Verteidigungsminister Boris Pistorius überraschte am Montag mit einer Ankündigung meine Kollegin Lisa-Martina Klein und meinen Kollegen Thomas Wiegold in Litauen: Deutschland will in dem baltischen Land eine Brigade mit 4.000 Soldatinnen und Soldaten stationieren. Das ist eine Kehrtwende. Bislang wollte sich Berlin nicht zu einer permanenten Stationierung bekennen. Die gewachsene Unberechenbarkeit Russlands dürfte aber auch ein Argument mehr für den Schritt von Pistorius sein.
Nach dem Putschversuch am Wochenende tut der Kreml zwar so, als würde Wagners Aufstand keine größeren Folgen haben. Und der Chef der Privatmiliz, Jewgeni Prigoschin, rechtfertigte sogar am späten Nachmittag via Telegram seinen “Marsch der Gerechtigkeit”. Doch Russlands Aggressivität ist insgesamt keineswegs kleiner geworden.Viktor Funk fasst zusammen, was der Putschversuch für Russland, die Ukraine und die EU bedeuten könnte.
In Mali muss sich die Wagner-Gruppe noch bilateralen Abkommen zwischen Bamako und Moskau unterwerfen. Sollten Wagner und Russland auseinanderdriften, müssten afrikanische Länder direkt mit den Söldnern verhandeln. Wagner könnte dann noch stärker seine Bedingungen diktieren, warnt der malische Politikwissenschaftler, Mady Camara. Lucia Weiß hat mit ihm gesprochen.
Polen will bis 2035 fast 200 Milliarden Euro für neue Waffen ausgeben. Die PiS-Regierung kündigt an, die stärkste Armee Europas aufzubauen. Der frühere polnische Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak ist sehr skeptisch und kritisiert im Interview mit Andrzej Rybak die Pläne: Warschau verspreche mehr, als es liefere und schade dabei der heimischen Rüstungsindustrie.
Ich wünsche eine gute Lektüre
Überdeutlich drückte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Besuch in Litauen am Montag aus: “Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren.” Eine Voraussetzung dafür sei, dass Litauen die entsprechende Infrastruktur wie Kasernen, Munitionsdepots und verbesserte Übungsmöglichkeiten bereitstelle.
Bei einer dauerhaften Stationierung von 4.000 Soldatinnen und Soldaten gehe es nicht nur um Truppen und Material, sondern auch um Familien, sagte Pistorius. Damit kündigte er die erstmalige dauerhafte Stationierung deutscher Kampftruppen im Ausland an.
Als zweite Voraussetzung nannte der deutsche Minister die Zustimmung des obersten militärischen Befehlshabers der Nato. Das Bündnis überarbeitet gerade seine regionalen Verteidigungspläne und will diese auf dem Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Vilnius verabschieden. Entscheidend sei, so Pistorius, ob eine dauerhafte Stationierung der Brigade mit den neuen Verteidigungsplänen vereinbar sei oder ob die Allianz einen flexibleren Ansatz wolle.
Seit 2017 unterstützt die Nato in Estland, Lettland, Litauen und Polen mit Kampfgruppen in Bataillonsstärke die jeweiligen Streitkräfte; die deutsche Brigade ist ein zusätzliches deutsches Angebot für Litauen.
Offen bleibt nach Pistorius’ Ankündigung allerdings, ab wann die Brigade vollständig in Litauen stationiert sein kann. Man arbeite daran, die nötigen Kapazitäten bis 2026 aufzubauen, sagte Litauens Präsident Gitanas Nausėda nach einem Treffen mit dem deutschen Verteidigungsminister. Synchron zum Kapazitätsaufbau werde man dann Personal nach Litauen verlegen, so Pistorius.
Offen bleibt vorerst auch, wie die angekündigte dauerhafte Stationierung aussehen soll und woher das Heer diese Soldaten nehmen könnte. Deutschland hat der Nato für 2025 und 2027 jeweils eine einsatzbereite Division zugesagt. Eine komplette Kampfbrigade zusätzlich zu dieser ohnehin fordernden Aufgabe zusammenzustellen, ist für die Bundeswehr personell schwer zu stemmen.
Darüber hinaus sieht die Bundeswehr eine dauerhafte Stationierung im Ausland bislang nur auf freiwilliger Basis vor: Für einen mehrjährigen Aufenthalt im Baltikum müssten sich genügend Mannschaften, Feldwebel und Offiziere finden, die ihren Lebensmittelpunkt verlegen und möglicherweise sogar die Familie mitnehmen. Im Unterschied zu den USA, Frankreich und Großbritannien hat die Bundesrepublik mit dieser Art des Auslands-Engagements keine Erfahrungen.
Die Nachricht und Deutlichkeit von Pistorius’ Aussage kamen überraschend, herrschten doch beim Thema Brigade seit einem Jahr Meinungsverschiedenheiten zwischen Litauen und Deutschland. Grund dafür war eine unterschiedlich interpretierte Formulierung in einem Kommuniqué von Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Nausėda vom 7. Juni 2022. Darin sagte Scholz, Deutschland werde zur Abschreckung und Verteidigung gegen russische Aggression eine robuste und gefechtsbereite Brigade durch ein permanent vorgeschobenes Element eines Brigadestabes in Litauen “anführen”.
Während Litauen seither auf eine permanente Stationierung einer vollen Brigade pochte, verfolgte Deutschland bislang einen flexibleren Ansatz: Seit Anfang Oktober 2022 besteht in Rukla ein vorgeschobenes Brigadekommando, ein so genanntes Forward Command Element, unter der Führung von Brigadegeneral Christian Nawrat, um schnell auf Lageänderungen reagieren zu können. Munition und Material sollte in Litauen vorgelagert, die gemeinsamen Übungen intensiviert werden. Die restlichen Truppenteile sollten, so der Plan bislang, in Deutschland vorgehalten und bei Bedarf innerhalb von zehn Tagen nach Litauen verlegt werden können.
Mit der aktuellen Übung “Griffin Storm”, die Anlass für Pistorius’ Besuch in Litauen war, hatte Nawrats Panzergrenadierbrigade 41 genau diese schnelle Verlegbarkeit von 1.000 deutschen Soldaten per Land, Wasser und Luft demonstrieren wollen.
Im litauischen Parlament begrüßt man die Nachricht der dauerhaften Stationierung. Nach Monaten, in denen es aus Deutschland bremsende Töne gegeben habe, sei dies es nun eine gute Nachricht, sagt Laurynas Kasčiūnas, Abgeordneter der christdemokratischen Partei Homeland Union Litauen. “Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben machen, um bis 2026 fertig zu sein. Dann bleibt es abzuwarten, ob Deutschland auch wirklich bereit ist.” Mit Thomas Wiegold
Nach dem Putschversuch der Privatmiliz Wagner gegen die Armeeführung in Russland hat die russische Regierung am Montag vor allem versucht, Normalität zu simulieren. Das Regierungskabinett unter Leitung des Premierministers Michail Mischustin versicherte, dass es keine größeren gesellschaftlichen Folgen der Ereignisse vom Wochenende gebe. Das Bemerkenswerte daran, erläuterten die russischen Kreml-Kenner Farida Rustamowa und Maxim Towkajl, sei, dass die Kabinettssitzung öffentlich gezeigt wurde. Für gewöhnlich gebe es davon keine Bilder.
Am Montag nach dem Wochenende drängen drei Fragen in den Vordergrund:
Zahlreiche Fachleute für die russische Innenpolitik verwiesen gestern einerseits auf die geschwächte Position Putins, zugleich aber auch darauf, dass das Schicksal des Wagner-Anführers Jewgeni Prigoschin noch nicht entschieden sei. “Er ist nun ein politischer Akteur, das Regime muss einen Weg finden, mit ihm umzugehen”, erläutert die im Berliner Exil lebende Ekaterina Schulmann gegenüber der Financial Times. Im Gespräch mit Table.Media sagte sie: “Putins System zerfällt. Langsam oder schnell – das ist unklar, nur der Weg ist klar: Es geht bergab.”
Am späten Montagabend meldete sich Präsident Wladimir Putin selbst zu Wort und machte in einer gut fünfminütigen Ansprache klar, dass die Tage der privaten Miliz Wagner gezählt sind. Er versprach zwar, sein Wort zu halten, keine Strafen für die Aufständischen zu verhängen. Doch für die Zukunft der Söldner gebe es nur drei Optionen: Vertrag mit dem Verteidigungsministerium; Ende des aktiven Dienstes oder Auswandern nach Belarus. In dem Land des Diktators Alexander Lukaschenko sollen offenbar schon Vorbereitungen für die Aufnahme Tausender Wagner-Kämpfer laufen.
Prigoschin selbst hatte sich am Montagnachmittag über seinen Telegram-Kanal an die Öffentlichkeit gewandt – mit einer überraschend banalen Nachricht: Sein “Marsch der Gerechtigkeit” sei eine Antwort auf den Versuch des Verteidigungsministers gewesen, die Kontrolle über Wagner zu erlangen. Keine lauten Forderungen mehr, keine Beleidigungen, keine Vorwürfe. Da sprach jemand, der sich rechtfertigte.
