Table.Briefing: Security

Krieg mit Drohnen + Probleme der VJTF + Amerikanische Waffen in der Ukraine

  • Drohnen werden zur Massenware im Krieg
  • Ulrike Franke: “Die Bundeswehr weiß, dass ihr viele Fähigkeiten fehlen”
  • Amerikanische Game-Changer in der Ukraine
  • Deutschland übernimmt die VJTF-Führung – und bringt viele Probleme mit
  • Leopard-2-Panzer für die Ukraine: Finnische Initiative setzt Deutschland unter Druck
  • Hersteller: Fast alle Schäden an Pumas “waren Bagatellen”
  • Russland könnte Männer an Ausreise hindern
  • Standpunkt: Florence Gaub mit einem geopolitischen Jahreshoroskop
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Probleme der Bundeswehr sind größer als es der Öffentlichkeit zuweilen klar ist. Die Diskussionen über militärische Hilfe für die Ukraine haben so einige Baustellen offengelegt. Munitionsmangel und der Streit über die Einsatzfähigkeit des Gefechtsfahrzeugs Puma sind nur zwei davon. Ein weiteres Problem drängt sich mit der Frage auf: Ist die Bundeswehr auf den modernen Drohnen-Krieg vorbereitet? Nana Brink und Viktor Funk zeigen in einem Drohnen-Schwerpunkt: eher nein.

Deutschland führt seit 1. Januar die schnelle Nato-Eingreiftruppe VJTF an. Thomas Wiegold erläutert, was das bedeutet und welche ungelösten Aufgaben dringend bewältigt werden müssen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass Deutschland die Führung länger als geplant, mehr als ein Jahr, innehaben wird – gut möglich, dass Großbritannien seine Nachfolgerolle nicht pünktlich einnehmen kann.  

Alles wichtige Sachthemen, doch in der politischen Diskussion über die Bundeswehr geht es in diesen Tagen eher um die Person der Verteidigungsministerin. Christine Lambrecht hat ein – milde geurteilt – unsensibles Neujahrs-Video auf ihrem eigenen Instagram-Kanal veröffentlicht. Auf die Bitte am Montag in der Bundespressekonferenz, ob ihr Ministerium dieses Video einordnen könne, sagte der stellvertretende Sprecher Oberst Arne Collatz, die Worte der Ministerin stünden “für sich”. Nachfragen lächelte Collatz weg. Das Ministerium sieht den erneuten Fauxpas der Ministerin also nicht als ein Problem des Hauses. Noch nicht.    

In dieser Ausgabe des Security.Tables ordnet Marco Seliger ferner ein, welche US-Waffen in der Ukraine welche Wirkung hatten. Das hilft, fundierter über militärische Hilfe zu sprechen, denn die Leopard-2-Debatte nimmt erst Fahrt auf. Außerdem wagt Analystin und Militärexpertin Florence Gaub einen geopolitischen Ausblick. So viel vorab: Es hilft nicht, etwas zu beschönigen, man sollte sich besser auf die Zukunft vorbereiten. Siehe Bundeswehr.

Übrigens: Wir haben den Security.Table für Sie erweitertim Berlin.Table finden Sie vom heutigen Abend an in unserem Late.Night Memo für die Hauptstadt bereits abends das Wichtigste aus der Bundespolitik mit Security-Bezug. Wir sind gespannt, wie es Ihnen gefällt.

Das Security-Team wünscht Ihnen alles Gute für 2023! Bleiben Sie gesund. Und sicher.

Ihr
Viktor Funk
Bild von Viktor  Funk

Analyse

Drohnen werden zur Massenware im Krieg

Aufklärungsdrohnen, Kamikaze-Drohnen, militärische Drohnen mit Raketen, zivile Drohnen mit Sprengkörpern – in keinem anderen Krieg bisher sind so viele unbemannte Fluggeräte im Einsatz, wie in der Ukraine. Besonders in den ersten Kriegswochen haben etwa die türkischen Bayraktar TB2 der ukrainischen Verteidigung geholfen, das Vorrücken der russischen Truppen auf Kiew zu stoppen. Oder die strategisch wichtige Schlangen-Insel vor der Westküste der Ukraine zu befreien.

Inzwischen ist weniger von den TB2 zu hören. Unklar ist, ob die russische Armee ein effektives Mittel gegen sie gefunden hat oder hier diplomatische Gründe eine Rolle spielen. Im Gegensatz zum Beginn des Krieges setzt Russland selbst jetzt stärker auf Drohnen.

Drohnen für Moskau, Schiffe und Jets für Teheran

Aus Mangel an eigener Technik kauft Russland verstärkt iranische Drohnen des Systems Shahed-136. Nach Angaben aus den USA sollen es bis zu 6000 sein, die vor allem gegen die ukrainische Infrastruktur eingesetzt werden. Im Gegenzug liefert Russland eigenes militärisches Knowhow für die iranische Luftwaffe und die Marine. 

Für Deutschland hat der Drohnen-Krieg in der Ukraine ebenfalls Folgen. Er hat womöglich eine alte Debatte überholt: Stellt sich die Frage nach der Bewaffnung von Drohnen noch? Müsste die deutsche Politik nicht viel mehr darüber diskutieren, für welche Einsatzszenarien welche Technik entwickelt oder eingekauft werden sollte, fragt etwa Drohnen-Expertin Ulrike Franke im Interview mit Security.Table (Siehe das Interview in dieser Ausgabe).

Verbreitung der Technik ist schwer zu stoppen

Und noch ein Moment des Drohnen-Krieges in der Ukraine sollte mehr Beachtung finden: Für die zivile Nutzung bestimmte Drohnen – siehe Dual Use – werden massenweise für den Krieg umgerüstet. Ein Sicherheitsrisiko auch dort, wo kein Krieg stattfindet.

Was nach zehn Monaten Krieg klar ist: 

  • Egal, welche Seite Drohnen einsetzt: Wesentliche Bauelemente in den militärischen Drohnen sind in westlichen Industriestaaten entwickelt oder gefertigt. Laut der britischen unabhängigen Untersuchungsorganisation Conflict Armament Research sollen 82,5 Prozent der Bauteile iranischer Drohnen von US-amerikanischen Firmen kommen.
  • China spielt insbesondere bei zivilen Drohnen, die in der Ukraine eingesetzt werden, eine bedeutende Rolle. Außerdem soll China Iran mit Bauteilen für die Drohnen-Produktion versorgen.
  • Russland setzt auf Masse: Damit soll nicht nur die Chance erhöht werden, dass einzelne Drohnen durch die ukrainische Luftverteidigung durchkommen, sondern die Flugabwehr soll durch den Verbrauch von Munition und Raketen auch geschwächt – übersättigt – werden.
  • Die Verlustrate der Geräte ist “extrem hoch”, schreiben Analysten des britischen Thinktanks Rusi. Demnach könne die ukrainische Armee durchschnittlich sechsmal eine Drohne einsetzen, bis sie verloren geht. 
  • Das Thema Drohnenabwehr wird eine sehr große Rolle für alle Streitkräfte spielen – wie auch zuletzt der Schock in Südkorea über nordkoreanische Drohnen zeigt.

USA und Israel wollen Irans Drohnen-Programm treffen

Die Verbreitung der Drohnen und der Zugang der russischen und iranischen Armeen zu dieser Technik trotz Sanktionen stellt die Frage nach Kontrollen über bestimmte Exportgüter. Unternehmen wie der kanadische Antennen-Hersteller Tallysman Wireless oder der österreichische Motorenhersteller Rotax Motoren haben eigene Untersuchungen über die Verbreitungswege angekündigt.

Die USA suchen nun speziell mit Israel nach Wegen, das iranische Drohnen-Programm zu schwächen. Die Sicherheitskooperation beider Länder gegen den Iran verlangsamt auch das iranische Atomprogramm seit vielen Jahren. Ganz stoppen lässt es sich bisher aber nicht. Ähnliches erwarten Fachleute auch beim Drohnen-Programm. Nana Brink, Viktor Funk

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Drohnen – “Die Bundeswehr weiß, dass ihr viele Fähigkeiten fehlen”

Porträtfoto von Ulrike Franke (European Council on Foreign Relations) in weißem Oberteil vor weißem Hinntegrund. Sie hat ihren Kopf zu Seite gedreht.
Ulrike Franke ist Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations in London und forscht zum Drohnen-Einsatz.

Frau Franke, noch nie waren so viele Drohnen in einem kriegerischen Konflikt im Einsatz wie in der Ukraine. Welche Drohnen sehen wir dort?

In der Ukraine findet sich eine große Bandbreite an Drohnen. Das geht von kleinen Systemen, oft auch zivil, zu größeren, teils bewaffneten Drohnen. Was fehlt, sind die großen Militärdrohnen wie die amerikanische Global Hawk, eine Überwachungsdrohne mit einer größeren Spannweite als eine Boeing 737, oder bewaffnete Drohnen wie die amerikanischen Reaper und Predator. Ansonsten haben wir fast alles. Im militärischen Bereich unter anderem die bewaffnete türkische Bayraktar TB2. Wir haben auch die sogenannten “Kamikaze-Drohnen”, also Loitering Munition, “herumlungernde Munition”, die die Amerikaner mit der Switch Blade an die Ukraine gesandt haben. Aber vor allem – davon hören wir immer mehr – auf der russischen Seite die iranischen Systeme, insbesondere solche Kamikaze-Drohnen. Und – das finde ich auch sehr wichtig – wir haben sehr viele zivile Systeme im Einsatz vor allem auf der ukrainischen Seite. Die Ukrainer zeigen da viel Erfindungsgeist und Ingenieurskunst, bauen teils Systeme mit einfachsten Mitteln, oder setzten hoch-qualitative Zivildrohnen erfolgreich militärisch ein.

Ist die Ukraine – so zynisch das klingt – ein “Testfeld” für Drohnen?

Jeder militärische Konflikt ist ein Moment, neue Systeme einzusetzen, und deren Fähigkeiten zu beweisen. Für die Drohnenindustrie der Türkei oder des Iran ist dieser Krieg – zynisch formuliert – eine Art Werbeveranstaltung. Wir haben auch schon im Zuge des Krieges eine höhere Nachfrage nach der türkischen Bayraktar TB2 gesehen. Und auch nach Loitering Munition, nicht unbedingt nur aus dem Iran.

Warum?

Das ist eine interessante Entwicklung, weil die Loitering Munition eigentlich gar nicht sophisticated ist. Zum Teil geht es hier nur um etwas bessere Raketen, also eine einmal verwertbare Waffe. Es sind fliegende Bomben, die ein bisschen kreisen können müssen. Am anderen Ende des Spektrums haben wir Loitering Munition mit KI-Unterstützung, die mit viel Autonomie unterwegs ist. Die haben nichts mehr zu tun mit Billig-Raketen. Die iranischen Systeme (Shahed 136), die jetzt in Masse eingesetzt werden, zeichnen sich aber nicht durch Hochtechnologie aus. Es sind Bomben mit ein bisschen Sensorik und Navigation dran.

Warum sind sie dann so effektiv?

Aus zwei Gründen: nämlich Masse und Preis. Wenn man Hunderte abschießen kann und sie wenig kosten, dann ist das sehr effektiv. Selbst wenn die Ukraine viele davon abfängt – ein paar kommen eben durch. Sie können überall eingesetzt werden, das beeindruckt an dem iranischen System, auch mit ihrer großen Reichweite von – nach iranischen Angaben – bis zu 2.000 Kilometer (mit 60 Kilo Sprengstoff). Die Russen setzen sie ja für die Zerstörung von Infrastruktur ein, nach der Logik: Wenn wir das Kraftwerk treffen und das Dorf nebenan auch, dann haben wir was gewonnen. Dieser Krieg zeigt also auch, dass es nicht immer Hochtechnologie sein muss, je nachdem was die Kriegsziele sind.

Wie kann der Iran massenhaft Drohnen herstellen und sie an Russland liefern? Es gibt doch Sanktionen. China liefert bestimmte Chips auch nicht mehr.

