Ukraine gestellt, Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt weiter zögerlich. Nach dem G7-Gipfel in Japan wollte sich Scholz nicht zu einer Beteiligung an einer Kampfjet-Koalition bekennen, wie sie der britische Premierminister Rishi Sunak vergangene Woche gefordert hatte.

    Im ZDF sagte Scholz am Sonntag: “Das ist ein Projekt, das nicht von kurzer Dauer ist, das muss man sich immer klar sagen und die Entscheidung, ob und wann es zur Lieferung solcher Flugzeuge kommt, wird auch erst zu einem späteren Zeitpunkt getroffen.” Es gehe darum, die Ukraine jetzt zu unterstützen. Das sei das, was unmittelbar anstehe, sagte Scholz.

    US-Präsident Joe Biden hatte bei dem Treffen in Hiroshima vergangene Woche angekündigt, ukrainische Piloten an F-16-Kampfjets auszubilden, um “die ukrainische Luftwaffe und die Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, als Teil eines langfristigen Engagements zu stärken”.

    Sunaks Kampfjet-Koalitionsplänen wollen sich auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der niederländische Premierminister Mark Rutte anschließen. Allerdings verfügen weder Großbritannien noch Frankreich und Deutschland über F-16-Kampfflugzeuge. In Frankreich solle die Ausbildung der Piloten außerdem auf Französisch stattfinden, hieß es beim G7-Gipfel aus Kreisen des Élysée. Neben den USA und den Niederlanden kämen für F-16-Lieferungen unter anderem Polen, Belgien, Dänemark und Griechenland infrage. Die F-16 ist der weltweit meistverkaufte Kampfjet, aktuell werden rund 2.800 Exemplare genutzt. Deshalb gibt es auch einen großen Markt an Ersatzteilen für die Kampfgeräte. bub

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    BND-Chef Kahl traut Russland langen Krieg zu

    Der Präsident des Bundesnachrichtendiensts, Bruno Kahl, sieht derzeit keine Anzeichen für “Risse in dem System Putin”. Es weise nichts darauf hin, dass dessen Machtgefüge in absehbarer Zeit “ins Wanken” gerate, sagte er am Montagabend auf einer Veranstaltung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin. “Russland ist nach wie vor in der Lage, einen Krieg auf der langen Distanz gesehen zu führen”, so Kahl. Diese Strategie “könnte von Erfolg gekrönt sein”. Das schließe aber auch nicht aus, “dass es morgen implodiert”.

    Kritik an der mangelnden Prognosefähigkeit des Bundesnachrichtendienstes im Vorfeld des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 wies Kahl zurück. Der BND sei sich in der Analyse der militärischen Lage mit den britischen, US-amerikanischen, französischen und italienischen Nachrichtendiensten einig gewesen. Jedoch verfügten vor allem die Partner aus den USA “auf dem Gefechtsfeld” in der Ukraine über erheblich größere “Ausrüstungskapazitäten” als der deutsche Auslandsgeheimdienst.

    Anwendung von Waffengewalt durch China nicht ausgeschlossen

    Der BND brauche sich, “was sein Wissen um militärische Potenzen Russlands” anbelange, dennoch “nicht zu verstecken”. Dieses sei beim BND anders als in anderen europäischen Diensten nach dem Ende der Blockkonfrontation “wachgehalten und frisch gehalten” worden, so Kahl, der seit 2017 an der Spitze des deutschen Auslandsgeheimdienstes steht.

    Kahl warnte vor dem wachsenden Einfluss Chinas in Deutschland – nicht zuletzt im Wissenschaftssektor. So gebe es “40.000 chinesische Studenten im Land, die alle verpflichtet werden können, den Nachrichtendiensten zuzuarbeiten”, sagte er mit Blick auf die mangelnde Resilienz deutscher Behörden und Gesellschaft gegenüber Ausspähungsversuchen Chinas. So sei aus Sicht der Führung in Peking “Wissensvorsprung die entscheidende Kategorie”, um dem Anspruch gerecht zu werden, “bis 2049 die führende Weltmacht zu werden”. Der BND teile gegenüber Peking dieselbe Prognose wie gegenüber Moskau im Vorfeld der Ukraine-Invasion: “Wir schließen die Anwendung von Waffengewalt auch bei China nicht aus.” mrb

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    Estland und Lettland kaufen zusammen Luftverteidigungssysteme IRIS-T SLM

    Estland und Lettland wollen gemeinsam das von Diehl Defence in Überlingen produzierte Luftverteidigungssystem IRIS-T SLM kaufen. Dies wäre die größte militärische Beschaffung seit der Unabhängigkeit Lettlands 1991, erklärte die lettische Verteidigungsministerin Ināra Mūrniece am Sonntag.

    Die Auslieferung der Systeme könnte estnischen und lettischen Angaben zufolge 2024 beginnen, einsetzbar seien die Systeme dann ab 2025. Bis dahin müssten die Soldaten entsprechend ausgebildet und die notwendige Infrastruktur aufgebaut worden sein.