Ob der Putschversuch mit immerhin mehreren Dutzend Toten auf der Seite des russischen Militärs und Wagner ganz folgenlos für Russland bleibt, ist noch nicht absehbar. Erste Namen für eine Erneuerung an der Spitze des russischen Verteidigungsministeriums tauchten gestern jedenfalls auf: Der jetzige Vize-Minister und Gouverneur der Region Tula, Aleksej Djumin, könnte Sergej Schoigu beerben und General Sergej Surowikin könnte den Chef des Generalstabs, Waleri Gerassimow, ablösen. Sollten Schoigu und Gerassimow gehen, hätte Prigoschin ein wichtiges Ziel erreicht.
Ob die Ukraine aus der kurzzeitig chaotischen Situation einen Vorteil ziehen kann, ist noch fraglich. “Je länger der Putsch gedauert hätte, desto besser wäre es gewesen”, sagte der russischsprachige, israelische Militär-Analyst Ygal Levin, der in Kiew lebt und für ukrainische Medien die Lage an der Front analysiert. In jedem Fall sei es hilfreich, dass die russische Armee bei der Niederschlagung des Aufstandes weitere Hubschrauber verloren habe.
Wenn der kurzzeitige Aufstand nur ein Sturm im Wasserglas war, dann wird dies zumindest vorerst keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine haben. Für die Regierungen in der EU und Washington gibt es vorerst auch wenig Gewinn aus der Situation. Der Westen müsse eher langfristig eine demokratische Elite in Russland fördern, erläuterte Kirill Shamiev auf Nachfrage. “Der Westen muss signalisieren, dass er diejenigen unterstützten will, die eine Demokratisierung im politischen Leben Russlands wollen.” Shamiev spielt damit auf die am Wochenende vielfach unter russischen Exilanten geäußerte Kritik an, dass im Land keine pro-demokratischen Kräfte auf den Putsch reagiert hätten.
Ob und wie geschwächt Putin tatsächlich ist, ist noch unklar. Möglicherweise ist eine Säuberungswelle in der russischen Elite zu erwarten. Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung, hatte unmittelbar nach dem Putsch-Versuch im Gespräch mit Table.Media vorhergesagt: “Was also folgen wird, wenn es Putin gelingt, diesen Aufstand niederzuschlagen, ist eine Säuberungswelle. Der Loyalitätszirkel wird enger. Die Hardliner werden die vermeintlich Unzuverlässigen in der politischen Elite, im Militär, im öffentlichen Raum zu beseitigen versuchen, sie aus ihren Funktionen entfernen oder sie verhaften, oder sie sich ihrer ganz entledigen. Wir werden eine Verschärfung des polizeistaatlichen Charakters des Systems sehen.”
Erst vor wenigen Wochen telefonierte Malis Militärpräsident Assimi Goita wieder mit Russlands Präsident Wladimir Putin und twitterte über den guten Austausch. Jede Lieferung von militärischem Gerät wird mit Pomp in Bamako gefeiert. Mali spricht von russischen Ausbildern im Land, westliche Regierungen dagegen offen von der Präsenz von Wagner-Söldnern. Im UN-Sicherheitsrat forderte Mitte Juni Malis Außenminister Abdoulaye Diop den Abzug der Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (Minusma). Am Donnerstag stimmt der UN-Sicherheitsrat über eine Verlängerung des Mandats ab, das am Freitag ausläuft. Die Abstimmung steht nun unter anderen Vorzeichen. Deutschland will seine Truppen bis Ende Mai 2024 abziehen.
In Mali ist die Wagner-Gruppe mit mehreren Hundert Soldaten aktiv. Darüber hinaus auch in der Zentralafrikanischen Republik mit geschätzt 1800 Soldaten und in Libyen angeblich mit bis zu 1200 Kämpfern. Auch im Sudan ist die Truppe offenbar präsent. Darüber hinaus ist Wagner in Afrika angeblich auch im Objekt- und Personenschutz tätig. Die russische Regierung hat die Wagner-Aktivitäten in Afrika nie offiziell bestätigt.
“Die Anwesenheit von Wagner in Mali wird vom Kreml gesponsert und wenn Wagner mit dem Kreml überkreuz liegt … dann wird Mali logischerweise Folgen für seine Sicherheit spüren”, so der malische Politikwissenschaftler Bassirou Doumbia gegenüber Reuters am Samstag.
Wenn die Wagner-Gruppe an Stärke gewinnt, könnte das in Mali die Sicherheitslage verschärfen und den Staat in größere Abhängigkeit bringen. “Alle Länder, die mit Wagner arbeiten, hatten zuerst mit dem russischen Staat zu tun. Wenn Russland jetzt als Vermittler fehlt, dann müssen die afrikanischen Länder direkt mit Wagner sprechen. Wagner musste sich bisher den bilateralen Vereinbarungen unterordnen”, sagt der malische Politikwissenschaftler Mady Camara im Gespräch mit Table.Media.
In Zukunft könnte sich die Wagner Gruppe aufzwingen, und ihre eigenen Bedingungen in den afrikanischen Ländern durchsetzen, in denen die Sicherheitslage ohnehin schon prekär ist: “Entweder seid ihr einverstanden und wir bleiben oder ihr seid nicht einverstanden und wir geben das Terrain frei und dann werdet ihr von Rebellen oder Terroristen eingenommen. Ich denke also, die Länder werden dann keine Wahl haben und alles akzeptieren, was Wagner ihnen vorschreibt”, so Camara.
Während die Wagner-Präsenz in Mali bisher vergleichsweise verdeckt vor sich geht, sieht es in der Zentralafrikanischen Republik anders aus. Eine Studie der NGO “Global Initiative” bezeichnet das Wagner-Modell dort als “staatliche Übernahme”. Im Austausch für Bodenschätze – Gold und Diamanten vor allem – liefere Wagner dem Regime von Präsident Faustin-Archange Touadéra politische und militärische Unterstützung.
Der Politikwissenschaftler Camara aus Bamako sieht noch ein zweites Risiko, falls die Wagner-Gruppe an Autonomie gewinnen sollte. “Wenn sie nicht mehr unter Kontrolle der russischen Regierung sind, dann geht das, was sie tun, nur noch sie an. Ihre Handlungen könnten dann weit entfernt von dem liegen, was man Respekt der Menschenrechte nennt“, so Camara.
Bereits jetzt stehen Wagner-Gruppen in Verdacht, an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen zu sein, wie etwa ein UN-Bericht vom Mai über das Massaker in Moura (März 2022) nahelegt. Prigoschin selbst dagegen hebt seine eigene Rolle für afrikanische Partner hervor, am Wochenende polterte er dabei gegen die russische Staatsführung: Die russische Armee habe Afrika im Stich gelassen und sich an dem für afrikanische Länder vorgesehenen Geld bereichert.
“Prigoschin führt unter Putins Kommando Russlands Afrika-Aktivitäten aus. Es geht um den ,New Scramble’ um Rohstoffe und seltene Erden in Afrika, inmitten der Vierten Industriellen Revolution und der energetischen Transition – und Russland hat eine Pole Position dank Wagner”, so die Analystin Velina Tchakarova auf Twitter. Und weiter: “Wenn Prigoschin diese Turbulenzen überlebt, dann vor allem, weil er für Russlands wachsende Interessen in Afrika wichtig ist.”
Herr Siemoniak, die rechtsnationale PiS-Regierung will die polnischen Streitkräfte kurzfristig zur stärksten Armee in Europa machen. Kann das gelingen?
Ich halte das für ein Ablenkungsmanöver. Die sieben Jahre der PiS-Regierung – bis zum Überfall Russlands auf die Ukraine – waren nicht gut für Polens Verteidigungskapazitäten. Sie führte politische Säuberungen in der Armee durch, bremste die Modernisierung aus und kaufte nur geringe Stückzahlen an neuen Waffensystemen. Die Parolen von der stärksten Armee in Europa stehen in Widerspruch zur Realität. Polens Armee verzeichnete zuletzt auch eine Rekordzahl an Abgängen – trotz Gehaltserhöhungen.
Nun will das Verteidigungsministerium bis 2035 fast 200 Milliarden Euro für neue Waffensysteme ausgeben. Schon in diesem Jahr sollen mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung fließen. Woher soll das Geld kommen?
Die Regierung will die Waffen zum Teil aus dem Haushalt sowie über Kredite und Staatsanleihen finanzieren. Die erste Ausgabe der Papiere im November 2022 war eine Pleite, da die Verzinsung nicht attraktiv genug war. Heute weiß niemand, ob das Geld reicht, um die Pläne zu verwirklichen.
Auf der Einkaufsliste stehen vor allem Panzer, Haubitzen und Raketensysteme. Sind die Prioritäten richtig gesetzt?
Das wichtigste, was Polen braucht, ist eine effiziente Luftverteidigung. Da ist bisher aber kaum Geld geflossen. Wir bräuchten deutlich mehr Abstimmung mit unseren Nato-Partnern. Polen muss sich heute nicht allein gegen mögliche Feinde verteidigen, wir sind Teil des transatlantischen Bündnisses. Die hektische Aufrüstung berücksichtigt auch nicht die Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg. Die Generäle wurden kaum konsultiert, welche Waffensysteme sie brauchen könnten. Das Verteidigungsministerium trifft politische Entscheidungen, um vor den Wahlen in Herbst Erfolge vermelden zu können.
Neben den USA kauft Polen vor allem in Südkorea ein. Warum?