Ich bin durchaus erstaunt, wieviel Drohnen – gerade auch diese Loitering Munition – der Iran in der Lage war zu liefern. Das mag nicht die größte Hochtechnologie sein, aber auch dafür braucht man Teile. Die Zahl ist beeindruckend und es soll Nachschub geben. Detaillierte Analysen über die Bauteile zeigen, dass da viele westliche Systeme dabei sind. Und es wird viel verbaut, was “Dual Use” ist, also nicht nur dezidiert militärische Teile. Eine Drohne ist letztendlich nichts anderes als ein Modellflugzeug mit iPhone-Sensorik. Es ist nicht alles Militärtechnik. Es sind Bauteile, die auf dem freien Markt verfügbar sind, oder gar nicht importiert werden müssen. Das zeigt, wie schwierig es ist, Exportkontrollen für Drohnen generell aufzubauen. Wie soll man das eindämmen?

Was ist das “Erfolgsrezept” der türkischen Bayraktar?

Das Beispiel der Türkei zeigt, wenn ein Land wirklich will, kann es eine Drohnenindustrie aufbauen, selbst wenn es sich nicht um eine führende Industrienation handelt. In der Türkei wurde die Entscheidung getroffen: Wir wollen eine eigene Drohnen-Industrie, wir stecken da Geld rein. Und dann können die das auch. Das ist nicht die Entwicklung einer Atom-Bombe. Und im Krieg geht es auch darum, “good enough” zu sein. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass eben der Iran als gebildetes Land oder eben die Türkei das schaffen. Es ist eher erstaunlich, dass Russland bislang nicht in der Lage ist, solche Massenproduktion zu bewerkstelligen.  

Wie schaffen es die Ukrainer, sich gegen die vielen Shahed-Drohnen zu behaupten?

Mit Hilfe einer Reihe von Flugabwehrsystemen, zum Beispiel der USA, aber auch der Deutschen. Gepard und Iris-T sind klar ein Thema! Ich weiß nicht, welche Systeme die Ukraine vor dem Krieg hatte. Wir haben sie in jedem Fall unterschätzt und sie hat seit 2014 große Fähigkeiten aufgebaut. Und jetzt bekommt das ukrainische Militär auch noch zusätzlich Patriot-Systeme aus den USA und das französisch-italienische Raketenabwehrsystem SAMP/T. Es tut sich hier aber eine finanzielle Frage auf: Man will eigentlich nicht mit Iris-T auf Mini-Drohnen schießen, da ist die Abwehrmunition um ein vielfaches teurer als was abgeschossen wird. Trotzdem gibt es immer zwei Rechnungen: Was kostet der Schuss im Vergleicht zur gegnerischen Drohne versus was kostet die durch die Drohne ausgelöste Zerstörung. Ein Iris-T-Schuss ist auf jeden Fall ein gerettetes Krankenhaus wert.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Bundeswehr?

Die Bundeswehr weiß, dass ihr viele Fähigkeiten fehlen. Im Bereich Flugabwehr hat sie in den vergangenen Jahren sehr stark abgebaut. Aber die schlafen nicht alle da, die wissen schon, dass es da eine Herausforderung gibt. Deutschland ist ja auch federführend beim neuen europäischen Flugabwehrprojekt “European Sky Shield”. Die große Herausforderung ist: Man braucht ein bisschen von Allem. Ich erwarte auch, dass eine Drohnenabwehr verschiedene Stufen haben wird. Also zum Beispiel: Die Abwehr mit Raketen zuerst, dann Jamming, also das Stören von Funksignalen – und was dann noch durchkommt, fängt man mit Lasern ab. Man braucht verschiedene Ebenen und das kostet Geld!

Welche Drohnen-Systeme braucht die Bundeswehr?

Wir hatten diese unsägliche Diskussion in Deutschland über die bewaffneten Systeme. Jetzt leasen wir fünf bewaffnete Heron TP aus Israel, aber eigentlich hat sich die Welt schon weitergedreht. Die Frage ist: Wollen wir so eine Art von Loitering Munition? Oder geht das schon in die Richtung von zu viel Autonomie? Da reden wir über Systeme, die zum Teil sehr viel selbst entscheiden können. Die werden in die Luft gebracht, kreisen und suchen sich dann ihr Ziel selbst und bekämpfen es. Das geht schon in den Bereich autonome Kriegsführung, die aus gutem Grund in vielen Ländern sehr kritisch gesehen wird. Auch in Deutschland. Aber der Konflikt in Bergkarabach führte dazu, dass viele Länder, etwa Frankreich, sagten: Hey, wir brauchen jetzt mehr von dieser Loitering Munition. Für Deutschland ist das jetzt auch ein Thema. Will man das haben? Was ist das Einsatzszenario?

Welche Debatte müssen wir also führen?

Es stellt sich die Frage: Was will man einsetzen, und in welchem Szenario? Das ist die Debatte, die wir führen müssen und nicht, ob Drohnen bewaffnet sind oder nicht.

Ulrike Franke forscht am European Council on Foreign Relations (ECFR) in London. Sie hat zum Einsatz von Drohnen durch westliche Streitkräfte promoviert und forscht darüber hinaus zum Einsatz weiterer, neuer Technologien im Militär.

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Amerikanische Game-Changer in der Ukraine

Ohne amerikanische Waffenlieferungen wäre die Ukraine vermutlich spätestens im Sommer von Russland okkupiert worden. Kürzlich legte das Pentagon eine Übersicht vor, welche Systeme und vor allem wie viel Munition die USA für den Abwehrkampf der Ukraine zur Verfügung gestellt haben. Das 20-Milliarden-Dollar-Paket, verbunden mit den Waffenlieferungen anderer westlicher Staaten, war ein Game-Changer.

Mehr als 1600 Stinger

Schultergestützte Flugabwehrsysteme, die vor allem in den ersten Kriegswochen hohe Bedeutung hatten. Der russische Enthauptungsschlag gegen Kiew und die Regierung misslang auch, weil die Luftlandeoperation in Hostomel (Flugplatz nahe Kiew) scheiterte. Die Ukrainer konnten Hubschrauber der Russen mit Fallschirmjägern abschießen, weil die Angreifer die beweglichen Stinger-Trupps, anders als die stationären S-300-Flugabwehrgeschütze, nicht ausschalten konnten. Somit war der für Russland wichtige Einflugkorridor nach Kiew versperrt.

Ein Großteil der Stinger wurde erst wenige Tage vor dem russischen Angriff aus den baltischen Staaten und Polen in die Ukraine geschafft (unter anderem zur Tarnung über Lieferwagen von DHL). Russischen Okkupationen gehen traditionell Luftlandeoperationen voraus (Kabul, 1979; Almaty, Januar 2022). Die Ukrainer wussten das und postierten kleine, mobile Stinger-Trupps um Flugplätze und Flughäfen. Die Russen mussten auf Belarus ausweichen.

Mehr als 8500 Javelin

Auch dies ein Waffensystem der ersten Stunden. Die Russen hatten viele Panzer und Schützenpanzer, aber zu wenig Soldaten. Sie wollten schnell tief ins Land vorstoßen, ein Enthauptungsschlag erfordert vor allem hohes Tempo. Für die Ukrainer ging es darum, die vorstoßenden russischen Kolonnen, die oft auf Straßen marschierten, empfindlich zu treffen.

Mobile Trupps mit Panzerabwehr-Lenkwaffen (neben Javelin wurden 46.000 Panzerabwehr-Lenkwaffen anderer Typen geliefert) waren dafür entscheidend, da die Russen aufgrund knapper Infanteriekräfte nicht in der Lage waren, die Angriffe zu unterbinden. Auch hier erfolgte der Transport der Waffen über Rzeszów, dann auf Lastwagen über die Grenze, für die Russen sehr schwer aufzuklären.

142 M777-Haubitzen, 1 Million Granaten

Nachdem der Enthauptungsschlag misslungen war, fokussierten die Russen Kräfte und Angriffe auf den Donbass. Es entwickelte sich ein Krieg, der weitgehend mit Abstandswaffen geführt wurde, vor allem Artilleriesystemen. Frühzeitig zeichnete sich ab, dass der Ukraine spätestens im Sommer die Munitionsvorräte für ihre 122- und 152-mm-Geschütze ausgehen würden.

Das lag zum einen daran, dass sie auf dem Höhepunkt der Kämpfe täglich zwischen 12.000 und 15.000 Geschosse abfeuerten. Es lag aber auch daran, dass die Russen in den vergangenen acht Jahren gezielt ukrainische Munitionslager zerstört hatten. Militärexperten gehen davon aus, dass auf diese Weise 210.000 Tonnen ukrainische Munition verloren gingen.

Der Westen sprang ein, allerdings mit dem 155-mm-Kaliber, und sicherte der Ukraine ihre Durchhaltefähigkeit auf dem Gefechtsfeld. Allein die USA und Australien lieferten zusammen 160 M777-Haubitzen und mehr als eine Million Granaten. Experten gehen davon aus, dass inzwischen etwa zwei Drittel der Geschütze zerstört oder reparaturbedürftig sind. Dazu müssen sie in die baltischen Staaten, Slowakei oder nach Polen geschafft werden.

4200 Excalibur-Präzisionsgranaten für Artillerie

Nachdem die Ukrainer ihre eigenen Präzisionsgeschosse Kvitnyk verschossen hatten, lieferten die Amerikaner endphasengesteuerte Excalibur. Diese Munition wird bis zum Einschlag durch einen Laserstrahl geleitet. Jeder Schuss ist ein Treffer. Der russische Aderlass an Generalen und ranghohen Offizieren in der Anfangsphase resultierte unter anderem darin, dass die Amerikaner den Ukrainern die Koordinaten russischer Gefechtsstände gaben, die mit Präzisionsmunition beschossen wurden.

20 HIMARS

Der Game-Changer Nummer eins, obwohl die Amerikaner bisher nur 20 HIMARS-Systeme geliefert und 18 weitere für die nächsten Jahre zugesagt haben. Warum nicht mehr? Vermutlich, weil sie kein Interesse an einer massiven Eskalation haben. Denn HIMARS ist effizient. Die Werfer verschießen hochpräzise, etwa 70 bis 80 Kilometer weit reichende Raketen, sind auf Rädern unterwegs, sehr schnell und mobil. Sie können die Stellung wechseln, bevor das Gegenfeuer einsetzt.

Im Sommer zerstörten HIMARS-Raketen viele russische Munitionslager. Die Russen reagierten, verkleinerten und verteilten ihre Depots. Heute gibt es für HIMARS weniger Hochwertziele (Brücken, Gefechtsstände), für die sich der Einsatz einer bis zu 600.000 Dollar teuren Rakete lohnt. Wie viele Raketen sie gelieferten haben, führen die USA nicht in der Liste auf.

Der größte Teil der HIMARS wird vermutlich nicht von ukrainischen Soldaten, sondern von amerikanischen Militärdienstleistern (Contractor) bedient. Dafür spricht der russische Abzug aus Cherson: 30.000 Soldaten mit dem Rücken zum Dnjepr setzten inklusive 2500 Fahrzeuge über den Fluss, ohne dass ein ukrainischer Schuss fiel. Für die Russen hätte es ein Desaster werden können. Doch die HIMARS schwiegen, mutmaßlich, weil die US-Regierung kein Interesse hatte an einer Vernichtung von 30.000 russischen Soldaten (Grund: Gesprächskanäle offenhalten).

AGM-88 HARM

Dieses System bewirkte, dass HIMARS zum Game-Changer Nummer eins werden konnte. Denn die Russen können die HIMARS-Raketen mit ihrem Panzir-System abwehren. Dazu müssen sie aber ihr Radar aufschalten und sobald dies geschieht, wird das Signal vom Anti-Radar-System HARM erfasst. Die Rakete merkt sich die Koordinaten und steuert auch dann noch das Ziel an, wenn die Russen das Radar wieder abschalten. Das sorgte für hohe Verluste an Panzir-Systemen und in der Konsequenz zu hohen Trefferquoten für HIMARS.

Mehr als 50 Counter-Artillerie-Radarsysteme

Diese Systeme ermitteln den Abschussort russischer Artilleriegeschütze und verhelfen den Ukrainern dazu, die Stellungen ausschalten zu können. Als Reaktion versuchen die Russen, die amerikanischen Gegenfeuer-Artillerieradare mit Lancet-Drohnen (Loitering Munition) auszuschalten.

