Table.Briefing: Security

Dramatischer Munitionsmangel: Spitzentreffen im Kanzleramt + Schnelle Produktion von Munition kaum möglich

  • Gravierender Munitionsmangel in der Bundeswehr – Krisentreffen im Kanzleramt
  • Beispiel Artilleriemunition: Wieso die Produktionskapazitäten auf Jahre hin nicht reichen, um den Bedarf zu decken
Liebe Leserin, lieber Leser,

das hat es selten gegeben: Der Bundeskanzler lädt Regierungs- und Industrievertreter zu einem Krisentreffen ins Kanzleramt, um darüber zu beraten, wie sich Deutschland schneller bewaffnen kann. So wird es am kommenden Montag nach exklusiven Informationen von Security.Table geschehen. Das ist der Grund, weshalb wir uns entschieden haben, nach Dienstag eine weitere Ausgabe unseres Briefings in dieser Woche zu machen.

Die Bundeswehr wurde in den vergangenen 30 Jahren zusammengespart, mit Mühe konnte sie einen Auslandseinsatz wie in Afghanistan durchhalten. Selbst nach der Annexion der Krim und dem russischen Krieg im Donbass im Jahr 2014 änderte sich an ihrem miserablen Ausrüstungszustand nicht viel. Bis heute taugt sie nur bedingt für die Landes- und Bündnisverteidigung.

Dies hat Deutschland in eine schwierige Lage gebracht. Die Ukraine bräuchte dringend Munition, doch die Bundeswehr hat nicht mal genug für sich selbst. Eine schnelle Lösung des Problems wäre wichtig für Deutschlands Sicherheit. Doch die kann es kaum geben. Die genauen Hintergründe und Zusammenhänge lesen Sie in meiner Analyse zum Thema.

Ihr
Marco Seliger
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News

Krisentreffen mit Rüstungsindustrie: Scholz macht Munitionsmangel zur Chefsache

Bundeskanzler Olaf Scholz macht den dramatischen Munitionsmangel der Bundeswehr jetzt zur Chefsache. Am Montagabend wird es ein hochrangiges Spitzentreffen mit Industrievertretern im Kanzleramt geben. Thema sind die Kapazitäten und Lieferzeiten der Hersteller, “insbesondere bei Munition und Ersatzteilen für die Ukraine und die Bundeswehr”, heißt es in der Einladung, die Security.Table vorliegt.

Die Gespräche führen der außen- und sicherheitspolitische Berater des Kanzlers, Jens Plötner, und der Leiter der Abteilung für Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik, Steffen Mayer. Zugegen sind außerdem Staatssekretäre aus dem Verteidigungs-, Wirtschafts- und Finanzministerium sowie des Auswärtigen Amts.

In dem Gespräch geht es darum, wie die Politik die Rahmenbedingungen für die Rüstungsindustrie verbessern kann, um die Produktion von Munition und Waffen zu beschleunigen und zu verstetigen. Zudem will das Kanzleramt wissen, wie der Staat gegebenenfalls bei der Finanzierung helfen und wie die Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen und Lieferanten reduziert werden kann.

Der Munitionsbedarf sowohl der ukrainischen Armee als auch der Bundeswehr kann durch die Rüstungsindustrie in Deutschland in ihrem aktuellen Zustand und unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen über Jahre nicht gedeckt werden.

So wurden in den zurückliegenden 30 Jahren Produktionskapazitäten abgebaut, weil die Bundeswehr und andere westliche Armeen immer weniger Munition beschafft hatten. Darüber hinaus lassen es Gesetze und Bestimmungen kaum zu, dass der öffentliche Auftraggeber den Unternehmen bei der Finanzierung der oft sehr teuren Produktion mit Vorschüssen unter die Arme greift.

Zugleich können sich die Firmen nur schwer am Kapital- und Finanzmarkt bedienen, weil ihnen Banken und Fondsgesellschaften aus Nachhaltigkeitsgründen (“Taxonomie”) Kredite verweigern. ms

  • Bundeswehr
  • Rüstung
  • Ukraine-Krieg

Analyse

Artilleriemunition: Die Produktionskapazitäten werden auf Jahre hin nicht reichen

Der Krieg in der Ukraine hat eines klargemacht: In den vergangenen Jahrzehnten wurden keine Gefechte auf europäischem Boden in dieser Intensität geführt. In Zahlen: Russland hat an manchen Kriegstagen 60.000 und die Ukraine 20.000 Artilleriegranaten verschossen. Für die Bundeswehr wäre somit bereits an einem Tag alles vorbei gewesen.