Weil Südkorea heute das einzige Land ist, das Überkapazitäten bei der Rüstungsproduktion hat und schwere Waffen schnell liefern kann. Koreanische Waffensysteme sind sicher gut, viele werden in US-Lizenz hergestellt. Doch wäre es nicht taktisch klüger, Waffen bei unseren europäischen Verbündeten zu kaufen, um die Zusammenarbeit zu vertiefen? Wir könnten uns an europäischen Rüstungsprojekten beteiligen, Kooperationen eingehen und unsere Industrie stärken. Gemeinsame Projekte hat die PiS-Regierung blockiert – aus Angst vor dem Ausverkauf.
Wird die polnische Rüstungsindustrie von der Modernisierung der Armee profitieren?
Kaum, alle großen Verträge wurden mit ausländischen Lieferanten abgeschlossen. In der Eile wurden keine Kooperationen vereinbart. Manche Entscheidungen sind sehr kontrovers: Das Ministerium kauft koreanische Panzerhaubitzen K9, die mit unseren Krab-Haubitzen vergleichbar sind und die sich in der Ukraine bewährt haben. Mit der Begründung, dass der Produzent – Huta Stalowa Wola – nicht in der Lage ist, schnell große Stückzahlen zu liefern. Das grenzt an Sabotage.
Die Personalstärke der Streitkräfte soll auf 30.000 Mann verdoppelt werden. Woher sollen die Soldaten kommen?
Die Regierung ignoriert die demografische Entwicklung. Auf dem Arbeitsmarkt fehlen schon heute junge Leute. Ein höherer Sold kann nur begrenzt helfen, denn der Beruf gilt nicht als besonders attraktiv. Außerdem: Eine Verdopplung der Personalstärke würde auch eine Verdopplung der Ausgaben bedeuten.
Manche rechte Politiker fordern den Abschluss eines Militärpakts zwischen Polen und der Ukraine. Was halten sie davon?
Die Ukraine muss alles tun, um in Zukunft Mitglied in der Nato und in der EU zu werden. Alles andere ergibt keinen Sinn. Warum sollten die Nato-Länder, die die Ukraine unterstützen, bilaterale Verträge eingehen? Wir brauchen keine Alleingänge. Die Zukunft der Ukraine ist die Verantwortung des gesamten Westens.
Derzeit sind etwa 7.000 US-Soldaten an der Ostflanke der Nato stationiert. Muss sie weiter befestigt werden?
Daran führt kein Weg vorbei – sowohl, was die Zahl der Soldaten wie die der Waffensysteme betrifft. Wir brauchen vor allem mehr Patriot-Luftabwehrraketen. Beim Nato-Gipfel in Vilnius werden wir darüber reden und einen schnellen Ausbau der Verteidigungskapazitäten an der Ostflanke einfordern.
Was erwarten sie von dem Nato-Gipfel im Juli?
Die Allianz sollte die Nato-Russland-Grundakte aufkündigen, ein Pakt, den Moskau mit der Aggression in der Ukraine gebrochen hat. Wir werden außerdem über die weitere Unterstützung der Ukraine reden – auch über Lieferung von Kampfjets.
Tomasz Siemoniak (55) hat Wirtschaftswissenschaften in Warschau und in Duisburg studiert. Er war Journalist und seit den 1990er Jahren aktiv am Aufbau der jungen polnischen Demokratie beteiligt. 2000 bis 2002 war er stellvertretender Bürgermeister Warschaus. Seit 2007 war er Staatssekretär im Innenministerium, im August 2011 übernahm er das Amt des Verteidigungsministers bis zum Regierungswechsel 2015.
Der juristische Streit über die dringend benötigten digitalen Funkgeräte für die Bundeswehr geht in eine weitere Runde. Am 8. November werde der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf erstmals eine Beschwerde der Firma Thales gegen den Konkurrenten Rohde&Schwarz verhandeln, teilte das Gericht nun mit (Aktenzeichen VII Verg 22/23). Thales war bei der Vergabe mit einem Volumen von knapp 2,9 Milliarden Euro für die Beschaffung von digitalen Funkgeräten für die Landstreitkräfte nicht zum Zug gekommen und dagegen bereits beim Bundeswehr-Beschaffungsamt und bei der Vergabekammer des Bundeskartellamts ohne Erfolg vorgegangen.
Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte im vergangenen Dezember im Rahmen des Projekts “Digitalisierung landbasierter Operationen” (DLBO) die Vergabe der Bestellung an Rohde&Schwarz von zunächst rund 20.000 digitalen Funkgeräten gebilligt, mit der die Führung von Landoperationen sichergestellt werden soll. Bislang kann das Deutsche Heer mit Verbündeten nur eingeschränkt, nicht digital und nicht hinreichend verschlüsselt per Funk kommunizieren. Der Rahmenvertrag sieht eine mögliche Bestellung von 14.000 weiteren Geräten vor. Das Geld dafür soll aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr kommen.
Der Rechtsweg, den der unterlegene Konkurrent Thales jetzt in dritter und letzter Instanz beschreitet, hat vorerst keine Auswirkungen auf den Vertrag: Aufgrund der Billigung des Haushaltsausschusses und des sogenannten Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetzes gibt es vor dem Abschluss des Verfahrens keinen (vorläufigen) Lieferstopp.
Mittelbar wirkt sich der Streit jedoch auf die Modernisierung des Heeres-Funks aus: Weil der Bundestagsausschuss eine Sperre für das gesamte DLBO-Haushaltskapitel erlassen hat, dürfen andere Verträge mit Finanzierung aus diesem Teil des Haushalts nicht abgeschlossen werden. Das betrifft unter anderem den Einbau der Funkgeräte und die Umrüstung von Fahrzeugen; eine weitere Verzögerung könnte nach Befürchtungen aus dem Heer die Einsatzbereitschaft der für 2025 der Nato zugesagten Division gefährden. Das Verteidigungsministerium hat den Haushaltsausschuss um eine Aufhebung der Sperre noch vor der Sommerpause gebeten. tw
Die Cyberbotschafterin des Auswärtigen Amts spricht sich für ein gemeinsames Vorgehen der Nato-Staaten bei der Attribution gegen staatliche und nicht staatliche Akteure im Cyberspace aus. In einem Table.Media vorliegenden Papier mit dem Titel “Cyberangriffe benennen, globale Normen stärken” plädiert Regine Grienberger dafür, “über eigene Reaktionsmöglichkeiten im Bündnis als auch über die Weiterentwicklung der Nato-EU-Zusammenarbeit in diesem Bereich” nachzudenken. Unter Attribution wird, vereinfach gesagt, eine tiefe Analyse und Zuschreibung eines Cyberangriffes an einen Verursacher verstanden.
Zur Attribution eines Cyberangriffs sind meist umfangreiche Untersuchungen notwendig, um den Vorfall bestimmten Bedrohungsakteuren zuzuordnen, ein vollständiges Bild der Attacke zu erhalten und sicherzustellen, dass die Angreifer vor Gericht gestellt werden. Diese Bemühungen erfolgen oft in Verbindung mit offiziellen Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden – und sind von den Sicherheitsbehörden eines Staates allein oft nicht zu leisten.
Da die klare Benennung eines Täters “einen Konflikt entfachen oder verschärfen kann, muss das Instrument in verantwortungsvoller Weise gehandhabt werden”, schreibt Grienberger in ihrem als persönlichem Meinungsbeitrag gekennzeichneten Arbeitspapier für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). “Attribution unterstützt den Prozess der Verregelung des Cyberspace auf dem Weg vom Wilden Westen zu einem Ökosystem, in dem viele verschiedene Player ihren Platz und ihr Auskommen finden und kollektive ebenso wie individuelle digitale Rechte geschützt sind.”
Dabei orientierte sich die Bundesregierung am 2021 von den Vereinten Nationen vorgelegten Expertenbericht zur Stärkung verantwortlichen Staatenverhaltens im Cyberspace, der, so Grienberger, “auf keiner Stufe einen Automatismus” vorsehe. “Der Abschreckungseffekt der Attribution liegt daher nicht zuletzt in den Konsequenzen, die sie für die nationale Handhabung von Cyberfähigkeiten als Reaktion auf einen Angriff haben könnte.” mrb
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat am Montag die EU-Außenminister über die jüngste Eskalation zwischen Belgrad und Pristina informiert. Die Mitgliedstaaten seien bereit, Strafmaßnahmen zu ergreifen, falls dies nötig sei, um den Dialog über eine Normalisierung zwischen Belgrad und Pristina voranzubringen, sagte Borrell nach der Aussprache. Als nächste Schritte erwartet der EU-Außenbeauftragte, dass die Wahl der Bürgermeister in vier Gemeinden im Norden des Kosovo wiederholt wird und die Angehörigen der serbischen Minderheit sich diesmal beteiligen.
Die Verantwortung für die Konfrontation der letzten Wochen wird im Umfeld von Chefdiplomat Borrell bei Albin Kurti gesehen. Am Montag hatte Serbien drei mutmaßlich entführte Polizisten des Kosovo freigelassen und einen Beitrag zur Deeskalation mit Pristina geleistet.
Aus dem EU-Parlament gibt es Kritik an der Leistung der Vermittler. “Wir fordern im Parlament einen klaren Kurs für die Anerkennung des Kosovo”, sagt der österreichische EU-Abgeordnete Lukas Mandl. Serbien habe die Russlandsanktionen nicht übernommen, zuletzt die Umgehung der Strafmaßnahmen noch gefördert, Demonstrationen von Kriegstreibern zugelassen und den Eindruck erweckt, dass Putin auf der Seite der Serben stehe, sagt Mandl. Das sei alles ohne Konsequenzen für die Beitrittsverhandlungen geblieben.