8 NASAMS plus Munition

Der zweite wesentliche Game-Changer, wenn auch zunächst nicht direkt von der durchschlagenden Wirkung wie die westlichen Artillerielieferungen. Flugabwehrsysteme wie NASAMS, Avenger (4 Stk.) und Hawk, aber auch die Systeme anderer Nato-Staaten (z. B. Iris-T) helfen, ukrainische kritische Infrastruktur im Nahbereich vor russischen Drohnen- und Raketenangriffen zu schützen.

Doch selbst mit den modernsten westlichen Systemen lassen sich nicht alle Geschosse abfangen, zumal die Munition sehr teuer und ihre Anzahl eng begrenzt ist. Andererseits: Ohne diese Systeme wäre die ukrainische Energie-, Wärme- und Wasserversorgung wahrscheinlich inzwischen vollständig zusammengebrochen. Über je mehr Abwehrsysteme die Ukraine verfügt, desto wirksamer kann sie ihre Infrastruktur schützen. Für den weiteren Verlauf des Kriegs wird dies von strategisch entscheidender Bedeutung sein.

Mehr als 2500 Kamikaze-Drohnen

Vor allem das US-Militär nahm an, dass Schwärme von Kamikaze-Drohnen (Loitering Munition) den Russen massiv zusetzen würden. Doch dazu ist es nicht gekommen. Die Amerikaner lieferten zwei Typen: Switch Blade (700 Stk.) und Phoenix Ghost (1800 Stk.), Reichweite zwischen zehn und 40 Kilometer, Flugdauer zwischen 15 und 40 Minuten. Schon in Afghanistan hatten sich diese Systeme als eher unzuverlässig erwiesen, stürzten immer wieder ab, was sich zuletzt auch in der Ukraine zeigte.

20 Transporthubschrauber Mi-17

Helikopter russischer Herstellung, die die USA der afghanischen Armee geliefert haben, bevor sie implodierte. Einige der 20 Maschinen waren Flucht-Hubschrauber afghanischer Mi-17-Besatzungen und hochrangiger Personen ins Ausland; die US-Geheimdienste sammelten diese Helikopter wieder ein. Andere Maschinen waren zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Taliban gerade in der Ukraine, um dort gewartet zu werden.

45 T-72B

Die USA finanzierten die Lieferung von 45 Kampfpanzern dieses ursprünglich sowjetischen Typs. Insgesamt stellte die Nato 400 T-72B der Ukraine zur Verfügung, überwiegend aus polnischen, tschechischen und ungarischen Beständen. Kampfpanzer waren wichtig für die Stoßkraft der ukrainischen Streitkräfte bei der Offensive im Sommer. Der Internet-Plattform Oryx zufolge wurden 25 T-72B zerstört, beschädigt oder von den Russen erbeutet.

Mehr als 1800 gepanzerte Fahrzeuge

Die Amerikaner lieferten mehr als 1000 Humvee, 200 M113, 250 M1117 und 440 MRAP – aus der Zeit der Kriege im Irak und Afghanistan als “geschützte Fahrzeuge” bekannt. Transportfahrzeuge für asymmetrische Konflikte, gepanzert gegen Handwaffenkaliber und leichte Sprengsätze, aber nicht gegen Artilleriegranaten, Panzerabwehrraketen oder größere Kaliber. Die Ukrainer nutzen diese Fahrzeuge inzwischen trotzdem für Angriffe, weil sie nicht mehr genügend Transportpanzer haben.

Harpoon

Nach wie vor ist unklar, ob es eine von den USA gelieferte Harpoon oder die selbst entwickelte “Neptun” war, mit der die Ukrainer das russische Flaggschiff “Moskwa” im Mai im Schwarzen Meer versenkten. Die Verfügbarkeit dieser Waffen auf ukrainischer Seite hat dazu geführt, dass die Russen kaum noch Kriegsschiffe und Landungsboote in Küstennähe auffahren ließen.

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Deutschland übernimmt die VJTF-Führung – und bringt viele Probleme mit

Mit dem Neujahrstag ist Deutschland die Kern-Nation der “Very High Readiness Joint Task Force” (VJTF) der Nato, eine Eingreiftruppe von insgesamt rund 20.000 Soldatinnen und Soldaten, die innerhalb weniger Tage für einen Einsatz abmarschbereit sind. Die Allianz hatte diese Feuerwehreinheit 2014 aus Land-, Luft- und Seestreitkräften als Reaktion auf die russische Annexion der Krim geschaffen. Die Zuständigkeit liegt jedes Jahr bei einem anderen Mitgliedsland.

Bereits im März 2022 wurde der maritime Anteil der VJTF aktiviert. Die ständigen Einsatzverbände der Nato zur See unterstehen damit jetzt schon dem militärischen Nato-Oberbefehlshaber. Die Landstreitkräfte, im Fall der Bundeswehr 8.000 Soldatinnen und Soldaten vor allem aus dem Heer, der Streitkräftebasis für die Logistik und des Sanitätsdienstes, wurden zwar noch nicht als VJTF aktiviert, müssen aber für diesen Fall in hoher Bereitschaft bleiben. Schon das ist eine Herausforderung – denn für das Jahr der sogenannten Standby-Phase werden damit Planungen zum Beispiel für Urlaub oder Lehrgänge schwierig.

Dass der Schützenpanzer Puma ausgerechnet in der Variante Probleme macht, die für den VJTF-Einsatz nachgerüstet wurde, führte zwar zu öffentlicher Aufmerksamkeit für diese schnelle Eingreiftruppe. Doch den Ausfall dieser 42 Gefechtsfahrzeuge dürfte die Bundeswehr zeitweise, wenn nicht sogar für das ganze Jahr durch die alten, aber einsatzfähigen Marder-Schützenpanzer kompensieren können.

Liste der Probleme bleibt lang

Weitgehend unbeachtet blieben dagegen die Probleme, die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn erst Mitte Dezember dem Bundestag offengelegt hatten. In dem Ampelsystem, das die Spitze des Ministeriums zur Darstellung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bei ihren verschiedenen Aufgaben wählte, steht die VJTF 2023 unterm Strich gerade mal auf Gelb. Für die so genannte Führungsfähigkeit, also die Kommunikationstechnik, mit der die Truppe Aufmarsch und Gefecht organisiert, zeigt diese Ampel nur Gelb bis Rot.

Bis zum Beginn der VJTF-Bereitschaftsphase, also bis zum vergangenen Sonntag, würden “etliche materielle Defizite … nicht mehr abgestellt werden können”, räumte Zorn ein. Dazu gehört vor allem der lange geplante IT-Systemverbund für die Eingreiftruppe, die nicht nur mit ihren beteiligten deutschen Einheiten kommunizieren muss, sondern ebenso mit den Verbündeten aus weiteren acht Nationen dieser Taskforce. “Durch den Rückgriff auf Altsysteme ist die Führungsfähigkeit zumindest eingeschränkt sichergestellt”, schrieb der Generalinspekteur. “Es werden allerdings lediglich Minimalforderungen bzgl. der Kommunikationsbedarfe erfüllt.”

Flugabwehr fehlt völlig

Dramatischer ist eine Lücke, mit der die Bundeswehr insgesamt seit Jahren leben muss, die aber für eine Eingreiftruppe ein noch gefährlicheres Problem darstellt: Die Abwehr von Flugzeugen, Hubschraubern und zunehmend auch Drohnen fehlt schlicht. Da die Fliegerabwehr “nicht zeitgerecht zur Verfügung steht, kann der Schutz eigener Kräfte gegen die Bedrohung im bodennahen Raum nur sehr eingeschränkt im Rahmen der Fliegerabwehr aller Truppen gewährleistet werden”, beklagt Zorn.

Mängel auch im Feldlazarett: “Der für den Einsatz benötigte Vorrat, z. B. an Verbandsmaterial oder aber auch an Medikamenten, kann aufgrund von Lieferengpässen seitens der Industrie z. Zt. nicht vollumfänglich bereitgestellt werden.”

Führung auch über 2023 hinaus möglich

Wenn die Eingreiftruppe unter ihrem Kommandeur Brigadegeneral Andreas Krone Glück hat, kommt es gar nicht zu einem Einsatz – und manche Probleme können im Laufe des Jahres gelöst werden. Mit der unzureichenden Computer-Infrastruktur und der fehlenden Fliegerabwehr wird die deutsch geführte VJTF 2023 aber wohl das ganze Jahr ihrer Bereitschaftsphase umgehen müssen.

Und vielleicht noch etwas länger. Derzeit werde im Ministerium geprüft, ob die Deutschen ein wenig länger, bis ins Jahr 2024 hinein, die Eingreiftruppe stellen, heißt es aus Bundeswehrkreisen. Denn die Nachfolgenation Großbritannien wird die Führung der Bündnis-Feuerwehr sehr wahrscheinlich erst Monate später übernehmen können als geplant.

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Leopard-2-Panzer für die Ukraine: Finnische Initiative setzt Deutschland unter Druck

Abgeordnete des finnischen Parlaments haben die Lieferung von Leopard 2 A4 Panzern in die Ukraine gefordert. In ihrem Appell schreiben Anders Adlercreutz von der liberalen Schwedischen Volkspartei und Atte Harjanne von der grünen Fraktion: “Obwohl die Ukraine entschlossen unterstützt wurde, sind einige Waffensysteme immer noch ausgeschlossen. Dazu gehören westliche, moderne Kampfpanzer. Sie würden die Schlagkraft der Ukraine auf dem Schlachtfeld erheblich erhöhen.”

Finnland verfügt derzeit über 100 Leopard 2 A6 Panzer, die in Betrieb sind. Weitere 100 Panzer vom Typ A4 sind außer Gebrauch. Davon könnten dreißig für die Ukraine fit gemacht werden. Die beiden Mitglieder des finnischen Verteidigungsausschusses wollen eine europäische Initiative anstoßen: “Zu Beginn des Krieges wurde in allen Ländern viel über die Höhe der Hilfe und das zu sendende Material diskutiert. Jetzt ist es an der Zeit, einen Schritt nach vorne zu machen”.

Diese Forderung, so die Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations (ECFR), setze Bundeskanzler Olaf Scholz unter Druck, der sich bislang weigert, Leopard 2 Panzer zu liefern: “Gut, dass die Debatte jetzt an Fahrt aufnimmt.”

Deutschland müsste einer Lieferung zustimmen

Für die Ausbildung, Logistik und Unterhaltung des schweren Kampfpanzers ist entscheidend, dass eine Lieferung des gleichen Typs zusammengestellt wird. Die finnischen Parlamentarier sehen neben Finnland und Deutschland vor allem Schweden, die Niederlande, Dänemark, Norwegen, Spanien oder Polen in der Pflicht.

Der ukrainische Armeechef Walerij Saluschnyj forderte Mitte Dezember 300 Kampfpanzer. Diese Zahl hält die ECFR-Wissenschaftlerin Puglierin auf Twitter für “eine Illusion”. Realistisch wäre eine “ukrainische Panzer-Brigade von rund 90 Leopard 2 A4 Panzern”.

Sollte sich Finnland entscheiden, der Ukraine Leopard 2 A4 Panzer zur Verfügung zu stellen, müsste Deutschland zustimmen. Dies verlangt die Endverbleibserklärung für die Genehmigung von Rüstungsexporten. nana

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Hersteller: Fast alle Schäden an Pumas “waren Bagatellen”

Die bei einer Schießübung ausgefallenen Schützenpanzer Puma der Bundeswehr sind fast alle wieder repariert. “Die Befundung der Fahrzeuge wurde Ende vergangener Woche abgeschlossen, fast alle Schäden waren Bagatellen”, sagte ein Sprecher des Herstellers Rheinmetall am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin auf Anfrage. Und: “Von 18 Fahrzeugen fahren 17 wieder.” Eine umfassende Reparatur sei nur an einem der Fahrzeuge nötig, das einen Kabelbrand gehabt habe.

Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte, ein Sachstand zu den Schäden liege vor, genaue Angaben dazu machte er am Montag aber nicht. Es werde daraus mit allen Beteiligten ein Plan erarbeitet, wie der Puma “langfristig auch unter Gefechtsbedingungen genutzt werden könnte”. Er sagte: “Das wird sicherlich noch ein paar Tage in Anspruch nehmen.”