Wie groß ihre Gesamtvorräte an Artilleriemunition sind, ist aus Sicherheitsgründen geheim. Bei einer Munitionssorte jedoch sind die Zahlen bekannt. Zum Zeitpunkt ihrer Beschaffung im Jahr 2003 verfügte die Bundeswehr über 9.000 Stück präzisionsgelenkte Artilleriemunition SMArt 155.

Einige davon hat Deutschland an die Ukraine geliefert. SMArt 155 wurde entwickelt, um Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aus einer Entfernung von bis zu 30 Kilometer zu zerstören. Sowohl die ukrainische Armee als auch die Bundeswehr bräuchten dringend Nachschub. Experten gehen davon aus, dass dies dauern wird. Die Gründe dafür wird das Kanzleramt am Montag vermutlich von der Industrie erfahren, im Grunde liegen sie auf der Hand.

Zwei Jahre, bis die Produktion wieder anläuft

Die letzte Charge SMArt 155 hat der Hersteller vor 19 Jahren an die Bundeswehr geliefert. Danach bekam die GIWS, ein Gemeinschaftsunternehmen von Diehl und Rheinmetall, keine Aufträge mehr für diese Munition. Sie stellte die Produktion in Maasberg (Saarland) ein. Nach Recherchen von Security.Table dauert es gut zwei Jahre, die Produktionsstraße wieder aufzubauen und weitere zwei bis drei Jahre, um eine niedrige fünfstellige Anzahl an SMArt 155 zu produzieren.

Theoretisch. Praktisch aber steht dem eine Entwicklung entgegen, die ebenfalls mit der Beschaffungspraxis der Bundeswehr in den zurückliegenden 30 Jahren zu tun hat. Weil sie in der Vergangenheit kaum noch Munition bestellt hat, gibt es auch kaum noch Hersteller von militärischem Sprengstoff und Pulver in Deutschland. Beide sind für die Munitionsherstellung unverzichtbar und ihre Produktion inzwischen Teil des systemischen Wettbewerbs zwischen dem Westen und China.

Experten: Sprengstoffproduzenten in chinesischer Hand

So befinden sich viele Pulver- und Sprengstoffproduzenten, bei denen deutsche Munitionshersteller bisher einkauften, nach Angaben von Experten aus der wehrtechnischen Industrie direkt oder indirekt in chinesischer Hand. Seit gut einem halben Jahr liefern diese Firmen nicht mehr an westliche Munitionshersteller. Das verkleinert den Markt, erhöht die Lieferzeiten und verteuert die Produkte.

Die verbliebenen europäischen Hersteller können sich vor Aufträgen kaum retten. Nach Recherchen von Security.Table müssen deutsche Munitionshersteller mit einer Lieferzeit für Sprengstoff von zwei bis drei Jahren kalkulieren. Weil inzwischen auch in den US-Streitkräften die Munition knapp wird und die amerikanische Rüstungsindustrie ihre Produktion massiv ausweitet, droht ein Wettlauf der westlichen Staaten um immer knappere Produktionskapazitäten und Ressourcen.

Rheinmetall vervielfacht Kapazitäten

Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall hat darauf reagiert und vor Kurzem für 1,2 Milliarden Euro den spanischen Munitions- und Sprengstoffhersteller Expal gekauft. Expal produziert Granaten, aber auch Teile der Lenkflugkörper für das Flugabwehrsystem Iris-T.

Mit dem Erwerb vervielfachte Rheinmetall seine Produktionskapazitäten für Artilleriegeschosse. Während Rheinmetall nur 80.000 Granaten pro Jahr herstelle, liefere Expal 250.000 bis 300.000, wird Vorstandschef Armin Papperger im Handelsblatt zitiert. Zudem soll Expal künftig auch die von der Ukraine dringend benötigte Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard produzieren.

Auch Spezialstahl fehlt

Doch auch dies ist in der derzeitigen Lage eher theoretisch. Praktisch droht den Munitionsherstellern neben Sprengstoff und Pulver ein weiterer Engpass. Der für den Mantel der Granaten benötigte Spezialstahl ist ebenfalls knapp. Auch dafür gibt es in der westlichen Welt nur noch wenige Hersteller.

Woran die schnelle Lieferung von Munition noch scheitern kann, zeigt sich bei Patronen für Handfeuerwaffen. Die Umweltverordnungen der EU verlangen, dass die Munition für das Sturmgewehr G36 oder das Maschinengewehr MG5 nur schadstofffreie – also bleifreie – Anzündhütchen verwendet. Anzündhütchen dienen dem Anzünden des Schießpulvers. In Deutschland gibt es mit Ruag Ammotec nur einen Hersteller, der dafür zugelassen und qualifiziert ist.