Reinhard Bütikofer von den Grünen kritisiert, dass Borrell und sein Sonderbeauftragter Miroslav Lajčák von Anfang an ein Glaubwürdigkeitsproblem gehabt hätten, da der Spanier und der Slowake aus der kleinen Minderheit der EU-Staaten kämen, die Kosovo selber bisher nicht anerkannt hätten.
Die EU drohe Albin Kurti mit Strafmaßnahmen, nachdem sie Aleksandar Vučić zehn Jahre lang alles habe durchgehen lassen: “Die Provokationen aus Belgrad gehen auf keine Kuhhaut.” Die EU und die USA glaubten in einer Art Torschlusspanik, Alexander Vučić werde ohne Appeasement ganz ins Putin-Lager wechseln. Serbiens Präsident zeige dem Westen den Mittelfinger und nutze die Spielräume, um Putins Einfluss auf dem Westbalkan zu organisieren. Kurios findet der EU-Abgeordnete Klagen, Albin Kurti sei nicht so bestechlich wie seine Vorgänger und deshalb weniger einfach unter Druck zu setzen. Das EU-Parlament, sagt auch Reinhard Bütikofer, müsse die EU-Vermittler stoppen. sti
The Telegraph – Britain ‘just holding on’ to Nato influence because Army is now too small, deputy commander warns (Paywall): General Tim Radford, stellvertretender Oberster Alliierter Befehlshaber Europa (DSACEUR), zeichnet ein düsteres Bild der britischen Armee. Diese sei nach jahrelangem Sparkurs sehr geschrumpft und könnte ihre einflussreiche Position in der Nato verlieren.
Internationale Politik – Carlo Masala im Interview: “Ich halte unsere Gesellschaft für nicht besonders wehrhaft”: Wehrhaft müsse nicht nur die Bundeswehr sein, sondern auch die Gesellschaft, damit sie ihre demokratischen Werte verteidigen könnte, argumentiert Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität München. Bedrohungen würden zu oft rein militärisch gesehen, und die Gefahren der hybriden Kriegsführung, die die Gesellschaft betreffen, würden so verkannt.
Podcast: Ostausschuss der Salonkolumnisten – Wie lange hält Putins Macht? In einer Sonderfolge vom späten Samstagabend diskutieren Gustav Gressel, Franziska Davies, Gabriele Woidelko und Jan Claas Behrends, welchen Gesichtsverlust der Putschversuch für Wladimir Putin bedeutet und wie er sich historisch einordnen könnte. Wer eine Analyse der Ereignisse vom Samstag nachhören möchte. 40 Minuten.
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Michael Kofman wechselt vom Center for Naval Analyses (CNA) zum Carnegie Endowment for International Peace (CEIP). Der in Kiew geborene Kofman leitete beim CNA zuletzt die Abteilung Russland-Studien. Beim CEIP wird der in den USA ausgebildete Militärexperte ab Juli Senior Fellow des Russland- und Eurasien-Programms. “Michaels Analysen und Erkenntnisse über das russische Militär und den Krieg in der Ukraine waren in den letzten 15 Monaten von unschätzbarem Wert”, sagte der Vizepräsident für Studien des Russland- und Eurasien-Programms des Carnegie Endowment, Andrew Weiss.
Das CEIP hatte im April ein neues Zentrum in Berlin eröffnet, nachdem das Carnegie-Zentrum in Moskau nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geschlossen worden war. Kofman wird das Russland-Eurasien-Programm von Washington DC aus verstärken, wie er auf Twitter mitteilte. bub
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Fragt man Manuel Atug nach seiner Meinung zu diversen Strategien, Eckpunkte-Papieren oder Agenden der Bundesregierung, endet es nicht selten in einer “Brandrodung”. Zuletzt auch so geschehen bei der vor kurzem veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung. Er kritisiert vor allem, dass darin zwar 62 Mal das Wort “Cyber” vorkomme, schlussendlich aber wichtige Fragen, zum Beispiel zur digitalen Rüstungskontrolle oder einem wirksamen Bevölkerungsschutz offen blieben.
Wie kaum ein anderer in Deutschland lobbyiert Manuel Atug für ein starkes IT-Sicherheitsgesetz und einen verbesserten, gesetzlichen Schutz Kritischer Infrastrukturen (Kritis). In Beiträgen und auf Vorträgen mahnt der IT-Sicherheitsberater an, Infrastrukturen in allen versorgungskritischen Bereichen wie Energie- und Wasserversorgung, Informations- und Kommunikationstechnik sowie dem Finanz- und Versicherungswesen deutlich besser zu schützen.
2018 gründete er dafür zusammen mit Kollegen die AG Kritis, einen unabhängigen Zusammenschluss rund 42 ehrenamtlicher Lobbyisten für einen starken Schutz Kritischer Infrastruktur. Im vergangenen Jahr kam die AG Nachhaltige Digitalisierung dazu, die er zusammen mit Caroline Krohn gründete. Kernforderung dieser Arbeitsgruppe ist es, technische Schulden an kommende Generationen zu vermeiden und Security by Design sowie Privacy by Design in allen Institutionen und Systemen durchzusetzen.
Bereits mit sechs Jahren experimentierte Atug an einem C64-Rechner, manipulierte Spielstände, hebelte ein paar Jahre später Kopierschutzmechanismen aus. “Ich habe immer versucht, hinter die Fassade zu gucken und Dinge so zu benutzen, wie sie eigentlich nicht gedacht waren”, sagt er. “War damals noch nicht strafbewehrt”, schiebt Atug, der im Netz vor allem unter dem Pseudonym HonkHase bekannt ist, schmunzelnd hinterher.
In den frühen 90er-Jahren fand er den Weg zum Chaos Computer Club (CCC), engagierte sich im Bereich der Cybersicherheit. Hauptberuflich legte er als Penetrationstester Sicherheitslücken in den Systemen seiner Kunden offen, die vor allem aus der Kreditwirtschaft kommen. Später wechselte Atug in die IT-Beratung, um nicht nur fatale Sicherheitslücken zu finden, sondern Unternehmen dabei zu helfen, diese überhaupt zu vermeiden.
Seine Projekte führten ihn durch die unterschiedlichsten Branchen und verschiedensten Ecken der Welt: von Nordamerika nach Israel, die Ukraine, Kasachstan bis nach Sibirien. “Dort habe ich gelernt, wie Sicherheit in unterschiedlichen Kulturen gedacht wird”, sagt Atug. Viele der Unternehmen, die er damals beriet, sind inzwischen als Kritische Infrastrukturen eingestuft.
Bei den Kritischen Infrastrukturen ist der 1976 geborene Wipperfürther dann auch hängengeblieben. Nachdem er sich für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) 2016 durchs IT-Sicherheitsgesetz zum Schutz von Kritischer Infrastruktur gekämpft hat, bildet er Prüfer aus, die Betreiber von Kritischer Infrastruktur nach dem Gesetz überprüfen und wiederum andere Menschen darin ausbilden.
Angesprochen auf das Eckpunktepapier des Kritis-Dachgesetz, vorgelegt im Dezember 2022 vom Bundesinnenministerium (BMI), seufzt Atug tief. “Grundsätzlich sind die Überlegungen zu begrüßen. Aber das Papier wurde vorgestellt, ohne vorher mit irgendwem aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft oder Wissenschaft zu sprechen”, bemängelt er. Das BMI verlangt darin nach einer Definition von Kritischer Infrastruktur, was Atug nur schwer nachvollziehen kann. Die EU, der Bund, das BSI, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), die Länder, alle hätten bereits Definitionen niedergeschrieben.
Dass das BBK außerdem mehr Verantwortung beim Schutz von Kritis übernehmen soll, sieht Atug skeptisch. Denn ob noch ein Akteur neben dem BSI und vielen anderen im ohnehin schon unübersichtlichen “Cyber-Wimmelbild der Verantwortungsdiffusion” helfen wird, da hat Atug seine Zweifel.
Dass es aber mehr fähige Menschen braucht, um in Deutschland effektiv den Schutz von Kritischer Infrastruktur bzw. die schnelle Wiederherstellung nach einem Ereignis zu gewährleisten, sieht auch Atug so. Aus der AG Kritis ging 2020 das Konzept für ein Cyber-Hilfswerk (CHW) hervor, welches an das Technische Hilfswerk (THW) angelehnt ist. Wie bei Naturkatastrophen ehrenamtliche Helfer ausrücken, sieht Atug auch bei Großschadenslagen bei Kritischer Infrastruktur zivile Hilfe als unabdingbar an.
Denn 2.000 Betreibern Kritischer Infrastrukturen stünden nur etwa 15 hauptamtliche Mitarbeiter des BSI gegenüber, die im Ernstfall zwar weitere Kräfte mobilisieren könnten, aber immer noch nicht genug für Großschadenslagen.
Ein großer Erfolg für das CHW: Im aktuellen Koalitionsvertrag ist eine Stärkung des THW im Bereich der Cyberhilfe vorgesehen. Das THW wiederum zöge die AG Kritis regelmäßig zurate, sagt Atug. Für sein Engagement erhielt Atug im April 2023 den For…Net Award, einen Preis für Aufklärungsarbeit zur IT-Sicherheit von kritischen Infrastrukturen. Lisa-Martina Klein
Verteidigungsminister Boris Pistorius überraschte am Montag mit einer Ankündigung meine Kollegin Lisa-Martina Klein und meinen Kollegen Thomas Wiegold in Litauen: Deutschland will in dem baltischen Land eine Brigade mit 4.000 Soldatinnen und Soldaten stationieren. Das ist eine Kehrtwende. Bislang wollte sich Berlin nicht zu einer permanenten Stationierung bekennen. Die gewachsene Unberechenbarkeit Russlands dürfte aber auch ein Argument mehr für den Schritt von Pistorius sein.