Mit Marder statt Puma im VJTF-Einsatz

Nachdem bei einer Schießübung 18 von 18 eingesetzten Schützenpanzern ausgefallen waren, hatte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Notbremse gezogen und den Puma aus einer deutschen Nato-Verpflichtung in der Schnellen Eingreiftruppe VJTF herausnehmen lassen. Die dafür einsatzbereit gemeldeten deutschen Soldaten sind nun mit dem älteren Schützenpanzer Marder ausgerüstet. Auch ein Nachkauf wurde von ihr auf Eis gelegt.

Unbeantwortet blieben bisher Fragen danach, wie gravierend die technischen Probleme waren oder ob auch Bedienungs- oder Wartungsfehler im Spiel gewesen sind. Der Schützenpanzer Puma war erst 2021 für gefechtstauglich erklärt worden und wird von den Rüstungsunternehmen Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann (KMW) gemeinsam gebaut. dpa

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Russland könnte Männer an Ausreise hindern

Stimmt die Warnung des ukrainischen Militärs, dann wird in wenigen Tagen eine neue Mobilmachung in Russland beginnen. Zuvor aber werde Russland die Ausreise für Männer bis zum Alter von 55 Jahren ausgesetzt haben, so der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow am 31. Dezember. Die russische Exilzeitung Nowaja Gaseta berichtet am Montag in diesem Zusammenhang, dass Russland laut Experten mehr als die angekündigten 300.000 Mann seit der September-Mobilmachung ins Kriegsgebiet in die Ukraine gebracht hat.

Gerüchte und Befürchtungen über Grenzschließungen halten sich schon seit Monaten in russischsprachigen Telegram-Kanälen. Nach Angaben des Kanals “Mobilisazija” gab es bis einschließlich Jahreswechsel 75 Anschläge auf Militärregistrierbüros und lokale Büros der größten Partei “Einiges Russland” landesweit.

Die russische Kriegsführung kann mit den frisch mobilisierten Kräften bisher die im Südosten der Ukraine besetzten Gebiete halten. Allerdings unter erheblichen Verlusten. Videos auf Telegram-Kanälen zum Beispiel von ukrainischen Politikern zeigen Felder mit vielen Leichen russischer Soldaten.

Viele russische Reservisten getötet

Nach Angaben aus Kiew sind bisher mehr als 107.440 russische Soldaten in der Ukraine getötet oder schwer verletzt worden. Allein in der Nacht auf den 1. Januar starben bei einem ukrainischen Beschuss eines Sammlungspunktes im besetzten Ort Makijiewka (Region Donezk) mindestens 63 russische Reservisten. Diese Zahl nannte das russische Verteidigungsministerium, normalerweise äußert es sich so gut wie nie zu Verlusten.

Dieser Vorfall sorgt auch in Kreml-treuen russischen Telegram-Kanälen für Empörung. Erneut wird Kritik laut, weil die Führung sich offenbar nicht um die Sicherheit der eigenen Leute kümmere, klagt etwa Igor Strelkow (“Girkin”), der 2015 im Donbass kämpfte und dem Verbrechen zur Last gelegt werden. Die genaue Zahl der Getöteten dürfte höher sein, ein für gewöhnlich gut informierter russischer Telegram-Kanal berichtete am Abend von bisher 89 geborgenen Leichen.

Die Neujahrsansprache des russischen Präsidenten Wladimir Putin nährt indessen keinerlei Hoffnung, dass er von der bisherigen Aggression abrücken will. Seit Tagen beschießt Russland Punkte kritischer Infrastruktur in der Ukraine mit Drohnen. Eine Änderung dieser Taktik ist bisher nicht in Sicht. vf

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Presseschau

Presseschau

New York Times – Putin Wants Fealty, and He’s Found it in Africa (Paywall): Dass Russland derzeit jeden Partner nimmt, den es kriegen kann, ist bekannt. Dieser Text zeigt, wie sich russische Propaganda in der Zentralafrikanischen Republik verfängt, wie Russland die Verfassung dort verändern will und wie tief das in die Gesellschaft dringt, wenn zum Beispiel afrikanischer Vodka “mit russischer Technik” gebrannt wird.

War on the Rocks – Toward a more dynamic Italian military: Man sollte genau beobachten, wie sich Roms Sicherheitspolitik unter der rechtsextremen Giorgia Meloni verändert. Dieser Text gibt einen guten Überblick über Italiens Interessen im und um das Mittelmeer und wie und wann das Nato-2-Prozent-Ziel erreicht werden soll.

Podcast: ARD – Verräterische Daten – Doku über die Gefahren der Biometrie: Als Nato-Truppen, darunter die Bundeswehr, überstürzt Afghanistan verließen, blieben auch biometrische Messgeräte mit sensiblen Daten zurück. In einem 52-minütigen Radiofeature berichten die ARD-Journalisten, wie das afghanische Ortskräfte in Lebensgefahr bringt. Wer lieber scrollt, BR24 hat die Geschichte interaktiv aufgearbeitet.

The Washington Post – Inside the Ukrainian counteroffensive that shocked Putin and reshaped the war: Auf der Basis von Gesprächen mit 35 Personen (ukrainische Kommandeure und Beamte, europäische und amerikanische politische Vertreter) rekonstruiert die Washington Post, wie die ukrainische Gegenoffensive zur Rückeroberung von Charkiw und Cherson lief. Von Planungen an der 3D-Karte bis zum Panzer-Abschuss an der Front.

The Kyiv Independent – Hollande: ‘There will only be a way out of the conflict when Russia fails on the ground’: Nicht nur deutsche Politiker müssen sich für den Umgang mit Russland seit der Annexion der Krim 2014 erklären. Frankreichs Ex-Präsident François Hollande schreibt die ukrainische Resilienz im Interview auch seinen diplomatischen Geschicken zu und kritisiert seinen Nachfolger.

Die Neujahrsansprachen von Wolodymyr Selenskyj und von Wladimir Putin verdienen besondere Beachtung: Deutlich wird in ihnen, wie stark der Durchhaltewille Selenskyjs ist und wie dünn die Argumentation Putins für den Krieg. Deutlich wird aber auch, dass der Kreml-Herr keine Sekunde daran verschwendet, über ein Ende der Aggression nachzudenken. Eine halbe Stunde Kontrastprogramm der besonderen Art.

Standpunkt

Viele Risiken und ein wenig Hoffnung: Das geopolitische Jahreshoroskop

Von Florence Gaub
Porträtfoto von Florence Gaub mit beiger Jacke vor blauem Himmel.
Florence Gaub ist deutsch-französische Politikwissenschaftlerin.

Was wir jetzt schon wissen ist, dass auch das kommende chinesische Jahr des Hasen – wie auch die vergangenen Jahre – nicht langweilig zu werden verspricht. Wenngleich das schlimmste der Inflation laut des Internationalen Währungsfonds hinter uns liegt, bleibt sie auch 2023 noch Teil der wirtschaftlichen Landschaft und beeinträchtigt das Wachstum.

Inflation sowie Korruption werden damit das dominante Thema der Wahlen dieses Jahr sein: Gleich zu Jahresbeginn wird klar, ob Präsident Biden 2024 wieder kandidiert. Da Trump seine Kandidatur schon angekündigt hat, deutet das auf einen sehr langen Wahlkampf hin.

Scheinwahlen in China und Kuba

Auch in anderen Ländern wird es politisch heiß rund um die Wahlen: in Nigeria (25. Februar), Sierra Leone und Türkei (Juni), Pakistan (Oktober), Argentinien (Oktober) und Demokratische Republik Kongo (Dezember). Auch dort, wo Wahlen weniger frei sind, werden sie hart umkämpft sein – in manchen Fällen ist durchaus auch mit Gewalt zu rechnen. Weniger erbittert wird es bei den “Wahlen” im März in Kuba und in China zugehen, das Ergebnis steht jetzt schon fest.

Im Zeichen des Fischs jährt sich im Februar die russische Invasion der Ukraine zum ersten Mal. Auch für 2023 ist die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearkriegs sehr gering, aber auch ein Kriegsende ist nicht schnell zu erwarten. Rein statistisch gesehen ist der Konflikt ab Mai länger als durchschnittliche Kriege zwischen Staaten, aber dies sagt wenig darüber aus, wann er tatsächlich zu Ende gehen wird. Wenn die Nato sich Mitte Juli in Vilnius trifft, wird der Krieg im Zentrum stehen, aber eine Mitgliedschaft der Ukraine wird wahrscheinlich nach wie vor für die meisten Mitgliedstaaten ein No-Go sein.

Risiko für neue Kriege in mehreren Staaten

Wenngleich wir noch keine Methoden haben, den genauen Zeitpunkt von Konfliktausbrüchen zu bestimmen, wissen wir dennoch, dass das Risiko hierfür 2023 in Afghanistan, Syrien, Jemen, Irak hoch ist. Versuche, in diesen Ländern Reformen umzusetzen, werden dadurch immer wieder beeinträchtigt werden und erschweren damit auch deutsche Versuche zur Stabilisierung.

2023 wird ebenfalls ein entscheidendes Jahr für die sozialen Medien: in den Fällen Gonzalez v. Google und Twitter v. Taamneh entscheidet das amerikanische Verfassungsgericht über deren Rolle im Zusammenhang mit Terrorismus des sogenannten Islamischen Staates. Die Auswirkungen dieser Entscheidungen sind auch in Europa zu erwarten.

Stresstest für Großbritannien

Im Zeichen des Stiers – und somit der Periode der Schöpfung und Romantik – steht die Krönung König Charles III. am 6. Mai. Aber das Event selbst, für manche ein Symbol der Einheit, verspricht nur noch mehr Debatte über die Monarchie und Großbritannien allgemein hervorzurufen. Am 10. Januar erscheint Prinz Harrys Biografie, und schon jetzt wird sich für noch mehr Skandal gewappnet.

Auch unabhängig von Harry und Meghan wird es dieses Jahr hoch hergehen im Königreich: Das britische Verfassungsgericht mag schottische Pläne für ein Unabhängigkeitsreferendum am 19. Oktober abgeschmettert haben, Premierminister Nicola Sturgeon hat die Wahlen 2024 zur de facto Abstimmung über Loslösung erklärt – das ganze nächste Jahr wird demnach davon geprägt sein.

Wenn Großbritannien am 21. Mai im Zeichen des Zwillings zum G7-Gipfel in Hiroshima erscheint, wird es das am meisten wirtschaftlich (und politisch) gebeutelte Land der Runde sein. Der Europäische Rat wird sich fünfmal dieses Jahr treffen – in der ersten Jahreshälfte wird Schweden die Ratspräsidentschaft innehaben, in der zweiten Spanien.

Der Klimawandel schreitet voran

Auch dieser Sommer wird wieder von Dürren und Hitzewellen geprägt sein – der fortschreitende Klimawandel macht diese zehn Mal wahrscheinlicher als früher. Im Zeichen der Jungfrau, wenn die UN Generalversammlung zum 78. Mal in New York tagt, wird auch dies wieder ein Thema sein, aber noch viel mehr zwei Monate später, wenn COP28 im Skorpion in Dubai stattfindet. Zeitlich wird dort das erste Wasserstoff-betriebene “Fliegende Boot”, der Jet, präsentiert.

Neuerungen gibt es auch anderswo: Argentinien eröffnet die Expo 2023 im Oktober, die Türkei schickt im Sommer ihren Satelliten Türksat 6A (in Kooperation mit SpaceX) ins All, und die NASA Mission OSIRIS-REX kehrt im September zurück zur Erde.

Historische Ereignisse jähren sich dieses Jahr und werden damit auch die Debatte beeinflussen: die Entstehung der Republik Türkei (100 Jahre), das Ende der Rassentrennung im amerikanischen Militär (75 Jahre), das Ende des Vietnamkriegs und der Jom Kippur Krieg (50 Jahre) und das Karfreitagsabkommen, das den irischen Bürgerkrieg beendete (25 Jahre).

Florence Gaub ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Militärexpertin. Bis Ende 2022 war sie Zukunftsberaterin für den Europäischen Rat und leitet jetzt das von ihr gegründete Beratungsinstitut Futurate mit Sitz in Paris.