Bundeswehr-Behörden bremsen

Schließlich gibt es einen dritten Faktor, der einer schnellen Munitionsbeschaffung im Weg steht. Die Produktion neuer SMArt-155-Granaten hat zur Folge, dass die Munition von den deutschen Beschaffungsbehörden neu geprüft, qualifiziert und genehmigt werden muss. SMArt-Granaten können, abgefeuert von der Panzerhaubitze 2000, mehr als 70 Kilometer weit fliegen. Weil die Bundeswehr kein entsprechend großes Gelände hat, müssen die Tests im Ausland stattfinden, zum Beispiel in Norwegen oder Südafrika.

Es kommt noch dazu, dass andere Nato-Länder nach Beginn des Ukraine-Krieges schon längst bei den deutschen Munitionsherstellern bestellt haben. Dazu zählen etwa Ungarn und die Niederlande. Selbst wenn die Bundeswehr jetzt ordert, muss sie sich bei den Produzenten im eigenen Land hinten anstellen.

Lambrecht will mit Industrie nicht reden

Bundeskanzler Scholz forderte in der Haushaltsdebatte des Bundestags in dieser Woche: Bei der Munitionsproduktion müsse der Nachschub garantiert werden, damit die Bundeswehr jeder Situation gerecht werden könne. Doch das von seiner SPD-Kollegin Lambrecht geführte Verteidigungsministerium hat er dabei offensichtlich nicht an seiner Seite. Bundestagsabgeordnete berichten, dass Lambrecht wie ihre Vorgängerinnen von der Leyen und Kramp-Karrenbauer nicht mit der Industrie reden will. 

Vor einigen Wochen schickte die Unionsfraktion dem Verteidigungsministerium einen Fragenkatalog zu den Munitionsvorräten der Bundeswehr. Auf die Frage, ob es Planungen gebe, Fertigungskapazitäten bei der Industrie vertraglich zu sichern, um eine stabile Versorgung mit Waffen und Munition zu gewährleisten, antwortete das Verteidigungsministerium: “Nein, zurzeit bestehen keine derartigen Planungen.”

Noch ein Thema für das Spitzengespräch am Montag im Kanzleramt.

  • Bundeswehr
  • Rüstung
  • Sicherheit
  • Ukraine-Krieg

Security.Table Redaktion

SECURITY.TABLE REDAKTION

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    • Beispiel Artilleriemunition: Wieso die Produktionskapazitäten auf Jahre hin nicht reichen, um den Bedarf zu decken
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    das hat es selten gegeben: Der Bundeskanzler lädt Regierungs- und Industrievertreter zu einem Krisentreffen ins Kanzleramt, um darüber zu beraten, wie sich Deutschland schneller bewaffnen kann. So wird es am kommenden Montag nach exklusiven Informationen von Security.Table geschehen. Das ist der Grund, weshalb wir uns entschieden haben, nach Dienstag eine weitere Ausgabe unseres Briefings in dieser Woche zu machen.

    Die Bundeswehr wurde in den vergangenen 30 Jahren zusammengespart, mit Mühe konnte sie einen Auslandseinsatz wie in Afghanistan durchhalten. Selbst nach der Annexion der Krim und dem russischen Krieg im Donbass im Jahr 2014 änderte sich an ihrem miserablen Ausrüstungszustand nicht viel. Bis heute taugt sie nur bedingt für die Landes- und Bündnisverteidigung.

    Dies hat Deutschland in eine schwierige Lage gebracht. Die Ukraine bräuchte dringend Munition, doch die Bundeswehr hat nicht mal genug für sich selbst. Eine schnelle Lösung des Problems wäre wichtig für Deutschlands Sicherheit. Doch die kann es kaum geben. Die genauen Hintergründe und Zusammenhänge lesen Sie in meiner Analyse zum Thema.

    Ihr
    Marco Seliger
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    Krisentreffen mit Rüstungsindustrie: Scholz macht Munitionsmangel zur Chefsache

    Bundeskanzler Olaf Scholz macht den dramatischen Munitionsmangel der Bundeswehr jetzt zur Chefsache. Am Montagabend wird es ein hochrangiges Spitzentreffen mit Industrievertretern im Kanzleramt geben. Thema sind die Kapazitäten und Lieferzeiten der Hersteller, “insbesondere bei Munition und Ersatzteilen für die Ukraine und die Bundeswehr”, heißt es in der Einladung, die Security.Table vorliegt.