Nach dem Putschversuch am Wochenende tut der Kreml zwar so, als würde Wagners Aufstand keine größeren Folgen haben. Und der Chef der Privatmiliz, Jewgeni Prigoschin, rechtfertigte sogar am späten Nachmittag via Telegram seinen “Marsch der Gerechtigkeit”. Doch Russlands Aggressivität ist insgesamt keineswegs kleiner geworden.Viktor Funk fasst zusammen, was der Putschversuch für Russland, die Ukraine und die EU bedeuten könnte.
In Mali muss sich die Wagner-Gruppe noch bilateralen Abkommen zwischen Bamako und Moskau unterwerfen. Sollten Wagner und Russland auseinanderdriften, müssten afrikanische Länder direkt mit den Söldnern verhandeln. Wagner könnte dann noch stärker seine Bedingungen diktieren, warnt der malische Politikwissenschaftler, Mady Camara. Lucia Weiß hat mit ihm gesprochen.
Polen will bis 2035 fast 200 Milliarden Euro für neue Waffen ausgeben. Die PiS-Regierung kündigt an, die stärkste Armee Europas aufzubauen. Der frühere polnische Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak ist sehr skeptisch und kritisiert im Interview mit Andrzej Rybak die Pläne: Warschau verspreche mehr, als es liefere und schade dabei der heimischen Rüstungsindustrie.
Ich wünsche eine gute Lektüre
Überdeutlich drückte sich Verteidigungsminister Boris Pistorius bei seinem Besuch in Litauen am Montag aus: “Deutschland ist bereit, dauerhaft eine robuste Brigade in Litauen zu stationieren.” Eine Voraussetzung dafür sei, dass Litauen die entsprechende Infrastruktur wie Kasernen, Munitionsdepots und verbesserte Übungsmöglichkeiten bereitstelle.
Bei einer dauerhaften Stationierung von 4.000 Soldatinnen und Soldaten gehe es nicht nur um Truppen und Material, sondern auch um Familien, sagte Pistorius. Damit kündigte er die erstmalige dauerhafte Stationierung deutscher Kampftruppen im Ausland an.
Als zweite Voraussetzung nannte der deutsche Minister die Zustimmung des obersten militärischen Befehlshabers der Nato. Das Bündnis überarbeitet gerade seine regionalen Verteidigungspläne und will diese auf dem Nato-Gipfel am 11. und 12. Juli in Vilnius verabschieden. Entscheidend sei, so Pistorius, ob eine dauerhafte Stationierung der Brigade mit den neuen Verteidigungsplänen vereinbar sei oder ob die Allianz einen flexibleren Ansatz wolle.
Seit 2017 unterstützt die Nato in Estland, Lettland, Litauen und Polen mit Kampfgruppen in Bataillonsstärke die jeweiligen Streitkräfte; die deutsche Brigade ist ein zusätzliches deutsches Angebot für Litauen.
Offen bleibt nach Pistorius’ Ankündigung allerdings, ab wann die Brigade vollständig in Litauen stationiert sein kann. Man arbeite daran, die nötigen Kapazitäten bis 2026 aufzubauen, sagte Litauens Präsident Gitanas Nausėda nach einem Treffen mit dem deutschen Verteidigungsminister. Synchron zum Kapazitätsaufbau werde man dann Personal nach Litauen verlegen, so Pistorius.
Offen bleibt vorerst auch, wie die angekündigte dauerhafte Stationierung aussehen soll und woher das Heer diese Soldaten nehmen könnte. Deutschland hat der Nato für 2025 und 2027 jeweils eine einsatzbereite Division zugesagt. Eine komplette Kampfbrigade zusätzlich zu dieser ohnehin fordernden Aufgabe zusammenzustellen, ist für die Bundeswehr personell schwer zu stemmen.
Darüber hinaus sieht die Bundeswehr eine dauerhafte Stationierung im Ausland bislang nur auf freiwilliger Basis vor: Für einen mehrjährigen Aufenthalt im Baltikum müssten sich genügend Mannschaften, Feldwebel und Offiziere finden, die ihren Lebensmittelpunkt verlegen und möglicherweise sogar die Familie mitnehmen. Im Unterschied zu den USA, Frankreich und Großbritannien hat die Bundesrepublik mit dieser Art des Auslands-Engagements keine Erfahrungen.
Die Nachricht und Deutlichkeit von Pistorius’ Aussage kamen überraschend, herrschten doch beim Thema Brigade seit einem Jahr Meinungsverschiedenheiten zwischen Litauen und Deutschland. Grund dafür war eine unterschiedlich interpretierte Formulierung in einem Kommuniqué von Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Nausėda vom 7. Juni 2022. Darin sagte Scholz, Deutschland werde zur Abschreckung und Verteidigung gegen russische Aggression eine robuste und gefechtsbereite Brigade durch ein permanent vorgeschobenes Element eines Brigadestabes in Litauen “anführen”.
Während Litauen seither auf eine permanente Stationierung einer vollen Brigade pochte, verfolgte Deutschland bislang einen flexibleren Ansatz: Seit Anfang Oktober 2022 besteht in Rukla ein vorgeschobenes Brigadekommando, ein so genanntes Forward Command Element, unter der Führung von Brigadegeneral Christian Nawrat, um schnell auf Lageänderungen reagieren zu können. Munition und Material sollte in Litauen vorgelagert, die gemeinsamen Übungen intensiviert werden. Die restlichen Truppenteile sollten, so der Plan bislang, in Deutschland vorgehalten und bei Bedarf innerhalb von zehn Tagen nach Litauen verlegt werden können.
Mit der aktuellen Übung “Griffin Storm”, die Anlass für Pistorius’ Besuch in Litauen war, hatte Nawrats Panzergrenadierbrigade 41 genau diese schnelle Verlegbarkeit von 1.000 deutschen Soldaten per Land, Wasser und Luft demonstrieren wollen.
Im litauischen Parlament begrüßt man die Nachricht der dauerhaften Stationierung. Nach Monaten, in denen es aus Deutschland bremsende Töne gegeben habe, sei dies es nun eine gute Nachricht, sagt Laurynas Kasčiūnas, Abgeordneter der christdemokratischen Partei Homeland Union Litauen. “Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben machen, um bis 2026 fertig zu sein. Dann bleibt es abzuwarten, ob Deutschland auch wirklich bereit ist.” Mit Thomas Wiegold
Nach dem Putschversuch der Privatmiliz Wagner gegen die Armeeführung in Russland hat die russische Regierung am Montag vor allem versucht, Normalität zu simulieren. Das Regierungskabinett unter Leitung des Premierministers Michail Mischustin versicherte, dass es keine größeren gesellschaftlichen Folgen der Ereignisse vom Wochenende gebe. Das Bemerkenswerte daran, erläuterten die russischen Kreml-Kenner Farida Rustamowa und Maxim Towkajl, sei, dass die Kabinettssitzung öffentlich gezeigt wurde. Für gewöhnlich gebe es davon keine Bilder.
Am Montag nach dem Wochenende drängen drei Fragen in den Vordergrund:
Zahlreiche Fachleute für die russische Innenpolitik verwiesen gestern einerseits auf die geschwächte Position Putins, zugleich aber auch darauf, dass das Schicksal des Wagner-Anführers Jewgeni Prigoschin noch nicht entschieden sei. “Er ist nun ein politischer Akteur, das Regime muss einen Weg finden, mit ihm umzugehen”, erläutert die im Berliner Exil lebende Ekaterina Schulmann gegenüber der Financial Times. Im Gespräch mit Table.Media sagte sie: “Putins System zerfällt. Langsam oder schnell – das ist unklar, nur der Weg ist klar: Es geht bergab.”
Am späten Montagabend meldete sich Präsident Wladimir Putin selbst zu Wort und machte in einer gut fünfminütigen Ansprache klar, dass die Tage der privaten Miliz Wagner gezählt sind. Er versprach zwar, sein Wort zu halten, keine Strafen für die Aufständischen zu verhängen. Doch für die Zukunft der Söldner gebe es nur drei Optionen: Vertrag mit dem Verteidigungsministerium; Ende des aktiven Dienstes oder Auswandern nach Belarus. In dem Land des Diktators Alexander Lukaschenko sollen offenbar schon Vorbereitungen für die Aufnahme Tausender Wagner-Kämpfer laufen.
Prigoschin selbst hatte sich am Montagnachmittag über seinen Telegram-Kanal an die Öffentlichkeit gewandt – mit einer überraschend banalen Nachricht: Sein “Marsch der Gerechtigkeit” sei eine Antwort auf den Versuch des Verteidigungsministers gewesen, die Kontrolle über Wagner zu erlangen. Keine lauten Forderungen mehr, keine Beleidigungen, keine Vorwürfe. Da sprach jemand, der sich rechtfertigte.