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Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Drohnen werden zur Massenware im Krieg
    • Ulrike Franke: “Die Bundeswehr weiß, dass ihr viele Fähigkeiten fehlen”
    • Amerikanische Game-Changer in der Ukraine
    • Deutschland übernimmt die VJTF-Führung – und bringt viele Probleme mit
    • Leopard-2-Panzer für die Ukraine: Finnische Initiative setzt Deutschland unter Druck
    • Hersteller: Fast alle Schäden an Pumas “waren Bagatellen”
    • Russland könnte Männer an Ausreise hindern
    • Standpunkt: Florence Gaub mit einem geopolitischen Jahreshoroskop
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Probleme der Bundeswehr sind größer als es der Öffentlichkeit zuweilen klar ist. Die Diskussionen über militärische Hilfe für die Ukraine haben so einige Baustellen offengelegt. Munitionsmangel und der Streit über die Einsatzfähigkeit des Gefechtsfahrzeugs Puma sind nur zwei davon. Ein weiteres Problem drängt sich mit der Frage auf: Ist die Bundeswehr auf den modernen Drohnen-Krieg vorbereitet? Nana Brink und Viktor Funk zeigen in einem Drohnen-Schwerpunkt: eher nein.

    Deutschland führt seit 1. Januar die schnelle Nato-Eingreiftruppe VJTF an. Thomas Wiegold erläutert, was das bedeutet und welche ungelösten Aufgaben dringend bewältigt werden müssen. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass Deutschland die Führung länger als geplant, mehr als ein Jahr, innehaben wird – gut möglich, dass Großbritannien seine Nachfolgerolle nicht pünktlich einnehmen kann.  

    Alles wichtige Sachthemen, doch in der politischen Diskussion über die Bundeswehr geht es in diesen Tagen eher um die Person der Verteidigungsministerin. Christine Lambrecht hat ein – milde geurteilt – unsensibles Neujahrs-Video auf ihrem eigenen Instagram-Kanal veröffentlicht. Auf die Bitte am Montag in der Bundespressekonferenz, ob ihr Ministerium dieses Video einordnen könne, sagte der stellvertretende Sprecher Oberst Arne Collatz, die Worte der Ministerin stünden “für sich”. Nachfragen lächelte Collatz weg. Das Ministerium sieht den erneuten Fauxpas der Ministerin also nicht als ein Problem des Hauses. Noch nicht.    

    In dieser Ausgabe des Security.Tables ordnet Marco Seliger ferner ein, welche US-Waffen in der Ukraine welche Wirkung hatten. Das hilft, fundierter über militärische Hilfe zu sprechen, denn die Leopard-2-Debatte nimmt erst Fahrt auf. Außerdem wagt Analystin und Militärexpertin Florence Gaub einen geopolitischen Ausblick. So viel vorab: Es hilft nicht, etwas zu beschönigen, man sollte sich besser auf die Zukunft vorbereiten. Siehe Bundeswehr.

    Übrigens: Wir haben den Security.Table für Sie erweitertim Berlin.Table finden Sie vom heutigen Abend an in unserem Late.Night Memo für die Hauptstadt bereits abends das Wichtigste aus der Bundespolitik mit Security-Bezug. Wir sind gespannt, wie es Ihnen gefällt.

    Das Security-Team wünscht Ihnen alles Gute für 2023! Bleiben Sie gesund. Und sicher.

    Ihr
    Viktor Funk
    Bild von Viktor  Funk

    Analyse

    Drohnen werden zur Massenware im Krieg

    Aufklärungsdrohnen, Kamikaze-Drohnen, militärische Drohnen mit Raketen, zivile Drohnen mit Sprengkörpern – in keinem anderen Krieg bisher sind so viele unbemannte Fluggeräte im Einsatz, wie in der Ukraine. Besonders in den ersten Kriegswochen haben etwa die türkischen Bayraktar TB2 der ukrainischen Verteidigung geholfen, das Vorrücken der russischen Truppen auf Kiew zu stoppen. Oder die strategisch wichtige Schlangen-Insel vor der Westküste der Ukraine zu befreien.

    Inzwischen ist weniger von den TB2 zu hören. Unklar ist, ob die russische Armee ein effektives Mittel gegen sie gefunden hat oder hier diplomatische Gründe eine Rolle spielen. Im Gegensatz zum Beginn des Krieges setzt Russland selbst jetzt stärker auf Drohnen.

    Drohnen für Moskau, Schiffe und Jets für Teheran

    Aus Mangel an eigener Technik kauft Russland verstärkt iranische Drohnen des Systems Shahed-136. Nach Angaben aus den USA sollen es bis zu 6000 sein, die vor allem gegen die ukrainische Infrastruktur eingesetzt werden. Im Gegenzug liefert Russland eigenes militärisches Knowhow für die iranische Luftwaffe und die Marine. 

    Für Deutschland hat der Drohnen-Krieg in der Ukraine ebenfalls Folgen. Er hat womöglich eine alte Debatte überholt: Stellt sich die Frage nach der Bewaffnung von Drohnen noch? Müsste die deutsche Politik nicht viel mehr darüber diskutieren, für welche Einsatzszenarien welche Technik entwickelt oder eingekauft werden sollte, fragt etwa Drohnen-Expertin Ulrike Franke im Interview mit Security.Table (Siehe das Interview in dieser Ausgabe).

    Verbreitung der Technik ist schwer zu stoppen

    Und noch ein Moment des Drohnen-Krieges in der Ukraine sollte mehr Beachtung finden: Für die zivile Nutzung bestimmte Drohnen – siehe Dual Use – werden massenweise für den Krieg umgerüstet. Ein Sicherheitsrisiko auch dort, wo kein Krieg stattfindet.

    Was nach zehn Monaten Krieg klar ist: 

    • Egal, welche Seite Drohnen einsetzt: Wesentliche Bauelemente in den militärischen Drohnen sind in westlichen Industriestaaten entwickelt oder gefertigt. Laut der britischen unabhängigen Untersuchungsorganisation Conflict Armament Research sollen 82,5 Prozent der Bauteile iranischer Drohnen von US-amerikanischen Firmen kommen.
    • China spielt insbesondere bei zivilen Drohnen, die in der Ukraine eingesetzt werden, eine bedeutende Rolle. Außerdem soll China Iran mit Bauteilen für die Drohnen-Produktion versorgen.
    • Russland setzt auf Masse: Damit soll nicht nur die Chance erhöht werden, dass einzelne Drohnen durch die ukrainische Luftverteidigung durchkommen, sondern die Flugabwehr soll durch den Verbrauch von Munition und Raketen auch geschwächt – übersättigt – werden.
    • Die Verlustrate der Geräte ist “extrem hoch”, schreiben Analysten des britischen Thinktanks Rusi. Demnach könne die ukrainische Armee durchschnittlich sechsmal eine Drohne einsetzen, bis sie verloren geht. 
    • Das Thema Drohnenabwehr wird eine sehr große Rolle für alle Streitkräfte spielen – wie auch zuletzt der Schock in Südkorea über nordkoreanische Drohnen zeigt.

    USA und Israel wollen Irans Drohnen-Programm treffen

    Die Verbreitung der Drohnen und der Zugang der russischen und iranischen Armeen zu dieser Technik trotz Sanktionen stellt die Frage nach Kontrollen über bestimmte Exportgüter. Unternehmen wie der kanadische Antennen-Hersteller Tallysman Wireless oder der österreichische Motorenhersteller Rotax Motoren haben eigene Untersuchungen über die Verbreitungswege angekündigt.

    Die USA suchen nun speziell mit Israel nach Wegen, das iranische Drohnen-Programm zu schwächen. Die Sicherheitskooperation beider Länder gegen den Iran verlangsamt auch das iranische Atomprogramm seit vielen Jahren. Ganz stoppen lässt es sich bisher aber nicht. Ähnliches erwarten Fachleute auch beim Drohnen-Programm. Nana Brink, Viktor Funk

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    Drohnen – “Die Bundeswehr weiß, dass ihr viele Fähigkeiten fehlen”

    Porträtfoto von Ulrike Franke (European Council on Foreign Relations) in weißem Oberteil vor weißem Hinntegrund. Sie hat ihren Kopf zu Seite gedreht.
    Ulrike Franke ist Policy Fellow beim European Council on Foreign Relations in London und forscht zum Drohnen-Einsatz.

    Frau Franke, noch nie waren so viele Drohnen in einem kriegerischen Konflikt im Einsatz wie in der Ukraine. Welche Drohnen sehen wir dort?

    In der Ukraine findet sich eine große Bandbreite an Drohnen. Das geht von kleinen Systemen, oft auch zivil, zu größeren, teils bewaffneten Drohnen. Was fehlt, sind die großen Militärdrohnen wie die amerikanische Global Hawk, eine Überwachungsdrohne mit einer größeren Spannweite als eine Boeing 737, oder bewaffnete Drohnen wie die amerikanischen Reaper und Predator. Ansonsten haben wir fast alles. Im militärischen Bereich unter anderem die bewaffnete türkische Bayraktar TB2. Wir haben auch die sogenannten “Kamikaze-Drohnen”, also Loitering Munition, “herumlungernde Munition”, die die Amerikaner mit der Switch Blade an die Ukraine gesandt haben. Aber vor allem – davon hören wir immer mehr – auf der russischen Seite die iranischen Systeme, insbesondere solche Kamikaze-Drohnen. Und – das finde ich auch sehr wichtig – wir haben sehr viele zivile Systeme im Einsatz vor allem auf der ukrainischen Seite. Die Ukrainer zeigen da viel Erfindungsgeist und Ingenieurskunst, bauen teils Systeme mit einfachsten Mitteln, oder setzten hoch-qualitative Zivildrohnen erfolgreich militärisch ein.

    Ist die Ukraine – so zynisch das klingt – ein “Testfeld” für Drohnen?

    Jeder militärische Konflikt ist ein Moment, neue Systeme einzusetzen, und deren Fähigkeiten zu beweisen. Für die Drohnenindustrie der Türkei oder des Iran ist dieser Krieg – zynisch formuliert – eine Art Werbeveranstaltung. Wir haben auch schon im Zuge des Krieges eine höhere Nachfrage nach der türkischen Bayraktar TB2 gesehen. Und auch nach Loitering Munition, nicht unbedingt nur aus dem Iran.

    Warum?

    Das ist eine interessante Entwicklung, weil die Loitering Munition eigentlich gar nicht sophisticated ist. Zum Teil geht es hier nur um etwas bessere Raketen, also eine einmal verwertbare Waffe. Es sind fliegende Bomben, die ein bisschen kreisen können müssen. Am anderen Ende des Spektrums haben wir Loitering Munition mit KI-Unterstützung, die mit viel Autonomie unterwegs ist. Die haben nichts mehr zu tun mit Billig-Raketen. Die iranischen Systeme (Shahed 136), die jetzt in Masse eingesetzt werden, zeichnen sich aber nicht durch Hochtechnologie aus. Es sind Bomben mit ein bisschen Sensorik und Navigation dran.

    Warum sind sie dann so effektiv?

    Aus zwei Gründen: nämlich Masse und Preis. Wenn man Hunderte abschießen kann und sie wenig kosten, dann ist das sehr effektiv. Selbst wenn die Ukraine viele davon abfängt – ein paar kommen eben durch. Sie können überall eingesetzt werden, das beeindruckt an dem iranischen System, auch mit ihrer großen Reichweite von – nach iranischen Angaben – bis zu 2.000 Kilometer (mit 60 Kilo Sprengstoff). Die Russen setzen sie ja für die Zerstörung von Infrastruktur ein, nach der Logik: Wenn wir das Kraftwerk treffen und das Dorf nebenan auch, dann haben wir was gewonnen. Dieser Krieg zeigt also auch, dass es nicht immer Hochtechnologie sein muss, je nachdem was die Kriegsziele sind.

    Wie kann der Iran massenhaft Drohnen herstellen und sie an Russland liefern? Es gibt doch Sanktionen. China liefert bestimmte Chips auch nicht mehr.

    Ich bin durchaus erstaunt, wieviel Drohnen – gerade auch diese Loitering Munition – der Iran in der Lage war zu liefern. Das mag nicht die größte Hochtechnologie sein, aber auch dafür braucht man Teile. Die Zahl ist beeindruckend und es soll Nachschub geben. Detaillierte Analysen über die Bauteile zeigen, dass da viele westliche Systeme dabei sind. Und es wird viel verbaut, was “Dual Use” ist, also nicht nur dezidiert militärische Teile. Eine Drohne ist letztendlich nichts anderes als ein Modellflugzeug mit iPhone-Sensorik. Es ist nicht alles Militärtechnik. Es sind Bauteile, die auf dem freien Markt verfügbar sind, oder gar nicht importiert werden müssen. Das zeigt, wie schwierig es ist, Exportkontrollen für Drohnen generell aufzubauen. Wie soll man das eindämmen?