    Wie hoch die mögliche Auftragssumme sein wird, und wie viele Systeme gekauft werden sollen, und wo sie stationiert werden sollen, wurde nicht bekannt gegeben. Die Gespräche mit Diehl Defence seien noch nicht abgeschlossen, heißt es aus den Verteidigungsministerien beider Länder. Der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur erklärte aber, dass der Kauf einen Wert von mehreren Hundert Millionen Euro haben werde.

    Das lettische Verteidigungsministerium arbeitet zurzeit an der Modernisierung seiner Verteidigungsfähigkeiten. Beschleunigt werden sollen die Verfahren zum Ausbau eines Küstenverteidigungssystems gegen Kriegsschiffe, Luftverteidigungssysteme mittlerer Reichweite sowie Raketenartillerie.

    Bereits auf dem Nato-Gipfel in Madrid im Juni 2022 hatten Lettland und Estland eine Absichtserklärung über die Anschaffung von Luftverteidigungssystemen mittlerer Reichweite unterzeichnet. Zuvor war berichtet worden, dass für den Kauf der Luftverteidigungssysteme 600 Millionen Euro bereitgestellt werden könnten. klm

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    Bundestag will Debatte über KI in Waffensystemen

    Am Donnerstag wird sich der Unterausschuss “Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung” des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages mit der “Autonomie in Waffensystemen” beschäftigen. Der SPD-Obmann im Ausschuss, Ralf Stegner, erklärte gegenüber Table.Media: “Ungesteuerte KI ist eine der gefährlichsten Entwicklungen.” Hintergrund sind die ergebnislosen Verhandlungen über ein Regelwerk im Rahmen der UN-Waffenkonvention.

    Seit 2014 bemüht sich die Convention on Certain Conventional Weapons (CCW) in Genf auf der Ebene von Regierungsexperten um eine Richtlinie zur Sicherstellung einer menschlichen Kontrolle in tödlichen automatischen Systemen, den sogenannten Lethal Autonomous Weapon Systems (LAWS). Bislang allerdings konnte keine Einigung erzielt werden, weil führende KI-Staaten wie die USA, China, Israel oder Südkorea diese blockieren.

    Umso wichtiger sei es, so Stegner, dass der Bundestag die Debatte um eine Richtlinie vorantreibe: “Unsere Diskussion hier liegt deutlich hinter der technischen Entwicklung zurück.” Zwar steht im Koalitionsvertrag der jetzigen Regierung: “Letale Autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab.” Bislang hat Deutschland aber keine klare Position. Von Expertenkreisen wird schon seit längerem eine Leitlinie der deutschen Regierung angemahnt, die den Einsatz von KI in Waffensystemen definiert.

    Im Vorfeld der UN-Generalversammlung im September 2023 möchten SPD wie Grüne “einen völkerrechtlich verbindlichen Regulierungsrahmen für LAWS auf den Weg bringen”. SPD-Außenpolitiker Stegner geht davon aus, “dass wir das gemeinsam in der Ampel-Koalition durchsetzen”. nana

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    Presseschau

    PRIF BLOG – Arab States’ Incentives Towards (not) Normalizing Relations with Syria – Islamists and Drug Trafficking? Arabische Staaten, die ihre Beziehungen zum syrischen Machthaber Baschar al-Assad verbessern wollen, haben dafür unterschiedliche Motive. Ähnlich wie Assad bekämpfen manche demokratische oder islamische Bewegungen, andere leiden an den Drogenexporten aus Syrien. Die Analyse von Mustafa Karahamad und Regine Schab von der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung zeigt detailliert die vielen Problemfelder der Region, und macht keine hoffnungsvollen Prognosen.

    GMF: Towards a Marshall Plan for Ukraine. Auf der Londoner Wiederaufbaukonferenz im Juni sollten die Unterstützer der Ukraine den Wiederaufbau des Landes strategisch ins Visier nehmen. Der German Marshall Fund of the United States (GMF) nennt in seinem neuen Policy-Paper fünf wichtige Bereiche, die dabei vorrangig behandelt werden sollten.

    The Atlantic: It’s Not Enough for Ukraine to Win. Russia Has to Lose (Paywall). Ohne die Ukraine könne Russland kein Imperium sein und Russland müsse eine schmerzhafte Niederlage erfahren, um seine imperialistischen Ambitionen aufzugeben, schreibt Eliot A. Cohen. Seiner Argumentation muss man nicht folgen, aber sie lohnt sich zu lesen. In sehr hartem Ton (“die russische Niederlage muss ein blutiger Trümmerhaufen sein”) argumentiert er, warum und wie der Westen die Ukraine langfristig unterstützen soll.

    Heads

    Stefanie Babst – Offene Rechnung mit der Nato

    Die Publizistin Stefanie Babst leitete bis 2020 den strategischen Planungsstab der Nato.