Ob der Putschversuch mit immerhin mehreren Dutzend Toten auf der Seite des russischen Militärs und Wagner ganz folgenlos für Russland bleibt, ist noch nicht absehbar. Erste Namen für eine Erneuerung an der Spitze des russischen Verteidigungsministeriums tauchten gestern jedenfalls auf: Der jetzige Vize-Minister und Gouverneur der Region Tula, Aleksej Djumin, könnte Sergej Schoigu beerben und General Sergej Surowikin könnte den Chef des Generalstabs, Waleri Gerassimow, ablösen. Sollten Schoigu und Gerassimow gehen, hätte Prigoschin ein wichtiges Ziel erreicht.
Ob die Ukraine aus der kurzzeitig chaotischen Situation einen Vorteil ziehen kann, ist noch fraglich. “Je länger der Putsch gedauert hätte, desto besser wäre es gewesen”, sagte der russischsprachige, israelische Militär-Analyst Ygal Levin, der in Kiew lebt und für ukrainische Medien die Lage an der Front analysiert. In jedem Fall sei es hilfreich, dass die russische Armee bei der Niederschlagung des Aufstandes weitere Hubschrauber verloren habe.
Wenn der kurzzeitige Aufstand nur ein Sturm im Wasserglas war, dann wird dies zumindest vorerst keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Krieg in der Ukraine haben. Für die Regierungen in der EU und Washington gibt es vorerst auch wenig Gewinn aus der Situation. Der Westen müsse eher langfristig eine demokratische Elite in Russland fördern, erläuterte Kirill Shamiev auf Nachfrage. “Der Westen muss signalisieren, dass er diejenigen unterstützten will, die eine Demokratisierung im politischen Leben Russlands wollen.” Shamiev spielt damit auf die am Wochenende vielfach unter russischen Exilanten geäußerte Kritik an, dass im Land keine pro-demokratischen Kräfte auf den Putsch reagiert hätten.
Ob und wie geschwächt Putin tatsächlich ist, ist noch unklar. Möglicherweise ist eine Säuberungswelle in der russischen Elite zu erwarten. Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung, hatte unmittelbar nach dem Putsch-Versuch im Gespräch mit Table.Media vorhergesagt: “Was also folgen wird, wenn es Putin gelingt, diesen Aufstand niederzuschlagen, ist eine Säuberungswelle. Der Loyalitätszirkel wird enger. Die Hardliner werden die vermeintlich Unzuverlässigen in der politischen Elite, im Militär, im öffentlichen Raum zu beseitigen versuchen, sie aus ihren Funktionen entfernen oder sie verhaften, oder sie sich ihrer ganz entledigen. Wir werden eine Verschärfung des polizeistaatlichen Charakters des Systems sehen.”
Erst vor wenigen Wochen telefonierte Malis Militärpräsident Assimi Goita wieder mit Russlands Präsident Wladimir Putin und twitterte über den guten Austausch. Jede Lieferung von militärischem Gerät wird mit Pomp in Bamako gefeiert. Mali spricht von russischen Ausbildern im Land, westliche Regierungen dagegen offen von der Präsenz von Wagner-Söldnern. Im UN-Sicherheitsrat forderte Mitte Juni Malis Außenminister Abdoulaye Diop den Abzug der Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (Minusma). Am Donnerstag stimmt der UN-Sicherheitsrat über eine Verlängerung des Mandats ab, das am Freitag ausläuft. Die Abstimmung steht nun unter anderen Vorzeichen. Deutschland will seine Truppen bis Ende Mai 2024 abziehen.
In Mali ist die Wagner-Gruppe mit mehreren Hundert Soldaten aktiv. Darüber hinaus auch in der Zentralafrikanischen Republik mit geschätzt 1800 Soldaten und in Libyen angeblich mit bis zu 1200 Kämpfern. Auch im Sudan ist die Truppe offenbar präsent. Darüber hinaus ist Wagner in Afrika angeblich auch im Objekt- und Personenschutz tätig. Die russische Regierung hat die Wagner-Aktivitäten in Afrika nie offiziell bestätigt.
“Die Anwesenheit von Wagner in Mali wird vom Kreml gesponsert und wenn Wagner mit dem Kreml überkreuz liegt … dann wird Mali logischerweise Folgen für seine Sicherheit spüren”, so der malische Politikwissenschaftler Bassirou Doumbia gegenüber Reuters am Samstag.
Wenn die Wagner-Gruppe an Stärke gewinnt, könnte das in Mali die Sicherheitslage verschärfen und den Staat in größere Abhängigkeit bringen. “Alle Länder, die mit Wagner arbeiten, hatten zuerst mit dem russischen Staat zu tun. Wenn Russland jetzt als Vermittler fehlt, dann müssen die afrikanischen Länder direkt mit Wagner sprechen. Wagner musste sich bisher den bilateralen Vereinbarungen unterordnen”, sagt der malische Politikwissenschaftler Mady Camara im Gespräch mit Table.Media.
In Zukunft könnte sich die Wagner Gruppe aufzwingen, und ihre eigenen Bedingungen in den afrikanischen Ländern durchsetzen, in denen die Sicherheitslage ohnehin schon prekär ist: “Entweder seid ihr einverstanden und wir bleiben oder ihr seid nicht einverstanden und wir geben das Terrain frei und dann werdet ihr von Rebellen oder Terroristen eingenommen. Ich denke also, die Länder werden dann keine Wahl haben und alles akzeptieren, was Wagner ihnen vorschreibt”, so Camara.
Während die Wagner-Präsenz in Mali bisher vergleichsweise verdeckt vor sich geht, sieht es in der Zentralafrikanischen Republik anders aus. Eine Studie der NGO “Global Initiative” bezeichnet das Wagner-Modell dort als “staatliche Übernahme”. Im Austausch für Bodenschätze – Gold und Diamanten vor allem – liefere Wagner dem Regime von Präsident Faustin-Archange Touadéra politische und militärische Unterstützung.
Der Politikwissenschaftler Camara aus Bamako sieht noch ein zweites Risiko, falls die Wagner-Gruppe an Autonomie gewinnen sollte. “Wenn sie nicht mehr unter Kontrolle der russischen Regierung sind, dann geht das, was sie tun, nur noch sie an. Ihre Handlungen könnten dann weit entfernt von dem liegen, was man Respekt der Menschenrechte nennt“, so Camara.
Bereits jetzt stehen Wagner-Gruppen in Verdacht, an Menschenrechtsverletzungen beteiligt gewesen zu sein, wie etwa ein UN-Bericht vom Mai über das Massaker in Moura (März 2022) nahelegt. Prigoschin selbst dagegen hebt seine eigene Rolle für afrikanische Partner hervor, am Wochenende polterte er dabei gegen die russische Staatsführung: Die russische Armee habe Afrika im Stich gelassen und sich an dem für afrikanische Länder vorgesehenen Geld bereichert.
“Prigoschin führt unter Putins Kommando Russlands Afrika-Aktivitäten aus. Es geht um den ,New Scramble’ um Rohstoffe und seltene Erden in Afrika, inmitten der Vierten Industriellen Revolution und der energetischen Transition – und Russland hat eine Pole Position dank Wagner”, so die Analystin Velina Tchakarova auf Twitter. Und weiter: “Wenn Prigoschin diese Turbulenzen überlebt, dann vor allem, weil er für Russlands wachsende Interessen in Afrika wichtig ist.”
Herr Siemoniak, die rechtsnationale PiS-Regierung will die polnischen Streitkräfte kurzfristig zur stärksten Armee in Europa machen. Kann das gelingen?
Ich halte das für ein Ablenkungsmanöver. Die sieben Jahre der PiS-Regierung – bis zum Überfall Russlands auf die Ukraine – waren nicht gut für Polens Verteidigungskapazitäten. Sie führte politische Säuberungen in der Armee durch, bremste die Modernisierung aus und kaufte nur geringe Stückzahlen an neuen Waffensystemen. Die Parolen von der stärksten Armee in Europa stehen in Widerspruch zur Realität. Polens Armee verzeichnete zuletzt auch eine Rekordzahl an Abgängen – trotz Gehaltserhöhungen.
Nun will das Verteidigungsministerium bis 2035 fast 200 Milliarden Euro für neue Waffensysteme ausgeben. Schon in diesem Jahr sollen mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung fließen. Woher soll das Geld kommen?
Die Regierung will die Waffen zum Teil aus dem Haushalt sowie über Kredite und Staatsanleihen finanzieren. Die erste Ausgabe der Papiere im November 2022 war eine Pleite, da die Verzinsung nicht attraktiv genug war. Heute weiß niemand, ob das Geld reicht, um die Pläne zu verwirklichen.
Auf der Einkaufsliste stehen vor allem Panzer, Haubitzen und Raketensysteme. Sind die Prioritäten richtig gesetzt?
Das wichtigste, was Polen braucht, ist eine effiziente Luftverteidigung. Da ist bisher aber kaum Geld geflossen. Wir bräuchten deutlich mehr Abstimmung mit unseren Nato-Partnern. Polen muss sich heute nicht allein gegen mögliche Feinde verteidigen, wir sind Teil des transatlantischen Bündnisses. Die hektische Aufrüstung berücksichtigt auch nicht die Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg. Die Generäle wurden kaum konsultiert, welche Waffensysteme sie brauchen könnten. Das Verteidigungsministerium trifft politische Entscheidungen, um vor den Wahlen in Herbst Erfolge vermelden zu können.
Neben den USA kauft Polen vor allem in Südkorea ein. Warum?