    Was ist das “Erfolgsrezept” der türkischen Bayraktar?

    Das Beispiel der Türkei zeigt, wenn ein Land wirklich will, kann es eine Drohnenindustrie aufbauen, selbst wenn es sich nicht um eine führende Industrienation handelt. In der Türkei wurde die Entscheidung getroffen: Wir wollen eine eigene Drohnen-Industrie, wir stecken da Geld rein. Und dann können die das auch. Das ist nicht die Entwicklung einer Atom-Bombe. Und im Krieg geht es auch darum, “good enough” zu sein. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass eben der Iran als gebildetes Land oder eben die Türkei das schaffen. Es ist eher erstaunlich, dass Russland bislang nicht in der Lage ist, solche Massenproduktion zu bewerkstelligen.  

    Wie schaffen es die Ukrainer, sich gegen die vielen Shahed-Drohnen zu behaupten?

    Mit Hilfe einer Reihe von Flugabwehrsystemen, zum Beispiel der USA, aber auch der Deutschen. Gepard und Iris-T sind klar ein Thema! Ich weiß nicht, welche Systeme die Ukraine vor dem Krieg hatte. Wir haben sie in jedem Fall unterschätzt und sie hat seit 2014 große Fähigkeiten aufgebaut. Und jetzt bekommt das ukrainische Militär auch noch zusätzlich Patriot-Systeme aus den USA und das französisch-italienische Raketenabwehrsystem SAMP/T. Es tut sich hier aber eine finanzielle Frage auf: Man will eigentlich nicht mit Iris-T auf Mini-Drohnen schießen, da ist die Abwehrmunition um ein vielfaches teurer als was abgeschossen wird. Trotzdem gibt es immer zwei Rechnungen: Was kostet der Schuss im Vergleicht zur gegnerischen Drohne versus was kostet die durch die Drohne ausgelöste Zerstörung. Ein Iris-T-Schuss ist auf jeden Fall ein gerettetes Krankenhaus wert.

    Was bedeutet diese Entwicklung für die Bundeswehr?

    Die Bundeswehr weiß, dass ihr viele Fähigkeiten fehlen. Im Bereich Flugabwehr hat sie in den vergangenen Jahren sehr stark abgebaut. Aber die schlafen nicht alle da, die wissen schon, dass es da eine Herausforderung gibt. Deutschland ist ja auch federführend beim neuen europäischen Flugabwehrprojekt “European Sky Shield”. Die große Herausforderung ist: Man braucht ein bisschen von Allem. Ich erwarte auch, dass eine Drohnenabwehr verschiedene Stufen haben wird. Also zum Beispiel: Die Abwehr mit Raketen zuerst, dann Jamming, also das Stören von Funksignalen – und was dann noch durchkommt, fängt man mit Lasern ab. Man braucht verschiedene Ebenen und das kostet Geld!

    Welche Drohnen-Systeme braucht die Bundeswehr?

    Wir hatten diese unsägliche Diskussion in Deutschland über die bewaffneten Systeme. Jetzt leasen wir fünf bewaffnete Heron TP aus Israel, aber eigentlich hat sich die Welt schon weitergedreht. Die Frage ist: Wollen wir so eine Art von Loitering Munition? Oder geht das schon in die Richtung von zu viel Autonomie? Da reden wir über Systeme, die zum Teil sehr viel selbst entscheiden können. Die werden in die Luft gebracht, kreisen und suchen sich dann ihr Ziel selbst und bekämpfen es. Das geht schon in den Bereich autonome Kriegsführung, die aus gutem Grund in vielen Ländern sehr kritisch gesehen wird. Auch in Deutschland. Aber der Konflikt in Bergkarabach führte dazu, dass viele Länder, etwa Frankreich, sagten: Hey, wir brauchen jetzt mehr von dieser Loitering Munition. Für Deutschland ist das jetzt auch ein Thema. Will man das haben? Was ist das Einsatzszenario?

    Welche Debatte müssen wir also führen?

    Es stellt sich die Frage: Was will man einsetzen, und in welchem Szenario? Das ist die Debatte, die wir führen müssen und nicht, ob Drohnen bewaffnet sind oder nicht.

    Ulrike Franke forscht am European Council on Foreign Relations (ECFR) in London. Sie hat zum Einsatz von Drohnen durch westliche Streitkräfte promoviert und forscht darüber hinaus zum Einsatz weiterer, neuer Technologien im Militär.

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    Amerikanische Game-Changer in der Ukraine

    Ohne amerikanische Waffenlieferungen wäre die Ukraine vermutlich spätestens im Sommer von Russland okkupiert worden. Kürzlich legte das Pentagon eine Übersicht vor, welche Systeme und vor allem wie viel Munition die USA für den Abwehrkampf der Ukraine zur Verfügung gestellt haben. Das 20-Milliarden-Dollar-Paket, verbunden mit den Waffenlieferungen anderer westlicher Staaten, war ein Game-Changer.

    Mehr als 1600 Stinger

    Schultergestützte Flugabwehrsysteme, die vor allem in den ersten Kriegswochen hohe Bedeutung hatten. Der russische Enthauptungsschlag gegen Kiew und die Regierung misslang auch, weil die Luftlandeoperation in Hostomel (Flugplatz nahe Kiew) scheiterte. Die Ukrainer konnten Hubschrauber der Russen mit Fallschirmjägern abschießen, weil die Angreifer die beweglichen Stinger-Trupps, anders als die stationären S-300-Flugabwehrgeschütze, nicht ausschalten konnten. Somit war der für Russland wichtige Einflugkorridor nach Kiew versperrt.

    Ein Großteil der Stinger wurde erst wenige Tage vor dem russischen Angriff aus den baltischen Staaten und Polen in die Ukraine geschafft (unter anderem zur Tarnung über Lieferwagen von DHL). Russischen Okkupationen gehen traditionell Luftlandeoperationen voraus (Kabul, 1979; Almaty, Januar 2022). Die Ukrainer wussten das und postierten kleine, mobile Stinger-Trupps um Flugplätze und Flughäfen. Die Russen mussten auf Belarus ausweichen.

    Mehr als 8500 Javelin

    Auch dies ein Waffensystem der ersten Stunden. Die Russen hatten viele Panzer und Schützenpanzer, aber zu wenig Soldaten. Sie wollten schnell tief ins Land vorstoßen, ein Enthauptungsschlag erfordert vor allem hohes Tempo. Für die Ukrainer ging es darum, die vorstoßenden russischen Kolonnen, die oft auf Straßen marschierten, empfindlich zu treffen.

    Mobile Trupps mit Panzerabwehr-Lenkwaffen (neben Javelin wurden 46.000 Panzerabwehr-Lenkwaffen anderer Typen geliefert) waren dafür entscheidend, da die Russen aufgrund knapper Infanteriekräfte nicht in der Lage waren, die Angriffe zu unterbinden. Auch hier erfolgte der Transport der Waffen über Rzeszów, dann auf Lastwagen über die Grenze, für die Russen sehr schwer aufzuklären.

    142 M777-Haubitzen, 1 Million Granaten

    Nachdem der Enthauptungsschlag misslungen war, fokussierten die Russen Kräfte und Angriffe auf den Donbass. Es entwickelte sich ein Krieg, der weitgehend mit Abstandswaffen geführt wurde, vor allem Artilleriesystemen. Frühzeitig zeichnete sich ab, dass der Ukraine spätestens im Sommer die Munitionsvorräte für ihre 122- und 152-mm-Geschütze ausgehen würden.

    Das lag zum einen daran, dass sie auf dem Höhepunkt der Kämpfe täglich zwischen 12.000 und 15.000 Geschosse abfeuerten. Es lag aber auch daran, dass die Russen in den vergangenen acht Jahren gezielt ukrainische Munitionslager zerstört hatten. Militärexperten gehen davon aus, dass auf diese Weise 210.000 Tonnen ukrainische Munition verloren gingen.

    Der Westen sprang ein, allerdings mit dem 155-mm-Kaliber, und sicherte der Ukraine ihre Durchhaltefähigkeit auf dem Gefechtsfeld. Allein die USA und Australien lieferten zusammen 160 M777-Haubitzen und mehr als eine Million Granaten. Experten gehen davon aus, dass inzwischen etwa zwei Drittel der Geschütze zerstört oder reparaturbedürftig sind. Dazu müssen sie in die baltischen Staaten, Slowakei oder nach Polen geschafft werden.

    4200 Excalibur-Präzisionsgranaten für Artillerie

    Nachdem die Ukrainer ihre eigenen Präzisionsgeschosse Kvitnyk verschossen hatten, lieferten die Amerikaner endphasengesteuerte Excalibur. Diese Munition wird bis zum Einschlag durch einen Laserstrahl geleitet. Jeder Schuss ist ein Treffer. Der russische Aderlass an Generalen und ranghohen Offizieren in der Anfangsphase resultierte unter anderem darin, dass die Amerikaner den Ukrainern die Koordinaten russischer Gefechtsstände gaben, die mit Präzisionsmunition beschossen wurden.

    20 HIMARS

    Der Game-Changer Nummer eins, obwohl die Amerikaner bisher nur 20 HIMARS-Systeme geliefert und 18 weitere für die nächsten Jahre zugesagt haben. Warum nicht mehr? Vermutlich, weil sie kein Interesse an einer massiven Eskalation haben. Denn HIMARS ist effizient. Die Werfer verschießen hochpräzise, etwa 70 bis 80 Kilometer weit reichende Raketen, sind auf Rädern unterwegs, sehr schnell und mobil. Sie können die Stellung wechseln, bevor das Gegenfeuer einsetzt.

    Im Sommer zerstörten HIMARS-Raketen viele russische Munitionslager. Die Russen reagierten, verkleinerten und verteilten ihre Depots. Heute gibt es für HIMARS weniger Hochwertziele (Brücken, Gefechtsstände), für die sich der Einsatz einer bis zu 600.000 Dollar teuren Rakete lohnt. Wie viele Raketen sie gelieferten haben, führen die USA nicht in der Liste auf.

    Der größte Teil der HIMARS wird vermutlich nicht von ukrainischen Soldaten, sondern von amerikanischen Militärdienstleistern (Contractor) bedient. Dafür spricht der russische Abzug aus Cherson: 30.000 Soldaten mit dem Rücken zum Dnjepr setzten inklusive 2500 Fahrzeuge über den Fluss, ohne dass ein ukrainischer Schuss fiel. Für die Russen hätte es ein Desaster werden können. Doch die HIMARS schwiegen, mutmaßlich, weil die US-Regierung kein Interesse hatte an einer Vernichtung von 30.000 russischen Soldaten (Grund: Gesprächskanäle offenhalten).

    AGM-88 HARM

    Dieses System bewirkte, dass HIMARS zum Game-Changer Nummer eins werden konnte. Denn die Russen können die HIMARS-Raketen mit ihrem Panzir-System abwehren. Dazu müssen sie aber ihr Radar aufschalten und sobald dies geschieht, wird das Signal vom Anti-Radar-System HARM erfasst. Die Rakete merkt sich die Koordinaten und steuert auch dann noch das Ziel an, wenn die Russen das Radar wieder abschalten. Das sorgte für hohe Verluste an Panzir-Systemen und in der Konsequenz zu hohen Trefferquoten für HIMARS.

    Mehr als 50 Counter-Artillerie-Radarsysteme

    Diese Systeme ermitteln den Abschussort russischer Artilleriegeschütze und verhelfen den Ukrainern dazu, die Stellungen ausschalten zu können. Als Reaktion versuchen die Russen, die amerikanischen Gegenfeuer-Artillerieradare mit Lancet-Drohnen (Loitering Munition) auszuschalten.

    8 NASAMS plus Munition

    Der zweite wesentliche Game-Changer, wenn auch zunächst nicht direkt von der durchschlagenden Wirkung wie die westlichen Artillerielieferungen. Flugabwehrsysteme wie NASAMS, Avenger (4 Stk.) und Hawk, aber auch die Systeme anderer Nato-Staaten (z. B. Iris-T) helfen, ukrainische kritische Infrastruktur im Nahbereich vor russischen Drohnen- und Raketenangriffen zu schützen.