    Eines kann Stefanie Babst überhaupt nicht gut: ruhig sitzen. Die ehemalige Leiterin des strategischen Planungsstabes der Nato rutscht ungeduldig auf einem Sofa im Berliner Hotel Adlon hin und her. Sie ist in Berlin, um ihr neues Buch vorzustellen.

    Es kreist um die Frage, ob der Westen die richtigen Antworten auf die momentane Krise gefunden hat. Sie lässt sich nicht lange bitten und holt kurz Luft: “Wir sind in Deutschland sehenden Auges in die Katastrophe gerast – bis zum letzten Peng! Wir haben die Realität ein großes Stück weit ausgeblendet”.

    “Sehendes Auges – Mut zum strategischen Kurswechsel” lautet der Titel ihres Buches. Darunter macht Stefanie Babst, 22 Jahre in höheren Positionen bei der Nato, es nicht. Man kann ihren leidenschaftlichen Essay auf zweierlei Weise lesen: als einen Abgesang auf einen schwächlichen Westen – oder als eine fulminante Streitschrift für eine grundlegende Neuaufstellung des Bündnisses.

    In jedem Fall spürt man: Da hat noch jemand eine Rechnung mit der Nato offen. “Etliche Nato-Mitglieder sind gegen Russland in den letzten Jahren auf Autopilot gefahren, auch Deutschland. Sie wollten Putins Aggressionsgelüste einfach nicht sehen.”

    22 Jahre bei der Nato

    Angriffslustig blickt sie ihren Gegenüber an, bereit, jede Gegenrede zu parieren. Darin hat Babst, eine zierliche Frau, die gerne lacht und gestikuliert, einige Übung. Im Jahr 2013, ein Jahr vor der russischen Annexion der Krim, warnt sie in einem internen Papier vor Russlands Expansionismus und weist auf die Gefahren für die Ukraine hin. “Die Nato-Botschafter haben das Denkpapier zwar gelobt. Aber Folgen für den Kurs der Nato gegenüber Moskau hatte meine Warnung leider nicht.”

    Nach dem Studium in ihrer Heimatstadt Kiel und an der Pennsylvania State University geht die promovierte Politologin als Gastdozentin an die Führungsakademie der Bundeswehr nach Hamburg. Es folgen Stationen an Universitäten in den USA, Russland, der Ukraine und Tschechien. Sie wird Wahlbeobachterin für die OSZE 1995/96 in Russland und geht schließlich 1998 zur Nato.

    Die Nato-Jahre werden Babst prägen. “Ich hatte schon früh den Wunsch, in einer multilateralen Organisation zu arbeiten und dort Sicherheitspolitik mitzugestalten – so gut man das halt mit all den Beschränkungen kann.”

    In der Nato macht sie schnell Karriere; sie wird 2006 stellvertretende beigeordnete Generalsekretärin in der Public Diplomacy Division. Und ist – mit knapp 42 – die ranghöchste deutsche Vertreterin bei der Nato. Als Leiterin des strategischen Planungsstabes bereitet sie viele Nato-Gipfel vor. 

    Ex-Nato-Sprecher Jamie Shea hält Babst für eine der “besten Kennerinnen Russlands und transatlantischer Sicherheits- und Verteidigungsfragen”. Der dänische General Knud Bartels, ehemals Vorsitzender des Nato-Militärausschusses, sagt: “Ich habe ihre strategische Meinung immer geschätzt.”

    Forderungen nach Schutzgarantien für Ukraine

    Vielleicht deshalb jetzt das Buch. Losgelöst von den Verpflichtungen, die man als Nato-Führungspersönlichkeit hat, spricht sie darin Tacheles: “Man sollte sich in der Nato konkrete Gedanken machen, welche Schutzgarantien man der Ukraine anbieten kann. Vielleicht mit einer Koalition der Willigen, die bereit ist, auch Truppen in der Ukraine zu stationieren.”

    Vielen Experten gilt Babst deshalb als “hawky”. Es gibt aber auch eine ganz andere Babst. Eine entspannte Frau in Freizeit-Outfit sitzt auf einem Mauerabsatz an der heimischen Kieler Förde und lacht in die Kamera. Vor ihr steht “Ajas Maus”, ein hellbrauner, persischer Windhund. Auf ausgedehnten Spaziergängen lässt sie sich mit ihm den Wind um die Nase wehen. “Da schalte ich ab.”

    Das Ausscheiden aus der Nato nach 22 intensiven Jahren ist ihr nicht leicht gefallen. Und man ahnt, dass es nicht unbedingt freiwillig war. Aber sie schweigt öffentlich über die Gründe. Und sucht sich eine neue Herausforderung. Zusammen mit Elisabeth Linder, lange Facebooks “Diplomatin” in Europa, gründet sie die Londoner Firma Brooch Associates. Die weiblich geführte Politikberatungs-Agentur analysiert vor allem aktuelle Krisen-Szenarien. Ihr Credo: “Wir müssen Putin deutliche Grenzen aufzeigen, im wahrsten Sinne des Wortes.” Nana Brink

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