    Die Gespräche führen der außen- und sicherheitspolitische Berater des Kanzlers, Jens Plötner, und der Leiter der Abteilung für Wirtschafts-, Finanz- und Klimapolitik, Steffen Mayer. Zugegen sind außerdem Staatssekretäre aus dem Verteidigungs-, Wirtschafts- und Finanzministerium sowie des Auswärtigen Amts.

    In dem Gespräch geht es darum, wie die Politik die Rahmenbedingungen für die Rüstungsindustrie verbessern kann, um die Produktion von Munition und Waffen zu beschleunigen und zu verstetigen. Zudem will das Kanzleramt wissen, wie der Staat gegebenenfalls bei der Finanzierung helfen und wie die Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen und Lieferanten reduziert werden kann.

    Der Munitionsbedarf sowohl der ukrainischen Armee als auch der Bundeswehr kann durch die Rüstungsindustrie in Deutschland in ihrem aktuellen Zustand und unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen über Jahre nicht gedeckt werden.

    So wurden in den zurückliegenden 30 Jahren Produktionskapazitäten abgebaut, weil die Bundeswehr und andere westliche Armeen immer weniger Munition beschafft hatten. Darüber hinaus lassen es Gesetze und Bestimmungen kaum zu, dass der öffentliche Auftraggeber den Unternehmen bei der Finanzierung der oft sehr teuren Produktion mit Vorschüssen unter die Arme greift.

    Zugleich können sich die Firmen nur schwer am Kapital- und Finanzmarkt bedienen, weil ihnen Banken und Fondsgesellschaften aus Nachhaltigkeitsgründen (“Taxonomie”) Kredite verweigern. ms

    • Bundeswehr
    • Rüstung
    • Ukraine-Krieg

    Analyse

    Artilleriemunition: Die Produktionskapazitäten werden auf Jahre hin nicht reichen

    Der Krieg in der Ukraine hat eines klargemacht: In den vergangenen Jahrzehnten wurden keine Gefechte auf europäischem Boden in dieser Intensität geführt. In Zahlen: Russland hat an manchen Kriegstagen 60.000 und die Ukraine 20.000 Artilleriegranaten verschossen. Für die Bundeswehr wäre somit bereits an einem Tag alles vorbei gewesen.

    Wie groß ihre Gesamtvorräte an Artilleriemunition sind, ist aus Sicherheitsgründen geheim. Bei einer Munitionssorte jedoch sind die Zahlen bekannt. Zum Zeitpunkt ihrer Beschaffung im Jahr 2003 verfügte die Bundeswehr über 9.000 Stück präzisionsgelenkte Artilleriemunition SMArt 155.

    Einige davon hat Deutschland an die Ukraine geliefert. SMArt 155 wurde entwickelt, um Panzer und gepanzerte Fahrzeuge aus einer Entfernung von bis zu 30 Kilometer zu zerstören. Sowohl die ukrainische Armee als auch die Bundeswehr bräuchten dringend Nachschub. Experten gehen davon aus, dass dies dauern wird. Die Gründe dafür wird das Kanzleramt am Montag vermutlich von der Industrie erfahren, im Grunde liegen sie auf der Hand.

    Zwei Jahre, bis die Produktion wieder anläuft

    Die letzte Charge SMArt 155 hat der Hersteller vor 19 Jahren an die Bundeswehr geliefert. Danach bekam die GIWS, ein Gemeinschaftsunternehmen von Diehl und Rheinmetall, keine Aufträge mehr für diese Munition. Sie stellte die Produktion in Maasberg (Saarland) ein. Nach Recherchen von Security.Table dauert es gut zwei Jahre, die Produktionsstraße wieder aufzubauen und weitere zwei bis drei Jahre, um eine niedrige fünfstellige Anzahl an SMArt 155 zu produzieren.

    Theoretisch. Praktisch aber steht dem eine Entwicklung entgegen, die ebenfalls mit der Beschaffungspraxis der Bundeswehr in den zurückliegenden 30 Jahren zu tun hat. Weil sie in der Vergangenheit kaum noch Munition bestellt hat, gibt es auch kaum noch Hersteller von militärischem Sprengstoff und Pulver in Deutschland. Beide sind für die Munitionsherstellung unverzichtbar und ihre Produktion inzwischen Teil des systemischen Wettbewerbs zwischen dem Westen und China.

    Experten: Sprengstoffproduzenten in chinesischer Hand

    So befinden sich viele Pulver- und Sprengstoffproduzenten, bei denen deutsche Munitionshersteller bisher einkauften, nach Angaben von Experten aus der wehrtechnischen Industrie direkt oder indirekt in chinesischer Hand. Seit gut einem halben Jahr liefern diese Firmen nicht mehr an westliche Munitionshersteller. Das verkleinert den Markt, erhöht die Lieferzeiten und verteuert die Produkte.