    Doch selbst mit den modernsten westlichen Systemen lassen sich nicht alle Geschosse abfangen, zumal die Munition sehr teuer und ihre Anzahl eng begrenzt ist. Andererseits: Ohne diese Systeme wäre die ukrainische Energie-, Wärme- und Wasserversorgung wahrscheinlich inzwischen vollständig zusammengebrochen. Über je mehr Abwehrsysteme die Ukraine verfügt, desto wirksamer kann sie ihre Infrastruktur schützen. Für den weiteren Verlauf des Kriegs wird dies von strategisch entscheidender Bedeutung sein.

    Mehr als 2500 Kamikaze-Drohnen

    Vor allem das US-Militär nahm an, dass Schwärme von Kamikaze-Drohnen (Loitering Munition) den Russen massiv zusetzen würden. Doch dazu ist es nicht gekommen. Die Amerikaner lieferten zwei Typen: Switch Blade (700 Stk.) und Phoenix Ghost (1800 Stk.), Reichweite zwischen zehn und 40 Kilometer, Flugdauer zwischen 15 und 40 Minuten. Schon in Afghanistan hatten sich diese Systeme als eher unzuverlässig erwiesen, stürzten immer wieder ab, was sich zuletzt auch in der Ukraine zeigte.

    20 Transporthubschrauber Mi-17

    Helikopter russischer Herstellung, die die USA der afghanischen Armee geliefert haben, bevor sie implodierte. Einige der 20 Maschinen waren Flucht-Hubschrauber afghanischer Mi-17-Besatzungen und hochrangiger Personen ins Ausland; die US-Geheimdienste sammelten diese Helikopter wieder ein. Andere Maschinen waren zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Taliban gerade in der Ukraine, um dort gewartet zu werden.

    45 T-72B

    Die USA finanzierten die Lieferung von 45 Kampfpanzern dieses ursprünglich sowjetischen Typs. Insgesamt stellte die Nato 400 T-72B der Ukraine zur Verfügung, überwiegend aus polnischen, tschechischen und ungarischen Beständen. Kampfpanzer waren wichtig für die Stoßkraft der ukrainischen Streitkräfte bei der Offensive im Sommer. Der Internet-Plattform Oryx zufolge wurden 25 T-72B zerstört, beschädigt oder von den Russen erbeutet.

    Mehr als 1800 gepanzerte Fahrzeuge

    Die Amerikaner lieferten mehr als 1000 Humvee, 200 M113, 250 M1117 und 440 MRAP – aus der Zeit der Kriege im Irak und Afghanistan als “geschützte Fahrzeuge” bekannt. Transportfahrzeuge für asymmetrische Konflikte, gepanzert gegen Handwaffenkaliber und leichte Sprengsätze, aber nicht gegen Artilleriegranaten, Panzerabwehrraketen oder größere Kaliber. Die Ukrainer nutzen diese Fahrzeuge inzwischen trotzdem für Angriffe, weil sie nicht mehr genügend Transportpanzer haben.

    Harpoon

    Nach wie vor ist unklar, ob es eine von den USA gelieferte Harpoon oder die selbst entwickelte “Neptun” war, mit der die Ukrainer das russische Flaggschiff “Moskwa” im Mai im Schwarzen Meer versenkten. Die Verfügbarkeit dieser Waffen auf ukrainischer Seite hat dazu geführt, dass die Russen kaum noch Kriegsschiffe und Landungsboote in Küstennähe auffahren ließen.

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    Deutschland übernimmt die VJTF-Führung – und bringt viele Probleme mit

    Mit dem Neujahrstag ist Deutschland die Kern-Nation der “Very High Readiness Joint Task Force” (VJTF) der Nato, eine Eingreiftruppe von insgesamt rund 20.000 Soldatinnen und Soldaten, die innerhalb weniger Tage für einen Einsatz abmarschbereit sind. Die Allianz hatte diese Feuerwehreinheit 2014 aus Land-, Luft- und Seestreitkräften als Reaktion auf die russische Annexion der Krim geschaffen. Die Zuständigkeit liegt jedes Jahr bei einem anderen Mitgliedsland.

    Bereits im März 2022 wurde der maritime Anteil der VJTF aktiviert. Die ständigen Einsatzverbände der Nato zur See unterstehen damit jetzt schon dem militärischen Nato-Oberbefehlshaber. Die Landstreitkräfte, im Fall der Bundeswehr 8.000 Soldatinnen und Soldaten vor allem aus dem Heer, der Streitkräftebasis für die Logistik und des Sanitätsdienstes, wurden zwar noch nicht als VJTF aktiviert, müssen aber für diesen Fall in hoher Bereitschaft bleiben. Schon das ist eine Herausforderung – denn für das Jahr der sogenannten Standby-Phase werden damit Planungen zum Beispiel für Urlaub oder Lehrgänge schwierig.

    Dass der Schützenpanzer Puma ausgerechnet in der Variante Probleme macht, die für den VJTF-Einsatz nachgerüstet wurde, führte zwar zu öffentlicher Aufmerksamkeit für diese schnelle Eingreiftruppe. Doch den Ausfall dieser 42 Gefechtsfahrzeuge dürfte die Bundeswehr zeitweise, wenn nicht sogar für das ganze Jahr durch die alten, aber einsatzfähigen Marder-Schützenpanzer kompensieren können.

    Liste der Probleme bleibt lang

    Weitgehend unbeachtet blieben dagegen die Probleme, die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Generalinspekteur Eberhard Zorn erst Mitte Dezember dem Bundestag offengelegt hatten. In dem Ampelsystem, das die Spitze des Ministeriums zur Darstellung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr bei ihren verschiedenen Aufgaben wählte, steht die VJTF 2023 unterm Strich gerade mal auf Gelb. Für die so genannte Führungsfähigkeit, also die Kommunikationstechnik, mit der die Truppe Aufmarsch und Gefecht organisiert, zeigt diese Ampel nur Gelb bis Rot.

    Bis zum Beginn der VJTF-Bereitschaftsphase, also bis zum vergangenen Sonntag, würden “etliche materielle Defizite … nicht mehr abgestellt werden können”, räumte Zorn ein. Dazu gehört vor allem der lange geplante IT-Systemverbund für die Eingreiftruppe, die nicht nur mit ihren beteiligten deutschen Einheiten kommunizieren muss, sondern ebenso mit den Verbündeten aus weiteren acht Nationen dieser Taskforce. “Durch den Rückgriff auf Altsysteme ist die Führungsfähigkeit zumindest eingeschränkt sichergestellt”, schrieb der Generalinspekteur. “Es werden allerdings lediglich Minimalforderungen bzgl. der Kommunikationsbedarfe erfüllt.”

    Flugabwehr fehlt völlig

    Dramatischer ist eine Lücke, mit der die Bundeswehr insgesamt seit Jahren leben muss, die aber für eine Eingreiftruppe ein noch gefährlicheres Problem darstellt: Die Abwehr von Flugzeugen, Hubschraubern und zunehmend auch Drohnen fehlt schlicht. Da die Fliegerabwehr “nicht zeitgerecht zur Verfügung steht, kann der Schutz eigener Kräfte gegen die Bedrohung im bodennahen Raum nur sehr eingeschränkt im Rahmen der Fliegerabwehr aller Truppen gewährleistet werden”, beklagt Zorn.

    Mängel auch im Feldlazarett: “Der für den Einsatz benötigte Vorrat, z. B. an Verbandsmaterial oder aber auch an Medikamenten, kann aufgrund von Lieferengpässen seitens der Industrie z. Zt. nicht vollumfänglich bereitgestellt werden.”

    Führung auch über 2023 hinaus möglich

    Wenn die Eingreiftruppe unter ihrem Kommandeur Brigadegeneral Andreas Krone Glück hat, kommt es gar nicht zu einem Einsatz – und manche Probleme können im Laufe des Jahres gelöst werden. Mit der unzureichenden Computer-Infrastruktur und der fehlenden Fliegerabwehr wird die deutsch geführte VJTF 2023 aber wohl das ganze Jahr ihrer Bereitschaftsphase umgehen müssen.

    Und vielleicht noch etwas länger. Derzeit werde im Ministerium geprüft, ob die Deutschen ein wenig länger, bis ins Jahr 2024 hinein, die Eingreiftruppe stellen, heißt es aus Bundeswehrkreisen. Denn die Nachfolgenation Großbritannien wird die Führung der Bündnis-Feuerwehr sehr wahrscheinlich erst Monate später übernehmen können als geplant.

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    Leopard-2-Panzer für die Ukraine: Finnische Initiative setzt Deutschland unter Druck

    Abgeordnete des finnischen Parlaments haben die Lieferung von Leopard 2 A4 Panzern in die Ukraine gefordert. In ihrem Appell schreiben Anders Adlercreutz von der liberalen Schwedischen Volkspartei und Atte Harjanne von der grünen Fraktion: “Obwohl die Ukraine entschlossen unterstützt wurde, sind einige Waffensysteme immer noch ausgeschlossen. Dazu gehören westliche, moderne Kampfpanzer. Sie würden die Schlagkraft der Ukraine auf dem Schlachtfeld erheblich erhöhen.”

    Finnland verfügt derzeit über 100 Leopard 2 A6 Panzer, die in Betrieb sind. Weitere 100 Panzer vom Typ A4 sind außer Gebrauch. Davon könnten dreißig für die Ukraine fit gemacht werden. Die beiden Mitglieder des finnischen Verteidigungsausschusses wollen eine europäische Initiative anstoßen: “Zu Beginn des Krieges wurde in allen Ländern viel über die Höhe der Hilfe und das zu sendende Material diskutiert. Jetzt ist es an der Zeit, einen Schritt nach vorne zu machen”.

    Diese Forderung, so die Politikwissenschaftlerin Jana Puglierin vom European Council on Foreign Relations (ECFR), setze Bundeskanzler Olaf Scholz unter Druck, der sich bislang weigert, Leopard 2 Panzer zu liefern: “Gut, dass die Debatte jetzt an Fahrt aufnimmt.”

    Deutschland müsste einer Lieferung zustimmen

    Für die Ausbildung, Logistik und Unterhaltung des schweren Kampfpanzers ist entscheidend, dass eine Lieferung des gleichen Typs zusammengestellt wird. Die finnischen Parlamentarier sehen neben Finnland und Deutschland vor allem Schweden, die Niederlande, Dänemark, Norwegen, Spanien oder Polen in der Pflicht.

    Der ukrainische Armeechef Walerij Saluschnyj forderte Mitte Dezember 300 Kampfpanzer. Diese Zahl hält die ECFR-Wissenschaftlerin Puglierin auf Twitter für “eine Illusion”. Realistisch wäre eine “ukrainische Panzer-Brigade von rund 90 Leopard 2 A4 Panzern”.

    Sollte sich Finnland entscheiden, der Ukraine Leopard 2 A4 Panzer zur Verfügung zu stellen, müsste Deutschland zustimmen. Dies verlangt die Endverbleibserklärung für die Genehmigung von Rüstungsexporten. nana

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    Hersteller: Fast alle Schäden an Pumas “waren Bagatellen”

    Die bei einer Schießübung ausgefallenen Schützenpanzer Puma der Bundeswehr sind fast alle wieder repariert. “Die Befundung der Fahrzeuge wurde Ende vergangener Woche abgeschlossen, fast alle Schäden waren Bagatellen”, sagte ein Sprecher des Herstellers Rheinmetall am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin auf Anfrage. Und: “Von 18 Fahrzeugen fahren 17 wieder.” Eine umfassende Reparatur sei nur an einem der Fahrzeuge nötig, das einen Kabelbrand gehabt habe.

    Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums erklärte, ein Sachstand zu den Schäden liege vor, genaue Angaben dazu machte er am Montag aber nicht. Es werde daraus mit allen Beteiligten ein Plan erarbeitet, wie der Puma “langfristig auch unter Gefechtsbedingungen genutzt werden könnte”. Er sagte: “Das wird sicherlich noch ein paar Tage in Anspruch nehmen.”