Weil Südkorea heute das einzige Land ist, das Überkapazitäten bei der Rüstungsproduktion hat und schwere Waffen schnell liefern kann. Koreanische Waffensysteme sind sicher gut, viele werden in US-Lizenz hergestellt. Doch wäre es nicht taktisch klüger, Waffen bei unseren europäischen Verbündeten zu kaufen, um die Zusammenarbeit zu vertiefen? Wir könnten uns an europäischen Rüstungsprojekten beteiligen, Kooperationen eingehen und unsere Industrie stärken. Gemeinsame Projekte hat die PiS-Regierung blockiert – aus Angst vor dem Ausverkauf.
Wird die polnische Rüstungsindustrie von der Modernisierung der Armee profitieren?
Kaum, alle großen Verträge wurden mit ausländischen Lieferanten abgeschlossen. In der Eile wurden keine Kooperationen vereinbart. Manche Entscheidungen sind sehr kontrovers: Das Ministerium kauft koreanische Panzerhaubitzen K9, die mit unseren Krab-Haubitzen vergleichbar sind und die sich in der Ukraine bewährt haben. Mit der Begründung, dass der Produzent – Huta Stalowa Wola – nicht in der Lage ist, schnell große Stückzahlen zu liefern. Das grenzt an Sabotage.
Die Personalstärke der Streitkräfte soll auf 30.000 Mann verdoppelt werden. Woher sollen die Soldaten kommen?
Die Regierung ignoriert die demografische Entwicklung. Auf dem Arbeitsmarkt fehlen schon heute junge Leute. Ein höherer Sold kann nur begrenzt helfen, denn der Beruf gilt nicht als besonders attraktiv. Außerdem: Eine Verdopplung der Personalstärke würde auch eine Verdopplung der Ausgaben bedeuten.
Manche rechte Politiker fordern den Abschluss eines Militärpakts zwischen Polen und der Ukraine. Was halten sie davon?
Die Ukraine muss alles tun, um in Zukunft Mitglied in der Nato und in der EU zu werden. Alles andere ergibt keinen Sinn. Warum sollten die Nato-Länder, die die Ukraine unterstützen, bilaterale Verträge eingehen? Wir brauchen keine Alleingänge. Die Zukunft der Ukraine ist die Verantwortung des gesamten Westens.
Derzeit sind etwa 7.000 US-Soldaten an der Ostflanke der Nato stationiert. Muss sie weiter befestigt werden?
Daran führt kein Weg vorbei – sowohl, was die Zahl der Soldaten wie die der Waffensysteme betrifft. Wir brauchen vor allem mehr Patriot-Luftabwehrraketen. Beim Nato-Gipfel in Vilnius werden wir darüber reden und einen schnellen Ausbau der Verteidigungskapazitäten an der Ostflanke einfordern.
Was erwarten sie von dem Nato-Gipfel im Juli?
Die Allianz sollte die Nato-Russland-Grundakte aufkündigen, ein Pakt, den Moskau mit der Aggression in der Ukraine gebrochen hat. Wir werden außerdem über die weitere Unterstützung der Ukraine reden – auch über Lieferung von Kampfjets.
Tomasz Siemoniak (55) hat Wirtschaftswissenschaften in Warschau und in Duisburg studiert. Er war Journalist und seit den 1990er Jahren aktiv am Aufbau der jungen polnischen Demokratie beteiligt. 2000 bis 2002 war er stellvertretender Bürgermeister Warschaus. Seit 2007 war er Staatssekretär im Innenministerium, im August 2011 übernahm er das Amt des Verteidigungsministers bis zum Regierungswechsel 2015.
Der juristische Streit über die dringend benötigten digitalen Funkgeräte für die Bundeswehr geht in eine weitere Runde. Am 8. November werde der Vergabesenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf erstmals eine Beschwerde der Firma Thales gegen den Konkurrenten Rohde&Schwarz verhandeln, teilte das Gericht nun mit (Aktenzeichen VII Verg 22/23). Thales war bei der Vergabe mit einem Volumen von knapp 2,9 Milliarden Euro für die Beschaffung von digitalen Funkgeräten für die Landstreitkräfte nicht zum Zug gekommen und dagegen bereits beim Bundeswehr-Beschaffungsamt und bei der Vergabekammer des Bundeskartellamts ohne Erfolg vorgegangen.
Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte im vergangenen Dezember im Rahmen des Projekts “Digitalisierung landbasierter Operationen” (DLBO) die Vergabe der Bestellung an Rohde&Schwarz von zunächst rund 20.000 digitalen Funkgeräten gebilligt, mit der die Führung von Landoperationen sichergestellt werden soll. Bislang kann das Deutsche Heer mit Verbündeten nur eingeschränkt, nicht digital und nicht hinreichend verschlüsselt per Funk kommunizieren. Der Rahmenvertrag sieht eine mögliche Bestellung von 14.000 weiteren Geräten vor. Das Geld dafür soll aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr kommen.
Der Rechtsweg, den der unterlegene Konkurrent Thales jetzt in dritter und letzter Instanz beschreitet, hat vorerst keine Auswirkungen auf den Vertrag: Aufgrund der Billigung des Haushaltsausschusses und des sogenannten Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetzes gibt es vor dem Abschluss des Verfahrens keinen (vorläufigen) Lieferstopp.
Mittelbar wirkt sich der Streit jedoch auf die Modernisierung des Heeres-Funks aus: Weil der Bundestagsausschuss eine Sperre für das gesamte DLBO-Haushaltskapitel erlassen hat, dürfen andere Verträge mit Finanzierung aus diesem Teil des Haushalts nicht abgeschlossen werden. Das betrifft unter anderem den Einbau der Funkgeräte und die Umrüstung von Fahrzeugen; eine weitere Verzögerung könnte nach Befürchtungen aus dem Heer die Einsatzbereitschaft der für 2025 der Nato zugesagten Division gefährden. Das Verteidigungsministerium hat den Haushaltsausschuss um eine Aufhebung der Sperre noch vor der Sommerpause gebeten. tw
Die Cyberbotschafterin des Auswärtigen Amts spricht sich für ein gemeinsames Vorgehen der Nato-Staaten bei der Attribution gegen staatliche und nicht staatliche Akteure im Cyberspace aus. In einem Table.Media vorliegenden Papier mit dem Titel “Cyberangriffe benennen, globale Normen stärken” plädiert Regine Grienberger dafür, “über eigene Reaktionsmöglichkeiten im Bündnis als auch über die Weiterentwicklung der Nato-EU-Zusammenarbeit in diesem Bereich” nachzudenken. Unter Attribution wird, vereinfach gesagt, eine tiefe Analyse und Zuschreibung eines Cyberangriffes an einen Verursacher verstanden.
Zur Attribution eines Cyberangriffs sind meist umfangreiche Untersuchungen notwendig, um den Vorfall bestimmten Bedrohungsakteuren zuzuordnen, ein vollständiges Bild der Attacke zu erhalten und sicherzustellen, dass die Angreifer vor Gericht gestellt werden. Diese Bemühungen erfolgen oft in Verbindung mit offiziellen Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden – und sind von den Sicherheitsbehörden eines Staates allein oft nicht zu leisten.
Da die klare Benennung eines Täters “einen Konflikt entfachen oder verschärfen kann, muss das Instrument in verantwortungsvoller Weise gehandhabt werden”, schreibt Grienberger in ihrem als persönlichem Meinungsbeitrag gekennzeichneten Arbeitspapier für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS). “Attribution unterstützt den Prozess der Verregelung des Cyberspace auf dem Weg vom Wilden Westen zu einem Ökosystem, in dem viele verschiedene Player ihren Platz und ihr Auskommen finden und kollektive ebenso wie individuelle digitale Rechte geschützt sind.”
Dabei orientierte sich die Bundesregierung am 2021 von den Vereinten Nationen vorgelegten Expertenbericht zur Stärkung verantwortlichen Staatenverhaltens im Cyberspace, der, so Grienberger, “auf keiner Stufe einen Automatismus” vorsehe. “Der Abschreckungseffekt der Attribution liegt daher nicht zuletzt in den Konsequenzen, die sie für die nationale Handhabung von Cyberfähigkeiten als Reaktion auf einen Angriff haben könnte.” mrb
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat am Montag die EU-Außenminister über die jüngste Eskalation zwischen Belgrad und Pristina informiert. Die Mitgliedstaaten seien bereit, Strafmaßnahmen zu ergreifen, falls dies nötig sei, um den Dialog über eine Normalisierung zwischen Belgrad und Pristina voranzubringen, sagte Borrell nach der Aussprache. Als nächste Schritte erwartet der EU-Außenbeauftragte, dass die Wahl der Bürgermeister in vier Gemeinden im Norden des Kosovo wiederholt wird und die Angehörigen der serbischen Minderheit sich diesmal beteiligen.
Die Verantwortung für die Konfrontation der letzten Wochen wird im Umfeld von Chefdiplomat Borrell bei Albin Kurti gesehen. Am Montag hatte Serbien drei mutmaßlich entführte Polizisten des Kosovo freigelassen und einen Beitrag zur Deeskalation mit Pristina geleistet.
Aus dem EU-Parlament gibt es Kritik an der Leistung der Vermittler. “Wir fordern im Parlament einen klaren Kurs für die Anerkennung des Kosovo”, sagt der österreichische EU-Abgeordnete Lukas Mandl. Serbien habe die Russlandsanktionen nicht übernommen, zuletzt die Umgehung der Strafmaßnahmen noch gefördert, Demonstrationen von Kriegstreibern zugelassen und den Eindruck erweckt, dass Putin auf der Seite der Serben stehe, sagt Mandl. Das sei alles ohne Konsequenzen für die Beitrittsverhandlungen geblieben.