    Die verbliebenen europäischen Hersteller können sich vor Aufträgen kaum retten. Nach Recherchen von Security.Table müssen deutsche Munitionshersteller mit einer Lieferzeit für Sprengstoff von zwei bis drei Jahren kalkulieren. Weil inzwischen auch in den US-Streitkräften die Munition knapp wird und die amerikanische Rüstungsindustrie ihre Produktion massiv ausweitet, droht ein Wettlauf der westlichen Staaten um immer knappere Produktionskapazitäten und Ressourcen.

    Rheinmetall vervielfacht Kapazitäten

    Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall hat darauf reagiert und vor Kurzem für 1,2 Milliarden Euro den spanischen Munitions- und Sprengstoffhersteller Expal gekauft. Expal produziert Granaten, aber auch Teile der Lenkflugkörper für das Flugabwehrsystem Iris-T.

    Mit dem Erwerb vervielfachte Rheinmetall seine Produktionskapazitäten für Artilleriegeschosse. Während Rheinmetall nur 80.000 Granaten pro Jahr herstelle, liefere Expal 250.000 bis 300.000, wird Vorstandschef Armin Papperger im Handelsblatt zitiert. Zudem soll Expal künftig auch die von der Ukraine dringend benötigte Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard produzieren.

    Auch Spezialstahl fehlt

    Doch auch dies ist in der derzeitigen Lage eher theoretisch. Praktisch droht den Munitionsherstellern neben Sprengstoff und Pulver ein weiterer Engpass. Der für den Mantel der Granaten benötigte Spezialstahl ist ebenfalls knapp. Auch dafür gibt es in der westlichen Welt nur noch wenige Hersteller.

    Woran die schnelle Lieferung von Munition noch scheitern kann, zeigt sich bei Patronen für Handfeuerwaffen. Die Umweltverordnungen der EU verlangen, dass die Munition für das Sturmgewehr G36 oder das Maschinengewehr MG5 nur schadstofffreie – also bleifreie – Anzündhütchen verwendet. Anzündhütchen dienen dem Anzünden des Schießpulvers. In Deutschland gibt es mit Ruag Ammotec nur einen Hersteller, der dafür zugelassen und qualifiziert ist.

    Bundeswehr-Behörden bremsen

    Schließlich gibt es einen dritten Faktor, der einer schnellen Munitionsbeschaffung im Weg steht. Die Produktion neuer SMArt-155-Granaten hat zur Folge, dass die Munition von den deutschen Beschaffungsbehörden neu geprüft, qualifiziert und genehmigt werden muss. SMArt-Granaten können, abgefeuert von der Panzerhaubitze 2000, mehr als 70 Kilometer weit fliegen. Weil die Bundeswehr kein entsprechend großes Gelände hat, müssen die Tests im Ausland stattfinden, zum Beispiel in Norwegen oder Südafrika.

    Es kommt noch dazu, dass andere Nato-Länder nach Beginn des Ukraine-Krieges schon längst bei den deutschen Munitionsherstellern bestellt haben. Dazu zählen etwa Ungarn und die Niederlande. Selbst wenn die Bundeswehr jetzt ordert, muss sie sich bei den Produzenten im eigenen Land hinten anstellen.

    Lambrecht will mit Industrie nicht reden

    Bundeskanzler Scholz forderte in der Haushaltsdebatte des Bundestags in dieser Woche: Bei der Munitionsproduktion müsse der Nachschub garantiert werden, damit die Bundeswehr jeder Situation gerecht werden könne. Doch das von seiner SPD-Kollegin Lambrecht geführte Verteidigungsministerium hat er dabei offensichtlich nicht an seiner Seite. Bundestagsabgeordnete berichten, dass Lambrecht wie ihre Vorgängerinnen von der Leyen und Kramp-Karrenbauer nicht mit der Industrie reden will. 

    Vor einigen Wochen schickte die Unionsfraktion dem Verteidigungsministerium einen Fragenkatalog zu den Munitionsvorräten der Bundeswehr. Auf die Frage, ob es Planungen gebe, Fertigungskapazitäten bei der Industrie vertraglich zu sichern, um eine stabile Versorgung mit Waffen und Munition zu gewährleisten, antwortete das Verteidigungsministerium: “Nein, zurzeit bestehen keine derartigen Planungen.”

    Noch ein Thema für das Spitzengespräch am Montag im Kanzleramt.

    • Bundeswehr
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    Security.Table Redaktion

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