    Mit Marder statt Puma im VJTF-Einsatz

    Nachdem bei einer Schießübung 18 von 18 eingesetzten Schützenpanzern ausgefallen waren, hatte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Notbremse gezogen und den Puma aus einer deutschen Nato-Verpflichtung in der Schnellen Eingreiftruppe VJTF herausnehmen lassen. Die dafür einsatzbereit gemeldeten deutschen Soldaten sind nun mit dem älteren Schützenpanzer Marder ausgerüstet. Auch ein Nachkauf wurde von ihr auf Eis gelegt.

    Unbeantwortet blieben bisher Fragen danach, wie gravierend die technischen Probleme waren oder ob auch Bedienungs- oder Wartungsfehler im Spiel gewesen sind. Der Schützenpanzer Puma war erst 2021 für gefechtstauglich erklärt worden und wird von den Rüstungsunternehmen Rheinmetall und Krauss-Maffei Wegmann (KMW) gemeinsam gebaut. dpa

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    Russland könnte Männer an Ausreise hindern

    Stimmt die Warnung des ukrainischen Militärs, dann wird in wenigen Tagen eine neue Mobilmachung in Russland beginnen. Zuvor aber werde Russland die Ausreise für Männer bis zum Alter von 55 Jahren ausgesetzt haben, so der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow am 31. Dezember. Die russische Exilzeitung Nowaja Gaseta berichtet am Montag in diesem Zusammenhang, dass Russland laut Experten mehr als die angekündigten 300.000 Mann seit der September-Mobilmachung ins Kriegsgebiet in die Ukraine gebracht hat.

    Gerüchte und Befürchtungen über Grenzschließungen halten sich schon seit Monaten in russischsprachigen Telegram-Kanälen. Nach Angaben des Kanals “Mobilisazija” gab es bis einschließlich Jahreswechsel 75 Anschläge auf Militärregistrierbüros und lokale Büros der größten Partei “Einiges Russland” landesweit.

    Die russische Kriegsführung kann mit den frisch mobilisierten Kräften bisher die im Südosten der Ukraine besetzten Gebiete halten. Allerdings unter erheblichen Verlusten. Videos auf Telegram-Kanälen zum Beispiel von ukrainischen Politikern zeigen Felder mit vielen Leichen russischer Soldaten.

    Viele russische Reservisten getötet

    Nach Angaben aus Kiew sind bisher mehr als 107.440 russische Soldaten in der Ukraine getötet oder schwer verletzt worden. Allein in der Nacht auf den 1. Januar starben bei einem ukrainischen Beschuss eines Sammlungspunktes im besetzten Ort Makijiewka (Region Donezk) mindestens 63 russische Reservisten. Diese Zahl nannte das russische Verteidigungsministerium, normalerweise äußert es sich so gut wie nie zu Verlusten.

    Dieser Vorfall sorgt auch in Kreml-treuen russischen Telegram-Kanälen für Empörung. Erneut wird Kritik laut, weil die Führung sich offenbar nicht um die Sicherheit der eigenen Leute kümmere, klagt etwa Igor Strelkow (“Girkin”), der 2015 im Donbass kämpfte und dem Verbrechen zur Last gelegt werden. Die genaue Zahl der Getöteten dürfte höher sein, ein für gewöhnlich gut informierter russischer Telegram-Kanal berichtete am Abend von bisher 89 geborgenen Leichen.

    Die Neujahrsansprache des russischen Präsidenten Wladimir Putin nährt indessen keinerlei Hoffnung, dass er von der bisherigen Aggression abrücken will. Seit Tagen beschießt Russland Punkte kritischer Infrastruktur in der Ukraine mit Drohnen. Eine Änderung dieser Taktik ist bisher nicht in Sicht. vf

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    Presseschau

    Presseschau

    New York Times – Putin Wants Fealty, and He’s Found it in Africa (Paywall): Dass Russland derzeit jeden Partner nimmt, den es kriegen kann, ist bekannt. Dieser Text zeigt, wie sich russische Propaganda in der Zentralafrikanischen Republik verfängt, wie Russland die Verfassung dort verändern will und wie tief das in die Gesellschaft dringt, wenn zum Beispiel afrikanischer Vodka “mit russischer Technik” gebrannt wird.

    War on the Rocks – Toward a more dynamic Italian military: Man sollte genau beobachten, wie sich Roms Sicherheitspolitik unter der rechtsextremen Giorgia Meloni verändert. Dieser Text gibt einen guten Überblick über Italiens Interessen im und um das Mittelmeer und wie und wann das Nato-2-Prozent-Ziel erreicht werden soll.

    Podcast: ARD – Verräterische Daten – Doku über die Gefahren der Biometrie: Als Nato-Truppen, darunter die Bundeswehr, überstürzt Afghanistan verließen, blieben auch biometrische Messgeräte mit sensiblen Daten zurück. In einem 52-minütigen Radiofeature berichten die ARD-Journalisten, wie das afghanische Ortskräfte in Lebensgefahr bringt. Wer lieber scrollt, BR24 hat die Geschichte interaktiv aufgearbeitet.

    The Washington Post – Inside the Ukrainian counteroffensive that shocked Putin and reshaped the war: Auf der Basis von Gesprächen mit 35 Personen (ukrainische Kommandeure und Beamte, europäische und amerikanische politische Vertreter) rekonstruiert die Washington Post, wie die ukrainische Gegenoffensive zur Rückeroberung von Charkiw und Cherson lief. Von Planungen an der 3D-Karte bis zum Panzer-Abschuss an der Front.

    The Kyiv Independent – Hollande: ‘There will only be a way out of the conflict when Russia fails on the ground’: Nicht nur deutsche Politiker müssen sich für den Umgang mit Russland seit der Annexion der Krim 2014 erklären. Frankreichs Ex-Präsident François Hollande schreibt die ukrainische Resilienz im Interview auch seinen diplomatischen Geschicken zu und kritisiert seinen Nachfolger.

    Die Neujahrsansprachen von Wolodymyr Selenskyj und von Wladimir Putin verdienen besondere Beachtung: Deutlich wird in ihnen, wie stark der Durchhaltewille Selenskyjs ist und wie dünn die Argumentation Putins für den Krieg. Deutlich wird aber auch, dass der Kreml-Herr keine Sekunde daran verschwendet, über ein Ende der Aggression nachzudenken. Eine halbe Stunde Kontrastprogramm der besonderen Art.

    Standpunkt

    Viele Risiken und ein wenig Hoffnung: Das geopolitische Jahreshoroskop

    Von Florence Gaub
    Porträtfoto von Florence Gaub mit beiger Jacke vor blauem Himmel.
    Florence Gaub ist deutsch-französische Politikwissenschaftlerin.

    Was wir jetzt schon wissen ist, dass auch das kommende chinesische Jahr des Hasen – wie auch die vergangenen Jahre – nicht langweilig zu werden verspricht. Wenngleich das schlimmste der Inflation laut des Internationalen Währungsfonds hinter uns liegt, bleibt sie auch 2023 noch Teil der wirtschaftlichen Landschaft und beeinträchtigt das Wachstum.

    Inflation sowie Korruption werden damit das dominante Thema der Wahlen dieses Jahr sein: Gleich zu Jahresbeginn wird klar, ob Präsident Biden 2024 wieder kandidiert. Da Trump seine Kandidatur schon angekündigt hat, deutet das auf einen sehr langen Wahlkampf hin.

    Scheinwahlen in China und Kuba

    Auch in anderen Ländern wird es politisch heiß rund um die Wahlen: in Nigeria (25. Februar), Sierra Leone und Türkei (Juni), Pakistan (Oktober), Argentinien (Oktober) und Demokratische Republik Kongo (Dezember). Auch dort, wo Wahlen weniger frei sind, werden sie hart umkämpft sein – in manchen Fällen ist durchaus auch mit Gewalt zu rechnen. Weniger erbittert wird es bei den “Wahlen” im März in Kuba und in China zugehen, das Ergebnis steht jetzt schon fest.

    Im Zeichen des Fischs jährt sich im Februar die russische Invasion der Ukraine zum ersten Mal. Auch für 2023 ist die Wahrscheinlichkeit eines Nuklearkriegs sehr gering, aber auch ein Kriegsende ist nicht schnell zu erwarten. Rein statistisch gesehen ist der Konflikt ab Mai länger als durchschnittliche Kriege zwischen Staaten, aber dies sagt wenig darüber aus, wann er tatsächlich zu Ende gehen wird. Wenn die Nato sich Mitte Juli in Vilnius trifft, wird der Krieg im Zentrum stehen, aber eine Mitgliedschaft der Ukraine wird wahrscheinlich nach wie vor für die meisten Mitgliedstaaten ein No-Go sein.

    Risiko für neue Kriege in mehreren Staaten

    Wenngleich wir noch keine Methoden haben, den genauen Zeitpunkt von Konfliktausbrüchen zu bestimmen, wissen wir dennoch, dass das Risiko hierfür 2023 in Afghanistan, Syrien, Jemen, Irak hoch ist. Versuche, in diesen Ländern Reformen umzusetzen, werden dadurch immer wieder beeinträchtigt werden und erschweren damit auch deutsche Versuche zur Stabilisierung.

    2023 wird ebenfalls ein entscheidendes Jahr für die sozialen Medien: in den Fällen Gonzalez v. Google und Twitter v. Taamneh entscheidet das amerikanische Verfassungsgericht über deren Rolle im Zusammenhang mit Terrorismus des sogenannten Islamischen Staates. Die Auswirkungen dieser Entscheidungen sind auch in Europa zu erwarten.

    Stresstest für Großbritannien

    Im Zeichen des Stiers – und somit der Periode der Schöpfung und Romantik – steht die Krönung König Charles III. am 6. Mai. Aber das Event selbst, für manche ein Symbol der Einheit, verspricht nur noch mehr Debatte über die Monarchie und Großbritannien allgemein hervorzurufen. Am 10. Januar erscheint Prinz Harrys Biografie, und schon jetzt wird sich für noch mehr Skandal gewappnet.

    Auch unabhängig von Harry und Meghan wird es dieses Jahr hoch hergehen im Königreich: Das britische Verfassungsgericht mag schottische Pläne für ein Unabhängigkeitsreferendum am 19. Oktober abgeschmettert haben, Premierminister Nicola Sturgeon hat die Wahlen 2024 zur de facto Abstimmung über Loslösung erklärt – das ganze nächste Jahr wird demnach davon geprägt sein.

    Wenn Großbritannien am 21. Mai im Zeichen des Zwillings zum G7-Gipfel in Hiroshima erscheint, wird es das am meisten wirtschaftlich (und politisch) gebeutelte Land der Runde sein. Der Europäische Rat wird sich fünfmal dieses Jahr treffen – in der ersten Jahreshälfte wird Schweden die Ratspräsidentschaft innehaben, in der zweiten Spanien.

    Der Klimawandel schreitet voran

    Auch dieser Sommer wird wieder von Dürren und Hitzewellen geprägt sein – der fortschreitende Klimawandel macht diese zehn Mal wahrscheinlicher als früher. Im Zeichen der Jungfrau, wenn die UN Generalversammlung zum 78. Mal in New York tagt, wird auch dies wieder ein Thema sein, aber noch viel mehr zwei Monate später, wenn COP28 im Skorpion in Dubai stattfindet. Zeitlich wird dort das erste Wasserstoff-betriebene “Fliegende Boot”, der Jet, präsentiert.

    Neuerungen gibt es auch anderswo: Argentinien eröffnet die Expo 2023 im Oktober, die Türkei schickt im Sommer ihren Satelliten Türksat 6A (in Kooperation mit SpaceX) ins All, und die NASA Mission OSIRIS-REX kehrt im September zurück zur Erde.

    Historische Ereignisse jähren sich dieses Jahr und werden damit auch die Debatte beeinflussen: die Entstehung der Republik Türkei (100 Jahre), das Ende der Rassentrennung im amerikanischen Militär (75 Jahre), das Ende des Vietnamkriegs und der Jom Kippur Krieg (50 Jahre) und das Karfreitagsabkommen, das den irischen Bürgerkrieg beendete (25 Jahre).

    Florence Gaub ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Militärexpertin. Bis Ende 2022 war sie Zukunftsberaterin für den Europäischen Rat und leitet jetzt das von ihr gegründete Beratungsinstitut Futurate mit Sitz in Paris.

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