Reinhard Bütikofer von den Grünen kritisiert, dass Borrell und sein Sonderbeauftragter Miroslav Lajčák von Anfang an ein Glaubwürdigkeitsproblem gehabt hätten, da der Spanier und der Slowake aus der kleinen Minderheit der EU-Staaten kämen, die Kosovo selber bisher nicht anerkannt hätten.
Die EU drohe Albin Kurti mit Strafmaßnahmen, nachdem sie Aleksandar Vučić zehn Jahre lang alles habe durchgehen lassen: “Die Provokationen aus Belgrad gehen auf keine Kuhhaut.” Die EU und die USA glaubten in einer Art Torschlusspanik, Alexander Vučić werde ohne Appeasement ganz ins Putin-Lager wechseln. Serbiens Präsident zeige dem Westen den Mittelfinger und nutze die Spielräume, um Putins Einfluss auf dem Westbalkan zu organisieren. Kurios findet der EU-Abgeordnete Klagen, Albin Kurti sei nicht so bestechlich wie seine Vorgänger und deshalb weniger einfach unter Druck zu setzen. Das EU-Parlament, sagt auch Reinhard Bütikofer, müsse die EU-Vermittler stoppen. sti
The Telegraph – Britain ‘just holding on’ to Nato influence because Army is now too small, deputy commander warns (Paywall): General Tim Radford, stellvertretender Oberster Alliierter Befehlshaber Europa (DSACEUR), zeichnet ein düsteres Bild der britischen Armee. Diese sei nach jahrelangem Sparkurs sehr geschrumpft und könnte ihre einflussreiche Position in der Nato verlieren.
Internationale Politik – Carlo Masala im Interview: “Ich halte unsere Gesellschaft für nicht besonders wehrhaft”: Wehrhaft müsse nicht nur die Bundeswehr sein, sondern auch die Gesellschaft, damit sie ihre demokratischen Werte verteidigen könnte, argumentiert Carlo Masala, Professor an der Bundeswehr-Universität München. Bedrohungen würden zu oft rein militärisch gesehen, und die Gefahren der hybriden Kriegsführung, die die Gesellschaft betreffen, würden so verkannt.
Podcast: Ostausschuss der Salonkolumnisten – Wie lange hält Putins Macht? In einer Sonderfolge vom späten Samstagabend diskutieren Gustav Gressel, Franziska Davies, Gabriele Woidelko und Jan Claas Behrends, welchen Gesichtsverlust der Putschversuch für Wladimir Putin bedeutet und wie er sich historisch einordnen könnte. Wer eine Analyse der Ereignisse vom Samstag nachhören möchte. 40 Minuten.
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Michael Kofman wechselt vom Center for Naval Analyses (CNA) zum Carnegie Endowment for International Peace (CEIP). Der in Kiew geborene Kofman leitete beim CNA zuletzt die Abteilung Russland-Studien. Beim CEIP wird der in den USA ausgebildete Militärexperte ab Juli Senior Fellow des Russland- und Eurasien-Programms. “Michaels Analysen und Erkenntnisse über das russische Militär und den Krieg in der Ukraine waren in den letzten 15 Monaten von unschätzbarem Wert”, sagte der Vizepräsident für Studien des Russland- und Eurasien-Programms des Carnegie Endowment, Andrew Weiss.
Das CEIP hatte im April ein neues Zentrum in Berlin eröffnet, nachdem das Carnegie-Zentrum in Moskau nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine geschlossen worden war. Kofman wird das Russland-Eurasien-Programm von Washington DC aus verstärken, wie er auf Twitter mitteilte. bub
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Fragt man Manuel Atug nach seiner Meinung zu diversen Strategien, Eckpunkte-Papieren oder Agenden der Bundesregierung, endet es nicht selten in einer “Brandrodung”. Zuletzt auch so geschehen bei der vor kurzem veröffentlichten Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung. Er kritisiert vor allem, dass darin zwar 62 Mal das Wort “Cyber” vorkomme, schlussendlich aber wichtige Fragen, zum Beispiel zur digitalen Rüstungskontrolle oder einem wirksamen Bevölkerungsschutz offen blieben.
Wie kaum ein anderer in Deutschland lobbyiert Manuel Atug für ein starkes IT-Sicherheitsgesetz und einen verbesserten, gesetzlichen Schutz Kritischer Infrastrukturen (Kritis). In Beiträgen und auf Vorträgen mahnt der IT-Sicherheitsberater an, Infrastrukturen in allen versorgungskritischen Bereichen wie Energie- und Wasserversorgung, Informations- und Kommunikationstechnik sowie dem Finanz- und Versicherungswesen deutlich besser zu schützen.
2018 gründete er dafür zusammen mit Kollegen die AG Kritis, einen unabhängigen Zusammenschluss rund 42 ehrenamtlicher Lobbyisten für einen starken Schutz Kritischer Infrastruktur. Im vergangenen Jahr kam die AG Nachhaltige Digitalisierung dazu, die er zusammen mit Caroline Krohn gründete. Kernforderung dieser Arbeitsgruppe ist es, technische Schulden an kommende Generationen zu vermeiden und Security by Design sowie Privacy by Design in allen Institutionen und Systemen durchzusetzen.
Bereits mit sechs Jahren experimentierte Atug an einem C64-Rechner, manipulierte Spielstände, hebelte ein paar Jahre später Kopierschutzmechanismen aus. “Ich habe immer versucht, hinter die Fassade zu gucken und Dinge so zu benutzen, wie sie eigentlich nicht gedacht waren”, sagt er. “War damals noch nicht strafbewehrt”, schiebt Atug, der im Netz vor allem unter dem Pseudonym HonkHase bekannt ist, schmunzelnd hinterher.
In den frühen 90er-Jahren fand er den Weg zum Chaos Computer Club (CCC), engagierte sich im Bereich der Cybersicherheit. Hauptberuflich legte er als Penetrationstester Sicherheitslücken in den Systemen seiner Kunden offen, die vor allem aus der Kreditwirtschaft kommen. Später wechselte Atug in die IT-Beratung, um nicht nur fatale Sicherheitslücken zu finden, sondern Unternehmen dabei zu helfen, diese überhaupt zu vermeiden.
Seine Projekte führten ihn durch die unterschiedlichsten Branchen und verschiedensten Ecken der Welt: von Nordamerika nach Israel, die Ukraine, Kasachstan bis nach Sibirien. “Dort habe ich gelernt, wie Sicherheit in unterschiedlichen Kulturen gedacht wird”, sagt Atug. Viele der Unternehmen, die er damals beriet, sind inzwischen als Kritische Infrastrukturen eingestuft.
Bei den Kritischen Infrastrukturen ist der 1976 geborene Wipperfürther dann auch hängengeblieben. Nachdem er sich für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) 2016 durchs IT-Sicherheitsgesetz zum Schutz von Kritischer Infrastruktur gekämpft hat, bildet er Prüfer aus, die Betreiber von Kritischer Infrastruktur nach dem Gesetz überprüfen und wiederum andere Menschen darin ausbilden.
Angesprochen auf das Eckpunktepapier des Kritis-Dachgesetz, vorgelegt im Dezember 2022 vom Bundesinnenministerium (BMI), seufzt Atug tief. “Grundsätzlich sind die Überlegungen zu begrüßen. Aber das Papier wurde vorgestellt, ohne vorher mit irgendwem aus der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft oder Wissenschaft zu sprechen”, bemängelt er. Das BMI verlangt darin nach einer Definition von Kritischer Infrastruktur, was Atug nur schwer nachvollziehen kann. Die EU, der Bund, das BSI, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), die Länder, alle hätten bereits Definitionen niedergeschrieben.
Dass das BBK außerdem mehr Verantwortung beim Schutz von Kritis übernehmen soll, sieht Atug skeptisch. Denn ob noch ein Akteur neben dem BSI und vielen anderen im ohnehin schon unübersichtlichen “Cyber-Wimmelbild der Verantwortungsdiffusion” helfen wird, da hat Atug seine Zweifel.
Dass es aber mehr fähige Menschen braucht, um in Deutschland effektiv den Schutz von Kritischer Infrastruktur bzw. die schnelle Wiederherstellung nach einem Ereignis zu gewährleisten, sieht auch Atug so. Aus der AG Kritis ging 2020 das Konzept für ein Cyber-Hilfswerk (CHW) hervor, welches an das Technische Hilfswerk (THW) angelehnt ist. Wie bei Naturkatastrophen ehrenamtliche Helfer ausrücken, sieht Atug auch bei Großschadenslagen bei Kritischer Infrastruktur zivile Hilfe als unabdingbar an.
Denn 2.000 Betreibern Kritischer Infrastrukturen stünden nur etwa 15 hauptamtliche Mitarbeiter des BSI gegenüber, die im Ernstfall zwar weitere Kräfte mobilisieren könnten, aber immer noch nicht genug für Großschadenslagen.
Ein großer Erfolg für das CHW: Im aktuellen Koalitionsvertrag ist eine Stärkung des THW im Bereich der Cyberhilfe vorgesehen. Das THW wiederum zöge die AG Kritis regelmäßig zurate, sagt Atug. Für sein Engagement erhielt Atug im April 2023 den For…Net Award, einen Preis für Aufklärungsarbeit zur IT-Sicherheit von kritischen Infrastrukturen. Lisa-Martina Klein